Abbildung 23: Saldo des österreichischen Dienstleistungshandels Intra-EU und Extra-EU nach Kategorien 2011
0 1 2 3 4 5 6 7
Reiseverkehr Traditionelle Dienstleistungen
Versicherungs- und Finanzdienstleistungen
Knowledge Intensive Business Services
Übrige Dienstleistungen
Mrd. Euro
Intra-EU Extra-EU
Quelle: OeNB, Statistik Austria. – Einteilung der Kategorien siehe Abbildung 20.
René Dell’mour
Österreich hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten von einem reinen Direkt-investitionsempfänger zu einem aktiven Investor – vor allem auch in Zentral-, Ost- und Südosteuropa – entwickelt. In der aktuellen Wirtschaftskrise stehen diese In-vestitionsentscheidungen auf dem Prüfstand. Manche Beteiligung muss wieder ab-gestoßen werden, andere benötigen zusätzliche Kapitalzufuhren. Trotzdem ist das Direktinvestitionsgeschehen in der Krise nur vorübergehend erlahmt. Die jüngsten Zahlen der Direktinvestitionsstatistik der OeNB deuten auf ein erneutes Anschwel-len der Direktinvestitionsflüsse. Der regionale Fokus des Interesses scheint sich allerdings aktuell zu verschieben. Bei den grenzüberschreitenden Unternehmens-beteiligungen aus und nach Österreich spielen multinationale Unternehmen eine große Rolle, die Österreich wegen seiner spezifischen Standortvorteile zu einer re-gionalen Drehscheibe ihrer internationalen Aktivitäten gemacht haben.
1 Weltweite Rahmenbedingungen
Nach drei Jahrzehnten einer immer rascher voranschreitenden grenzüber-schreitenden Vernetzung von Unternehmen hat die abgelaufene Dekade gleichzeitig maximale Zuwachsraten und dramatische Einbrüche mit sich gebracht. Nachdem die Investitionsströme im Jahr 2000 ein vorläufiges Maxi-mum von 1,4 Billionen USD (1,4*1012) erreicht hatten, brachen sie im Gefolge des Platzens der „Dotcom“-Blase und der Terroranschläge des Jahres 2001 um mehr als die Hälfte ein. Ausgehend vom „Tiefpunkt“ des Jahres 2003 (0,6 Billionen USD) wuchsen die Direktinvestitionsströme erneut rasant an und erreichten im Jahr 2007 den historischen Höchstwert von mehr als 2 Billionen USD (Abbildung 24). Die Weltwirtschaftskrise – bereits 2007 beginnend als Liquiditätskrise des US-Bankwesens, im Herbst 2008 mit dem Zusammen-bruch von Lehman Brothers in die Realwirtschaft übergreifend und 2009 zu einer nahezu weltweiten Rezession führend – hat auch die strategischen Firmenbeteiligungen erneut stark in Mitleidenschaft gezogen. Als entschei-dende Faktoren nennen Poulsen und Hufbauer drei Faktoren, nämlich Liqui-ditätsengpässe, mit denen die multinationalen Unternehmungen konfrontiert sind, die massive Wachstumsverlangsamung weltweit und schließlich auch eine generell verstärkt risikoscheue Haltung potenzieller Investoren.
