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Khol: Der Österreich-Konvent: Auf dem Weg zu einer neuen Verfassung

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FORUM PARLAMENTNr. 1/2003

Österreich-Konvent

Khol: Der Österreich-Konvent: Auf dem Weg zu einer neuen Verfassung

Hösele: Genese und Ziele des Österreich-Konvents Fischer: Der Österreich-Konvent: Ein großes Projekt Weber: Möglichkeiten der Verfassungsreform

Schilcher: Verfassungsreform – ein Programm?

Schaller: Demokratiequalität in Österreich Bußjäger: Verfassungsreform – ja, aber welche?

Sausgruber: Die Länder und der Österreich-Konvent Haider: Was erwarten die Bundesländer vom

Österreich-Konvent?

Häupl: Der Österreich-Konvent als Chance und Herausforderung

FORUM P ARLAMENT Jg. 1, Nr . 2/2003

FORUM PARLAMENT

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1. Vorlage von Manuskripten

Beiträge für das FORUM PARLAMENT sollen originale, unveröffentlichte Arbeiten sein, die nicht anderswo zur Veröffentlichung vorgesehen sind. Über die Annahme entscheidet die Redaktion. Die Autorinnen und Autoren werden gebeten, drei Ausdrucke ihres Beitrags an die Redaktion des FORUM PARLAMENT zu schicken. Nach Rücksprache kann die Übermittlung des Beitrags auch per e-mail/attachment erfolgen (Mag. Barbara Blümel, MAS (PR), Parlamentsdirektion, A-1017 Wien; Tel: 01/40 110-2495, [email protected]).

Der gespeicherte Text sollte sowohl in einer Version des Programms WORD als auch als Rtf-File zur Verfügung stehen. Achten Sie bitte darauf, dass das gedruckte Manuskript und die Disketten- (bzw e-mail-)Version vollkom- men übereinstimmen.

2. Form der Manuskripte

Die Beiträge dürfen die von der Redaktion gemäß dem Redaktionsplan festgelegte Länge (einschließlich Anmer- kungen, Tabellen/Abbildungen und Literaturangaben) nicht überschreiten.

a) Adressen: Angabe der Postadresse, Telefonnummer, Faxnummer und e-mail-Adresse.

b) Text: Der Text soll auf DIN-A4-Papier geschrieben sein, 2-zeilig (dh in etwa 30 Zeilen mit je 60 Anschlägen pro Seite) und mit breiten Rändern. Schreiben Sie linksbündig und führen Sie keine Silbentrennung durch. Kursiv- Schrift, um Worte oder Passagen hervorzuheben, ist zulässig, sollte aber nur in Maßen eingesetzt werden.

c) Geschlechtsneutrale Formulierungen: Soweit möglich sollen durchgängig geschlechtsneutrale Formulierun- gen angewendet werden.

d) Neue Rechtschreibung: Deutschsprachige Beiträge müssen den neuen Rechtschreibregeln entsprechen.

Zitate sind jedoch weiterhin in der Schreibweise des Originals zu belassen.

e) Tabellen/Abbildungen: Zunächst ist bitte mit der Redaktion abzuklären, ob für diesen Beitrag Tabellen und Abbildungen vorgesehen sind. Wenn ja, sollen Tabellen und Abbildungen nicht in den Text eingefügt, sondern auf gesonderten Blättern am Ende des Textes angefügt werden. Sie sind fortlaufend zu nummerieren sowie mit Überschrift und Quellenangabe zu versehen. Bezeichnen Sie die gewünschte Position der Tabellen und Abbildungen im Text (zB mit „Tabelle 3 ungefähr hier“).

f) Gliederung der Texte: Deskriptoren; I/A/1/a; Namen kursiv (im Text und in den Fußnoten);

g) Zitierungen und Abkürzungen sind nach Friedl/Loebenstein „Abkürzungs- und Zitierregeln der österreichi- schen Rechtssprache“ vorzunehmen: Fußnoten sollen kurz sein und, fortlaufend nummeriert, als End-Noten gedruckt werden, dh auf gesonderten Blättern am Ende des Textes; keine Vornamen im Fußnotenapparat;

Erstzitate: Name, Titel (auch bei Beiträgen in Zeitschriften; bei Sammelwerken auch Titel des Sammelwerks selbst), Jahr, Fundstelle (kein Erscheinungsort); Folgezitate: Name (FN …) …

h) Kurzbiographie: Gemeinsam mit dem Manuskript soll eine kurze biographische Notiz vorgelegt werden (Geburtsjahr, berufliche Tätigkeit, hauptsächliche (Forschungs-)Interessen, ev aktuelle Publikationen, Adresse für Korrespondenz, e-mail-Adresse).

3. Belegexemplare

Die Autorinnen und Autoren erhalten drei Belegexemplare des entsprechenden Heftes.

4. Urheberrechte

Die in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken und ähnlichen Einrichtungen. Kein Teil dieser Zeitschrift darf außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ohne schriftliche Genehmigung der Schriftleitung in irgendeiner Form – durch Photokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsanlagen verwendbare Sprache übertragen werden. Auch die Rechte der Wiedergabe insbesondere durch Vortrag, Funk- und Fernseh- sendungen, im Magnettonverfahren oder auf elektronischem, digitalem oder ähnlichem Wege bleiben vorbe- halten. Sämtliche mit der Beilage FORUM PARLAMENT in Verbindung stehenden Rechte verbleiben bei den Autorinnen und Autoren, soweit dem nicht zwingende Erfordernisse gemäß den Aufgaben der Parlamentsdirek- tion oder gesetzliche Hindernisse entgegen stehen.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw in dieser Zeitschrift berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Waren- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von Jedermann benutzt werden dürften.

Eigentümer & Copyright-Inhaber: © Republik Österreich, Parlamentsdirektion Wien

Die Redaktion

Hinweise für Autorinnen und Autoren

Titelbild: Konstituierende Sitzung des Österreich-Konvents am 30. Juni 2003 im Bundesratssitzungssaal; Photo- graph: W. Haslinger, Wien; © Österreich-Konvent/Parlamentsdirektion ISSN 1619-862X

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FORUM PARLAMENTJg. 1, Nr. 2/2003 2001 haben die Staats- und Regierungschefs

der Europäischen Union beschlossen, einen Konvent mit der Arbeit an einer gemeinsamen Verfassung Europas zu beauftragen. Sie rea- gierten damit auf die zunehmende Kritik an den Regierungskonferenzen, zuletzt in Nizza.

Die Erfahrungen mit dem EU-Konvent sind, trotz anfänglicher Kritik, sehr positiv.

Auch in Österreich war man auf der Suche nach einem geeigneten Forum für die Aus- arbeitung einer erneuerten Verfassung. Nach- dem der EU-Konvent ein erfolgreicher Nach- folger des ersten europäischen Konvents zur Grundrechte-Charta war, lag es nahe, diese Form auch für Österreich vorzuschlagen. Der Österreich-Konvent wurde durch eine politi- sche Vereinbarung zwischen Nationalrat, Bun- desrat, den Landtagen, der Bundesregierung, der Landeshauptleutekonferenz, dem Gemein- de- und dem Städtebund eingerichtet. Als Ziel formulierte das Gründungskomitee, dass „die künftige Verfassung eine zukunftsorientierte, kostengünstige, transparente und bürgernahe Erfüllung der Staatsaufgaben ermöglichen soll“. Nach 18 Monaten wird der Österreich- Konvent einen Bericht vorlegen. Nationalrat und Bundesrat als die verfassungsgebenden Körperschaften Österreichs werden über das Ergebnis beraten.

Der erste hochrangige Politiker, der den Österreich-Konvent in die Diskussion einbrach- te, war Herwig Hösele, im ersten Halbjahr 2003 Präsident des Bundesrates. Er fand dafür Unterstützung beim Präsidenten des National- rates, Andreas Khol, und auch die SPÖ stand in der Person des Zweiten Präsidenten des Na- tionalrates, Heinz Fischer, dieser Idee positiv gegenüber. Es freut mich daher besonders, dass sich alle drei bereit erklärt haben, Bei- träge für dieses Schwerpunktheft des FORUM PARLAMENT zu verfassen.

Daran anschließend kommt die Wissen- schaft zu Wort. Karl Weber und Bernd Schil-

cher beschäftigen sich mit den grundsätzlichen Möglichkeiten einer Verfassungsreform. Soll es um eine Gesamtreform oder um eine Reform in Teilschritten gehen? Wie kann man den Bun- desstaat reformieren und der Zersplitterung der Bundesverfassung einen Riegel vorschie- ben? Damit in Zusammenhang steht natürlich auch die Verwaltungsreform und eine grund- sätzliche Auseinandersetzung mit den Aufga- ben des Staates, um nur einige Themen heraus- zugreifen.

Christian Schaller stellt den Aspekt der Demokratiequalität anhand des Wahlrechts und der Instrumente direkter Demokratie in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Er rückt damit ein Thema in den Vordergrund, das in der bisherigen Diskussion zum Öster- reich-Konvent weniger Beachtung fand. Peter Bußjäger setzt sich zunächst allgemein mit der Verfassungsreform auseinander und gibt dann dem Aspekt des Föderalismus breiteren Raum.

Zum Abschluss des Schwerpunktes bringen Michael Häupl, Herbert Sausgruber und Jörg Haider die Sichtweisen der Bundesländer ein.

In der Rubrik des parlamentarischen Schlagwortes setzt sich Dunja Kopesky mit dem „ganz besonderen Ausschuss“ Enquete- Kommission auseinander – jener Organisa- tionsform, die auch für den Österreich-Kon- vent diskutiert wurde. Erich Saurugger stellt anhand eines Vergleichs die vielen unter- schiedlichen Sitzungsteilnahmerechte in den Ausschüssen des Nationalrates dar. Ich bin überzeugt, dieser Beitrag trägt viel zum Ver- ständnis der Ausschussarbeit bei. Abschlie- ßend wird die Margaretha Lupac-Stiftung vor- gestellt, deren Aktivitäten auch in Zukunft im- mer wieder Thema im FORUM PARLAMENT sein werden.

