• Keine Ergebnisse gefunden

– Journal of Reproductive Medicine and Endocrinology –

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "– Journal of Reproductive Medicine and Endocrinology –"

Copied!
10
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Offizielles Organ: AGRBM, BRZ, DVR, DGA, DGGEF, DGRM, D·I·R, EFA, OEGRM, SRBM/DGE

Krause & Pachernegg GmbH, Verlag für Medizin und Wirtschaft, A-3003 Gablitz

Journal für

Reproduktionsmedizin

und Endokrinologie

– Journal of Reproductive Medicine and Endocrinology –

Andrologie Embryologie & Biologie Endokrinologie Ethik & Recht Genetik Gynäkologie Kontrazeption Psychosomatik Reproduktionsmedizin Urologie

Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/Scopus

www.kup.at/repromedizin

Online-Datenbank mit Autoren- und Stichwortsuche

Genetische Heterogenität der angeborenen

Samenleiteraplasie // Genetic Heterogeneity of

Congenital Vas Deferens Aplasia

Kirchhoff C

J. Reproduktionsmed. Endokrinol 2018; 15 (3), 136-142

(2)

BACK TO THE FUTURE

10. DVR-KONGRESS

20.09.-22.09.2023

World Conference Center BONN

Prof. Dr. med. Jean-Pierre Allam PD Dr. rer. nat. Verena Nordhoff Prof. Dr. med. Nicole Sänger

SAVE THE DATE

(3)

136

Genetische Heterogenität

der angeborenen Samenleiteraplasie

C. Kirchhoff

„ Einleitung

Die Samenleiteraplasie ist eine angebo- rene Fehlbildung des männlichen Geni- taltraktes, die zu obstruktiver Azoosper- mie führt, wenn sie beidseitig auftritt.

Etwa 2 % der infertilen Männer sind davon betroffen. Ihnen fehlen die Deri- vate des Wolff’schen Gangs vollständig oder teilweise, vor allem Samenleiter und Samenblasen, oft aber auch Teile des Nebenhodens [1].

Einzig der Nebenhodenkopf, der beim Mann zum größten Teil aus den nicht vom Wolff’schen Gang abzuleitenden Ductu- li efferentes besteht, ist stets vorhanden und vielfach deutlich aufgetrieben. Die betroffenen Männer haben ein signifi- kant verringertes Ejakulatvolumen sowie einen erniedrigten pH-Wert und eine erniedrigte Fruktosekonzentration im Ejakulat. Hormonproduktion und Sper- matogenese sind dagegen in der Regel nicht beeinträchtigt. Deshalb ist die tes-

tikuläre Spermienextraktion (TESE) mit anschließender intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) die übliche Therapieform bei Kinderwunsch; eine operative Rekonstruktion des Genital- trakts ist nicht möglich [1].

Die Pathogenese der angeborenen Sa- menleiteraplasie ist bis heute nur unvoll- ständig verstanden, unter anderem, weil es kaum geeignete Tiermodelle gibt.

Es wird vermutet, dass die Ursache in einer Störung der Elektrolytbalance im Genitaltrakt liegt. Diese Hypothese wird durch den Befund gestützt, dass in vie- len Fällen Mutationen im CFTR- (Cystic fibrosis transmembrane conductance re- gulator-) Gen ursächlich für die Samen- leiteraplasie sind [2–4]. Das autosomale CFTR-Gen (lokalisiert auf Chromosom 7q31.2) kodiert einen Signal-gesteuerten Bicarbonat- und Chlorid-Ionenkanal, der apikal im Epithel „tubulär“ aufgebauter Organe exprimiert wird, darunter der männliche Genitaltrakt. CFTR-Mutatio-

nen sind als molekulare Ursache des Krankheitsbildes der zystischen Fibrose (CF) gut belegt; sie führen zu einer ge- störten Elektrolytbalance in den betrof- fenen Organen, bedingt durch das Fehlen oder eine stark eingeschränkte Funktion des CFTR-Ionenkanals.

Auch die Samenleiteraplasie wird auf den Verlust der CFTR-Funktion zurück- geführt, indem der zunehmend zähflüssi- ge Inhalt des Genitaltrakts zur Obstruk- tion und schließlich zur Degeneration der ableitenden Samenwege führen soll.

Tatsächlich zeigen Männer mit manifes- ter CF fast immer auch ein angeborenes Fehlen der Derivate des Wolff’schen Gangs [1].

