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Die allgemeinen Aussagen über die Reaktion des Außenhandels auf Finanz- und Wirtschaftskrisen werden nun durch die Erfahrungen in ausgewählten Krisenperioden ergänzt. Dabei wird speziell auf die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und auf die gegenwärtige Wirtschaftskrise eingegangen.

5.1 Zwischenkriegszeit

Nach dem Ersten Weltkrieg dauerte es einige Jahre, bis ein Festkurssystem in Form des Gold-Devisen-Standards etabliert werden konnte. Dabei

begin-gen allerdings manche Länder – insbesondere Großbritannien ab 1925 – den Fehler, zu ihren alten Goldparitäten zurückzukehren, obwohl sich durch den Krieg die Wettbewerbspositionen verschoben hatten. Die 1928 in den USA einsetzende Rezession wurde dort durch eine restriktive Geldpolitik verstärkt.

Um einen Goldabfluss in die USA zu vermeiden, mussten auch die anderen Länder zu Restriktionen greifen. Vor allem Deutschland war nach dem Zu-sammenbruch der Wiener Creditanstalt 1931 mit massiven Goldabflüssen konfrontiert, denen es aus Angst vor neuerlicher Hyperinflation und wegen der in Dollar zu entrichtenden Reparationszahlungen nicht mit Abwertung begegnen konnte. Es griff daher zu Beschränkungen im Zahlungsverkehr und in der Handelsfinanzierung. Die deutsche Krise schwappte auf Großbritan-nien über, das im September 1931 den Goldstandard verließ und das Pfund Sterling abwertete. Andere Länder folgten entweder mit Beendigung des Gold-standards oder mit der Verschärfung von Handels- und Zahlungsrestriktionen (darunter auch Österreich).

Die Folgen für den Welthandel waren dramatisch. Zwischen 1929 und 1932 fiel das Welthandelsvolumen um 25%, mit Schwerpunkt 1932 (Gregory et al., 2010). Allein zwischen 3. Quartal 1931 und 3. Quartal 1932 betrug der Rück-gang 16% (vgl. auch Abbildung 31). Etwa die Hälfte des RückRück-gangs zwischen 1929 und 1932 ist nach Madsen (2001) den protektionistischen Maßnahmen zuzuschreiben, die andere Hälfte der schrumpfenden Nachfrage. Den Haupt-nachteil des sich ausbreitenden Protektionismus sieht O’Rourke (2009) in den langfristig negativen Wachstums- und Beschäftigungswirkungen sowie in den geopolitischen Konsequenzen, die eine Kooperation zur Beendigung der De-pression nicht zuließen.

Abbildung 31: Welthandel und Welt-BIP in den 1920er und 1930er Jahren

Quelle: Eichengreen und Irwin (2009: 44).

In Abhängigkeit von der Wechselkurspolitik nahm der Protektionismus in dieser Zeit ganz unterschiedliche Formen an (Eichengreen und Irwin, 2009).

Länder, die den Goldstandard lange Zeit aufrecht hielten (z.B. Frankreich bis

1936), führten in größerem Ausmaß Zollerhöhungen, Importbeschränkun-gen und Devisenkontrollen ein als Länder, die sich frühzeitig vom Goldstan-dard abwendeten (z.B. Großbritannien im September 1931). Die Aufgabe des Goldstandards und die darauffolgende Entwertung der Währung stärkte die Leistungsbilanzentwicklung und ermöglichte den Einsatz der Geldpolitik zur Senkung des Zinsniveaus. Der Protektionismus der 1930er Jahre entstand so-mit weniger aus handelspolitischen Gründen, er war vielmehr ein Ersatz für die beschränkte oder nicht zur Verfügung stehende Wechselkurs-, Geld- und Fiskalpolitik.

5.2 Besonderheiten der Außenhandelsentwicklung in der Krise seit 2008

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gab es nur wenige Jahre mit absoluten Rückgängen des Außenhandelsvolumens: 1958, 1975, 1982 und 2009 (vgl.

Abbildung 30). Der weltweite Einbruch des Außenhandels im vierten Quar-tal 2998 und im ersten QuarQuar-tal 2009 war aber so tief, überraschend und weit-gehend synchron, dass einige Autoren vom „Great Trade Collapse“ sprechen (z.B. Behrens et al., 2010). Allein zwischen September 2008 und Jänner 2009 betrug der Rückgang 17,5%. Allerdings gehen die Meinungen auseinander, ob man dabei von einer „Handelskrise“ sprechen soll, also einer von den Einrich-tungen und Verhaltensweisen im Außenhandel ausgehenden Krise, oder doch nur von einer Folge der allgemeinen Wirtschaftskrise (Behrens et al., 2010).