Dr. Georg Posch Schriftführer

Editorial

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ARLAMENT, Nr. 0/2002FORUM PARLAMENTJg. 1, Nr. 2/2003

Deskriptoren: Aufgaben des Österreich-Konvents;

Bürgernähe; Büro des Österreich-Konvents; Grund- funktionen einer Verfassung; erneuerte Verfassung;

Finanzverfassung; Föderalismus; Verfassungsge- schichte; Verwaltungsreform; Zusammensetzung des Österreich-Konvents.

Am 30. Juni 2003 ist der Österreich-Konvent erstmals zusammengetreten. Die 70 Mitglie- der des Konvents haben die Aufgabe, Vor- schläge für eine grundlegende Staats- und Ver- fassungsreform auszuarbeiten, die letztlich zu einer neuen österreichischen Bundesverfas- sung führen soll. Diese künftige Verfassung soll eine effizientere Verwaltung, eine zukunfts- orientierte, kostengünstige, transparente und bürgernahe Erfüllung der Staatsaufgaben und zeitgemäßen Rechtsschutz ermöglichen.

Österreich hat heute eine so umfangreiche Verfassungsrechtsmasse wie kaum ein anderer Staat. Wir leisten uns rund ein Dutzend Ver- fassungen – das EU-Primärrecht und EuGH- Recht, das Bundesverfassungsrecht, neun Lan- desverfassungsrechte, hunderte andere kleine Verfassungsrechtsquellen. Vor lauter Vermas- sung gibt es keine Verfassung, meinte einmal Manfried Welan. Müssen wir also eine neue Verfassung erst schaffen oder die bestehende Verfassungsrechtsmasse reformieren? Und da- mit stellt sich die Grundfrage: Was ist das Ziel, was ist die Grundfunktion einer Verfassung? In der üblichen Definition ist Verfassung zum einen die in eine besondere Rechtsform ge- kleidete politische Grundordnung eines Staa- tes, zum anderen wird mit Verfassung auch der Zustand bzw die Verfassungswirklichkeit der Politik und der Gesellschaft eines Landes bezeichnet. Damit ist implizit die Wandelbar- keit, die Veränderung, der das Verfassungs- recht unterliegt, ausgedrückt. Nicht nur in Österreich, in vielen anderen Demokratien wird die Notwendigkeit einer Reform oder Neuschaffung einer Verfassung wahrgenom- men. Va war es nun der Europa-Konvent, der die Verfassungsdiskussion in vielen europäi- schen Staaten belebt hat.

Die Neudefinition der Aufgabenteilung zw den europäischen Institutionen und den EU- Mitgliedstaaten verlangt konsequenterweise auch nach einer Neudefinition der innerstaat- lichen Aufgabenteilung. Dieses Thema wird wohl im Mittelpunkt der Beratungen des Österreich-Konvents stehen – es hat bei uns schon eine lange Tradition.

Nicht auf ein Dutzend Verfassungen, son- dern auf eine eher zentralistische Verfassung zielte in Österreich der Beschluss der Provisori- schen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918 ab. Staatskanzler Karl Renner hielt es aber damals für nötig, den Provisorischen Lan- desversammlungen Erklärungen über ihren Beitritt zu dem neuen Staat abzuverlangen, die auch tatsächlich erfolgten. Renner mochte zu diesem Schritt die selbstbewusste Haltung der Bundesländer bewogen haben, der Gegensatz zw dem zentralstaatlichen Prinzip und den his- torischen Entitäten der Bundesländer. Sie, die Länder, hatten den Zusammenbruch der Mon- archie überlebt, wenn auch teilweise mit emp- findlichen territorialen Verlusten (zB Südtirol).

In der Tat begannen die Bundesländer immer mehr auf die eigene Selbstverwaltung zu set- zen, vielfach erschienen ihnen die Probleme im kleineren Rahmen der Länder leichter lösbar als im Rahmen des Gesamtstaates. Daher war man sich darüber im Klaren, dass die endgül- tige Verfassung bundesstaatlichen Charakter haben sollte. Nach der Begutachtung einiger Entwürfe, an denen Staatskanzler Renner, Staatssekretär Michael Mayer, maßgebliche politische Kräfte der Bundesländer und die Staatsregierung beteiligt waren, ergriff schließlich der Verfassungsausschuss der Na- tionalversammlung die Initiative. Es konnte ein allen Parteien tragbar erscheinender Kompro- miss gefunden werden, der am 1. Oktober 1920 in dritter Lesung vom Plenum der Natio- nalversammlung angenommen wurde. Das Bundesverfassungsgesetz von 1920 ist – mit den wichtigen Verfassungsnovellen von 1925 und 1929, sowie Elementen des Staatsgrund-

Andreas Khol Der Österreich-Konvent:

Auf dem Weg zu einer

neuen Verfassung

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FORUM PARLAMENTJg. 1, Nr. 2/2003 gesetzes von 1867 – ein Torso geblieben. Zwar

konnte so manche Lücke im Laufe der Jahr- zehnte geschlossen werden, aber der ur- sprünglichen Verfassung von 1920 fehlte ein Grundrechtskatalog, die Finanzverfassung, die Gemeindeautonomie und das gesamte Schul- verfassungsrecht. Für diese Gebiete reichte der Verfassungskonsens nicht aus.

Durch die Bundesverfassung von 1920 wur- de ein Zentralthema der österreichischen Staatlichkeit paraphrasiert, die Frage von Zen- tralismus und Föderalismus, mit tief reichen- den Konsequenzen auch in verwaltungsmäßi- ger Hinsicht. Die in der Zweiten Republik ge- führte „Föderalismusdiskussion“ wurde zum innenpolitischen Dauerthema (Forderungen der Bundesländer 1964, 1976 und 1985, Re- gierungsvorlage „Bundesstaatsreform“ 1994,

„Konsultationsmechanismus“ 1999). Weitere große Problemfelder, bereits in der Verfassung von 1920 begründet, sind die Zersplitterung der Rechtsmaterie sowie die relativ leichte Änderbarkeit verfassungsrechtlicher Normen.

Schon das Bundesverfassungsgesetz des Jah- res 1920 bezieht sich hinsichtlich der Grund- rechte auf externes Gesetzesmaterial, nämlich auf das Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 über die allgemeinen Rechte der Staats- bürger. Ferner fehlt der Verfassung von 1920 das Inkorporierungsgebot – so bestehen rund 1000 Normen im Verfassungsrang außerhalb der eigentlichen Bundesverfassung. Es gibt Bundesverfassungsgesetze außerhalb der Bundesverfassung, einfache Bundesgesetze mit Verfassungsbestimmungen sowie Staats- verträge im Verfassungsrang. Herbert Haupt sprach einmal von einem „über viele Rechts- quellen verstreuten Gesamtkunstwerk“. Hans Klecatsky nannte die österreichische Verfas- sung eine Ruine …

Ein weiterer Schwerpunkt wird sein, den Staat leistungsfähiger und schlanker zu ma- chen, denn es müssen auch weit reichende Re- formen in verfassungs- und dann va in verwal- tungsmäßiger Hinsicht erfolgen, um einen dro- henden Kollaps der öffentlichen Finanzen zu vermeiden. Im Zuge der Sondierungs-, Koali- tions- und Regierungsverhandlungen zu Beginn dieses Jahres zeigte sich, dass allen Parteien die Notwendigkeit der Senkung der Staatsaus- gaben klar ist. Dass kleine Maßnahmen nicht

mehr reichen, veranschaulicht die Tatsache, dass bereits im Jahr 1999 der Zinsendienst für die Staatsschuld die Erträgnisse der gesamten Lohnsteuer aufgefressen hat. Nur eine tief greifende Reform kann die Verkrustung von Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft aufbre- chen. Um dauerhaft und strukturell gegenzu- steuern, ist – außer den bereits getroffenen und noch zu treffenden Maßnahmen der Re- gierung Schüssel – ein Hauptgewicht auf die Reform der Bundesverwaltung zu legen.

Bereits im Frühjahr 2002 und dann bei sei- ner Antrittsrede als Präsident des Bundesrates präzisierte Herwig Hösele seinen bereits früher gemachten Vorschlag eines Österreich-Kon- vents mit dem Ziel einer umfassenden Verfas- sungsreform. Mehr oder minder zeitlich paral- lel wurden ähnliche Vorstellungen auch von an- deren Persönlichkeiten geäußert, so verlangte zB auch der SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer nach einer grundlegenden Verfassungsdebat- te. In meiner Rede nach der Wahl zum Präsi- denten des Nationalrates am 20. Dezember 2002 machte ich die Einrichtung eines Öster- reich-Konvents zu einem meiner Schwerpunk- te. „Ich meine, dass wir auch als Hüter der Verfassung in diesem Haus den Gedanken, den ein steirischer Bundesrat, nämlich Herwig Hösele, das erste Mal in die Debatte gebracht hat, aufgreifen sollten – Alfred Gusenbauer hat diesen Gedanken in der Wahldebatte aufge- griffen, Franz Fiedler hat diesen unterstützt –, dass wir eben einen Österreich-Konvent zur Durchsicht unserer Verfassungsentwicklung in- itiieren und unterstützen sollten.“

Im Regierungsprogramm der Regierung Schüssel II konnte ich als Mitglied des Ver- handlungsteams Folgendes verankern: „Öster- reich ist eine der höchst entwickelten Demo- kratien der Welt. Die Bundesregierung wird alles dazu tun, die demokratischen Einrichtun- gen und Verfahren in Österreich zu stärken und zu modernisieren. Dieses Bekenntnis schließt den Ausbau der Rechte der Minderheiten selbstverständlich mit ein.