Daneben kann eine beidseitige Samen- leiteraplasie auch isoliert, d. h. ohne CF- Symptome, auftreten; als Bezeichnung für diese Störung ist das Akronym CBA- VD („congenital bilateral absence of Vas deferens“) gebräuchlich [1]. Bei Einsatz

Eingegangen: 21. Februar 2018; akzeptiert nach Revision: 25. April 2018 (verantwortlicher Rubrik-Herausgeber: F. Tüttelmann, Münster) Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Christiane Kirchhoff, Caspar-von-Saldern-Weg 3, D-24582 Bordesholm, E-Mail: [email protected]

Mutationen im CFTR-Gen waren lange Zeit die einzige bekannte genetische Ursache für obstruktive Azoospermie aufgrund einer ange- borenen beidseitigen Samenleiteraplasie (CBAVD). Mithilfe von Methoden der Hochdurchsatzsequenzierung wurden jetzt Mutationen im ADGRG2-Gen, das einen G-Protein-gekoppelten Adhäsionsrezeptor kodiert, als weitere Ursache identifiziert. Der Phänotyp gleicht dem durch bestimmte CFTR-Mutationen hervorgerufenen Bild einer isoliert auftretenden, kongenitalen, bilateralen Aplasie der Samenleiter (CBA- VD). Die gezielte Zerstörung von Adgrg2 im Tiermodell führte ebenfalls zu männlicher Infertilität durch Stase der Spermien in den Ductuli ef- ferentes und Flüssigkeitsrückstau in das Rete testis.

Mutationen im ADGRG2-Gen als molekulare Ursache der CBAVD ohne Nierenfehlbildung sollten bei der humangenetischen Beratung von betroffenen Kinderwunschpaaren in Erwägung gezogen werden, zumal sich aus der Lokalisation des Gens auf dem X-Chromosom (CBAVDX, OMIM-Eintrag 300572) im Unterschied zum autosomal gelegenen CFTR abweichende Prognosen ergeben.

Tatsächlich kontrollieren zahlreiche Gene die Elektrolytbalance und Viskosität der luminalen Flüssigkeit und damit den Spermientrans- port in den ableitenden Samenwegen. Möglicherweise kommt es zu einer Interaktion zwischen ADGRG2-Rezeptor und CFTR sowie weiteren Ionenkanälen, eine mögliche Erklärung für die genetische Heterogenität.

Schlüsselwörter: Adhäsions-G-Protein gekoppelter Rezeptor ADGRG2, obstruktive Azoospermie, Ductuli efferentes, Störung der Elektrolytbalance

Genetic Heterogeneity of Congenital Vas Deferens Aplasia. For a long time, CFTR was the only known gene whose mutations lead to ob- structive azoospermia because of aplasia of the vas deferens. Now deep sequencing methods identified an additional molecular cause of congenital bilateral vas deferens aplasia (CBAVD): patients presented with truncating mutations in ADGRG2, a large X chromosomal gene encoding a G-protein coupled adhesion receptor. The phenotype equals that of isolated CBAVD caused by CFTR mutations.

Targeted deletion („knockout“) of the Adgrg2 gene in mice likewise resulted in male infertility caused by obstructive azoospermia. The mutant male mice revealed dysregulation of fluid reabsorbtion and sperm transport, leading to sperm stasis within the efferent ducts and fluid back pressure into the rete testis. Thus, ADGRG2 mutations should be considered during diagnosis and genetic counselling of affected couples seeking infertility treatment by TESE/ISCI. X-chromosomal linkage of ADGRG2 (CBAVDX, OMIM entry 300572; different from the autosomal CFTR) will affect the prognosis.

Interactions between the ADGRG2 receptor and the CFTR and/or other ion channels involved in fluid reabsorption could explain the ge- netic heterogeneity of this phenotype. J Reproduktionsmed Endokrinol_Online 2018; 15 (3): 136–42.

Key words: Adhesion G-protein coupled receptor ADGRG2, obstructive azoospermia, efferent ducts, dysregulation of fluid reabsorption

J Reproduktionsmed Endokrinol_Online 2018; 15 (3)

For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.

(4)

Genetische Heterogenität der angeborenen Samenleiteraplasie einer umfassenden molekularen Analyse-

strategie wird bei etwa 80 % der Patienten mindestens eine Mutation im CFTR-Gen gefunden; das Spektrum der beteiligten Mutationen ist jedoch ein anderes als bei manifester CF [5, 6]. Auch bei kon- genitaler unilateraler Aplasie des Vas deferens (CUAVD) sind CFTR-Mutatio- nen beschrieben worden [7]. Bei einigen dieser Patienten besteht eine ausgeprägte Oligozoospermie. Bei Verdacht auf das Vorliegen einer Samenleiteraplasie wird betroffenen Männern vor einer Kinder- wunschbehandlung heute eine mole- kulargenetische Untersuchung auf das Vorliegen einer der populationsspezifisch häufigsten CFTR-Mutationen angeboten.

