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Festsitzung des Bundesrates in Erinnerung an das erste Zusammentreten des Bundesrates vor 60 Jahren am

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Festsitzung des Bundesrates in Erinnerung an das erste Zusammentreten des Bundesrates vor 60 Jahren am

19. Dezember 1945

Stenographisches Protokoll

(ohne Bebilderung)

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Am 19. Dezember 2005 fand sich der Bundesrat im Budgetsaal zu einer Festsitzung in Erinnerung an das erste Zusammentreten des Bundesrates vor 60 Jahren ein.

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Der Budgetsaal ist mit Blattpflanzen geschmückt, das Rednerpult von rot-weiß-rotem Blumenschmuck umkränzt. Seitlich des Rednerpults sind die Fahne Rot-Weiß-Rot mit dem Wappen der Republik sowie die Europafahne aufgezogen. In der ersten Reihen nehmen der Präsident des Bundesrates KommRat Peter Mitterer, der Vizepräsident des Bundesrates Jürgen Weiss, die Vizepräsidentin des Bundesrates Anna Elisabeth Haselbach, die Mitglieder der Bundesregierung und die Staatssekretäre sowie Bundespräsident Dr. Heinz Fischer, der Präsident des Nationalrates Dr. Andreas Khol, der Präsident des Europäischen Parlaments Josep Borrell, die Zweite Nationalratspräsidentin Mag. Barbara Prammer und Klubobleute der Nationalratsfraktionen Platz.

Anwesend sind weiters Mitglieder des Bundesrates, Abgeordnete zum Nationalrat, österreichische Mitglieder des Europäischen Parlaments und weitere Festgäste wie die Präsidenten der Höchstgerichte, der Präsident des Rechnungshofes Dr. Josef Moser, Volksanwälte, Landeshauptleute, Landtagspräsidenten, Mitglieder der Landesregierungen sowie ehemalige Präsidenten und Vorsitzende des Bundesrates.

*****

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Beginn der Festsitzung: 9.05 Uhr

Eingangs intoniert das Wa(h)lküren-Quartett den 1. Satz des Streichquartetts Es-Dur, op. 125/1 von Franz Schubert.

*****

Ansprache des Präsidenten des Bundesrates

Präsident des Bundesrates KommRat Peter Mitterer: Hohes Haus! Festliche

Versammlung! Das Gedenk- beziehungsweise „Gedankenjahr“ 2005 beschließen wir heute mit der Erinnerung an die Wiederherstellung der demokratischen und bundesstaatlichen Ordnung der Republik Österreich nach dem Ende der nationalsozialistischen

Gewaltherrschaft im Jahre 1945. Ein wichtiges Ereignis war die Konstituierung des Bundesrates der Republik Österreich am 19. Dezember 1945.

Zur Erinnerung an dieses Ereignis, das auf den Tag genau vor 60 Jahren stattgefunden hat, ist der Bundesrat heute zu einer Festsitzung zusammengekommen.

Mit großer Freude begrüße ich respektvoll den zu dieser Sitzung erschienenen Herrn Bundespräsidenten Dr. Heinz Fischer. (Allgemeiner Beifall.)

Als Zeichen der besonderen Verbundenheit mit dem Europäischen Parlament freue ich mich sehr über die Anwesenheit des Herrn Präsidenten des Europäischen Parlaments, der

gemeinsam mit dem Herrn Präsidenten des Nationalrates das heute um 9.30 Uhr im Nationalratssitzungssaal stattfindende Schülerforum präsidieren wird. Ich darf daher den Herrn Präsidenten des Europäischen Parlaments Josep Borrell und den Herrn Präsidenten des Nationalrates Univ.-Prof. Dr. Andreas Khol sehr herzlich willkommen heißen.

(Allgemeiner Beifall.)

Ebenso herzlich begrüße ich auch die Zweite Präsidentin des Nationalrates Mag. Barbara Prammer. (Allgemeiner Beifall.)

Ich begrüße herzlich die Mitglieder der Bundesregierung, an der Spitze Herrn Vizekanzler Hubert Gorbach, die Bundesministerinnen Maria Rauch-Kallat und Ursula Haubner sowie die Staatssekretäre Mag. Eduard Mainoni und Sigisbert Dolinschek. (Allgemeiner Beifall.)

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Wir freuen uns auch sehr über die Anwesenheit der Vertreter der Länder mit dem Herrn Landeshauptmann und Bürgermeister von Wien Dr. Michael Häupl an der Spitze, den ich sehr herzlich bei uns willkommen heiße. (Allgemeiner Beifall.)

Ebenso herzlich begrüße ich den Präsidenten des Wiener Landtages Johann Hatzl, den Präsidenten des Kärntner Landtages Dipl.-Ing. Jörg Freunschlag sowie die Frau

Vizepräsidentin des Bundesrates Anna Elisabeth Haselbach und den Herrn Vizepräsidenten des Bundesrates Jürgen Weiss in unserer Mitte. (Allgemeiner Beifall.)

Die anwesenden Abgeordneten zum Nationalrat sowie die Klubobmänner Dr. Josef Cap und Herbert Scheibner begrüße ich ebenfalls herzlich. (Allgemeiner Beifall.)

Auch die Klubobleute der Bundesratsfraktionen, Herr Prof. Albrecht Konečny, Herr Ludwig Bieringer und Herr Stefan Schennach seien herzlich in unserer Mitte willkommen.

(Allgemeiner Beifall.)

Meinen Willkommensgruß entbiete ich allen Mitgliedern der gesetzgebenden

Körperschaften, den Vertretern der Höchstgerichte und der Volksanwaltschaft sowie dem Herrn Präsidenten des Rechnungshofes Dr. Josef Moser. (Allgemeiner Beifall.)

Sehr herzlich begrüße ich auch die ehemaligen Präsidenten und die ehemaligen Mitglieder des Bundesrates sowie alle übrigen Ehrengäste, die diesen Festakt durch ihre Anwesenheit auszeichnen.

Sehr geehrte Festgäste! Meine Damen und Herren! Das Lokal VI des Parlamentsgebäudes, den so genannten Budgetsaal haben wir deshalb gewählt, weil hier, in diesem schönen Saal, am 19. Dezember 1945 um 15 Uhr die konstituierende Sitzung des Bundesrates der Zweiten Republik stattgefunden hat. Der Sitzungssaal des Bundesrates selbst war durch die

Auswirkungen von Bombentreffern in Mitleidenschaft gezogen und noch nicht wiederhergestellt.

