Soziale Kosten des Glücksspiels
IHS - Hermann Kuschej
Präsentation anlässlich der Fachtagung: "Spielsucht und Komorbidität – Wirtschaftliche und therapeutische Aspekte“
Klagenfurt, 7. April 2017.
Inhalt der Präsentation
• Methode, Daten, Quellen
• Definition der sozialen Kosten
• Definition und Quantifizierung der Grundgesamtheit problembehafteter GlückspielerInnen
• Ermittlung der sozialen Kosten im Detail
• Gesamtkosten und Trend
• (Soziale) Kosten- und Ertragsbilanz des Glücks- und Wettspielsektors
Erhebungsansatz und Methode
IHS - Studie schätzt soziale Kosten des Glücksspiels in Österreich für die Jahre 2009 und 2013.
Methode
Die Abschätzung und Hochrechnung der Kosten erfolgte anhand
• bestehender Daten, Quellen und Studien,
• einer Umfrage unter
• Beratungs-/Behandlungsinstitutionen,
• Sozialversicherungsträgern.
Validität der Ergebnisse
• Berechnungen und Schätzungen beruhen auf bestimmten Annahmen.
• Umfrageergebnisse beinhalten Schwankungsbreiten.
• Aufgrund dessen bewegt sich die statistische Zuverlässigkeit der Ergebnisse innerhalb einer Bandbreite.
• Die statistisch plausibelsten Ergebnisse werden ausgewiesen. .3
Daten und Quellen
• Köberl/Prettenthaler (2009): „Kleines Glücksspiel – Großes Leid?
• BASS AG in Bern für die Schweiz (2009):„Soziale Kosten des Glücksspiels in Casinos“.
• Becker (2011):„Soziale Kosten des Glücksspiels in Deutschland“
• Kalke et al. (2011):„Glücksspiel und Spielerschutz in Österreich“.
• IHS - Primärdatenerhebung bei über 110 Institutionen.
Kostenarten
• Intangible Kosten: Kosten, die nicht in Geldwerten gemessen werden können und sich auch nur schwer oder gar nicht in Geldwerte umrechnen lassen. Etwa psychische Belastung Betroffener.
• Tangible Kosten: Kosten, die entweder direkt in
Geldwerten gemessen werden oder sich mit einiger Sicherheit umrechnen lassen. Etwa: Kosten der
Behandlung sowie die Kosten durch verringerte Effizienz am Arbeitsplatz.
Die IHS-Studie schätzt nur die tangiblen Kosten ab.
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Tangible Kosten - Kostenstellen
• Direkte Kosten sind vor allem Kosten, die durch
Behandlung, Betreuung und Verwaltung entstehen.
o Theoretisch können alle anfallenden Kosten dieser Art identifiziert werden (Abrechnungen, Buchhaltung).
• Indirekte Kosten sind hingegen Opportunitätskosten, welche vor allem durch Produktivitätsverluste am
Arbeitsplatz bis hin zum völligen Arbeitsausfall entstehen.
• Diese Kosten müssen vom Arbeitgeber und letztlich der Gesellschaft getragen werden.
• Dafür gibt es keine Kostenstellen in der Buchhaltung.
• Die Ertragsdifferenz zwischen glücksspielsüchtigen und gesunden ArbeitnehmerInnen entspricht etwa diesen indirekten Kosten.
Grundgesamtheit, Berechnungsgrundlage –
Problematische/Pathologische GlücksspielerInnen
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Quellen: Statistik Austria, Kalke et al. (2011), Eurostat, Becker (2011), Berechnungen des IHS.
Pathologische Glücksspieler
Problematische Glücksspieler
Pathologische und
Problematische Glücksspieler Bevölkerung AT männlich 14 bis 65
Bevölkerung AT weiblich 14 bis 65 Bevölkerung AT 14 bis 65
Anteil der auffälligen männl. Spieler in AT 0,9% 0,7% 1,6%
Anteil der auffälligen weibl. Spieler in AT 0,4% 0,1% 0,5%
Anzahl der auffälligen Spieler in AT 38.406 23.638 62.044
Gesamtbevölkerung AT Anzahl arbeitslos in AT Arbeitslosenquote in AT
287.207 7,6%
2.955.071 2.952.482 5.907.553
8.477.230
Direkte Kosten im Detail
Direkte Kosten der Glücksspielsucht sind Kosten, die
unmittelbar aus der Krankheit resultierten und eindeutig Kostenstellen zuordenbar sind, die ohne die Sucht nicht entstanden wären:
• Ambulante Behandlung
• Stationäre Behandlung
• Schuldnerberatung
• Beschaffungskriminalität
• Scheidungen
• Arbeitsmarktservice
Kosten für ambulante Behandlungen
• Beratungs-/Betreuungseinrichtungen auf Landesebene.