Österreich-Konvent: Die österreichische Bundesverfassung genügt in mancher Hinsicht nicht mehr den Ansprüchen. Eine umfassende Bereinigung ist daher erforderlich. Zu diesem Zweck soll ein Verfassungskonvent eingerich- tet werden:

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ARLAMENT, Nr. 0/2002FORUM PARLAMENTJg. 1, Nr. 2/2003

– ca 50 Mitglieder (zT Parlamentarier Bund, Ländern, Europa), Gebietskörperschaften, Regierungen, Bürgergesellschaft

– Legt binnen 18 Monaten den Text einer erneuerten Bundesverfassung auf Grund- lage der derzeit geltenden Baugesetze (Föderalismus etc) vor

– Aufgaben: Verfassungsbereinigung, Inkor- porierung des B-VG statt Zersplitterung, Überprüfung des gesamten Behördenauf- baus, Adaptierung der Kompetenztatbe- stände, aktualisierter Grundrechtskatalog (Basis: europäische Grundrechte), Neuord- nung Volksanwaltschaft, Ausbau von Ele- menten der direkten Demokratie, weiters:

– Kompetenzen: Schaffung geschlossener Kompetenzbereiche, Bereinigung iS des Subsidiaritätsprinzips, Stärkung der Rechte der Länder

– Unmittelbare Anwendbarkeit von Verein- barungen gem Art 15a B-VG

– Streichung Art 98 B-VG (Einspruchsrecht des Bundes gegen Landesgesetze, ausge- nommen Landesverfassungsrecht), zu- gleich: Bei Säumigkeit in EU-Umsetzung Ersatzvornahme durch Bund nach sechs Monaten, bei EU-Rechtswidrigkeit: Ein- spruchsrecht

– Stärkung der Koordinierungs- und Pla- nungskompetenz des Bundes

– Auflassung der mittelbaren Bundesverwal- tung

– Ausdehnung der Delegation von Gesetz- gebungsbefugnissen des Bundes an die Länder auf Art 10/1 B-VG-Materien – Einführung eines Europäischen Legalitäts-

prinzips

– Steuerhoheit der Länder und Stärkung ih- rer Rolle in der Finanzverfassung

– Verbesserung der Zuständigkeiten im Ka- tastrophenschutz.“

Zu Beginn des Jahres 2003 war es dann so weit: Der Präsident des Nationalrates und der Präsident des Bundesrates, als Vertreter der verfassungsgebenden Organe des Landes, de- finierten im Rahmen einer gemeinsamen Pres- sekonferenz am 15. Jänner 2003 den Rahmen für diesen Österreich-Konvent wie folgt:

„Erarbeitung einer geschlossenen, in einer einzigen Rechtsvorschrift niedergelegten Bun-

desverfassung. Sie tritt an die Stelle der über 1000 verstreuten Verfassungsgesetze und Ver- fassungsbestimmungen sowie der eigent- lichen Bundesverfassung. Mitglieder des Österreich-Konvents sind: Abgeordnete aller Parteien aus National- und Bundesrat sowie aller neun Landtage, Vertreter der Bundesre- gierung und der neun Landesregierungen, des Städte- und Gemeindebundes und der Sozial- partner. Dazu kämen noch Einzelmitglieder:

bewährte ‚ältere Staatsmänner und -frauen‘ … Die Arbeitsmethoden könnte man nach den Erfahrungen gestalten, welche die Schweiz mit der ‚Totalrevision‘ ihrer Bundesverfassung ge- macht hat. Ein Österreich-Konvent kann den politischen Willen, der zu einer Beschlussfas- sung eines neuen Verfassungstextes mit Zwei- drittel-Mehrheit im National- und Bundesrat erforderlich ist, ebenso wenig ersetzen, wie eine Mehrheit bei der naturgemäß vorgese- henen Volksabstimmung. Aber ein von einem repräsentativen, hochrangig zusammenge- setzten Österreich-Konvent vorbereiteter Text hätte gestaltende Wirkung.“

Auf Einladung des Bundeskanzlers trat am 2. Mai 2003 das Gründungskomitee des Öster- reich-Konvents zusammen, das aus folgenden Personen besteht:

– dem Bundeskanzler und dem Vizekanzler – den drei Präsidenten des Nationalrates – dem Präsidenten des Bundesrates

– den Vorsitzenden der im Nationalrat ver- tretenen politischen Parteien (soferne sie dem Gründungskomitee nicht schon in an- derer Funktion angehören)

– dem Vorsitzenden der Landeshauptleute- konferenz

– dem Vorsitzenden der Konferenz der Land- tagspräsidenten

– dem Präsidenten des Städtebundes – dem Präsidenten des Gemeindebundes.

Das Gründungskomitee beschloss die Grund- lagen des Österreich-Konvents wie folgt:

Der Konvent zur Staatsreform hat die Auf- gaben, Vorschläge für eine grundlegende Staats- und Verfassungsreform auszuarbeiten, die auch Voraussetzungen für eine effizientere Verwaltung schaffen soll. Die künftige Verfas- sung soll eine zukunftsorientierte, kostengüns- tige, transparente und bürgernahe Erfüllung

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FORUM PARLAMENTJg. 1, Nr. 2/2003 der Staatsaufgaben ermöglichen. Dabei sollen

insbesondere folgende Bereiche beraten wer- den:

Eine umfassende Analyse der Staatsaufga- ben. Die Kompetenzverteilung mit dem Ziel, einen klaren, nach Aufgabenbereichen geglie- derten Kompetenzkatalog zu schaffen. Das Verhältnis zwischen Gesetzgebung und Vollzie- hung unter dem Gesichtspunkt des Legalitäts- prinzips. Die Struktur der staatlichen Institutio- nen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des effizienten Mitteleinsatzes, der Bürger- nähe sowie der Entwicklungen des e-govern- ment. Die Grundzüge der Finanzverfassung, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Zusammenführung von Einnahmen- und Aus- gabenverantwortung und eines bedarfsge- rechten Finanzausgleiches. Die Einrichtung einer effizienten Kontrolle auf Bundes- und Landesebene und die Gestaltung des Rechts- schutzes unter dem Gesichtspunkt rascher und bürgernaher Entscheidungen.

Der Konvent soll zuletzt auch Textvor- schläge für einen straffen Verfassungstext aus- arbeiten. Ziel des Konvents ist es somit einen neuen Verfassungstext zu schaffen, der in knapper, aber umfassender Form sämtliche Verfassungsbestimmungen enthält. Die Bau- gesetze der österreichischen Bundesverfas- sung (also das demokratische Prinzip, das bundesstaatliche Prinzip, das rechtsstaatliche Prinzip und die republikanische Staatsform) bleiben aufrecht.

In der Folge befasste sich der Nationalrat in seiner 26. Sitzung der XXII. GP am 18. Juni 2003 mit dem Österreich-Konvent. Die Ge- setzesvorlage „betreffend die finanzielle und administrative Unterstützung des Österreich- Konvents“ schreibt fest, dass bei der Parla- mentsdirektion ein Büro für den Konvent ein- zurichten ist, dem Präsidenten des National- rates Ressourcen zur Verfügung zu stellen und die Finanzierung über die Bundesfinanzgeset- ze für 2003 und 2004 zu erfolgen hat. Dieser Antrag wurde von ÖVP, SPÖ und FPÖ ange- nommen, die Grünen stimmten der Gesetzes- vorlage nicht zu.

Dass der Österreich-Konvent beim Parla- ment angesiedelt wurde, hat nicht nur prakti- sche Gründe. Va geht es darum, zu dokumen- tieren, dass der Konvent die breite politische

Basis Österreichs umfassen soll, gleicherma- ßen den Bund, Länder, Städte, Gemeinden, Parteien und Sozialpartner einbinden soll. Das Ergebnis des Konvents ist auf dem Beschluss einer neuen österreichischen Verfassung ge- richtet, dieser Beschluss hat im Parlament zu erfolgen und sollte dann in einer Volksabstim- mung vorgelegt werden. Die Verbindung zw Österreich-Konvent und Parlament ist also of- fensichtlich. Andererseits kann das Parlament die geeignete Infrastruktur zur Verfügung stel- len: erfahrene Parlamentsbedienstete mit einem hohen Standesethos im Dienste der Republik und der Demokratie, entsprechende Tagungsräumlichkeiten, leistungsfähige tech- nische Einrichtungen und va – der richtige Ge- nius Loci.

Das Büro des Österreich-Konvents unter der Leitung des Vorsitzenden des Konvents, Franz Fiedler, wurde mittlerweile beim Parla- ment eingerichtet. Der Konvent hat sich auch bereits eine Geschäftsordnung gegeben.

Demnach sind die Organe des Konvents die Vollversammlung, das Präsidium, die Aus- schüsse und der Vorsitzende. Das Grundprin- zip der Geschäftsordnung ist, dass der Kon- vent nach dem Konsensprinzip arbeitet. Nur in Verfahrensfragen und bei der Beschlussfas- sung der Geschäftsordnung können Mehr- heitsbeschlüsse gefasst werden. Es ist vorge- sehen, dass einzelne Aufgaben des Konvents an Ausschüsse übertragen werden. Je fünf Mit- glieder des Konvents können dem Präsidium Vorschläge für die Bestellung der Vorsitzenden und die Zusammensetzung der Ausschüsse übermitteln, das Präsidium legt dann nach Be- ratung dem Konvent einen Antrag vor, dessen Beschlussfassung einer Zustimmung von zwei Drittel der anwesenden Konventsmitglieder bedarf. Das Präsidium entscheidet ebenfalls im Konsens, außer in Verfahrensfragen, wo für die Beschlussfassung wiederum eine Zweidrittel- mehrheit vorgesehen ist. Auch in den Aus- schüssen haben die jeweiligen Vorsitzenden auf einvernehmliche Arbeitsergebnisse hinzu- wirken. Die Berichte der Ausschüsse werden dann dem Präsidium und den Mitgliedern des Konvents übermittelt. Nach der abschließen- den Beratung aller Ausschussberichte im Kon- vent erarbeitet das Präsidium seinen Endbe- richt. Dieser ist dem Konvent vorzulegen. Gibt

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ARLAMENT, Nr. 0/2002FORUM PARLAMENTJg. 1, Nr. 2/2003

es zum Endbericht des Präsidiums keinen Kon- sens, sind die unterschiedlichen Standpunkte in ein abschließendes Dokument aufzuneh- men. Ziel des Konvents ist es jedenfalls, dass er seine Arbeit mit der Vorlage eines einheit- lichen Verfassungstextes abschließt.

Auf die 70 Konventsmitglieder kommt in den nächsten 18 Monaten eine große Aufgabe zu: es geht um eine erneuerte Verfassung für Österreich – prägnant, vollständig, zeitgemäß, unter Berücksichtigung der Europäischen Uni-

on und unserer Stellung als Mitgliedstaat, mit hoffentlich einem übersichtlichen Grund- rechtskatalog, einer erneuerten, schlagkräfti- gen Kontrolle, einfacheren Verfahren und einer verständlichen Sprache.