Schon dieser Umstand erinnert uns an die Verhältnisse, unter denen die erste Sitzung des Bundesrates in der Zweiten Republik stattgefunden hat, ja unter denen die Zweite Republik überhaupt begründet worden ist: an die äußeren Zerstörungen, die der Krieg hinterlassen hat, die jedoch noch nicht so schwer gewogen haben mögen wie die inneren, die seelischen Wunden, die der Krieg und die nationalsozialistische Herrschaft geschlagen haben. Kaum einer war in diesem Land, der nicht unter seinen Verwandten und Freunden zumindest einen Menschen verloren hatte!

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Und doch: Obgleich die seelische und die wirtschaftliche Not im Jahre 1945 groß gewesen sind, haben die Österreicherinnen und Österreicher damals jenes beeindruckende

Wiederaufbauwerk begonnen, das die „Erfolgsgeschichte“ der Zweiten Republik möglich gemacht hat. Wenn ich von Wiederaufbau spreche, dann meine ich damit nicht nur den wirtschaftlichen Wiederaufbau, der schwierig und beachtenswert genug gewesen ist, vor allem spreche ich vom geistigen Wiederaufbau, vom Wiederaufbau der politischen Kultur und vom Wiederaufbau der demokratischen Republik Österreich.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Untergang der ersten österreichischen Republik, dem der Untergang der parlamentarischen Demokratie vorangegangen war, war ganz wesentlich darauf zurückzuführen, dass es der Ersten Republik eben nicht gelungen war, eine funktionsfähige politische Kultur, ein funktionierendes Zusammenspiel der parlamentarischen Kräfte zu entwickeln.

Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, hier und heute nicht nur an das erstmalige Zusammentreten des Bundesrates der Zweiten Republik vor 60 Jahren zu erinnern, sondern auch an das überhaupt erstmalige Zusammentreten des Bundesrates 25 Jahre zuvor, am 1. Dezember 1920 nach der Erarbeitung und einstimmigen Verabschiedung des Bundes- Verfassungsgesetzes.

Schon bei der konstituierenden Sitzung des Bundesrates war bei der Eröffnungsansprache des Vorsitzenden Jakob Reumann zu erkennen, dass selbst über Grundsatzfragen des Zweikammernsystems noch keineswegs ein parteienübergreifender Konsens hergestellt war.

Auch durch den neuerlichen Verfassungskompromiss des Jahres 1929 waren diese Gegensätze nicht zu überwinden.

Ganz anders, völlig verändert war die Ausgangssituation im Jahre 1945: Die sieben bitteren Jahre der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft hatten die einstigen politischen Gegner gelehrt, die parlamentarische Demokratie als die einzig menschenwürdige Form staatlicher Willensbildung zu erkennen und sich einmütig, über ideologische Gegensätze hinweg zu ihr zu bekennen. Bereits in der Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945 kam dies zum Ausdruck.

Die Rückkehr zum Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 wurde mit einer ganz wesentlichen Ausnahme verwirklicht: Das zweite Verfassungs-Überleitungsgesetz bestimmte, dass an die Stelle der Bestimmungen der Bundes-Verfassungsnovelle 1929 über den „Länder- und Ständerat“ wieder die Bestimmungen von 1920 über den Bundesrat treten

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sollten. Der Bundesrat erschien damit als Ausdruck sowohl des demokratischen als auch des bundesstaatlichen Prinzips der österreichischen Bundesverfassung.

Durch die Länderkonferenzen ermöglicht und im Rahmen der Länderkonferenzen

vorbereitet, haben am 25. November 1945, also nur wenig mehr als ein halbes Jahr nach Kriegsende, die ersten freien Wahlen der Zweiten Republik stattgefunden. Am selben Tag wurden der Nationalrat und die neun Landtage gewählt. Damit waren die rechtlichen Voraussetzungen auch für die Konstituierung des Bundesrates geschaffen.

Unter den 49 von den neun Landtagen entsandten Bundesräten waren am

19. Dezember 1945 26 Vertreter der ÖVP und 23 Vertreter der SPÖ. Frauen waren damals nicht unter ihnen.

Die erste Sitzung des Bundesrates am 19. Dezember 1945 unter Vorsitz des

sozialdemokratischen Präsidenten Karl Honay nahm, wie eine Tageszeitung berichtete,

„einen raschen, würdigen und feierlichen Verlauf“.

Seit diesem Tag, in den vergangenen 60 Jahren also, hat sich der Bundesrat mit weit mehr als 6 000 Gesetzesbeschlüssen und mit fast 2 000 anderen Beschlüssen des Nationalrates befasst. In 115 Fällen hat er Einspruch gegen einen Gesetzesbeschluss beziehungsweise Beschluss des Nationalrates erhoben.

Wenn in der modernen Managementtheorie dem „Qualitätsmanagement“ zunehmende Bedeutung beigemessen wird, dann lässt sich dieser Begriff in der staatlichen Willensbildung auf die Rolle zweiter Kammern im Allgemeinen und des Bundesrates im Besonderen

übertragen: Dem Bundesrat kommt eine Qualitätssicherungsfunktion zu. Um diese Funktion erfüllen zu können, muss er nicht über Kompetenzen verfügen, die jenen der ersten Kammer gleichkommen. Seine Kompetenz beruht vielmehr auf der politischen Erfahrung und

Vernetzung seiner Mitglieder – ganz besonders auf ihrer föderalistischen Vernetzung.

Um seine ihm von der Bundesverfassung zugeschriebenen Aufgabe, die vertikale Verbindung zwischen der Bundesgesetzgebung und den Bundesländern herzustellen, besser erfüllen zu können, hat der Bundesrat in den vergangenen 60 Jahren freilich einige kompetenzrechtliche Besserstellungen erfahren und wichtige Änderungen in seiner

Geschäftsordnung vorgenommen. Ich verweise an dieser Stelle nur auf die besonders bedeutsame B-VG-Novelle 1984, mit welcher zu Lasten der Länder gehende

Kompetenzänderungen in der Bundesverfassung von der Zustimmung des Bundesrates

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abhängig gemacht worden sind und den Landeshauptleuten ein Teilnahme- und Rederecht in den Sitzungen des Bundesrates eingeräumt worden ist.

Im Verlauf der vergangenen 60 Jahre hat sich das Umfeld staatlicher Willensbildung ganz grundsätzlich verändert. Gerade die Europäisierung der Gesetzgebung birgt natürlich die Gefahr in sich, dass die Rechtsetzung fernab von den Bürgerinnen und Bürgern stattfindet.