Die Rückgänge seit 2007 waren mit –43% allerdings weniger ausgeprägt als beim vorangegangenen Einbruch. In ihrem World Investment Report 2011 glaubt die UNCTAD – anhand vorläufiger und unvollständiger Ergebnisse – für 2010 bereits eine Stabilisierung und den Beginn eines neuen Aufschwungs erkennen zu können. Demnach seien die weltweiten DI-Flüsse 2010 bereits
um 5% auf 1,3 Billionen USD gestiegen und würden bis 2013 wieder das Vor-krisenniveau erreichen. Mittlerweile hat jedoch der Ausbruch der Krise der öffentlichen Finanzen in einer Reihe europäischer Staaten den wirtschaftlichen Erholungsprozess erlahmen lassen. Zweifel an der Bonität staatlicher Schuld-verschreibungen haben das Vertrauen in die Akteure des Bankensystems er-neut erschüttert. So berichtet der Investment Monitor der UNCTAD (UNCTAD 2011b) im Oktober, dass die Wachstumsrate der Investitionsströme im ersten Halbjahr 2011 auf bloße 2% gesunken sei und erste Anzeichen auf eine weite-re Verlangsamung der Investitionen im dritten Quartal 2011 hindeuteten. Die Staatsschuldenkrise und die damit verbundene Unruhe in den Finanzmärkten sowie sich abzeichnende Wachstumsschwächen stellten erhebliche „Downside-Risken“ für die weitere Entwicklung der Direktinvestitionen dar. Für das Ge-samtjahr 2011 rechnet die UNCTAD dennoch mit einem Gesamtergebnis von
„25% unter dem Rekordniveau von 2007“, also etwa 1,5 Billionen USD.
Ähnlich wie die UNCTAD registrierte auch die OECD eine deutliche Erho-lung von grenzüberschreitenden „Mergers and Acquisitions“1 im ersten Halb-jahr 2011, der allerdings eine merklich schwächere Entwicklung der Direktin-vestitionsvolumina gegen Mitte des Jahres gegenübersteht – die Zuflüsse in die OECD stagnierten im zweiten Quartal 2011 und die Investitionen in das Ausland sanken um 1% (OECD 2011, S.3). Auch hier sind die sich entfaltende Schuldenkrise in Europa und die Wachstumsschwäche der USA die wesentli-chen Bestimmungsfaktoren.
Abbildung 24: Weltweite Direktinvestitionsflüsse und -bestände
0 5.000 10.000 15.000 20.000 25.000
0 1.000 2.000 3.000 4.000 5000
1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010
Gemessene Zuflüsse (li) Gemessene Abflüsse (li) Bestand passiver DI (re) Bestand aktiver DI (re) in Mrd USD
Quelle: UNCTAD.
1 Diese sind eine wichtige Teilmenge der Direktinvestitionen. Sie enthalten aber weder Un-ternehmensgründungen im Ausland (Greenfield investments), noch allfällige Erweite-rungsinvestitionen in bestehenden Beteiligungen und vor allem auch keine reinvestierten Gewinne.
Neben der Wachstumsverlangsamung der Direktinvestitionen in der Kri-se verzeichnet die UNCTAD auch strukturelle Verschiebungen, wonach die hochentwickelten Industriestaaten zweifach in negativer Weise betroffen sind.
Zur geringeren Wachstumsdynamik treten auch noch Anteilsverluste; 2010 haben Schwellen- und Entwicklungsländer erstmals mehr als die Hälfte aller Direktinvestitionsmittel auf sich gezogen – in den 15 Jahren vor der Krise waren es im Mittel nur 30% gewesen. Genau genommen sind es vor allem die viel zitierten BRIC-Staaten, die ihren Anteil von 4% im Jahr 1990 auf 23%
im Jahr 2010 steigern konnten. Die am wenigsten entwickelten Länder der Welt konnten dagegen von der Verschiebung meist nicht profitieren. Auch als Investoren verlieren die Industriestaaten – freilich in geringerem Maße – an Gewicht: Zwar waren sie 2010 nach wie vor Ursprung von 71% aller Direktin-vestitionen, vor der Krise galt dies im Durchschnitt für mehr als 87%. China (11%) und Russland (4%), aber auch einzelne, oft staatsnahe, multinationale Konzerne aus Entwicklungsländern sind mittlerweile zu wichtigen Akteuren im Geschäft der Firmenübernahmen geworden. Diese neuen Investoren ha-ben ihre Interessen sowohl in Entwicklungsländern (z.B: chinesische Land-käufe in Afrika; UNCTAD 2009) als auch in Industrieländern, wo es um die Erschließung von Absatzmärkten und um den Zugang zu technischem und organisatorischem Know-how geht. Andere verstärkt in Erscheinung tretende Investoren sind Sovereign wealth funds2 und Private equity funds3 (vgl. Rama-murti). Erstere haben etwa 1,7% ihres auf 4.000 Milliarden USD geschätzten Vermögens in strategischen Unternehmensbeteiligungen angelegt, letztere hatten 2007 480 Milliarden USD in „Mergers and Acquisitions“ investiert.
