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ab-gebaut, können produktive Unternehmen neu in den Außenhandel einsteigen (Ausweitung der „extensive margin“) und die bestehenden Exporteure kön-nen durch steigende Skalenerträge Kostenvorteile erarbeiten (Verbesserung der „intensive margin“). In der Folge bauen sie auch ihre Marktanteile im Inland aus, und einige unproduktive Unternehmen scheiden aus dem Markt aus. Damit steigen sowohl die gesamtwirtschaftliche Produktivität als auch die Reallöhne (siehe hierzu auch Helpman, 2006; Melitz, Ottaviano, 2008).

Wurden früher fast ausschließlich Fertigwaren ausgetauscht, so hat mitt-lerweile die Bedeutung des Handels mit Vorprodukten und Dienstleistungen dramatisch zugenommen. Dies ist eine Folge der vertikalen Spezialisierung, also einer Aufsplitterung der Wertschöpfungskette und Auslagerung von Pro-duktionsteilen zu Anbietern mit vergleichsweise niedrigen Kosten (Hummels et al., 2001). Wird an ein inländisches Unternehmen ausgelagert, spricht man einfach von „Outsourcing“. Handelt es sich hingegen um Auslagerungen ins Ausland oder um Direktinvestitionen, spricht man von „internationalem Outsourcing“ oder „Offshoring“. Athukorala und Menon (2010) schätzen den Anteil des Handels mit Vor- und Zwischenprodukten am gesamten Welthandel 2005/06 auf gut 22%, bei Maschinen und Fahrzeugen (SITC 7) beträgt der Anteil sogar fast 41%. In die ökonomische Literatur ist die grenzüberschrei-tende Fragmentierung der Wertschöpfungskette durch Jones und Kierzkowski (1990) eingegangen, die darin eine Folge der technologischen Entwicklung im Verkehr und in der Telekommunikation sehen. Einen Überblick über die Wir-kungen des Offshoring bieten Egger et al. (2001).

Escaith (2009) betont, dass in früheren Krisensituationen die realen und finanziellen Schocks eher makroökonomischer Natur waren. Als Folge der Fragmentierung hätten solche Schocks nun auch eine mikroökonomische Di-mension erhalten, der in der Theorie durch die Modellierung von heterogenen Unternehmen Rechnung getragen wird. Auch für diese Entwicklung gilt ge-nerell, dass Unternehmen durch die Aufnahme von Außenhandelstätigkeiten ihre Produktivität verbessern können. Beim Offshoring bleibt allerdings offen, in welchem Ausmaß die Vorteile im Inland und im Ausland anfallen.

3.1 Freihandel vs. Protektionismus

Die Freihandelsdoktrin geht auf Ricardo (1817) zurück, dessen Theorie der komparativen Vorteile im 19. Jahrhundert weitgehend unangefochten blieb und sich in seiner von HOS weiterentwickelten Form bis heute auf den interin-dustriellen Außenhandel anwenden lässt. Manche Nationen haben aber auch mit einer restriktiven Handelspolitik überdurchschnittliche Wachstumsphasen erlebt (Baldwin, 2003), so die USA unter Präsident Alexander Hamilton (der 1791 den Erziehungszoll propagierte), Deutschland (Friedrich List hat 1856 das Erziehungszollargument weiterentwickelt), Frankreich und nach 1900 auch Japan. Temporäre Erziehungszölle gelten bis heute als gerechtfertigt, wenn sich dadurch mittelfristig neue Anbieter auf dem Markt etablieren können und der Wettbewerb gestärkt wird. Raúl Prebisch (1950), Gründungs-Generalsekretär der UNCTAD, hat Erziehungszölle nicht nur für einzelne Produkte, sondern für die gesamte Industrieproduktion eines Entwicklungslandes für zulässig erklärt. In diesem Sinne argumentiert auch Chang (2002, 2007), dass den Entwicklungsländern nicht der Freihandel zu Wohlstand verhelfe, sondern die Abschottung gegenüber der Ausbeutung durch die Industriestaaten. Ein wichtiges Argument gegen Erziehungszölle stammt von Meade (1955): Ist ein Produzent nach Überwindung der Anfangskosten längerfristig wettbewerbs-fähig, dann wird er für sein Vorhaben auch eine Kapitalmarktfinanzierung auftreiben können und bedarf keiner protektionistischen Unterstützung.