FORUM PARLAMENT soll auch als Medium dieses Österreich-Konvents dienen. Die vorlie- gende Ausgabe setzt hier einen viel verspre- chenden Anfang.

(Weitere Informationen zum Österreich- Konvent: www.konvent.gv.at)

Herwig Hösele Genese und Ziele des Österreich-Konvents

Deskriptoren: Art 2 B-VG; Bürgernähe; Entstehung des Österreich-Konvents; Föderalismus; Institutio- nenreform; Kompetenzverteilung; Staatsreform; Ver- fassungszersplitterung; Verwaltungsreform.

Zu den wesentlichen Trends des beginnenden 21. Jahrhunderts gehört neben der Globalisie- rung ganz sicher der Wunsch der Menschen nach Orientierung, Verwurzelung, Beheima- tung, Geborgenheit, Mitgestaltungsmöglich- keit im überschaubaren Raum. Die zunehmen- de europäische Einigung und das Europa der Regionen und Bürger sind ganz sicher die bei- den Seiten derselben Medaille. Ein weiterer Gigatrend betrifft das politische Ziel der nach- haltigen Strukturreform des Staates und der öffentlichen Haushalte im Sinne von Effizienz, Sparsamkeit und Serviceorientierung. Stabili- tätspakte und die Dezentralisierung historisch stark zentralisierter Staaten und Systeme (zB Frankreich und Italien) gehören dazu.

Genese des Österreich-Konvents

Auf Österreich herunter gebrochen habe ich im Jänner 2001 an wichtige politische und media- le Verantwortungsträger einige „Überlegun- gen zur Bundesrats- und Bundesstaatsreform mit Operationskalender“ ausgesandt, wobei ich, um „die jahrzehntelangen Diskussionen in eine wirklich ernsthafte und nachhaltige Struk- turreform münden zu lassen“, eine Bundes- staats- und Föderalismuskonferenz, an denen

die Vertreter der Bundesregierung, des Parla- ments, der Parteien, die Landeshauptleute, die Landtagspräsidenten, Repräsentanten des Ge- meinde- und Städtebundes, sowie führende Verfassungswissenschafter teilnehmen sollten, vorgeschlagen habe. Ich hatte dabei eine umfassende Staats-, Ausgaben-, Aufgaben-, Struktur- und Organisationsreform im Sinn. Es hat darauf breites und positives Echo gegeben.

Anfang März 2002 habe ich dadurch ermu- tigt dann diese Idee zum Vorschlag für einen

„Österreich-Konvent“ mit folgender Formulie- rung verdichtet:

„Um wirklich bei der österreichischen Staatsreform weit voranzukommen, schiene es sehr sinnvoll, parallel zum europäischen Verfas- sungskonvent des Post-Nizza-Prozesses einen ähnlichen Bund, Länder, Gemeinden, gesetz- liche Interessensvertretungen und Sozialversi- cherungen etc umfassenden österreichischen Verfassungskonvent einzuberufen, der diesen Zielen dient und einen Masterplan für Öster- reichs Staatsaufbau im 21. Jahrhundert entwi- ckelt, wie es beispielsweise Maria Schaumayer und Alfred Payrleitner vorgeschlagen haben.

Auf die Agendaliste dieses Konvents, der die Fesseln der Republik sprengen und beweisen sollte, dass Österreich die Kraft hat, sich selbst zu reformieren, gehören ua:

1. Ein Masterplan für abgerundete Kompe- tenzbereiche für Bund, Länder und Ge-

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FORUM PARLAMENTJg. 1, Nr. 2/2003 meinden mit dem Ziel Bürgernähe, Trans-

parenz und Effizienz

2. Institutionenreform (National- und Bundes- rat, Landtage, Sozialpartner, Sozialversi- cherung, Wahlrecht etc)

3. Verwaltungsreform inklusive e-Govern- ment

4. Reform des Steuer- und Finanzausgleichs- systems

Thema eines Österreich-Konvents sollten auch die Sicherstellung einer besseren Gesetzes- qualität (wenige, aber bessere und verständ- lichere Gesetze) und vor allem das Verhältnis von repräsentativer und direkter Demokratie inklusive der zwingenden Volksabstimmung nach einem stark unterstützten Volksbegehren bei gleichzeitiger Festlegung „unabstimmba- rer“ Grundsätze. Das Ergebnis des Konvents wäre natürlich einer Volksabstimmung zu un- terziehen, um breitestmögliche Legitimation zu erzielen.

Es muss bewusst sein, dass die Staatsre- form ein prima vista sprödes Thema ist, bei dem in der Medien-Schlagzeilen- und Stim- mungsdemokratie, die an Moden, infotain- ment und politainment orientiert ist, nicht rasch spektakuläre Erfolge erzielt werden.

Schlagzeilen ‚Regierung und Parlamente ver- kleinert‘, ‚Bundesrat abgeschafft‘, ‚30.000 Be- amte weniger‘ können bei seriöser Befassung nicht am Anfang stehen. Dennoch ist die Staatsreform unabdingbar, um den liberalen Rechtsstaat und die offene demokratische Zi- vilgesellschaft für das 21. Jahrhundert fit zu machen.“

Ende März 2002 machte SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer im Zusammenhang mit der Ver- fassungsreform einen ähnlichen Vorschlag und stellte auch die Verankerung des Nulldefizits in der Verfassung zur Diskussion. Letzterem Denkanstoß erging es genauso wie es seinem im Juli 2002 geäußerten Gedanken dass ein Mehrheitswahlrecht diskutierenswert wäre.

Einerseits wurde er von eigenen Parteifreun- den teils rüde zurückgepfiffen, andererseits gab es die üblichen tagespolitischen Ausein- andersetzungen mit sehr schlichten parteipoli- tischen Reflexen, die einen grundsätzlichen Diskurs über sperrige Themen kaum zulassen.

Gerade auch unter diesem Aspekt scheint mir

eine etwas längerfristige Diskussion von Grundsatzfragen abseits der Tagespolitik in Form eines Konvents sehr wünschenswert.

Mitte September 2002 wurde der National- rat für vorzeitige Wahlen aufgelöst. Im selben Monat schlug auch Rechnungshofpräsident Franz Fiedler einen Österreich-Konvent vor – eine Idee, die danach SPÖ-Chef Alfred Gusen- bauer neuerdings aufgriff und Fiedler als mög- lichen Vorsitzenden eines solchen Konvents nannte. Dies veranlasste mich am 22. Oktober 2002 zu einem neuerlichen Rundschreiben in dem ich feststellen konnte und in diesem Zu- sammenhang aber auch im Postskriptum an- merken musste:

„Diese Überlegungen haben viel positives Echo in Politik, Wirtschaft, Industrie und Wis- senschaft erhalten, wobei VP-Klubobmann An- dreas Khol schon vor längerem eine Zusage gegeben hat, die Idee eines rot-weiß-roten Verfassungskonvents für Österreich in der kommenden Legislaturperiode zu verfolgen.

Eine seriöse, längerfristige Befassung abseits der Tagespolitik und Wahltaktik erscheint mir vor allem auch deshalb besonders wichtig, weil die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte ge- zeigt haben, dass es parteipolitisch motivierte Denk- und Verfassungsmehrheitsblockaden gegeben hat, während gleichzeitig der Re- formdruck steigt.

Es ist hoch an der Zeit, seriös zu handeln:

Das nicht umgesetzte Perchtoldsdorfer Pak- tum ist am 8. Oktober 1992 von Bundeskanzler Franz Vranitzky mit den Landeshauptleuten ab- geschlossen worden.“

Die neue Spitze des österreichischen Ver- fassungsgerichtshofs – Präsident Karl Korinek und seine Vizepräsidentin Brigitte Bierlein – haben mehrfach auf die Wichtigkeit einer Neu- kodifikation des Verfassungsrechtes hinge- wiesen. Präsident Korinek betonte in einem APA-Interview: „Die anstehenden Verfassungs- reform-Aufgaben könnte sicherlich eine große Koalition leichter lösen. Die Gefahr dabei wäre aber, dass sie sich leichter über die Verfassung hinweggesetzt. Bei einer Koalition ohne Zwei- Drittel-Mehrheit ist hingegen die Gewähr, dass sie sich stärker an die Verfassung hält und da- nach orientiert, größer.“ Für den im Zuge der Koalitionsgespräche diskutierten Verfassungs- konvent sieht Korinek vier große Themenbe-

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ARLAMENT, Nr. 0/2002FORUM PARLAMENTJg. 1, Nr. 2/2003

reiche: Die Entrümpelung der Verfassung, eine verfassungsrechtliche Regelung für ausgeglie- derte Kontrollorganisationen, die Frage der Grundrechts-Durchbrechungen und die Bun- desstaatsreform. Bierlein führte im Standard vom 27. Dezember 2002 aus: „Eine Durch- forstung der Verfassung ist dringend notwen- dig. Heute gibt es an die tausend Verfassungs- bestimmungen, die nicht nur in unserem Bun- desverfassungsgesetz festgeschrieben sind, sondern in verschiedensten Gesetzen. Die ge- hören durchforstet und reduziert. Allenfalls – das ist aber ein Langzeitprojekt, das zu über- legen und mit Vorsicht anzugehen ist – könnte man die Verfassungsgesetze in ein einziges Gesetz zusammenfassen. Denn die Rechts- sicherheit ist relativ gefährdet, wenn so viele Verfassungsbestimmungen in so vielen Einzel- gesetzen sind, dass man selbst als Fachmann den Überblick kaum mehr haben kann. Derzeit ist die Verfassung zersplittert, völlig unüber- sichtlich und kaum durchschaubar.“

Auch die Vereinigung Österreichischer In- dustrieller hat erfreulicherweise eine Konzep- tion für einen Österreich-Konvent entwickelt.

Im November 2002 fand im Parlament ein hochkarätig besetztes Symposium zum Thema

„Ein Verfassungskonvent für Österreich?“

statt, dessen wesentliche Resultate im Journal für Rechtspolitik 1/2003 dokumentiert sind.