Dem österreichischen Bundesrat wird die Aufgabe zukommen, die Bedeutung regionaler Identitäten, die auch im Wort vom „Europa der Regionen“ mitschwingt, den Menschen als Ausdruck bürgernaher Politik näher zu bringen und damit ein klares Bekenntnis zu

Föderalismus und Bikameralismus abzulegen. Dieses Bekenntnis wurde in der letzten Zeit sowohl durch den Österreich-Konvent dokumentiert als auch durch Aussagen höchster Repräsentanten Österreichs, gerade auch unseres Herrn Bundespräsidenten.

Über Veränderungen und Reformen der zweiten Kammer wird man auch in Zukunft

diskutieren müssen. Unter dem Titel „Der österreichische Bundesrat ist unverzichtbar, aber nicht unveränderbar“ sollen der Aufgabenbereich, aber auch die Zusammensetzung den heutigen Anforderungen angepasst werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe zwei Aspekte angesprochen, die mir in besonderem Maße die staatspolitisch wichtige Funktion des Bundesrates zu beleuchten scheinen: Qualitätssicherung in der Gesetzgebung und föderalistische Vernetzung als Ausdruck von Bürgernähe in der staatlichen Willensbildung.

Erlauben Sie mir, zum Abschluss meiner Ausführungen noch auf einen weiteren Aspekt zurückzukommen! Bereits eingangs habe ich darauf hingewiesen, dass sich die Zweite Republik von der Ersten Republik durch ihre politische Kultur unterschieden hat, basierend auf dem einmütigen Bekenntnis aller politischen Kräfte zur parlamentarischen Demokratie.

Diese neue politische Kultur hat sich nach meiner Überzeugung im Bundesrat in einer ganz besonderen Qualität herausgebildet.

Wann immer Mitglieder des Bundesrates über ihre Zugehörigkeit zu diesem Organ sprechen, pflegen sie das ganz „besondere Klima“ im Bundesrat hervorzuheben. „Besonderes Klima“

bedeutet keineswegs die Abwesenheit pointierter politischer Auseinandersetzung – aber es bedeutet den Verzicht auf persönliche An- und Untergriffe und den Verzicht auf die

Herabwürdigung des politischen Gegners. Im Bundesrat ist in den vergangenen 60 Jahren vorgelebt worden, dass die offene und freimütige Austragung ideologischer Gegensätze mit persönlichem Respekt, ja mit persönlicher Freundschaft über Parteigrenzen hinweg

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vereinbar ist. Das ist eine Haltung, die viele Mitglieder des Bundesrates in andere politische Körperschaften mitnehmen und weitertragen konnten.

Diesen Beweis hat der Bundesrat der Republik Österreich im Verlauf der vergangenen 60 Jahre immer wieder aufs Neue angetreten. Wenn die „Erfolgsgeschichte“ der Zweiten Republik ihre Wurzeln in der politischen Kultur unbeirrbaren gemeinsamen Bekenntnisses zur parlamentarischen Demokratie hat, dann ist der Beitrag des Bundesrates zur

Herausbildung dieser politischen Kultur und damit zum Erfolg der Zweiten Republik nicht gering zu schätzen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich dafür, dass Sie durch Ihre Teilnahme an dieser feierlichen Gedenksitzung zum Abschluss des Gedenkjahres 2005 Ihr Interesse an der zweiten Kammer der österreichischen Bundesgesetzgebung und an ihrem Beitrag zur gedeihlichen Entwicklung der Zweiten Republik bekunden. (Allgemeiner Beifall.)

Ansprache des Landeshauptmannes und Bürgermeisters von Wien Landeshauptmann und Bürgermeister von Wien Dr. Michael Häupl: Herr

Bundespräsident! Frau Nationalratspräsidentin! Herr Bundesratspräsident! Herr Vizekanzler!

Geschätzte Mitglieder der österreichischen Bundesregierung! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hohes Haus! Geschätzte Ehrengäste, die zu diesem Anlass hierher gekommen sind!

Ich darf mich zunächst sehr herzlich bedanken und es ist mir eine Freude und Auszeichnung, zum 60. Jahrestag der ersten Bundesratssitzung nach dem Zweiten Weltkrieg, die, wie schon gesagt wurde, am 19. Dezember 1945 hier in diesem Saal stattgefunden hat unter dem Vorsitz nicht nur des Wieners Karl Honay, sondern, ich beeile mich hinzuzufügen, des Ottakringers Karl Honay – auch wir haben unsere Schrebergärten, nicht nur die Bundesländer schlechthin (Heiterkeit) –, zu Ihnen sprechen zu dürfen.

Das zu Ende gehende Gedenkjahr 2005 hat uns im Rückblick der vergangenen sechs Jahrzehnte einmal mehr eindrucksvoll vor Augen geführt, welch enorme Entwicklung Österreich und natürlich auch die österreichische Bundeshauptstadt seit dem Jahr 1945 genommen haben. Zahlreiche Ausstellungen, Veranstaltungen, Publikationen und

Filmdokumente zeigen das österreichische Nachkriegswunder, das uns eigentlich binnen zwei Generationen vom zertrümmerten Land unter die zehn wohlhabendsten Nationen geführt hat, insbesondere auch den Wiederaufstieg Wiens aus den Trümmern des Zweiten

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Weltkrieges zur modernen Wirtschaftsmetropole und internationalen Stadt im Herzen Mitteleuropas.

Aber blicken wir noch einmal zurück in jenes Jahr, das die Mehrheit der heutigen Bevölkerung selbst gar nicht erlebt hat. Als Theodor Körner am 18. April 1945 vom Militärkommandanten Blagodatow zum provisorischen Bürgermeister von Wien bestellt wurde, lag diese Stadt in Trümmern: 47 000 Häuser waren zerstört oder schwer beschädigt, 87 000 Wohnungen unbenützbar. Es bestand ein Bedarf an 80 Millionen Dachziegeln und zwölf Millionen Quadratmetern Glas. Eine Million Kubikmeter Schutt und Müll lagen auf den Straßen. Nationale Symbole wie der Stephansdom, die Staatsoper, das Burgtheater und – wahrlich nicht zuletzt – das Parlament waren ausgebrannt, ausgebombt oder schwer beschädigt.

Wesentlich schwerer wog hier auch noch das Leid, die Bilanz des menschlichen Leids:

Schätzungsweise 90 000 Wiener Soldaten waren gefallen, 60 000 Wiener Juden waren im KZ umgebracht worden sowie mehr als 10 000 weitere Wienerinnen und Wiener waren im KZ, in der Gestapo-Haft oder durch Hinrichtung gestorben. Mehr als 11 000 zivile Opfer forderten die „Schlacht um Wien“ und die 52 Luftangriffe ab Herbst 1944. Dazu kamen 19 000 Soldaten der Deutschen Wehrmacht und 18 000 sowjetische Soldaten, die zwischen dem 3. und dem 13. April 1945 gefallen sind. Eine unvorstellbare Bilanz des Grauens!