• Gesamtaufwand getragen von Bund, Land und/oder Gemeinde.
• Durchschnittskosten je Klienten ca. 480 EUR/Jahr
• Hochgerechnete Gesamtkosten 1,4 Mio. EUR/Jahr (2013).
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Kosten für stationäre Behandlungen
• Rund jede/r 225. pathologische/ Spieler/in in stationärer Behandlung (rund 200 Personen).
• Stationäre Betreuungseinrichtungen auf Landesebene
• Gesamtaufwand getragen von Bund, Land, Gemeinde und/oder SV-Trägern.
• Erhebungen bei Einrichtungen und SV-Trägern.
• Problem der Abgrenzung: Nebendiagnose „Spielsucht“
wird oft nicht erfasst, d.h. höhere Dunkelziffer.
• Behandlungskosten pro Fall: Schnitt ca. 7.000 EUR
• Hochgerechnete Gesamtkosten 1,3 Mio. EUR/Jahr (2013).
Kosten für Schuldnerberatung
• 80% bis 90% der KlientInnen von
Beratungseinrichtungen haben Spielschulden, etwa jede/r sechste nutz Schuldnerberatung.
• Schulden zählen dennoch nicht zu sozialen Kosten, da es sich „nur“ um „Vermögensumverteilung“ handelt.
• Es fallen Kosten für Schuldnerberatung an (Kosten für Schuldeneintreibung lassen sich nicht schätzen).
• Beratungskosten entsprechen in etwa jenen für ambulante Behandlungen.
• Hochgerechnete Beratungskosten betragen rund 314.000 EUR/Jahr (2013).
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Kosten von Beschaffungskriminalität
• 6% bis 17% der KlientInnen von
Beratungseinrichtungen setzen kriminelle Handlungen, um Spielsucht zu finanzieren.
• Abgrenzungsproblem: Spielsucht oft nur ein Nebenmotiv. D.h. Anteil wird überschätzt.
• Kostenstellen: Exekutiv-, Strafverfahrens- und Strafvollzugskosten.
• Hochgerechnete Gesamtkosten betragen rund 12 Mio.
EUR/Jahr (2013) (Etwa 90% davon entfallen auf den Strafvollzug).
Kosten von spielkausalen Scheidungen
• Rund 5% aller pathologischen und
problematischen Spielerkarrieren sind von glücksspielbezogenen Scheidungen betroffen.
• Die durchschnittlichen (Minimal-)Kosten pro
Scheidung können auf rund 1.400 EUR geschätzt werden.
• Kostenstellen: Standesamt, Grundbuch, Rechtsvertretung.
• Hochgerechnete Gesamtkosten betragen rund 2,8 Mio. EUR/Jahr (2013).
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Kosten spielkausaler Arbeitslosigkeit
• 8% aller pathologischen SpielerInnen werden aufgrund des Glücksspiels arbeitslos.
• Verlust des Einkommens oder Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zählen nicht als soziale Kosten – andere Personen erhalten diese
Arbeitsplätze.
• Kostenstelle: Aufwand des AMS für die Betreuung.
• Kosten des AMS je KlientIn betragen rund 1.200 EUR.
• Hochgerechnete Gesamtkosten betragen rund 3,7 Mio. EUR/Jahr (2013).
Indirekte Kosten im Detail
Bei indirekten Kosten handelt es sich nicht um Kosten im herkömmlichen Sinn, sondern um entgangene potenzielle Gewinne infolge der Glücksspielsucht:
• Produktivitätsverlust am Arbeitsplatz.
• Arbeitsausfall durch Entlassungen.
• Arbeitsausfall durch stationäre Aufenthalte.
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Produktivitätsverlust am Arbeitsplatz
• Verringerte Produktivität am Arbeitsplatz durch Zeitaufwand für das Spiel, psychischen Druck, Probleme in Privatsphäre etc.