Bei Nachweis einer solchen Mutation wird die humangenetische Beratung auf die Partnerin ausgedehnt, um das Erkran- kungsrisiko für eventuelle gemeinsame Nachkommen abzuschätzen [1].

Mutationen im CFTR-Gen waren lange Zeit die einzige bekannte genetische Ursache für obstruktive Azoospermie [1, 8]. Die isoliert auftretende CBAVD wird deshalb oft als Minimalmanifesta- tion oder Abortivform der CF gewertet.

Detaillierte klinische Untersuchungen und genetische Familienstudien zeigten jedoch bereits in der Vergangenheit, dass die Beziehung zwischen CF und CBAVD komplex ist [9]. Etwa 10–20 % der Fälle in der kaukasischen Bevölkerung werden offenbar nicht durch CFTR-Mutationen verursacht [10]. So sind bei Patienten mit begleitenden Nierenanomalien (uni- laterale Aplasie, Fehlbildungen oder Dystopie) fast nie CFTR-Mutationen nachweisbar [11]. Das gleiche gilt an- scheinend für Patienten, bei denen ab- weichend vom üblichen Krankheitsbild die Samenblasen und der distale am- pulläre Teil der Samenleiter ausgebildet sind. Diese Formen der CBAVD wurden deshalb schon früh als eigenständige Er- krankungen angesehen, die andere gene- tische Ursachen haben. Die nachweislich durch CFTR-Mutationen verursachte Samenleiteraplasie wird demgegenüber auch als CF-CBAVD bezeichnet [4].

„ Genom-Sequenzierung zum Aufspüren neuer Mutationen bei isolierter CBAVD

Jetzt bestätigt sich, dass eine solche Ab- grenzung anscheinend nicht nur unter

klinischen Gesichtspunkten ihre Berech- tigung hat, sondern dass die CBAVD tatsächlich eine genetisch heterogene Störung darstellt. Humangenetiker der Universitätskliniken Toulouse und Lille entdeckten mithilfe einer „Whole exome sequencing-“ (WES-) Strategie „trun- kierende“ (= Protein-verkürzende) Mu- tationen im ADGRG2-Gen als weitere molekulare Ursache der CBAVD [12].

Die Grundlage ihrer retrospektiven Un- tersuchung bildete eine große Kohorte aus 379 azoospermen Patienten mit kli- nisch gesicherter, isoliert auftretender CBAVD, die in den letzten 10 Jahren in Toulouse und Lille in andrologischer Behandlung waren. Bei 81 von ihnen (21 %) hatte die vollständige Sequenz- analyse aller 27 Exons keine Hinweise auf Mutationen im CFTR-Gen ergeben;

aus dieser Gruppe wurden schließlich 54 Patienten für die Exom-Sequenzierung ausgewählt [12]. Davon zeigten 28 Män- ner zusätzlich eine Nierenfehlbildung, 26 waren ohne begleitende Nierenano- malien. Bei letzteren bestand kein phä- notypischer Unterschied zu Männern, deren Samenleiteraplasie gesichert auf CFTR-Mutationen zurückgeführt wer- den konnte.

Patat et al. [12] zeigten, dass bei insge- samt 4 der Patienten ohne begleitende Nierenanomalien stattdessen verkürzen-

de Mutationen im ADGRG2-Gen für die Störung verantwortlich sind. ADGRG2 kodiert einen G-Protein-gekoppelten Ad- häsionsrezeptor, der in den Epithelzellen des proximalen Nebenhodenganges ex- primiert wird [13] (Abb. 1) und sich im Tiermodell bereits als bedeutsam für die männliche Fertilität erwiesen hatte [14, 15]. Im Unterschied zum auto somalen CFTR-Gen liegt das beim Menschen etwa 130 Kilobasen und 29 Exons um- fassende ADGRG2-Gen in der nicht- pseudoautosomalen Region des X- Chro- mosoms (Xp22.13) [16].