Abgesehen von Erziehungszöllen besteht in der Literatur weitgehend Kon-sens darüber, dass Handelshemmnisse die Wohlfahrt der Nationen beein-trächtigen. Als anschauliches Beispiel gelten die Erfahrungen mit der Großen Depression der 1930er Jahre, als die Freihandelsdoktrin ihren ersten wesent-lichen Rückschlag erlebte. Damals führte der Zusammenbruch der internati-onalen Nachfrage zu einem Aufschaukeln wechselseitiger protektionistischer Maßnahmen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg hat das traditionelle Außen-handelsmodell im Zuge eines allgemeinen Aufschwungs wieder an Bedeutung gewonnen. In den 1950er und 1960er Jahren dominierten noch die nach innen gerichteten Politiken, insbesondere zur Unterstützung von Importsubstitution.

Erst die 1970er und 1980er Jahre brachten eine zunehmende Skepsis gegen-über der Importsubstitution und eine Hinwendung zu nach außen gerichteten Maßnahmen wie der Exportförderung.

In diesem Sinne sind auch die internationalen Bemühungen seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise zu verstehen, protektionistische Politiken einzel-ner Länder im Keim zu ersticken. Allerdings haben im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise jene theoretischen und wirtschaftspolitischen Argumente an Boden gewonnen, die in der fortschreitenden Handelsliberalisierung nicht nur Wohlfahrtsgewinne orten, sondern auch das Schicksal der Verlierergruppen beleuchten.1

In einer empirischen Analyse unterscheidet Barfield (2009) den traditio-nellen (offenen) Protektionismus (Zölle und Antidumpingmaßnahmen) vom

1 Abweichend davon kommt etwa Vander Stichele (2010) zur Auffassung, dass Freihandel zur Entstehung der jüngsten Wirtschaftskrise beigetragen hat.

verdeckten Protektionismus (versteckte Subventionen, öffentliche Vergabe-praktiken). Als Beispiel für Letzteren nennt Barfield die Übernahme von Ge-neral Motors durch die US-Regierung, mit der ein Kollaps des Unternehmens verhindert wurde. Dieser Fall diente Frankreich als Argument, ebenfalls Maß-nahmen zugunsten der inländischen Autoproduktion zu ergreifen. In diesen Maßnahmen kann man wie Evenett und Wermelinger (2010) eine Umgehung der WTO-Regeln sehen, die daher zu ergänzen und zu verschärfen seien. Nach Gregory et al. (2010) haben sich aber die Staaten mit protektionistischen Maß-nahmen ohnehin sehr zurückgehalten, ein Erfolg, der auch den internatio-nalen Koordinierungsmaßnahmen zu verdanken ist, für die es in den 1930er Jahren keine Parallele gab.

3.2 Bilateraler, regionaler und multilateraler Handel

Das System der bilateralen Handelsverträge im Goldstandard des 19. Jahr-hunderts ist durch die wirtschaftliche Depression der frühen 1870er Jahre an seine Grenzen gelangt und zu Beginn des Ersten Weltkriegs völlig zusammen-gebrochen. Die kriegsbedingten Handelsbeschränkungen wirkten auch nach dem Krieg noch eine Zeit lang weiter. Erst mit der – nur teilweise erfolgreichen – Wiederbelebung des Goldstandards ist der Außenhandel auf bilateraler Ebe-ne schrittweise liberalisiert worden. Diese Entwicklung fand ein jähes Ende, als die Vorboten der Großen Depression 1929 einen drastischen Rückgang der Weltexporte einleiteten. Es folgten die Handelskriege der 1930er Jahre mit Zoll-erhöhungen und kompetitiven Abwertungen. Die bestürzenden Erfahrungen aus dieser Zeit erleichterten es am Ende des Zweiten Weltkriegs, ein Wäh-rungs- und Handelssystem auf multilateraler Ebene zu errichten. Es kam zur Gründung von IWF und Weltbank und zum Abschluss des GATT-Vertrages, ergänzt um die Gründung der OEEC als Vorläuferorganisation der OECD, die sich der Liberalisierung des Kapitalverkehrs annahm. Dieses System hat über seine Koordinations- und Streitschlichtungsmechanismen die protektionisti-schen Bestrebungen der im Grunde nach wie vor merkantilistisch fühlenden Nationen eingedämmt und an den Pranger gestellt.