• Bemessung durch Bruttoinlandsprodukt: Summe der
Bruttowertschöpfung (=Differenz zwischen Output und Input in den Betrieben).
• Differenz steigt mit Produktivität, damit steigen auch Gewinne, Löhne, Steuern und Abgaben.
• Rund 50% der pathologischen GlücksspielerInnen sind erwerbstätig.
• BIP pro erwerbstätiger/em GlücksspielerIn beträgt rund 60.000 EUR.
• Erhebungen ergeben durchschnittlichen Produktivitätsverlust von 5 Arbeitstage/Jahr/SpielerIn.
• Hochgerechnete Gesamtkosten betragen rund 24 Mio.
EUR/Jahr (2013). 16
Arbeitsausfall durch Entlassungen
• Arbeitslosigkeit durch Glücksspielsucht führt zu
vorübergehenden Produktionsausfällen (bis eine Stelle nachbesetzt ist) und somit zu Konsumausfällen (Ware, die nicht produziert ist, kann nicht konsumiert werden.
• Ausfälle von 8% der pathologischen SpielerInnen, die
arbeitslos werden (rund 3.100 Personen), sind in Rechnung zu stellen.
• Annahme: 50% der Ausfälle können kompensiert werden, etwa durch Überstunden der übrigen Belegschaft.
• Auf Grundlage des BIP lassen sich so insgesamt rund 400 Personenjahre/Jahr an Produktionsausfall ermitteln.
• Hochgerechnete Gesamtkosten betragen rund 43 Mio.
EUR/Jahr (2013).
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Arbeitsausfall durch stationäre Aufenthalte
• Produktionsausfälle werden auch durch die rund 200 SpielerInnen verursacht, die stationär behandelt werden müssen.
• Nachdem rund 50% der pathologischen GlücksspielerInnen berufstätig sind ist von 100 SpielerInnen auszugehen, deren stationäre Behandlung zu Produktionsausfällen führt.
• Unter den neuerlichen Annahme, dass 50% der Ausfälle kompensiert werden können, ist von rund zwei
Personenjahren/Jahr an Produktionsausfall auszugehen.
• Hochgerechnete Gesamtkosten betragen rund 120.000 EUR/Jahr (2013).
Soziale Kosten - Schwankungsbreite Überblick (2013)
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• Zuverlässigkeit der Ergebnisse bewegt sich innerhalb einer Bandbreite (zwischen unterem und oberem Grenzwert).
• Die statistisch plausibelsten Schätzungen werden als gültig angenommen.
• Aufgrund von Dunkelziffern werden die sozialen Kosten aber prinzipiell unterschätzt.
Plausible Schätzung Unterer Grenzwert Oberer Grenzwert
Ambulante Behandlung 1.370.082 645.208 1.020.091
Stationäre Behandlung 1.252.772 900.870 2.024.426
Schuldnerberatung 314.090 141.482 282.964
Beschaffungskriminalität 11.818.188 6.657.106 9.564.309
Scheidungen 2.838.594 1.419.297 2.838.594
Arbeitsmarktservice 3.713.415 2.445.420 3.280.441
Summe direkte Kosten 21.307.141 11.251.607 30.479.285
Produktivitätsverlust am Arbeitsplatz 26.465.006 15.879.004 60.022.634
Arbeitsausfall durch Entlassungen 43.450.235 21.725.118 32.587.676
Arbeitsausfall durch stationäre Aufenthalte 119.435 59.718 149.294
Summe indirekte Kosten 70.034.676 25.728.087 124.236.052
Gesamtkosten 91.341.817 36.979.694 154.715.338
Indirekte Kosten Direkte Kosten
Soziale Kosten – Anteile (2013)
• Die Anteile an den sozialen Kosten zeigen die Dominanz der indirekten (graue Segmente) Kosten.
Soziale Kosten (Summe) - Trend
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• Der Trend der sozialen Kosten zeigt eine annähernde Verdoppelung binnen sechs Jahren.
Glücksspiel und Wetten
(Soziale) Kosten- und Ertragsbilanz
Die sozialen Kosten lassen sich den Einnahmen
• der Glücks- u. Wettspielunternehmen (Bruttospielerträge[=Einsätze- Gewinnausschüttungen]) sowie jenen
• der öffentlichen Hand (Abgaben, Gebühren) gegenüberstellen.
Mag. Hermann Kuschej Senior Researcher
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