Nun ist im Jahr 2003 nach Jahrzehnten der Diskussion unter dem Eindruck der Erfahrun- gen mit der EU-Mitgliedschaft Österreichs, der angespannten öffentlichen Kassen und des EU-Konvents die Zeit reif für die Staatsreform.

Und besonders dankbar darf ich fest- stellen, dass der zum Nationalratspräsidenten gewählte anerkannte Verfassungsrechtler An- dreas Khol, der zugleich einer der hochkarä- tigsten Politiker Österreichs ist, in seiner An- trittsrede als neu gewählter Nationalratspräsi- dent am 20. Dezember 2002 seine Unterstüt- zung ausdrücklich formuliert hat:

„Gemeinsam sollten wir den Gedanken aufgreifen, einen Österreich-Konvent zur Durchsicht unserer Verfassungsentwicklung durchzuführen.“

So haben der Nationalratspräsident und ich im Jänner 2003 ein Arbeitspapier für Man- dat und Zusammensetzung des Österreich- Konvents vorgelegt. Wir haben – im Gegen-

satz zu anderen Meinungen – ein relativ großes und breit beschicktes 80-köpfiges Gremium vorgeschlagen, damit möglichst alle betroffe- nen Institutionen von Anfang an mitwirken können. Kleine Fachkommissionen hat es schon genug gegeben. Sie haben wertvolle Vorarbeiten geleistet. Jetzt geht es aber dar- um, dass die Verantwortlichen sie beraten und umsetzen – natürlich mit einem Präsidium, Ar- beitsgruppen, Modulen, präzisen Fristen und Arbeitsaufträgen.

Während manche ein wesentlich kleineres Gremium wollten und im Regierungsprogramm von „ca 50 Mitgliedern“ des Konvents die Rede ist, wurden es 70 – alle Länder sind sowohl durch die Landeshauptmänner als auch Vertre- ter der Landtagspräsidenten repräsentiert.

Der Österreich-Konvent hat sich am 30.

Juni 2003 konstituiert – im notwendigen breiten Konsens aller vier im Nationalrat und Bundesrat vertretenen Parteien, der Landes- hauptleute, der Landtagspräsidenten, des Ge- meinde- und Städtebundes.

Auch in Deutschland wurde mittlerweile die Initiative für einen Verfassungs- und Föde- ralismuskonvent ergriffen. So haben luzide Köpfe wie der bekannte Unternehmensberater Roland Berger, der frühere SPD-Wissenschafts- senator und Generalsekretär Peter Glotz oder der langjährige deutsche Industriepräsident Hans-Olaf Henkel im Frühsommer 2002 ähn- lichen Handlungsbedarf wie in Österreich for- muliert und einen Konvent vorgeschlagen. Im März 2003 konstituierte sich in Anwesenheit des Bundespräsidenten ein von den deutschen Landtagen getragener Föderalismuskonvent und im Mai 2003 wurde ein Bürgerkonvent inauguriert.

Was sollten nun die Konventsziele sein?

Generell kann das Prinzip nur lauten: Soviel Europa- und Bundeseinheitlichkeit wie nötig, soviel Föderalismus, Subsidiarität und Bürger- nähe wie möglich.

Das bundesstaatliche Prinzip, die Bundes- länder, die Landtage, die Gemeinden, der Bundesrat – sie sind unverzichtbare Orte der überschaubaren demokratischen Mitwirkung der Menschen. Sie sind unverzichtbar, aber in ihrer Aufgabenstellung nicht unveränderbar.

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FORUM PARLAMENTJg. 1, Nr. 2/2003 Es muss zu einer tabulosen, kreativen und of-

fensiven Diskussion kommen.

Ich setze dabei auf die positive Eigendyna- mik, wie wir sie auch im europäischen Konvent erlebt haben. Es ist auch die Civil Society, die Bürgergesellschaft, eingeladen, an diesem gro- ßen Projekt Österreich mitzuwirken – in vielen neuen Mitwirkungsformen, möglicherweise mit begleitenden Konventen, Ausschüssen oder Arbeitskreisen in den Ländern, möglicherweise mit Diskussionen und politischem Unterricht in den Schulen, in den Seminaren der Univer- sitäten, vornehmlich der Rechtslehre und der Politikwissenschaft oder in Internetforen. Es soll eine breite Österreichbewegung sein.

Ich darf dazu einige wenige Klarstellungen treffen:

Wichtig ist, dass die Diskussion über Bun- desrat, Landtag, Bundesstaat, Demokratie- und Verfassungsreform – also die Staatsreform – nicht als ein intellektuelles Glasperlenspiel, Sandkastenspiel oder l’art pour l’art einer ab- gehobenen politischen Kaste empfunden wird, sondern dass bewusst ist, dass die Organisa- tion des Bundesstaates ganz entscheidende Bedeutung für den Bürger hat. Größere Über- schaubarkeit, mehr politische Mitgestaltungs- möglichkeit, also mehr Demokratie für den Bürger, besserer Bürgerservice, bürgernahe Verwaltung, rascherer und effizienterer Verwal- tungsablauf, damit zugleich geringere Steuer- last – das muss der Nutzen für den Bürger sein.

Dafür sind die institutionellen Voraussetzun- gen zu schaffen, das muss letztlich Inhalt der Staatsreform sein. Es darf keine Diskussion zur wissenschaftlichen, geistigen und politischen Selbstbefriedigung einiger Politfunktionäre und Verfassungsjuristen sein. Es muss win-win- Situationen für alle Gebietskörperschaften, aber insbesondere für die Bürger geben.

Staatsreform darf nicht mit Zentralisierung verwechselt werden. Föderalismus ist kein teu-

rer Luxus, sondern Föderalismus ist, wenn er richtig organisiert ist, also wenn die Aufgaben richtig zugeordnet sind, moderner, bürger- näher, demokratischer und kostengünstiger als Zentralismus. Föderalismus ist daher auch kei- ne Frage der Einwohner- oder Flächenquanti- tät. Dieses zeigt auch ein Vergleich mit zwei Bundesstaaten so unterschiedlicher Größen- ordnung wie Schweiz und Deutschland.

Österreich ist ein Bundesstaat. Bei aller Lie- be und Wertschätzung für unsere Bundes- hauptstadt Wien muss ich festhalten, dass die österreichische Perspektive eine größere und weitere ist als es die alleinige Sicht aus der Bundeshauptstadt wäre. Das ist ganz beson- ders deswegen zu betonen, weil im Gegensatz zu den klassischen Bundesstaaten Schweiz, Deutschland und USA, in denen die wichtigs- ten staatlichen Institutionen aber auch mei- nungsbildenden Medien auf verschiedene Orte aufgeteilt sind, in Österreich das Meiste in Wien zentriert ist. Und der Standort be- stimmt leider nicht selten den Standpunkt.

Wir wollen arbeiten, damit wir im Konvent ein Optimum für den Bundesstaat Österreich erreichen, der nach Artikel 2 der Bundesverfas- sung aus den neun selbständigen Bundeslän- dern besteht. Die Bundesländer haben durch freiwilligen Zusammenschluss die Republik zweimal begründet. Das ist nicht nur eine his- torische Reminiszenz, das ist auch die ent- scheidende europäische Zukunftsperspektive.

Denn ein sich zunehmend einigendes Europa, das ein Europa der Bürger sein will, kann nur ein Europa der Regionen sein.

Ich hoffe und bin zuversichtlich, dass die Ergebnisse des Österreich-Konvents im Jahr 2005, dem 60. Jahr der Wiedererrichtung der Zweiten Republik, also der Schaffung des neuen Österreich, und dem 50. Jahr des Staatsvertrages, also der Wiedererlangung der vollen Souveränität, vorliegen werden.

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ARLAMENT, Nr. 0/2002FORUM PARLAMENTJg. 1, Nr. 2/2003

Heinz Fischer Der Österreich-Konvent:

Ein großes Projekt

Deskriptoren: Österreichische Bundesverfassung;

Österreich-Konvent: Zusammensetzung, Organisa- tion und Themen.

Am 30. Juni 2003 ist mit der konstituierenden Sitzung des Österreich-Konvents der Start- schuss für das ehrgeizige Projekt einer grund- legenden Verfassungsreform gefallen.

Für die Arbeit des Konvents, die auf 18 Monate angelegt ist, stehen demnach das zweite Halbjahr 2003 sowie das Jahr 2004 zur Verfügung.

Es gibt viele gute Gründe, dieses Projekt in Angriff zu nehmen, es gibt viele gute Grün- de sich anzustrengen und es gibt auch viele gute Gründe, den Ergebnissen des Konvents mit Optimismus entgegen zu blicken, aber es gibt keine Garantie für einen Erfolg, weil es auch viele Hürden und gewichtige Hindernis- se gibt.

Die österreichische Bundesverfassung 1920/29 war trotz des großen Zeitdruckes, in dem sie entstanden ist, und trotz der dadurch bedingten Unvollständigkeit alles in allem ein großer Wurf mit einer klaren Konzeption, einer klaren Sprache und einer durchgehenden Phi- losophie.

Kein Wunder, dass die Gründungsväter der Zweiten Republik in Österreich (zum Unter- schied von anderen europäischen Staaten) kei- ne Notwendigkeit sahen, eine neue Verfas- sung in Angriff zu nehmen, sondern auf die Kelsen-Verfassung in der Fassung des Textes von 1929 zurückgriffen.

In den seither vergangenen fast sechs Jahrzehnten hat sich diese Verfassung als soli- des Fundament der Zweiten Republik be- währt. Was ich an der österreichischen Bun- desverfassung immer wieder besonders ge- schätzt habe ist die Tatsache, dass sie flexibel genug ist, um unterschiedlichen politischen Konstellationen Rechnung zu tragen und gleichzeitig fest genug, um den politischen Prozess in geordneten Bahnen zu halten. Die von manchen Verfassungsexperten geäußer- ten extrem negativen Beurteilungen der österreichischen Bundesverfassung halte ich daher für nicht angemessen.

Warum dann dennoch eine grundlegende Verfassungsreform auf die politische Tagesord- nung gesetzt wird?

