Fach- und Forschungsstelle für Migration, Integration und interkulturelle Bildung
Verankerung kultursensibler Pflege in Ausbildung und Praxis aus der Perspektive von
Pflegekräften mit Migrationshintergrund
Mag.a Manuela Angerer / Mag.a Regina Stöbich Fach- und Forschungsstelle für Migration,
Integration und interkulturelle Bildung
1. Symposium Interkulturalität & Pflege – ein Querschnittsthema FH Linz
14. Oktober 2015
Fach- und Forschungsstelle für Migration, Integration und interkulturelle Bildung
Themen des Workshops
Auszüge aus der Forschungsarbeit
• Forschungsdesign
• Kultursensible Pflege in der Ausbildung
• Handhabung kultursensibler Pflege im praktischen Arbeitsalltag
Diskussion
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Ausgangslage / Ziel der Forschungsarbeit
Zukunftsperspektive Pflege? Ausbildungs- und Arbeitssituation von MigrantInnen am Beispiel Oberösterreich
• steigender Bedarf an Fachkräften für Gesundheits- und Pflegebereich
• wenig Forschungsliteratur
• Sichtbarmachen der Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen von
MigrantInnen in der Pflege
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Forschungsfragen
1. Was erleichtert bzw. erschwert den Zugang zur Qualifikation als diplomierte Pflegekraft, die Ausbildung selbst bzw. die Anerkennung von Qualifikationen für Menschen mit Migrationshintergrund?
2. Was erleichtert bzw. erschwert die Zusammenarbeit in multiethnischen Teams und den Umgang mit PatientInnen/BewohnerInnen unterschiedlicher Herkunft und Lebenswelten?
3. Wie gehen Institutionen mit der zunehmenden Diversität im Gesundheits- und Pflegebereich hinsichtlich der Zusammensetzung in den Teams und bei den PatientInnen/BewohnerInnen um?
4. Inwieweit ist Kultursensibilität integrierter Bestandteil in der Ausbildung
und gelebte Praxis im Pflegealltag?
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Methodik
• 20 qualitative Leitfaden- interviews
• Erhebungszeitraum Juni – November 2013
• 4 ExpertInnengespräche
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Stichprobe
• Auswahlkriterien:
– abgeschlossene Ausbildung diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester / diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger (DGKS/DGKP) oder Fach-SozialbetreuerIn mit Ausbildungsschwerpunkt Altenarbeit (FSB „A“)
– Tätigkeit in Krankenanstalt oder Einrichtung für ältere und
pflegebedürftige Menschen in Oberösterreich
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Stichprobe
• 15 Frauen / 5 Männer
• 7 Krankenanstalten / 8 Alten- und Pflegeheime in ganz OÖ
• 20 - 53 Jahre
• 14 Herkunftsländer
• 13 DGKS / DGKP (davon 9 NostrifikantInnen) / 7 FSB „A“
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Kultursensible Pflege
Eine begriffliche Annäherung
individuelle und biografieorientierte Pflege, die versucht, „in der interkulturellen Begegnung nicht die Kultur, sondern die Individualität des Einzelnen zu erschließen“
(Arbeitskreis Charta für eine kultursensible
Altenpflege 2002: 26)
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Kultursensible Pflege in der Ausbildung
• vor allem in der Ausbildung zum/zur DGKS/DGKP kaum ein Thema
• aber: interkulturelles Leben als Alltagsrealität in Herkunftsländern:
„Bei uns war das sowieso normal, weil Sarajevo ist eine multikulturelle Stadt, …, aber das hat man gelebt einfach.
Weil ich habe gewusst, wenn ich zu einer muslimischen Frau komme, oder Mann, dass ich ein ganz anderes Verhalten haben soll, abgesehen von Essenskultur und so, das war für mich normal. […]“
(B20, männlich, DGKP, in APH beschäftigt)
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Kultursensible Pflege in der Ausbildung
• Kultursensible Pflege als Querschnittsmaterie – Freiraum, abhängig von Schwerpunkten / Interessen der Lehrenden
• Wunsch nach Vertiefungen in Themen der kultursensiblen Pflege:
„Viel zu wenig, viel zu wenig, das ist eindeutig viel zu wenig und leider das wird ganz einfach so als trockener Stoff … so gebracht, es wird nicht so interessant gemacht, das sie ganz einfach sagen ein Beispiel, ein richtiges Beispiel von den Ausländern her, mit einer Lebensgeschichte, […], dass Österreicher vielleicht verstehen.“
(B14, männlich, DGKP, in KH beschäftigt)
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Kultursensible Pflege in der Ausbildung
• Ziel: mehr Sicherheit im Umgang mit PatientInnen/BewohnerInnen mit Migrationshintergrund und Abbau von Vorbehalten von KollegInnen
„Da ärgere ich mich persönlich wirklich, weil da muss ich mich immer rechtfertigen! Wegen Fasten, wegen Glauben, wegen Kopftuchtragen, wegen Gleichberechtigung, das macht fix und fertig! […]“
(B18, weiblich, DGKS, in KH beschäftigt)
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Kultursensible Pflege in der Ausbildung
• Bedürfnis nach „Rezepten“ – Gefahr des Verfestigens von Bildern und Vorbehalten
• ExpertInnenwissen in der Ausbildung als Beitrag zur Sensibilisierung von AusbildungskollegInnen:
„Es hätte ruhig ein bisschen mehr sein können. Weil ich in der Klasse war, da haben die Mitschüler halt auch viel mitgekriegt und gehört von mir. Das war für sie sicher auch eine Hilfe.