Ebenso abrupt, wie der Kollaps einsetzte, erholte sich der Welthandel auch wieder: Zur Jahresmitte 2010 wurde das Niveau vom September 2008 wieder überschritten (Abbildung 32).

Abbildung 32: Entwicklung des Welthandelsvolumens, saisonbereinigt, gleitende Dreimonatsdurchschnitte, 2000 = 100

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schend und weitgehend synchron, dass einige Autoren vom „Great Trade Collapse“ spre-chen (zB Behrens et al., 2010). Allein zwisspre-chen September 2008 und Jänner 2009 betrug der Rückgang 17,5%. Allerdings gehen die Meinungen auseinander, ob man dabei von einer

„Handelskrise“ sprechen soll, also einer von den Einrichtungen und Verhaltensweisen im Au-ßenhandel ausgehenden Krise, oder doch nur von einer Folge der allgemeinen Wirtschaftskri-se (Behrens et al., 2010). Ebenso abrupt, wie der Kollaps einWirtschaftskri-setzte, erholte sich der Welthandel auch wieder: Zur Jahresmitte 2010 wurde das Niveau vom September 2008 wieder überschrit-ten (Abbildung 3).

Abbildung 3: Entwicklung des Welthandelsvolumens, saisonbereinigt, gleitende Dreimonats-durchschnitte, 2000 = 100

Q: Niederländisches Centraal Planbureau, World Trade Monitor, Dezember 2011.

Gegliedert nach Exportregionen zeigt sich, dass die Exporte der Industriestaaten 2009 viel stärker eingebrochen sind (-16,1%) als jene der Entwicklungs- und Schwellenländer (-8,5%).

Dabei haben sich Lateinamerika (-7,1%) und Asien (-7,5%) relativ gut gehalten (vgl. Über-sicht 1).

Übersicht 1: Weltexporte nach Regionen, Vorjahresveränderungsraten

Exportregion 2007 2008 2009 2010 2011 Weltexporte, gesamt 7,3 2,9 -12,5 15,4 5,9

Industriestaaten (1) 4,3 1,0 -16,1 13,5 4,7

USA 6,3 8,2 -13,9 15,0 7,9

Japan 9,7 2,0 -25,5 27,4 -0,4

Eurozone 4,5 -0,4 -15,1 11,1 4,7 Entwicklungs- und

Schwellen-länder 10,9 5,1 -8,5 17,3 7,1

Asien 12,4 6,1 -7,5 21,3 7,7

Zentral- und Osteuropa 12,0 5,7 -12,5 11,5 8,3 Lateinamerika 6,2 -0,7 -7,1 12,4 5,2 Afrika und Mittlerer Osten 5,9 3,6 -9,9 4,1 2,7

Q: Niederländisches Centraal Planbureau, World Trade Monitor, Dezember 2011. – (1) OECD ohne Chile, Tschechi-sche Republik, Ungarn, Polen, Israel, Korea, Mexiko und Türkei.

Im Einklang mit den schon weiter oben getroffenen Feststellungen wird von fast allen Autoren der weltweite Nachfragerückgang als Hauptursache für den Einbruch des Welthandels 2008-09 gesehen und nicht Strukturprobleme im Außenhandel selbst (vgl. etwa Koopmann, 202008-09).

Einige angebotsseitige Einflüsse hätten zwar ebenfalls mitgewirkt (insbesondere Finanzie-rungsengpässe), doch hätten diese den Außenhandel und die Binnenwirtschaft

gleicherma-Quelle: Niederländisches Centraal Planbureau, World Trade Monitor, Dezember 2011.

Gegliedert nach Exportregionen zeigt sich, dass die Exporte der Industriestaa-ten 2009 viel stärker eingebrochen sind (–16,1%) als jene der Entwicklungs- und Schwellenländer (–8,5%). Dabei haben sich Lateinamerika (–7,1%) und Asien (–7,5%) relativ gut gehalten (vgl. Tabelle 36).