Bei allen krisenhaften Entwicklungen waren die Direktinvestitionsströme jedoch stets positiv, was die Bestände der Direktinvestitionen stetig wachsen ließ. Innerhalb der letzten beiden Dekaden haben sich die weltweiten Direkt-investitionsbestände von 2 auf 20 Billionen USD verzehnfacht, was einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von mehr als 11% entspricht.
Setzt man die Bestandszahlen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt, so wuchs der Bestand an Direktinvestitionen von weniger als 10% des BIP im Jahr 1990 auf mehr als 30% im Jahr 2010. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Di-rektinvestitionsbestände in den beiden erwähnten Krisenjahren 2001 und 2008 stagnierten bzw. deutlich zurückgingen. Darin manifestiert sich die Rolle von Bewertungsänderungen: 2001 wurden die gesamten Neuinvestitionen in Höhe von einer Dreiviertel Billion USD durch den Verfall der Börsenkurse wettgemacht. Noch extremer war der Bewertungsverlust in Zuge der jüngsten Finanzkrise: Trotz Direktinvestitionsströmen in Höhe von 1,5 bis 1,9 Billionen USD im Jahr 2008 sank der Wert der Bestände zwischen Jahresende 2007 und Jahresende 2008 um 2,5 bis 3,0 Billionen USD. Das bedeutet, dass die Wert-vernichtung (oder vielleicht auch die „Wertkorrektur“) des Jahres 2008 4.000 bis 5.000 Milliarden USD, das sind immerhin 20 bis 25% des Gesamtwertes, betragen hat. Ein erheblicher Teil der Verluste konnte allerdings in den beiden
2 Anlagegesellschaften, die in staatlichem Auftrag Kapitalüberschüsse veranlagen.
3 Anlagegesellschaften, die außerbörsliches Eigenkapital von privaten und institutionellen Anlegern sammeln und (befristet) in Unternehmen veranlagen.
Folgejahren wieder gutgemacht werden. Langfristig spielen Bewertungsände-rungen aber eine untergeordnete Rolle: Seit 1990 sind die Direktinvestitionsbe-stände wie erwähnt um 17 bis 18 Billionen USD gestiegen, was in hohem Maß mit der Summe der Direktinvestitionsflüsse im entsprechenden Zeitraum (16,5 bis 17 Billionen USD) übereinstimmt.
Aus der genannten Entwicklung lässt sich klar eine weltweit fortschreiten-de, wirtschaftliche Verflechtung ablesen. Geht man überschlagsweise davon aus, dass der für die Erstellung des Bruttoinlandsproduktes notwendige Kapi-talstock etwa drei- bis fünfmal so hoch wie das BIP ist, würde das bedeuten, dass sich etwa 6 bis 10% des weltweiten Kapitalstocks jeweils in Händen von Ausländern befinden.
An dieser Stelle ist es jedoch notwendig, auf eine grundsätzliche Problema-tik der DirektinvestitionsstatisProblema-tik hinzuweisen. Die naive Auffassung, wonach Direktinvestitionen meistens Geschäftsfälle beschreiben, in denen ein Investor aus einem Land A im Land B ein Tochterunternehmen gründet oder erwirbt, um dort zu produzieren, spiegelt das reale Geschehen nur unzureichend wider.