Weil Österreichs Mitgliedschaft in der Euro- päischen Union neue Realitäten geschaffen hat, die auch von großer verfassungsrechtlicher Re- levanz sind. Weil die Aufgabenverteilung zwi- schen den verschiedenen staatlichen Ebenen durch die technologischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen teilweise überholt ist und effizientere Lösungen vorstell- bar sind. Und weil durch die jahrzehntelange Praxis des Verfassungsgesetzgebers tatsächlich eine Zersplitterung der Verfassungsnormen zu verzeichnen ist, der man nicht nur Grenzen set- zen, sondern auf die man mit gegenläufigen Entwicklungen antworten muss.

Bei solchen Aufgabenstellungen – und eini- ge weitere Aspekte könnten noch hinzugefügt werden – wäre das System der Teilreparaturen und Teilreformen nur die zweitbeste Lösung.

Die Idee einer Gesamterneuerung der öster- reichischen Bundesverfassung liegt also seit längerer Zeit in der Luft. Einen Durchbruch erzielt hat diese Idee angesichts der guten Er- gebnisse eines (ersten) europäischen Konvents zur Schaffung einer Grundrechts-Charta und in der Folge insbesondere angesichts der er- staunlichen Erfolge des Europäischen Verfas- sungskonvents, der seine Arbeiten mittler- weile erfolgreich abgeschlossen hat.

Als die Idee eines Konvents auf europäi- scher Ebene geboren wurde, der Probleme lösen sollte, die in den bestehenden EU-Insti- tutionen offenbar nicht lösbar waren, gab es zwar zustimmende Reaktionen, aber hinter den Kulissen und in inoffiziellen Gesprächen wurde eine gehörige Portion an Skepsis zum Ausdruck gebracht.

Wie sollte ein so heterogenes Gremium bei so schwierigen Fragen und bei derart unter- schiedlichen Interessen ein kohärentes Ergeb- nis erzielen können?

In der Zwischenzeit ist bewiesen worden, dass dies eben doch möglich ist, und der EU- Gipfel der Staats- und Regierungschefs Mitte Juni in Saloniki hat sich entschlossen gezeigt,

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FORUM PARLAMENTJg. 1, Nr. 2/2003 gesamteuropäischen Interessen Vorrang vor

regionalen und partikularistischen Egoismen zu geben.

Warum sollte das nicht auch im österreichi- schen Maßstab möglich sein? Eben diese Überlegung ist es, die mich für den Österreich- Konvent – diesen Namen brachte übrigens als Erster der Kurier-Kolumnist Alfred Payrleitner ins Spiel – vorsichtig optimistisch stimmt.

Warum dieser Optimismus dennoch kein unbegrenzter oder naiver sein darf und immer wieder auf den Boden der Realität zurückge- holt werden muss, hat mehrere Ursachen.

Eine davon liegt in der Zusammensetzung des österreichischen Verfassungskonvents. Es wäre eine faszinierende Idee gewesen, dem Konvent einen großen Vertrauensvorschuss zu geben und ihn als Gremium aus hervorragen- den Wissenschaftern und Praktikern – gleich- gültig aus welcher Region sie kommen und welche Interessen sie allenfalls vertreten – zu- sammenzusetzen. Das war so nicht möglich:

Der 70-köpfige Konvent besteht nunmehr zu rund zwei Dritteln aus Interessensvertretern, deren Aufgabe es naturgemäß ist, Interessen zu vertreten. Diese Interessen sind aber natur- gemäß nicht gleichgerichtet, sondern vielfach einander entgegen gesetzt, und je energischer sie vertreten werden, um so schwieriger wird die Konsensfindung. Wird es möglich sein, diese sehr heterogenen Interessen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen? Werden Vertreter des Bundes, der Länder und der Ge- meinden gemeinsame Standpunkte erarbeiten können? Werden entgegengesetzte finanzielle Interessen und Erwartungen in ein Gesamtkon- zept einzubinden sein?

Ich gehe davon aus, dass sehr viel guter Wille vorhanden ist, aber man muss sich der Größe der Probleme bewusst sein, um die zu ihrer Lösung erforderlichen Kräfte mobilisieren zu können.

Es gibt auch einen gemeinsamen Willen, günstige Arbeitsbedingungen für den Öster- reich-Konvent zu schaffen. Der Konvent ver- fügt über ein eigenes Büro, dessen Finan- zierung gesichert ist. Die Mitgliedschaft im Konvent scheint auch mit einem nicht unbe- trächtlichen Sozialprestige ausgestattet zu sein, und zahlreiche Experten haben ihre Be- reitschaft erklärt, dem Konvent zuzuarbeiten.

Und auch über die Arbeitsweise des Konvents hat man sich verständigt: Der Konvent wird im Wesentlichen auf drei Ebenen arbeiten: Es gibt die Vollversammlung des Konvents, die Aus- schüsse und das Präsidium. Aufgabe der Aus- schüsse wird es sein, zu einzelnen Subthemen (derzeit ist an die Einsetzung von knapp einem Dutzend Ausschüssen gedacht) Lösungen zu erarbeiten und Arbeitspapiere vorzubereiten.

Das Plenum des Konvents ist jenes Gremium, wo die Arbeitsergebnisse der Ausschüsse zu- sammen mit den Empfehlungen des Präsi- diums beraten werden und wo auf ein ein- heitliches Gesamtergebnis hingearbeitet wird.

Das Präsidium schließlich fungiert als eine Art Steering Committee, in dem organisatorische Fragen diskutiert und gelöst werden sollen, wo auch das Bemühen um konsensuale Ergebnis- se, die von allen Beteiligten mitgetragen wer- den können, eine Schaltstelle vorfindet und wo die Beratungen des Plenums – abgesehen von den Vorarbeiten der Ausschüsse – vorbereitet werden.

Bei der Ausarbeitung dieser Arbeitsweise ist sowohl auf Erfahrungen des Europäischen Konvents als auch auf österreichische Beson- derheiten Bedacht genommen worden.

Zum Zeitpunkt, wo diese Zeilen geschrie- ben werden, sind es vor allem die folgenden Schwerpunkte, die sich für die Arbeit des Kon- vents abzeichnen: Eine Definition der Staats- aufgaben und Staatsziele, die Bearbeitung der Struktur der staatlichen Institutionen, die Kom- petenzverteilung im Bereich der Gesetzge- bung, eine Reform der Vollziehung, mehr Transparenz und Kontrolle in der Verwaltung, Ausbau des Rechtsschutzes und eine Reform der Gerichtsbarkeit. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, weil im Laufe der Arbeiten des Konvents mit Sicherheit noch weitere Themen dazukommen werden.

Jedes einzelne dieser Themen ist von größ- ter Bedeutung und setzt sich aus einer Vielzahl von Subthemen und Einzelfragen zusammen.

Eine der großen Gefahren für den Konvent besteht daher auch darin, sich in Einzelthemen zu verbeißen und zu verstricken. Großzügig- keit im Sinne eines großen Wurfes ist daher gefragt. Würde man jede rechtspolitische und verfassungspolitische Streitfrage, die in der Ta- gespolitik auftaucht, dem Konvent zuschieben,

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ARLAMENT, Nr. 0/2002FORUM PARLAMENTJg. 1, Nr. 2/2003

dann wäre er hoffnungslos überlastet und wür- de seine Energien verschwenden.

* * *

Bis vor wenigen Jahren hätte ich gemeint, dass Projekte für eine große umfassende Verfas- sungsreform – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – nur unter dem Druck gesell- schaftlicher und politischer Umwälzungen eine Chance haben, wie das eben auch bei der österreichischen Bundesverfassung nach dem Ersten Weltkrieg, beim Bonner Gründungsge- setz und bei zahlreichen anderen Verfassungen nach dem Zweiten Weltkrieg oder bei den ehemaligen „Ostblock-Staaten“ nach dem Zu- sammenbruch des Kommunismus der Fall war.

Der schon erwähnte Erfolg der beiden Kon- vente auf europäischer Ebene hatten diese An- nahme relativiert: Die verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Themenstellungen für den Konvent scheinen mir lösbar zu sein.

Am wenigsten kann ich die Frage beantworten,

ob dies auch für Fragen des Finanzausgleiches bzw überhaupt für Fragen mit großen finanziel- len und finanzpolitischen Auswirkungen gilt.

Und auch die Tatsache, dass der Konvent, wie schon erwähnt, ganz stark auf dem Konsens- prinzip aufbaut, wird zwar die legistische bzw parlamentarische Umsetzung des Endergebnis- ses der Beratungen des Konvents erleichtern, könnte aber die Erzielung dieses Endergebnis- ses in manchen Punkten schwierig machen. Er- fahrungen mit diesem Konsensprinzip müssen und werden wir erst sammeln.

Insgesamt hoffe ich, dass der Österreich- Kovent in der Lage ist, ein Beispiel dafür zu liefern, dass auch eine grundlegende und weit reichende Staats- und Verfassungsreform eben nicht nur in gesellschaftlichen und Hochsitua- tionen möglich ist, sondern als Produkt von Reformwillen gepaart mit Sachlichkeit, Kon- sensfähigkeit und der Fähigkeit, über den Tellerrand der eigenen Interessen hinaus zu blicken, zustande kommen kann.

Karl Weber Möglichkeiten der Verfassungsreform

Deskriptoren: Grund- und Freiheitsrechte; Legali- tätsprinzip (Art 18 Abs 1 B-VG); Reform des Bundes- staates; Verfassungsreform; Verfassungsverständnis;

Verfassungszersplitterung.

Wozu eine Verfassungsreform?