An die 250 000 Menschen, die aus dieser Stadt stammten, die in dieser Stadt lebten oder in diese Stadt gekommen waren, mussten sterben: im Schnitt 100 Todesopfer an jedem der rund 2 500 Tage nationalsozialistischer Terrorherrschaft! Wenn wir heute das 60-jährige Bestehen unserer Republik feiern, so müssen wir auch der Opfer gedenken, aller Opfer – egal welcher Herkunft, der zivilen Kriegsopfer ebenso wie der gefallenen

Wehrmachtssoldaten und der sowjetischen Soldaten, der KZ-Opfer wie auch aller anderer Menschen, die durch das mörderische NS-Regime ums Leben gekommen sind.

Es gibt keine guten und bösen Toten, keine besseren und schlechteren Opfer. Es gibt nur das Verbrechen, das wir nicht ungeschehen und vergessen machen können. Für mich als Vertreter der nach dem Krieg in die Demokratie hineingeborenen Generation erwächst daraus die Verpflichtung, jede Form von Terror und Diktatur zu bekämpfen, wie immer sie sich zu legitimieren versucht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der heutigen Feierstunde sei aber vor allem die Rolle der Bundesländer in der Geburtsstunde der Zweiten Republik hervorgehoben, denn sie gaben Österreich im Jahr 1945 die Einheit. Wer vor gar nicht allzu langer Zeit, etwa im Zuge

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der Debatten um eine Verfassungsreform meinte, die Bundesländer wären bloß eine Verwaltungsebene, deren Sinn in Frage zu stellen sei, der weiß offensichtlich nicht um die außergewöhnliche historische Bedeutung der Bundesländer für die Staatswerdung

Österreichs, der verkennt ihre enorme identitätsstiftende Funktion für die Menschen und damit auch ihre politische Kraft in Krisensituationen des Staates; der verkennt aber auch ihre Bedeutung innerhalb der Europäischen Union, wo der Integrationsprozess nicht nur sehr rasche und sehr viele Veränderungen für die Menschen mit sich bringt und den Staaten viele Gestaltungsmöglichkeiten nimmt.

Es sind die Kommunen, Regionen und Bundesländer, die überschaubare, gestaltbare Lebensräume, ein weitgehend stabiles Lebensumfeld geblieben sind, wo Menschen in einer bewegten Zeit Rückhalt, Sicherheit und so etwas wie Heimatgefühl finden. Daher spielten auch im Jahr 1945 nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Bundesländer eine

entscheidende Rolle für das Wiedererstehen jenes Österreichs, wie es die Welt heute kennt.

Österreich war durch die sowjetische Besatzung Ostösterreichs ebenso wie Deutschland de facto ein zweigeteiltes Land. Karl Renners Anspruch der Zuständigkeit seiner Provisorischen Staatsregierung für ganz Österreich konnte nur durch die Zustimmung und Einigkeit aller Bundesländer Erfolg haben.

In den Bundesländern hatten sich nach Kriegsende, unabhängig voneinander,

Landesausschüsse und -regierungen gebildet, die der jeweiligen Militärverwaltung unterstellt waren. Sie und die lokalen Verwaltungsbehörden waren es, die in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Besatzungsmächten für das Funktionieren des Lebens sorgten und dabei sogar größere politische Freiheiten genossen als beispielsweise die Länder und Städte

Deutschlands.

Am 27. April 1945 proklamierte die Regierung Karl Renner zwar in Wien die

Wiedererrichtung der Republik Österreich im Geiste der Verfassung von 1920, die Österreich auch als Bundesstaat sah, zwei Tage später trat im Wiener Rathaus erstmals eine

Provisorische Staatsregierung zusammen, doch erst bei den Länderkonferenzen im

September und Oktober 1945 in Wien erklärten die Vertreter der Bundesländer, von denen manche dem Sozialdemokraten Karl Renner skeptisch gegenübergestanden waren, eindeutig ihren Willen zur staatlichen Einheit und zur Mitarbeit an dem neuen, erweiterten Kabinett Renner.

Erst dadurch wurde die Zuständigkeit der Regierung Renner für ganz Österreich bestätigt, wurde vermieden, dass es in den von den Westmächten besetzten Gebieten zur Bildung

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einer Gegenregierung kam. Erst jetzt erfolgte am 20. Oktober 1945 durch den Alliierten Rat die offizielle Anerkennung der Provisorischen Staatsregierung Renner als Organ für ganz Österreich und nicht nur für den sowjetisch besetzten Ostteil. Erst damit wurde der Staatsregierung das Recht eingeräumt, für ganz Österreich Gesetze zu erlassen.

Also erst mit der Unterstützung der Regierung Renner durch die Bundesländer war die Ungeteiltheit Österreichs sicher und jene Einigkeit aller politischen Kräfte hergestellt, die Grundlage für den tatsächlichen Wiederaufbau Österreichs als gemeinsame Heimat, für das Bemühen um Freiheit und Unabhängigkeit des Landes war. Ohne die Zustimmung der Bundesländer zur Regierung Renner hätte die Geschichte Österreichs nach 1945 einen anderen Verlauf nehmen können, hätte Österreich vielleicht auch das Schicksal einer

jahrzehntelangen Teilung wie Deutschland ereilt. Die Einigkeit der Bundesländer, der großen politischen Parteien und schließlich auch der Sozialpartner brachten die Einheit, den

Wiederaufbau, die Unabhängigkeit und schließlich auch den wirtschaftlichen Aufschwung Österreichs zustande.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese historischen Fakten sollten wir uns jedes Mal in Erinnerung rufen, wenn Prinzipien wie Föderalismus oder Subsidiarität wieder einmal leichtfertig in Zweifel gezogen werden. Wir sollten uns jedes Mal dieses schwierigen

Geburtsjahres der Zweiten Republik entsinnen und als Ländervertreter daraus berechtigtes Selbstbewusstsein schöpfen, wenn wieder einmal die Sinnhaftigkeit der Länderebene, vom Bundesrat über die Landtage, Landesregierungen bis hin zu den Landesverwaltungen, in Frage gestellt wird – egal, ob im Zuge ernsthafter Verfassungsdiskussionen oder im manchmal oberflächlichen Alltag des politischen Schlagabtauschs.