Vor allem große multinationale Unternehmen haben begonnen zunehmend komplexere Strukturen zu entwickeln. Zum Zweck einer übersichtlichen regi-onalen oder spartenweisen Organisation des Konzerns werden beispielsweise Regionalzentren eingerichtet, von wo aus weiter Investitionen in Drittländern getätigt und koordiniert werden. Nicht immer, aber mit wachsender Tendenz werden hierzu Holdinggesellschaften herangezogen. Regulatorische Arbitrage und steuerliche Anreize sind weitere Gründe, die zu einer wachsenden Kom-plexität von Konzernstrukturen führen. In ihrer extremsten Form entstehen sogenannte „Special Purpose Entities“, die in ihrem Sitzland keinerlei wirt-schaftliche Aktivitäten entfalten, außer dass sie ausländischen Eigentümern gehören, Beteiligungen im Ausland halten und allenfalls einmal jährlich eine Bilanz erstellen. Definitionsgemäß implizieren sie jedoch Direktinvestitions-beziehungen, die statistisch zu erfassen sind. Ketten von Holdinggesellschaften in verschiedenen Ländern führen dann dazu, dass eine Direktinvestition in die Statistiken aller Länder entlang der Kette eingeht und somit mehrfach gezählt wird. Zu einer Aufblähung von Direktinvestitionszahlen tragen auch die Fälle von „Round-tripping“ bei, in denen der im Inland ansässige Eigentümer eines Unternehmens die Eigentumsrechte einer ausländischen Rechtsperson über-trägt, ohne die Kontrolle über das Unternehmen abzugeben; hier entstehen formal zwei Direktinvestitions beziehungen (hinaus und herein), deren ökono-mische Signifikanz man in Frage stellen könnte.
Die genannten Phänomene haben die unmittelbare „Lesbarkeit“ von Direkt-investitionsstatistiken etwas beeinträchtigt. Glücklicherweise konzentriert sich die Entwicklung auf eine überschaubare, aber wachsende Anzahl von bevor-zugten Sitzländern. Dazu zählen neben „Off-shore-Finanzzentren“ etwa Lu-xemburg und die Niederlande, seit 2005 auch Österreich, zuletzt auch Ungarn.
Zur Verbesserung der Benutzbarkeit schlagen der IWF und die OECD als me-thodologisch zuständige Organisationen im neuen, 6. Zahlungsbilanzmanual vor, „Special Purpose Entities“ in Zukunft gesondert auszuweisen. Österreich tut dies bereits, wobei sich der Fokus der Analyse stets auf die Direktinvestitionen im engeren Sinne (also ohne SPEs) richtet.
Der Vergleich der Statistiken von UNCTAD und IWF erlaubt eine Illustration der Größenordnung dieses Phänomens: Die UNCTAD sammelt für mehr als 200 Länder passive und für 160–180 Länder aktive Direktinvestitionsstatisti-ken, wobei manche (aber nicht alle) Länder SPEs eliminieren. Im Gegensatz dazu verlangt der IWF von den 90 Inward- bzw. 60 Outward-Meldeländern grundsätzlich die Einbeziehung von SPEs.
Tabelle 22: Direktinvestitionsbestände 2010 in Ländern mit SPEs; Vergleich UNCTAD – IWF
Inward IWF (mit SPEs)
Inward UNCTAD
Outward IWF (mit SPEs)
Outward UNCTAD
Land in Mrd USD
Niederlande 3.036 590 3.783 890
Luxemburg 1.865 115 1.902 138
Österreich 269 155 270 170
Ungarn 209 91 141 20
Durch die erweiterte Definition übertrifft die Gesamtsumme der Meldeländer des IWF mit mehr als 21 Billionen USD das der UNCTAD gemeldete Gesamt-volumen von weniger als 20 Billionen für rund 200 Länder. Besonders auf-fallend sind die Diskrepanzen im Falle der Niederlande, die einschließlich der SPEs der größte Direktinvestitionsempfänger bzw. zweitgrößte Direktinvestor der Welt wären, ohne die SPEs jedoch nur auf Platz 7 bis 8 zu liegen kommen.
Luxemburg liegt mit SPEs auf Platz 3, ohne SPEs hingegen um Platz 30. Mit diesen Anmerkungen soll nicht die massiv fortschreitende Integration der Weltwirtschaft in Frage gestellt werden, vielmehr soll die notwendige Sorgfalt bei der Interpretation von Direktinvestitionsstatistiken betont werden.