Tabelle 36: Weltexporte nach Regionen, Vorjahresveränderungsraten

Exportregion 2007 2008 2009 2010 2011

Weltexporte, gesamt 7,3 2,9 –12,5 15,4 5,9

Industriestaaten (1) 4,3 1,0 –16,1 13,5 4,7

USA 6,3 8,2 –13,9 15,0 7,9

Japan 9,7 2,0 –25,5 27,4 –0,4

Eurozone 4,5 –0,4 –15,1 11,1 4,7

Entwicklungs- und Schwellenländer 10,9 5,1 –8,5 17,3 7,1

Asien 12,4 6,1 –7,5 21,3 7,7

Zentral- und Osteuropa 12,0 5,7 –12,5 11,5 8,3

Lateinamerika 6,2 –0,7 –7,1 12,4 5,2

Afrika und Mittlerer Osten 5,9 3,6 –9,9 4,1 2,7

Quelle: Niederländisches Centraal Planbureau, World Trade Monitor, Dezember 2011.

(1) OECD ohne Chile, Tschechische Republik, Ungarn, Polen, Israel, Korea, Mexiko und Türkei.

Im Einklang mit den schon weiter oben getroffenen Feststellungen wird von fast allen Autoren der weltweite Nachfragerückgang als Hauptursache für den Einbruch des Welthandels 2008–09 gesehen und nicht Strukturprobleme im Außenhandel selbst (vgl. etwa Koopmann, 2009). Einige angebotsseitige Einflüsse hätten zwar ebenfalls mitgewirkt (insbesondere Finanzierungseng-pässe), doch hätten diese den Außenhandel und die Binnenwirtschaft glei-chermaßen getroffen. Für Behrens et al. (2010) ist der Handelseinbruch „…

not a trade crisis – just a trade collapse...“ (p. 20). Baldwin und Taglioni (2009) schreiben diesen Kollaps der „Knight’schen Unsicherheit“ zu, also dem Un-vermögen breiter Bevölkerungsschichten zu ermessen, was nach der Lehman-Pleite auf sie zukommen würde. Konsumenten und Investoren verschoben ihre Kaufpläne, worauf die Lagerbestände anschwollen und letztlich die Pro-duktion gedrosselt wurde. Für Alessandria et al. (2010) handelt es sich daher primär um das Ergebnis von Lageranpassungen, die durch das angebotsseitige Element der vertikalen Spezialisierung in Verbindung mit „Just in time“-Lieferungen, bei denen die Lagerhaltung minimiert wird, verstärkt werden.

Einige weitere Autoren bringen ebenfalls angebotsseitige Faktoren ins Spiel. Koopmann (2009), Auboin (2009), Chor und Manova (2010) und Wat-son (2011) betonen den Kollaps der Handelsfinanzierung, die allerdings nur zu etwa einem Drittel von Banken vergeben wird, der Rest sind Kreditbeziehun-gen zwischen den beteiligten Produktionsunternehmen (Asmundson, 2011).

Zwischen Handelskrediten und Bankkrediten besteht eine gewisse Komple-mentarität, die aber in der Krise nicht voll zum Tragen kommt. Vielmehr kann dann ein Ausfall von Bankkrediten auch einen Kollaps bei den Handelskredi-ten auslösen (Love, 2011).

Im Gegensatz zu diesen Autoren finden Levchenko et al. (2010) keinen Ein-fluss von Finanzierungsbeschränkungen, für sie dominieren Verschiebungen in der Außenhandelsstruktur. Eaton et al. (2011) legen dar, dass der Rückgang der AH-Quote auf Änderungen in der Nachfragestruktur (zulasten von dauerhaf-ten Gütern) zurückgeht. Für Yi (2009), Anderton und Tewolde (2011) sowie Bems et al. (2011) spielt der Zusammenbruch der Einkäufer- und Produktions-beziehungen die größte Rolle. Koopman (2009), Evenett (2009) sowie Jacks et al. (2009) sehen eine weitere Ursache im Wiederaufkeimen des teilweise nur verschleiert auftretenden Protektionismus („murky protectionism“). Doch fand bereits am 15.11.2008 das erste G20-Treffen in Washington statt, bei welchem vereinbart wurde, innerhalb der nächsten 12 Monate keine protektionistischen Maßnahmen zu setzen. In den USA wurde 2009 im American Recovery and Reinvestment Act (ARRA) der „Buy American Act“ aus 1933 auf das neue Konjunkturprogramm umgelegt – begleitet von internationalen Protesten.

Evenett (2009) berichtet aus der Datenbank „Global Trade Alert“ (GTA), die 2009 mit dem Ziel ins Leben gerufen wurde, Informationen über staatlichen Protektionismus, der das Wirtschaftsleben im Ausland beeinträchtigen könnte, öffentlich bereitzustellen. Es zeigte sich bald, dass kaum Zollerhöhungen vorge-nommen wurden, wohl aber an vielen Stellen mit nicht-tarifären Maßnahmen (insbesondere Staatshilfen für Industrieunternehmen) eingegriffen wurde.