Einigkeit liegt derzeit offenbar nur über den kleinsten gemeinsamen Nenner vor, nämlich dass es keine Fortschreibung des Istzustandes geben kann. Seitens der Landeshauptleute hat es in jüngster Vergangenheit eine Reihe konstruktiver Reformvorschläge gegeben. Ich selbst habe etwa in meiner Rede vor dem Bundesrat angeregt, den Bundesrat mit einem Vetorecht beim Finanzausgleichsgesetz auszustatten oder ihn zum

„Kompetenzfeststellungsorgan“ bei Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern zu machen.

Einer ausführlichen Diskussion zu unterziehen sind meines Erachtens jedenfalls jene Vorschläge, die Bundespräsident Heinz Fischer vor wenigen Wochen anlässlich der Eröffnung des Verfassungstages 2005 gemacht hat, getragen von seinen dreieinhalb

Jahrzehnten Erfahrung im Parlament, in denen er eigenen Aussagen zufolge 68 Antrittreden

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von Vorsitzenden beziehungsweise Präsidenten des Bundesrates erlebt hat, oder, wie er es selbst nannte, „Denkanstößen eines langjährigen Parlamentariers“.

Zweifellos richtig ist seine kritische Analyse, dass bisherige Reformvorschläge zu kurz gegriffen haben, weil sie sich stets auf das Spannungsfeld zwischen Nationalrat und Bundesrat im Sinne kommunizierender Gefäße beschränkt haben, also Machtzuwachs für den einen automatisch Machtverlust für den anderen bedeuten muss. Entscheidend ist jedoch, dass das Spannungs- und Zusammenarbeitsfeld zwischen den Ländern und dem Bund, wobei ich hinzufügen möchte, dass hier auch jene wichtige Einrichtung der dritten politischen Ebene, nämlich die der Gemeinden, nicht zu vergessen ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Diskussion mag noch viele Jahre andauern, auf jeden Fall wird sie weit über unsere heutige Feierstunde hinausreichen. Bewahren wir uns unsere Bereitschaft zum politischen Grundsatzdiskurs, unseren Willen zur

demokratischen Reform! Aber vergessen wir nicht das, was am Anfang gestanden ist, nämlich den Geist der Concordia und damit das Gemeinsame vor das Trennende als politisches Handlungsprinzip zu stellen.

So betonte Staatskanzler Dr. Renner am 4. August 1945 bei der Angelobung von Bürgermeister Theodor Körner:

Über unser aller Tagesarbeit walle die eine Parole: eine Zusammenarbeit zwischen allen Bürgern, zwischen allen demokratischen Parteien, zwischen Gemeinden, Ländern und Staaten, vor allem zwischen der Gemeinde Wien und der Staatsregierung! Dies ist das Zauberwort, das uns das Tor in eine bessere Zukunft öffnen wird. – Zitatende.

Und Alfred Adler, der große Wiener Individualpsychologe, fasste diese politische Einsicht in zwei Sätzen treffend zusammen: „Es gibt keine allgemeine Wahrheit. Aber was ihr am nächsten kommt, ist die Gemeinschaft.“

Bewahren wir uns diese Gemeinschaft, die vor 60 Jahren am Wiederbeginn Österreichs stand! – Ich danke Ihnen. (Allgemeiner Beifall.)

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Das Wa(h)lküren-Quartett spielt den 2. Satz des Streichquartetts g-moll, op. 74/3, Hob. III/74 von Joseph Haydn.

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Präsident des Bundesrates KommRat Peter Mitterer: Ich möchte mich sehr herzlich beim Wa(h)lküren-Quartett für die feierliche Umrahmung unserer Festsitzung bedanken.

(Allgemeiner Beifall.)

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Ansprachen der Vorsitzenden der Bundesratsfraktionen Vorsitzender der Sozialdemokratischen Bundesratsfraktion Bundesrat

Prof. Albrecht Konečny: Herr Bundespräsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut und richtig, an einem Tag wie diesem den Blick 60 oder auch 85 Jahre zurückzurichten – nicht, um detailverliebt Geschichte nachzuzeichnen, sondern um die Richtung des Weges zu bestimmen, den dieses Land, und mit ihm der Bundesrat, zurückgelegt hat. Nur derjenige, der die Richtung kennt, kann diesen Weg auch konsequent und vor allem geradlinig fortsetzen.

Es ist aus heutiger Sicht nicht unbemerkenswert, dass im Jahr 1945 mit der demokratischen Bundesverfassung auch der Bundesrat selbstverständlich wieder eingerichtet wurde, und zwar ohne dass darüber eine öffentliche Debatte stattgefunden hat. Und es mag dabei vielleicht auch – und daran möchte ich auch noch erinnern – die Tatsache eine Rolle gespielt haben, dass es – was den damals Lebenden noch bewusst war – eine kurze Phase gegeben hat – nämlich nach jener so genannten Selbstauflösung des Nationalrates –, in der es der Bundesrat war, der als einzige demokratisch legitimierte Instanz auf der Ebene der

Bundesgesetzgebung versucht hat, einen Beitrag dazu zu leisten, die Demokratie doch noch zu retten, woran er und andere sehr zum Nachteil dieses Landes gescheitert sind.

Dieser Bundesrat hat sich im Jahr 1945 aus Menschen zusammengesetzt, die, aus den schwersten Erfahrungen kommend – heute würden wir sagen, sie alle müssen traumatisiert gewesen sein: die einen, die die politische Verfolgung, das KZ überlebt hatten, und die anderen, die dem Krieg entkommen waren –, alle unter den Bedingungen der Not, der Besetzung, des fortdauernden Elends, der Zerstörung, des Hungers und der Kälte nicht nur ihr eigenes Leben organisieren mussten, sondern auch das unseres Staates.

Es wurde mit Recht darauf hingewiesen, dass das ein Weg war, der eine Erfolgsgeschichte ist. Dieses „Gedankenjahr“, dieses Zurückblicken auf das Jahr 1945, hat sicher bei vielen von uns das Selbstbewusstsein gestärkt, manches in Erinnerung gerufen, was uns zu selbstverständlich erschienen ist, aber auch manches in Erinnerung gerufen, was verloren gegangen ist.

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Herr Landeshauptmann Häupl hat mit Recht und mit Nachdruck darauf verwiesen, dass im Jahr 1945 andere Formen der politischen Begegnung und der politischen

Auseinandersetzung vorherrschten, die nicht darüber hinweggetäuscht haben, dass es zwischen den politischen Kräften dieses Landes massive politische und geistige

Unterschiede gegeben hat, aber die Form der Auseinandersetzung – und damit wohl auch der Respekt, den diese Auseinandersetzung bei den Bürgerinnen und Bürgern fand – war eine andere. Und wenn wir aus diesem Rückblick etwas für die Gegenwart mitnehmen, dann vielleicht auch die Erinnerung an diese Erfolgsgeschichte eines demokratischen Modells, die allerdings nicht bruchlos fortgesetzt werden konnte.