Der bekannte Satz von Hans Klecatsky über die äußere und innere Ruinenhaftigkeit der österreichischen Bundesverfassung1 be- schreibt den Zustand des österreichischen Ver- fassungsrechts treffend. Obwohl die Klagen über den Zustand der österreichischen Bun- desverfassung seit Jahrzehnten nicht abreißen, hat das politische System recht gut gelernt, diese Ruine als rechtliche Grundlage für zahl- reiche große und kleinere Rechtsreformen zu

gebrauchen. Der Schlüssel für die relative Zu- friedenheit mit der österreichischen Verfas- sung liegt in ihrer inhaltlichen Offenheit und ihrer leichten Veränderbarkeit. Die Konkor- danzdemokratie der 2. Republik bot ideale Voraussetzungen dafür, die Verfassung durch einzelfallmotivierte Verfassungsbestimmungen als Maßstab für konkrete tagespolitische Vor- haben auszuschalten. Öhlinger2 hat die Rolle von Politik, Judikatur und Wissenschaft im Pro- zess der Verfassungserosion präzise beschrie- ben. Statt die Verfassung als Grundordnung und Schranke für die Politik zu begreifen, fand – und findet nach wie vor – ein Spiel um die Suche nach potenziellen Verfassungswidrigkei- ten statt, das nicht etwa zur Zurückhaltung des Parlaments in verfassungsrechtlich sensiblen Zonen führt, sondern vielmehr dazu, dass alle 1 Klecatsky, Bundes-Verfassungsgesetz und Bun-

desverfassungsrecht, in: Schambeck (Hrsg), Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung (1980) 83; Klecatsky/Morscher, Die österreichische Bundesverfassung10 (2002) VII.

2 Öhlinger, Braucht Österreich eine neue Verfas- sung?, JRP 2003, 1 (4).

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FORUM PARLAMENTJg. 1, Nr. 2/2003 möglichen verfassungsrechtlich bedenklichen

Regeln in den Verfassungsrang gehoben wur- den. Das hat in der Folge dazu geführt, dass nur mehr eine geringe Zahl von Rechtsexper- ten die Verfassung verstehen und Anleitungen zu ihrer Handhabung geben können.3 Solange es aber Verfassungspartnerschaften zw Par- teien gab, konnte dieses Spiel politische Vor- haben nicht wesentlich behindern.

Erst ab dem Jänner 2000, als die Verfas- sungspartnerschaft plötzlich aufgekündigt wurde, sah sich die Regierung mit dem Pro- blem konfrontiert, zahlreiche Reformen, die bis dahin mühelos im Wege von weiteren Verfas- sungsbestimmungen umgesetzt werden konn- ten, plötzlich rechtlich nicht mehr in der ge- wohnten Weise verwirklichen zu können. Seit dieser Zeit ist der Begriff „Verfassungswidrig- keit“ geradezu zum Mode(un)wort geworden.

Die Geschichte des Verwaltungsreformgeset- zes 2001 ist hiefür ein illustratives Lehrbei- spiel.4

Nicht von ungefähr entdeckt die Politik nunmehr auch Halden von „Verfassungsschot- ter“, an deren Beseitigung nun plötzlich Inter- esse bekundet wird. Auch die Diskussion um den österreichischen Föderalismus ist seit der Integration Österreichs in der EU wieder in Schwung gekommen. Die Vorstellung einer Bundesstaatsreform als einer kosteneinsparen- den Verwaltungsreform hat die österreichische Föderalismusdiskussion wieder in Schwung gebracht.

Eine unübersehbare Faszination hat der Verfassungskonvent der EU auch auf die österreichischen Betrachter. Dass es diesem Konvent in relativ kurzer Zeit gelungen ist, eine Verfassung – über deren Qualität als sol- che nicht diskutiert werden soll – auf die Beine zu stellen, hat auch hierzulande den Optimis- mus erweckt, ein gut zusammengesetzter Konvent könne auch in Österreich jene Verfas-

sungsreformen ermöglichen, welche in den vergangenen 30 Jahren vergeblich versucht wurden.5

In der Wissenschaft wird der Österreich- Konvent eher skeptisch beurteilt.6 Um Auf- bruchstimmung zu erzeugen hat der Präsident dieses Gremiums die Losung ausgegeben, dass kein Bereich der Verfassung tabu sein dür- fe und dass grundsätzlich alles hinterfragt – und letztlich wohl auch reformiert – werden kann. Ob die handelnden Akteure dazu bereit sein werden, wird die Zukunft weisen. Jeden- falls muss eine Verfassungsreform, bevor sie zu Papier gebracht wird, in den Köpfen der Refor- mer wirksam werden. Das bedeutet wiederum, aus dem Denken um die Besitzstände heraus- zutreten und sich auch auf das eine oder ande- re Experiment einzulassen.

Gesamtreform oder Reform in Teilschritten?

Die bisherigen Erfahrungen mit Verfassungs- reformen in Österreich sind nicht gerade er- mutigend. Auch die Schweiz hat länger als 30 Jahre gebraucht, um eine total erneuerte Bun- desverfassung in Geltung setzen zu können.7 Die Erfahrungen aus der Geschichte zeigen, dass eine Verfassungsreform nur dann erfolg- reich sein kann, wenn sie sich im Rahmen des politisch Möglichen hält und wenn sie einen breiten Diskurs nicht nur zulässt, sondern ihn auch aushält und geduldig bis zum Ende führt.

Natürlich birgt eine schrittweise Verfassungs- reform die Gefahr in sich, dass die Kraft nach wenigen Reformschritten erlahmt und das Ziel einer total erneuerten Bundesverfassung (wie- der) aus den Augen verloren wird. Die revolu- tionäre Neuschaffung einer Bundesverfassung birgt wiederum die Gefahr in sich, dass ambi- tionierte Vorlagen von allen Seiten kritisiert und damit ihr Schicksal in Schubladen be- schließen werden.

3 Pelinka/Welan, Austria Revisited. Demokratie und Verfassung in Österreich (2001) 95, sprechen zu Recht von einer „Mandarinisierung der Verfas- sung“.

4 Was ursprünglich als große Staats- und Verwal- tungsreform konzipiert war, wurde schlussendlich als Reförmchen mit zahlreichen kasuistischen ein- fachgesetzlichen Detailregeln im BGBl I 2002/117 kundgemacht.

5 Vgl Neisser, Wie könnte eine Verfassungsrevision in Österreich funktionieren?, JRP 2003, 50.

6 Vgl Öhlinger (FN 2) 1; Noll, Braucht Österreich eine neue Verfassung?, JRP 2003, 50.

7 Vgl Biaggini, Erfahrungen mit Projekten der Ver- fassungsrevision: Die Totalrevision der schweize- rischen Bundesverfassung, JRP 2003, 29.

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ARLAMENT, Nr. 0/2002FORUM PARLAMENTJg. 1, Nr. 2/2003

Beseitigung der Zersplitterung der Bundesverfassung

Die Beseitigung der äußeren Ruinenhaftigkeit der österreichischen Bundesverfassung ist das technisch vielleicht am schwierigsten, politisch aber vielleicht am besten kommunizierbare Anliegen einer Verfassungsreform. Walter, No- wak und Wieser haben in dieser Hinsicht Vorar- beiten geleistet,8 die zumindest die Richtung einer solchen Reform zeigen können. Das Ziel einer solchen Verfassungsrechtsbereinigung darf es aber nicht nur sein, „unnützes“ Verfas- sungsrecht aus dem Rechtsbestand zu bereini- gen, es muss auch darüber nachgedacht wer- den, wie es verhindert werden kann, dass sich in einigen Jahren wiederum ein Wildwuchs von Verfassungsbestimmungen in einfachen Ge- setzen entwickelt. Dafür ist das Inkorporie- rungsgebot zwar ein formal guter Ansatz, es kann aber nicht verhindern, dass wiederum zahlreiche tagespolitisch motivierte Verfas- sungsänderungen eine neue Bundesverfas- sung neuerlich zersplittern. Ohne eine Revision der Staatsorganisation, der Kompetenzver- teilung und des rechtsstaatlichen Gefüges werden solche formalen Verfassungsrechtsbe- reinigungen auf Dauer nicht zufrieden stellen können.

Reform des Bundesstaates

Über die Reformbedürftigkeit des österreichi- schen Bundesstaates herrscht – soweit über- blickbar – seltene Einigkeit.9 Das österreichi- sche Bundesstaatsrecht weist, wie es Georg Froehlich bezeichnet hat,10 etliche „staats-

rechtliche Eigentümlichkeiten“ auf, welche sich auf die Funktionsfähigkeit des österreichi- schen Föderalismus negativ auswirken. Die zersplitterte und gänzlich unübersichtliche bundesstaatliche Kompetenzverteilung, die strukturellen Schwächen des Bundesrates, die föderalistisch äußerst problematische Finanz- verfassung, das eigentümliche Konstrukt der mittelbaren Bundesverwaltung, das Fehlen einer Landesverwaltungsgerichtsbarkeit uam werden wohl Themen einer Verfassungsreform sein müssen. Die Erfahrungen mit der – ge- scheiterten – Bundesstaatsreform vor 1994 zei- gen allerdings, dass eine Bundesstaatsreform ein politisch äußerst heikles Thema ist.11 So ist es, wie Öhlinger zurecht hervorhebt, um das Scheitern der am Ende im Parlament verhan- delten minimalistischen Bundesstaatsreform wohl nicht schade.12

Eine Bundesstaatsreform muss die geän- derten föderativen Bedingungen, mit denen der österreichische Föderalismus seit dem EU- Beitritt konfrontiert ist, als Ausgangspunkt der Überlegungen sehen.13 Daran sollte auch die Neuformulierung der Kompetenzverteilung anknüpfen. So kann etwa durchaus hinterfragt werden, warum der bloße uniforme Nachvoll- zug von Gemeinschaftsrecht neun Landes- rechtsordnungen erfordert. Das größte Pro- blem dürfte aber die Schaffung von abgerun- deten Kompetenzen sein. Es ist bisher auch in der Literatur noch nicht gelungen, überzeu- gende Vorschläge für solche Kompetenzen zu formulieren. Hier müsste wesentlich stärker als das derzeit der Fall ist, auf die Aufgabenstruk- tur und das Aufgabenverständnis des Gemein- schaftsrechts zurückgegriffen werden.

Ob eine griffige Reform des Bundesrates gelingen kann ist fraglich. Denn durch eine Rechtsreform allein kann die ausschließlich parteipolitische Orientierung der Länderkam- 8 Walter, Überlegungen zu einer Neukodifikation

des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 2 Bde (1994); Novak/Wieser, Zur Neukodifikation des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 2 Bde (1994).