Parallel dazu wollte man in Europa durch regionale Integration die Kriegsgefahr ein für alle Mal bannen. Mit der Gründung der Montanunion und später von EWG und EFTA ist dies auch eindrucksvoll gelungen. Mit dem GATT-Vertrag (Art. I) sollte zwar die Meistbegünstigungsklausel durchgesetzt werden, doch wurden im Art. XXIV präferenzielle regionale Abkommen unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen. Ihre Zahl ist in den letzten Jahren weltweit sprunghaft angestiegen. 1990 gab es rund 70 regionale Handelsab-kommen, 2010 bestanden fast 300 solcher Abkommen unterschiedlicher Aus-prägung (WTO, 2011). Sie haben so sehr an Bedeutung gewonnen, dass sie etwa von Bhagwati (2008) als Bedrohung für das multilaterale Handelssystem gesehen werden.

Irwin und O’Rourke (2011) haben anhand einer Fabel von Aesop verständlich gemacht, dass das multilaterale Handelssystem im Krisenfall einen „Stoßdämp-fer“ benötigt. Nach dieser Fabel stritten die unbeugsame Eiche und das biegsame Schilfrohr, wer von ihnen einem Sturm besser standhalten könne. Als der

Ernst-fall eintrat, blieb das Schilfrohr unversehrt, die großsprecherische Eiche hinge-gen wurde entwurzelt. Die Entwicklung in der gehinge-genwärtihinge-gen Wirtschaftskrise erinnert an das Schilfrohr, wogegen das Handelssystem der 1920er Jahre sich eher wie eine Eiche verhalten hat. Auch die liberale internationale Wirtschafts-ordnung des späten 19. Jahrhunderts habe sich letztlich als unglückliche Eiche erwiesen. Die Autoren suchen vor dem Hintergrund der Finanzkrise 2008–09, der wachsenden Bedeutung Chinas als Handelspartner und des Scheiterns der Doha-Runde nach Antworten auf die Frage, wie dieses System in Zukunft am besten aufrechterhalten werden kann. Dazu untersuchen sie in historischer Per-spektive die Auswirkungen von Schocks (Finanzkrisen, tiefe Rezessionen, Krie-ge, politische Konflikte) und Shifts (allmähliche langfristige Veränderungen der komparativen Vorteile oder geopolitischer Schwerpunkte). Die meisten Schocks hinterlassen nur geringe Auswirkungen auf das multilaterale Handelssystem, bei Shifts sind die Auswirkungen auf die Handelspolitik gravierender.

Die WTO verfügt über ein ausgefeiltes Instrumentarium zur Bekämpfung von Protektionismen. In der Krise hat sich allerdings gezeigt, dass das Inst-rumentenbündel zu schwerfällig und zu wenig präzise ist, um aufkeimende Protektionismen rasch abstellen zu können. Andererseits sind Befürchtungen, die WTO könnte von den Krisenereignissen überrannt werden, nicht eingetre-ten. Auch das auf Entwicklungsländer ausgerichtete „Aid for Trade“-Programm aus 2005 wird weitergeführt und dient teilweise der Krisenbekämpfung. Mit ihm sollen die Vorteile des Freihandels über mikro- und makroökonomische Schienen allen Mitgliedsländern gleichermaßen zugänglich gemacht werden.