Zweitens. Österreich ist naturgemäß – das steht in der Bundesverfassung, wird von den Menschen auch so gelebt – ein Bundesstaat, in dem starke, selbstbewusste und sich ihrer Identität bewusste Bundesländer konstitutive Elemente sind. Ein föderalistisch organisierter Staat ohne eine entsprechende parlamentarische Ebene ist mit Sicherheit nicht denkbar.

Darüber zu diskutieren, wie diese Ebene zu organisieren ist, ist legitim, aber es muss auch daran erinnert werden, dass die Verfassungsordnung – man verzeihe mir den Vergleich! – ein wenig Ähnlichkeit mit einem Mikado hat: Wer vorschnell an einem der Stäbchen zieht, hat im Fall des Spiels verloren, im Fall der Verfassung mehr zerstört, als er vielleicht erreichen zu können meinte. Es ist ein Gesamtwerk und nichts, aus dem man einzelne Stücke herauslösen und neu modellieren könnte.

Die Tatsache beziehungsweise die Organisation der Gesetzgebung, die Organisation und Zuordnung der Kompetenzen sind konstitutiv dafür, wie eine Länderkammer gestaltet sein muss und welche Rechte ihr zukommen. Wir sollten den Versuch, der unternommen wurde, zu einer solch weitgehenden Neuordnung zu kommen, nicht vorschnell wieder im politischen Archiv landen lassen.

Diese 60 Jahre – und das sage ich ohne Überhebung – waren auch eine Erfolgsgeschichte für den Bundesrat, und zwar nicht deshalb, weil 68 – oder wie viele, Herr Bundespräsident, es auch waren – Bundesratspräsidenten bei ihrer jeweiligen Amtsantrittsansprache, so fürchte ich, das Wort „Aufwertung“ in den Mund genommen haben, das mich wegen der ersten beiden Buchstaben immer an einen Schmerzenslaut des Bundesrates erinnert, sondern deshalb, weil der Bundesrat an dieser Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik in gemessenem Umfang beteiligt war, weil es ihm auch gelungen ist, seine Rechte

auszuweiten und sich als ein wesentliches, wenn auch nicht letztentscheidendes Element unserer Demokratie zu etablieren. Das ist ein Weg, dessen sich niemand, der daran

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mitgewirkt hat, zu schämen braucht, und auf den wir gemeinsam stolz sein können.

(Allgemeiner Beifall.)

Obmann der Bundesratsfraktion der Österreichischen Volkspartei Bundesrat Ludwig Bieringer: Hoch geschätzter Herr Bundespräsident! Herr Präsident des Bundesrates! Herr Vizekanzler! Meine Damen und Herren der Bundesregierung! Herr

Bürgermeister und Landeshauptmann unserer Bundeshauptstadt! Meine Herren Präsidenten und Vorsitzenden außer Dienst des Bundesrates! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Hohes Haus! Wir erleben heute einen denkwürdigen Tag, einen gedenkwürdigen Tag im wahrsten Sinne des Wortes. Vor genau 60 Jahren ist dieser Bundesrat, das föderalistische Element unserer Republik, die wirkliche Klammer der neun österreichischen Bundesländer, als demokratische Einrichtung gemäß der österreichischen Verfassung wieder

zusammengetreten.

An dieser Stelle möchte ich all jenen danken, die das sowie die Gemeinsamkeit und die innere Geschlossenheit des Landes ermöglicht haben. Unser aller Dank sollte aber vor allem jenen Persönlichkeiten gelten, die sich für dieses Österreich engagiert haben, als es noch nicht opportun war, sich zu Österreich zu bekennen. Dank auch jenen, die in den Zeiten der Unterdrückung für das Wiedererstehen unseres Landes gekämpft haben.

Lassen Sie mich dabei einen Mann namentlich erwähnen, der 1945 an der ersten Sitzung des Bundesrates teilgenommen hat und der vorher Unterstaatssekretär unter Staatskanzler Renner in der ersten Provisorischen Staatsregierung war, nämlich Prof. Dr. Karl Lugmayer.

Er war Mitglied des Bundesrates von 1945 bis 1959 und war Stellvertretender Vorsitzender des Bundesrates von 1951 bis 1956 und auch Fraktionsobmann der Österreichischen Volkspartei.

In wenigen Tagen feiern wir Weihnachten, das Weihnachtsfest 2005. Uns geht es gut, wir leben seit 60 Jahren in einem friedlichen Europa, das seit nunmehr 16 Jahren mit dem Ende des Kommunismus in Osteuropa auch die letzten gravierenden Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges überwunden hat.

„Glaubt an dieses Österreich!“, hat der erste österreichische Bundeskanzler, Leopold Figl, am Heiligen Abend 1945 via Radio den Österreichern gesagt. Und dieser Glaube an dieses Österreich, unsere innere Geschlossenheit, unsere improvisationsfreudige Beweglichkeit hat uns erfolgreich werden lassen. – Ja, wir – damals als Kleinkinder –, unsere Eltern und Großeltern haben an dieses Österreich geglaubt, meine Damen und Herren! Es hat sich gelohnt, an dieses Österreich zu glauben.

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Wir konnten dieses Österreich in weiterer Folge auch mitgestalten. Tatsächlich hat sich bereits zu Weihnachten 1945 gezeigt, wie die politische Zukunft Österreichs aussehen soll.

Wenige Tage vor dem Weihnachtsfest 1945 – nämlich heute vor 60 Jahren, am 19. Dezember – hat sich mit dem Zusammentreten des Bundesrates die zweite

gesetzgebende Körperschaft der Republik Österreich konstituiert. Die Grundsäulen des neuen Staates waren somit errichtet, der Weg in ein neues, freies, demokratisches Österreich vorgezeichnet.

Die ersten freien Wahlen zum Nationalrat haben am 25. November 1945 stattgefunden. Die Parlamentsklubs der Parteien – so zum Beispiel der Parlamentsklub der Österreichischen Volkspartei – bildeten sich am 18. Dezember 1945. Der Bundesrat konstituierte sich und fasste seine ersten Beschlüsse. Das politische Leben des Nachkriegsösterreich hat – wenngleich auch durch die Einflussnahme des Alliierten Rates der vier Besatzungsmächte nur eingeschränkt handlungsfähig – zu funktionieren begonnen.