9 Beredter Ausdruck dieses Konsenses ist etwa die Widmung des Buches von Pernthaler, Kompe- tenzverteilung in der Krise (1989) an Heinz Mayer:

„Das Buch ist schließlich einem Rechtswissen- schafter gewidmet, mit dem mich in der Theorie nur wenig, sehr viel aber in der praktischen Sorge um den derzeitigen Zustand der österreichischen Kompetenzverteilung verbindet“ (aaO 8).

10Froehlich, Staatsrechtliche Eigentümlichkeiten der österreichischen Bundesverfassung, ZfVerw 1921, 81.

11 Vgl dazu Öhlinger, Das Scheitern der Bundes- staatsreform, in: Khol/Ofner/Stirnemann (Hrsg), Österreichisches Jahrbuch für Politik (1994) 543;

Pernthaler/Bundschuh, Hat die österreichische Bundesstaatsreform noch eine Zukunft?, SWA- Studienarbeit Nr 114 (1998).

12Öhlinger (FN 2) 3.

13 Vgl Pernthaler, Die Zukunft des österreichischen Föderalismus in der EU, in: Akyürek et al (Hrsg), Verfassung in Zeiten des Wandels (2002) 117.

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FORUM PARLAMENTJg. 1, Nr. 2/2003 mer nicht zugunsten einer echten föderativen

zweiten Kammer verändert werden. Allerdings gibt es zahlreiche Möglichkeiten, trotzdem eine Verbesserung der Struktur der Länder- kammer zu erreichen.14

Die österreichische Bundesverfassung ist ua durch eine Überregulierung der bundes- staatlichen Behördenorganisation gekenn- zeichnet. Die Herstellung der vollen Organisa- tionshoheit der Länder, verbunden mit der Ab- schaffung der mittelbaren Bundesverwaltung, könnten einen nicht unwichtigen Beitrag zur Entschlackung des bundesverfassungsrecht- lichen Organisationsgefüges beitragen.15

Ohne eine Reform des Finanzverfassungs- rechts würde eine Bundesstaatsreform wohl auf halben Wege stehen bleiben. Denn die föderalistisch gebotene Harmonisierung von Aufgaben– und Ausgabenverantwortung ist ohne eine Reform der Finanzverfassung wohl kaum denkbar.16

Auch die Gemeinden sind Partner im öster- reichischen föderativen System. Ihre bundes- verfassungsrechtliche Verankerung durch die B-VG-Novelle 1962 hat sich im Großen und Ganzen bewährt. Ohne größere rechtstechni- sche Probleme könnte die Stellung der Ge- meinden im bundesstaatlichen Kooperations- gefüge verbessert werden.17

Unabdingbar ist die Einführung einer ech- ten Landesverwaltungsgerichtsbarkeit. Diese seit Jahrzehnten geäußerte Forderung braucht nicht mehr ausschließlich mit föderalistischen Argumenten untermauert zu werden, auch die judikative Fortentwicklung des Art 6 EMRK ge- bietet die Schaffung einer echten reformatori- schen Verwaltungsgerichtsbarkeit.18

Reform der rechtsstaatlichen Institutionen?

Im Zentrum des österreichischen Rechtsstaates stehen das strenge Legalitätsprinzip des Art 18 Abs 1 B-VG. Diese im europäischen Rechtsver- gleich sehr strenge Legalitätsbindung der Ver- waltung führt zur bekannten Gesetzesflut mit all den bekannten negativen Auswirkungen.19 Eine Neuformulierung des Art 18 Abs 1 B-VG dürfte wohl eine der heikelsten Fragen der Verfassungsreform sein. Eine Lockerung des Legalitätsprinzips, welche durch einen ver- stärkten Einsatz von rules and principles kom- pensiert werden könnte, hätte freilich weit reichende Folgen, die gründlich, aber auch ta- bufrei diskutiert werden müssen.20

Eine Reform der Verfassungsgerichtsbar- keit wird mit Sicherheit an den Bestellungs- modus der Richter anknüpfen müssen. Dabei wird man sich freilich vor Augen halten müs- sen, dass die Bestellung der Verfassungsrichter eine traditionell politische Aufgabe ist, die auch durch weitere Formalisierung und Objek- tivierung des Besetzungsvorganges nie restlos von ihrem politischen Charakter entkleidet werden kann. Ein zu lösendes Problem stellt aber die immer noch beklagte Überlastung des VfGH dar. Hier werden noch Überlegun- gen anzustellen sein, die Sonderverwaltungs- gerichtsbarkeit des VfGH wenn auch nicht zu beseitigen, so doch zurückzudrängen. In seiner jüngeren Judikatur zu Art 138 B-VG hat der VfGH in einzelnen Fällen den VwGH beauf- tragt, auch über die Verletzung verfassungs- gesetzlich gewährleisteter Rechte abzuspre- chen21 und hat damit die Kompetenztrennung zwischen VfGH und VwGH selbst relativiert.

Auch die Einführung von dissenting opinions sollte weiter überlegt werden.

Zur Reform der Grund- und Freiheitsrechte Wie auch die übrige Bundesverfassung ist der Grundrechtskatalog Österreichs zersplittert 14 Vgl Weiss, Der Bundesrat und die Bundesstaats-

reform, in: Schambeck (Hrsg), Bundesstaat und Bundesrat in Österreich (1997) 497.

15 Vgl Raschauer, Die Verfassungsrevision 2003, JRP 2003, 43 (44).

16 Vgl Ruppe, Neuordnung der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung. Teilbereich Finanzverfas- sung, in: BKA-VD (Hrsg), Neuordnung der Kom- petenzverteilung in Österreich (oJ) 289.

17 Vgl Weber, Die Stellung der Gemeinden in einer künftigen Bundesverfassung (in Druck).

18 Vgl Pernthaler/Rath-Kathrein, Die Einführung von Landesverwaltungsgerichten – eine Alternative zu den „unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern“, JBl 1989, 609; Pichler, Einführung einer Landesverwaltungsgerichtsbarkeit (1994).

19 Vgl Bußjäger, Gehorsam und Gesetzesflut. Zur Praxis der Vollziehung des Verwaltungsrechts, ÖJZ 1993, 185.

20 Vgl Schilcher/Koller/Funk (Hrsg), Regeln, Prinzi- pien und Elemente im System des Rechts (2000).

21 S etwa VfSlg 13.983/1994.

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ARLAMENT, Nr. 0/2002FORUM PARLAMENTJg. 1, Nr. 2/2003

und speist seinen rechtlichen Gehalt aus unter- schiedlichen historischen Schichten. Dass es die 30 Jahre tagende Grundrechtsreformkom- mission nicht geschafft hat, Österreich einen modernen Grundrechtskatalog zu geben, hat nicht zuletzt mit der Existenz einer funktionie- renden europäischen Menschenrechtskonven- tion zu tun, die die Grundrechte in Österreich auf europäischen Standard gehoben hat. Eine Grundrechtsreform muss an die Europäische Grundrechtsentwicklung andocken. Es wird sich in der nächsten Zeit zeigen, inwieweit die europäische Grundrechtscharta Bestandteil des europäischen Verfassungswerkes werden und welche Konsequenzen dies für die natio- nalen Grundrechtsordnungen haben wird.

Handlungsbedarf ist aber in diesem Bereich sicherlich angesagt.

Verfassungsreform und Verfassungsverständnis

Es gibt derzeit in Österreich kein einheitliches Verfassungsverständnis. Sowohl in der Judi- katur als auch in der Lehre finden sich ganz unterschiedliche Elemente von materialen Ver- fassungstheorien und formalistisch-technischen Auffassungen vom Wesen einer Verfassung.22 Nach der jahrzehntelang herrschenden for- mal-positivistischen Verfassungsinterpretation durch den VfGH und die Lehre hat sich seit den 1980-er Jahren – wiederum in Judikatur und Lehre – ein immer deutlichere Konturen gewin- nendes materiales Verfassungsverständnis langsam zu entwickeln begonnen.23 Es war va die Rechtsstaatsjudikatur, die die Judikatur zu den wirtschaftlichen Grundrechten und auch zum Minderheitenschutz, die die Abkehr von

einem juristisch-technischen Verfassungsver- ständnis signalisierte. Diese Judikatur ist zT auf herbe Kritik gestoßen.24 Es ist der Rechtswis- senschaft allerdings noch nie gelungen, die Ver- fassungswerte der österreichischen Bundesver- fassung nicht nur theoretisch zu begründen, sondern sie auch für demokratische Politik fruchtbar zu machen. Ohne ein Verfassungsver- ständnis, das sich darauf einigen kann, was Sinn und Funktion einer Verfassung ist und sein muss, wird eine Verfassungsreform aber kaum erfolgreich sein können. Ohne einem Verständ- nis der Verfassung als wertegebundene Grund- ordnung des Staates wird es kaum möglich sein, den Wust an Verfassungsbestimmungen, der sich in den letzten Jahrzehnten angehäuft hat, zu entflechten und auszudünnen.25 Denn nur so wird es möglich sein, eine geschlossene und trotzdem schlanke Verfassungsurkunde zu ent- wickeln, die in den Stürmen der Alltagspolitik ihre lenkende Funktion unter Beweis stellen kann, ohne dass sie aus jedem tagespolitischen Anlass wieder geändert wird. Als gelernter Österreicher weiß man freilich, dass ein solcher Verfassungsreformprozess nicht von heute auf morgen zu Ende zu bringen sein wird. Wenn es dem Verfassungskonvent gelingt, die Verfas- sungsreform am Feuer zu behalten und – mit Unterstützung der Verfassungsrechtswissen- schaft und der Politikwissenschaft – die Verfas- sungswertediskussion voranzubringen, so wäre dies ein Erfolg, der in den letzten 50 Jahren der verfassungsrechtlichen Teilreformen nicht ge- lungen ist. Ein solcher Fortschritt wäre der österreichischen Bundesverfassung und damit allen Österreicherinnen und Österreichern zu wünschen.

22 Vgl Öhlinger, Verfassungsrecht5 (2003) Rz 28.

23Öhlinger (FN 22) Rz 34.

24 Etwa Walter/Mayer, Grundriss des österreichi- schen Bundesverfassungsrechts9 (2002) Rz 134.

25 So Öhlinger (FN 2) 5.

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