Für viele Autoren lässt sich der Einbruch des Welthandels mit einer Kom-bination von nachfrage- und angebotsseitigen Faktoren erklären (z.B. Cheung und Guichard, 2009). In einer umfassenden Krisenanalyse hat die OECD (2010) die möglichen Einflüsse gemeinsam untersucht und im Nachfrageaus-fall bei handelbaren Gütern, in der Kreditklemme bei Handelsfinanzierungen sowie in der vertikalen Spezialisierung die Hauptfaktoren für den Einbruch des Welthandels festgestellt. Dagegen hätten die protektionistischen Ansätze nur einen kaum messbaren negativen Effekt hinterlassen. Umgekehrt wäre es dem von den G20-Ländern koordinierten Einsatz konjunkturstützender Maßnah-men zu verdanken gewesen, dass der Nachfragerückgang begrenzt blieb und Handelsfinanzierungen rasch wieder verfügbar waren. In der OECD besteht weitgehend Konsens darüber, dass die Liberalisierung der Gütermärkte nicht für das Entstehen der Finanz- und Wirtschaftskrise verantwortlich gemacht werden kann, wenn sie auch die Ausbreitung der Krise erleichtert hat.

Ähnlich urteilt Krueger (2009), wenn sie die handelspolitischen Konse-quenzen aus der Krise zieht. Der Außenhandel hätte Impulse setzen können, um die Krise rascher zu beenden. Im Gegensatz zur fiskalpolitischen Stimu-lierung wären die handelspolitischen Instrumente – etwa eine Belebung der Doha-Runde und eine Stärkung der WTO – ohne Budgetbelastung durchzu-führen gewesen. Krueger spricht sich auch für einen (symmetrischen) Abbau von Handelsungleichgewichten aus, der von notorischen Überschussländern eine Stärkung ihrer Binnennachfrage erfordern würde. Frieden (2009) wider-spricht Krueger in einem Punkt: Er sieht keinen unmittelbaren Vorteil in einer Fortsetzung der Doha-Runde, weil die dort enthaltenen Maßnahmen zur Un-terstützung des Aufschwungs im besten Fall irrelevant seien. Darüber hinaus spricht er sich für eine moderate Weiterentwicklung der Handelspolitik aus, weil radikale Maßnahmen die Bevölkerung nur verunsichern würden.

Zusammenfassend lassen sich folgende Unterschiede zwischen dem Welt-handelseinbruch von 2008/09 und jenem in den 1930er Jahren erkennen:

• Der Handelseinbruch erfolgte 2008/09 abrupt, dauerte aber nur wenige Monate (letztes Quartal 2008 und erstes Quartal 2009). Im Vergleich dazu sank das Außenhandelsniveau ab Mitte 1929 nur allmählich, der Rück-gang hielt aber von1929 bis 1933 an (Eichengreen und O’Rourke, 2010).

Ausschlaggebend für den Unterschied ist der mittlerweile erreichte hohe Globalisierungsgrad, sowohl auf mikroökonomischer als auch auf makro-ökonomischer und internationaler Ebene.

• Heute ist eine viel größere Zahl von Unternehmen international tätig und durch Fragmentierung der Wertschöpfungskette mit ausländischen Unterneh-men verbunden. Dadurch werden Krisen rasch über die Welt synchroni-siert, und zwar sowohl im Abschwung als auch im Aufschwung.

Über eine funktionierende internationale Kooperation im Rahmen der G20 gelang es, den Handelskollaps nicht auf die Handelspolitik durchschlagen zu lassen und protektionistische Maßnahmen weitgehend zu vermeiden.

Die WTO verfügt darüber hinaus über ein längerfristig wirksames Instru-mentarium zur Vermeidung von Protektionismus, das es in dieser Form vor dem Zweiten Weltkrieg nicht gab.

• Die rasche Erholung des Welthandels ab dem zweiten Quartal 2009 wurde durch die ebenfalls weltweit koordinierten Maßnahmen zur Konjunkturbele-bung wesentlich unterstützt.

• In Zusammenarbeit mit den Zentralbanken ist es den Regierungen gelun-gen, einen anhaltenden Zusammenbruch der Außenhandelsfinanzierung zu vermeiden.