Sicherlich stand in diesen ersten Nachkriegsjahren angesichts der großen Herausforderung der vergangenen Kriegsjahre, durch die großen Zerstörungen und die vielfältig spürbaren Einschränkungen der Wunsch nach Zusammenarbeit und zum Wiederaufbau an vorderster Stelle. Dies hat auch den Parlamentarismus der ersten Nachkriegsjahre geprägt, aber erst nach der Erlangung der völligen Souveränität Österreichs durch den Abschluss des österreichischen Staatsvertrages erlangte auch das Parlament seine volle Souveränität.

Bedingt durch die große Koalition zwischen ÖVP und SPÖ bis zum Jahr 1966 fand das Parlament sehr begrenzte Entwicklungsmöglichkeiten vor. Dies änderte sich durchaus in der Zeit der ÖVP-Alleinregierung von 1966 bis 1970, in der eine sehr starke Opposition die im Jahr 1961 neu geschaffenen beziehungsweise verbesserten parlamentarischen Kontroll- und Minderheitenrechte bereits viel stärker nützte.

Nachdem im November 1969 erstmals die oppositionelle SPÖ auch die Mehrheit im

Bundesrat erhielt, kam es in diesen wenigen Monaten der restlichen Gesetzgebungsperiode zu insgesamt zwölf Einsprüchen des Bundesrates, zu denen neun Beharrungsbeschlüsse im Nationalrat gefasst wurden.

In den folgenden Jahren fand sich die ÖVP auf der Oppositionsbank, was sich – auf den Bundesrat bezogen – vor allem in weiteren Einsprüchen des Bundesrates gegen

Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates zeigte. So konnte die ÖVP-Fraktion im Bundesrat infolge Mandatsgleichstand ab November 1973 bis Ende 1979 Einsprüche beschließen.

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Auch zu Zeiten der kleinen Koalition zwischen SPÖ und FPÖ konnte die ÖVP im Bundesrat ihre seit März 1982 wieder erlangte absolute Mehrheit zu Einsprüchen nützen. Dies wurde auch durch die große Geschäftsordnungsreform des Bundesrates im Jahr 1984 begünstigt.

Zu dieser kam es auf Antrag der Bundesräte Dr. Herbert Schambeck, Hellmuth Schipani und Kollegen; Voraussetzung dafür war die vorher erfolgte Novelle des Bundes-

Verfassungsgesetzes, die unter anderem die Kompetenz des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren durch Schaffung eines Zustimmungsrechtes zu

Gesetzesbeschlüssen, welche eine Einschränkung der Kompetenz der Länder in Gesetzgebung und Vollziehung vorsehen, verstärkte.

Für die ÖVP in ihrer damaligen Oppositionsrolle war naturgemäß die Stärkung der Kontroll- und Minderheitenrechte im Bundesrat, insbesondere durch die Schaffung von

Bestimmungen über die Fragestunde und die Abhaltung von Parlamentarischen Enqueten von großem Interesse. Die ÖVP hat diese Oppositionsrechte auch durchaus genützt – dies allerdings immer unter Wahrung der zwischen den Fraktionen getroffenen Vereinbarungen, mit denen ja die parlamentarische Praxis geschäftsordnungskonform ausgestattet wird. So hat die ÖVP in dieser Zeit sehr wohl immer die im Jahr 1984 von allen im Bundesrat vertretenen und von der SPÖ gewünschten Vereinbarung, nach der unverhältnismäßige Verzögerungen vermieden werden sollten, respektiert und eingehalten.

In den folgenden Jahren der großen Koalition zwischen ÖVP und SPÖ hat sich das Bild naturgemäß wieder kräftig gewandelt, verfügte doch die Regierungsmehrheit auch über eine satte Mehrheit im Bundesrat.

Im Dezember 1987 zog die FPÖ als dritte Kraft in den Bundesrat ein, mit April 2001 kam erstmals auch ein Vertreter der Grünen in die zweite Kammer.

Erst seit Oktober des heurigen Jahres verfügt die Opposition über eine Mehrheit im Bundesrat. Diese Kräfteverschiebung hat die Regierungsarbeit erschwert, und wir von der ÖVP respektieren dies selbstverständlich als Demokraten.

Meine Damen und Herren! Ich bin seit über 20 Jahren Mitglied des Bundesrates. Als von Salzburg gewählter Mandatar habe ich den Bundesrat immer als Länderkammer verstanden, als parlamentarisches Organ, in dem die Interessen der Bundesländer wahrgenommen und verteidigt werden. Im Bundesrat sollte es sich nicht um Parteipolitik handeln, sondern um Politik für die Bundesländer.

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Bei aller Diskussion über den Bundesrat ist zu beachten, dass es in vielen

parlamentarischen Demokratien Zweikammernsysteme gibt; fast alle föderalistisch aufgebauten Staaten verfügen, so wie Österreich, über eine eigene Länderkammer. Die Möglichkeiten der zweiten Kammer reichen dabei von fast totaler Blockade der

Gesetzgebung bis zur eher schwachen Mitwirkung – unser System liegt derzeit in der Mitte.

Im Zuge einer Reform des Bundesrates könnte darüber nachgedacht werden, ob dem Bundesrat künftig auch die Vertretung regionaler Interessen nicht nur im gesamtstaatlichen, sondern auch im europäischen Kontext zukommen könnte.

Der Bundesrat hat, wie ich aufgezeigt habe, in diesen 60 Jahren verschiedenste

Regierungskonstellationen mit sehr verschiedenen Auswirkungen auf seine Arbeit erlebt. Die zweite Kammer hat dabei im Laufe der Jahrzehnte durchaus ein eigenständiges Profil

gegenüber dem Nationalrat entwickelt, hatte gleichzeitig aber auch immer das Wohl des Gesamtstaates unserer Republik Österreich im Auge.

Es lebe die Republik Österreich! (Allgemeiner Beifall.)

Vorsitzender der Grünen Bundesratsfraktion Bundesrat Stefan Schennach: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Festgäste! Meine Damen und Herren! Noch nie gab es Menschen, die einer Generation angehören, die eine so lange Zeitspanne in einer

Friedensperiode lebt hat. Meine Generation hat erstmals eine Periode abseits von Kriegen erlebt. Diejenigen, die die „Gnade der späten Geburt“ haben, haben Dankbarkeit gegenüber der Aufbaugeneration und Respekt gegenüber jenen Männern und Frauen, die am Anfang der Zweiten Republik gestanden sind. Dabei sind die „Trümmerfrauen“ besonders zu

erwähnen. Trotzdem haben die Jungen das Recht, aufzubegehren und ungeduldig zu sein – aufzubegehren gegenüber jenen, die im Zusammenhang mit 1945 von einer „Stunde null“

sprechen, also solch eine Geschichtsbildung haben, und ungeduldig zu sein gegenüber Fehlentwicklungen in der Zweiten Republik und einer Politik, die einen Schritt noch vorne und zwei Schritte zurück macht. Erst Bundeskanzler Franz Vranitzky gestand ein, dass Österreicher während der nationalsozialistischen Herrschaft nicht nur Opfer, sondern auch Täter waren. In dem Zusammenhang sei auch der „Fall Gross“ erwähnt. Der Mythos der

„Stunde null“ hat dazu geführt, dass man sich mit der Entschädigung von Opfern des Nationalsozialismus, von Zwangsarbeitern und der Heimholung derer, die ins Exil gehen mussten, lange Zeit gelassen hat. Die Restitutionszahlungen beginnen erst jetzt.