I: Das war aber nur, weil Sie in der Klasse waren.
B12: Genau. Sie haben mich gefragt, wie ist das bei uns.“
(B12, männlich, DGKP, in KH beschäftigt)
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Kultursensible Pflege in der Ausbildung
• Entwicklung von Fähigkeiten einer gelebten Kultursensibilität eher in Ausbildungsstätten mit Schwerpunkt auf Reifung personaler und sozialer Kompetenz
• Biografiearbeit als Unterstützung
kultursensibler Pflegeprozesse
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Kultursensible Pflege in der Praxis
• respektvoller Umgang
• Berücksichtigung individueller Bedürfnisse von PatientInnen / BewohnerInnen, vor allem im Hinblick auf Ernährung, gleichgeschlechtliche Pflege und religiöse Bedürfnisse
• Ressourcenfrage
„[…] Es kommt bei uns auf der Station oft vor, dass die Pflege dann auch von den Angehörigen durchgeführt wird.
Da kommt entweder die Mutter oder die Gattin und macht dann die Körperpflege. Das ist für uns okay. […]“
(B12, männlich, DGKP, in KH beschäftigt)
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Kultursensible Pflege in der Praxis
• Reagieren im Bedarfsfall
• kultur- und religionsspezifisches Hintergrundwissen lediglich als Orientierungswissen
• Eingehen auf individuelle Bedürfnisse notwendig
• unterschiedliche Wahrnehmung
hinsichtlich Ausmaß an Weiterbildungs-
angeboten in kultursensibler Pflege
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Empfehlungen
Kultursensible Pflege in der Ausbildung:
• eindeutigere Verankerung in
Lehrplänen bzw. Ausbildungen
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Empfehlungen
Entwicklung und Förderung von Kultursensibilität:
• Stärkung der persönlichen und
(sozial-)kommunikativen Kompetenz
• Selbstreflexive Haltung, vor allem in Bezug auf Vorbehalte und Stereotypen
• Sensibilisierung auf den Umgang mit kulturell und religiös geprägten Bedürfnissen
• Hintergründe zur Migration und Migrationsprozessen,
Lebenssituationen u.a.m.
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Empfehlungen
• (Kultur)reflexive Auseinandersetzung als Beitrag zur Pflegebeziehung
• Einsatz von qualifizierten MigrantInnen als Lehrende
• Bewusstseinsschaffung:
Das Pflegehandeln auf kulturelle
Generalisierungen aufzubauen würde bedeuten,
die Individualität des Einzelnen zu übergehen.
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Empfehlungen
Kultursensible Pflege in der Praxis:
• Räume für Reflexion der Erfahrungen
• Einladung an migrantische
Pflegekräfte sich einzubringen
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Empfehlungen
Bedeutung von multiethnischen Teams – interkulturelle Teamentwicklung:
• Handlungsspielräume erweitern
• Potentiale nutzen
• reduziert Vereinnahmung einzelner Pflegekräfte
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Empfehlungen
Bewusstsein in der Öffentlichkeit fördern:
• MitarbeiterInnen mit Migrations- hintergrund schließen nicht
nur eine Lücke im Pflegesystem, sie bringen vielfach Potentiale mit.
• Gleichbehandlung vs. gleichwertige Behandlung
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Empfehlungen
Kultursensible Pflege in der Praxis:
• Kultursensibilität nicht nur im Leitbild
• Schaffen von institutionellen Rahmenbedingungen als
Voraussetzung für das Gelingen von kultursensibler Pflege
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Diskussion
Noch Fragen?
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Literatur
• Angerer, Manuela / Lehofer, Michaela / Stöbich, Regina (2015):
Zukunftsperspektive Pflege? Ausbildungs- und Arbeitssituation von MigrantInnen am Beispiel Oberösterreich. Linz: Fach- und Forschungsstelle für Migration, Integration und interkulturelle Bildung / Caritas für Menschen in Not.
• Arbeitskreis Charta für eine kultursensible Altenpflege (2002): Für eine kultursensible Altenpflege. Eine Handreichung. Köln. Online unter:
http://www.bagso.de/fileadmin/Aktuell/Themen/Pflege/handreichung.pdf
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