Das Gedenkjahr 2005 ist ein besonderes Jahr, in dem es einige wesentliche Kapitel gibt, wir mehrerer wichtiger Daten gedenken: Am 27. April 1945 wurde die Unabhängigkeitserklärung

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beschlossen, am 8. Mai dieses Jahres waren es 60 Jahre seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und 1955 wurde der Staatsvertrag unterzeichnet, der Österreich endgültig die Freiheit brachte. Doch sollte man dabei nicht außer Acht, dass es schon in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts zu Ereignissen gekommen ist, die man nicht vergessen sollte.

Ich meine damit die Zeit des Austrofaschismus unter Bundeskanzler Dollfuß, die mit der Ausschaltung des Parlaments begann.

Ich möchte hier auch noch ein Beispiel für die Auseinandersetzung mit der Geschichte anführen. In Waidhofen gab es 1944 ein Bild mit sehr vielen Fahnen – das waren natürlich Hakenkreuzfahnen –, mit Uniformen und Leuten mit zum Hitlergruß ausgesteckten Armen.

Und nach 1945 wollten die Waidhofener dieses Bild ja nicht zerstückeln, nicht zerschneiden, daher hat man rot-weiß-rote Fahnen statt der Hakenkreuze gemalt, hat man Trachten statt Uniformen und winkende Österreicher anstatt Leuten, die ihren Arm zum Hitlergruß erheben, hineingemalt.

Diese Art der Aufarbeitung der Geschichte zeigt auch, wie diese Aufarbeitung all der Jahre, die nun hinter uns liegen, oft eben auch österreichisch passiert ist. Man muss darüber nicht unbedingt richten, aber wir sollten uns heute in der geschichtlichen Aufarbeitung nicht nur dem Jubel hingeben, sondern wir sollten immer und immer wieder sozusagen Gedanken über Dinge, die wir versäumt haben, wachsen lassen, Dinge, angesichts derer wir auch gerne irgendwelchen Mythen unterlegen sind. Im Staatsvertrag ist zum Beispiel festgehalten, dass die Rechte der Minderheiten in Österreich zu schützen sind, doch werden

bedauerlicherweise noch immer in vielen Gemeinden in Kärnten keine zweisprachigen Ortstafeln aufgestellt, obwohl sie schon längst dort stehen sollten.

Meine Damen und Herren! Wir Grüne sind als jüngste Fraktion in den Bundesrat eingezogen. Auch eine Bewegung wie die Grünen, die bezüglich der Institutionen des Staates ihre Geschichte hat, die lernen musste, diese zu akzeptieren, dann aber auch ihre Reformen und Veränderungen in den Parlamentarismus eingebracht hat, hat nun im Bundesrat ihre Rolle gefunden und übernommen. Wir haben eine gewisse Entwicklung durchgemacht und nun zu unserer Rolle in dieser Institution, im Bundesrat gefunden.

Ludwig Bieringer hat heute beklagt, dass es nun eine oppositionelle Mehrheit im Bundesrat gibt. – Das ist, so denke ich, eine sehr interessante Konstellation für den Bundesrat, die auch ein wenig Unterstützung für alle jene Bemühungen zeigt, die wir nun seit Jahren haben in Richtung: Wir müssen den Bundesrat reformieren. Denn wir, die heute Mitglieder des Bundesrates sind, haben ja auch so etwas wie Leidensgefühle – Leidensgefühle in die

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Richtung, dass der Status quo nicht wesentlich zu unserem parlamentarischen Glück beiträgt, sondern dass wir auch ungeduldig sind und sagen: Wir müssen hier endlich eine Reform schaffen! – Ob das jene Reform ist, die uns der Österreich-Konvent vorgezeichnet hat oder jene, welche die Landeshauptleute in verschiedenen Anläufen darstellen, etwa Landeshauptmann Pühringer oder Landeshauptmann Häupl, werden wir sehen, aber der Umstand, dass wir diese Reform benötigen, ist wichtig.

Der Bundesrat in seiner heutigen Konstellation, mit seinen umgekehrten

Mehrheitsverhältnissen, der nun eine Geschäftsordnung dahin gehend mit Leben erfüllt, wie sie tatsächlich geschrieben ist, zeigt vielleicht auch auf, welche parlamentarischen

Möglichkeiten vorhanden sind. Die derzeit im Bundesrat gegebenen Mehrheitsverhältnisse sind eine Chance für die Länderkammer. Und vielleicht ist das auch das Aufwachen eines parlamentarischen Mauerblümchens.

Nichtsdestotrotz ist es das klare Bekenntnis auch der jüngsten Fraktion hier im Haus, auch der Nachgeborenen, zu diesem Föderalismus, zu einem Zweikammernsystem, zu einem gemeinsamen Arbeiten von Bundesländern und Bundesstaat, so, wie wir es uns heute eigentlich gar nicht mehr wegdenken können – genauso wenig, wie wir die Neutralität nicht missen wollen, die mit zu jener Identifikation gehört hat, in die wir, die Jungen, hineingeboren worden sind. – Danke schön. (Allgemeiner Beifall.)

*****

Zum Abschluss trägt das Wa(h)lküren-Quartett die Bundeshymne vor; die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.

*****

Schlussworte des Präsidenten des Bundesrates

Präsident des Bundesrates KommRat Peter Mitterer: Hohes Haus! Ich bedanke mich für die Teilnahme an dieser Festsitzung und danke den Fraktionsvorsitzenden für die

hervorragende Rededisziplin, die es uns jetzt ermöglicht, viel Zeit für Gespräche bei dem Empfang zu haben, der gleich in der Säulenhalle stattfindet. Gemeinsam mit der großen Familie des österreichischen Bundesrates wollen wir über die Vergangenheit, aber viel mehr über die Zukunft Österreichs diskutieren. – Danke schön. (Allgemeiner Beifall.)

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Schluss der Festsitzung: 10.19 Uhr

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