Muta tionen werden dementsprechend durch die Mutter übertragen und prä- gen sich im (hemizygoten) männlichen Geschlecht aus. Patat et al. [12] konnten den X-Chromosom-gebundenen Erb- gang anhand eines Familienstammbaums bestätigen und beschrieben die durch Mutationen dieses Gens hervorgerufe- ne Störung als CBAVDX („X-linked congenital bilateral aplasia of the Vas deferens“; OMIM-Eintrag 300572). Bei den Betroffenen handelte es sich aus- schließlich um Patienten ohne beglei- tende Nierenanomalien. Wenn also bei CBAVD-Patienten ohne Nierenanomalie keine CFTR-Mutationen gefunden wer- den, kann eine CBAVDX vorliegen. Die weitere Abklärung sollte eine Analyse des ADGRG2-Gens einschließen. Der

Abbildung 1: Lokalisation des ADGRG2-Rezeptors im männlichen Genitaltrakt. A: Schema des proximalen Genitaltrakts mit Lage der Ductuli efferentes. B: Immunoperoxidase-Nachweis von ADGRG2 in den Ductuli efferentes des Mannes mit monospezifischen Antipeptid-Antikörpern gegen ein extrazelluläres Epitop.

C: ADGRG2-Nachweis mit monospezifischen Antipeptid-Antikörpern gegen ein intrazelluläres Epitop. Man beachte die intensive Braunfärbung im adluminalen (apikalen) Bereich der Epithelzellen. Scale bar 20 µm.

D: Schematische Darstellung der unterschiedlichen Zelltypen im Epithel der Ductuli efferentes. E: Immuno- peroxidase-Nachweis von ADGRG2 beim Mann mit besonderer Anreicherung in „Krypten“. F: Laser-kon- fokale Immunfluoreszenz in Perfusions-fixierten Ductuli efferentes der Maus. Adgrg2 (grün) findet sich im apikalen Mikrovillisaum der Prinzipalzellen konzentriert, nicht aber in den alpha-Tubulin-haltigen Kinozilien (rot). Scale bar 5 µm. © C. Kirchhoff

(5)

Genetische Heterogenität der angeborenen Samenleiteraplasie

138

Anteil der Patienten mit CBAVD und ADGRG2-Mutation ist bisher nicht be- kannt, die Analyse größerer Patientense- rien steht noch aus.

Methoden der Hochdurchsatzsequen- zierung haben in nur wenigen Jahren die Humangenetik revolutioniert und zur Entdeckung zahlreicher neuer krank- heitsverursachender Gendefekte geführt [17]. Die WES ist dabei gegenwärtig die am häufigsten angewandte Techno- logie. Sie beschränkt sich auf die etwa 1 % Protein-kodierenden Sequenzen des gesamten menschlichen Genoms, stellt aber trotzdem ein Schrotschuss- Verfahren dar, bei dem pro Experiment zunächst oft mehr als 20.000 Abwei- chungen vom Referenzgenom gefunden werden. Deshalb kommt der richtigen Strategie zur Priorisierung der gefunde- nen Sequenzvarianten und der anschlie- ßenden Interpretation der Daten eine zentrale Bedeutung zu.

Patat et al. wandten die sogenannte Überlappungs-Strategie an [12], eine robuste und stringente Vorgehensweise, die vor allem zum Auffinden seltener dominanter Mutationen hilfreich ist [17]. In einem ersten Schritt wurde die

Anzahl der möglicherweise relevanten Sequenzänderungen auf nicht-synony- me „private Varianten“ reduziert, unter denen in der Regel die verursachenden Mutatio nen zu finden sind. Danach wur- den diejenigen Abweichungen vom Re- ferenzgenom ausgewählt, die „Loss-of- function-“ (LoF-) Mutationen bedingen, und zwar in solchen Genen, für die eine Expression im männlichen Genitaltrakt belegt war. Dazu wurden zunächst Daten des „Humanen Protein Atlas“ zugrunde gelegt. Anhand von Literaturdaten zu Lokalisation, Expression und Funktion wurden anschließend Kandidaten-Gene ausgewählt, die in 3 unabhängigen Ge- nomen überlappten. Dabei wurden alle häufigen Mendel'schen Vererbungsmodi berücksichtigt [12]. ADGRG2 war das einzige überlappende Gen, dessen Ex- pression auf die ableitenden Samenwege des männlichen Genitaltrakts konzen- triert war [13]. Die Strategie identifi- zierte schließlich zunächst 2 hemizygo- te Leseraster-Mutationen, c.2845delT (p.Cys949AlafsTer81) bei einem Pa- tienten und c.2002_2006delinsAGA (p.Leu668ArgfsTer21) bei 2 weiteren Patienten [12] (Abb. 2), die mütterlicher- seits verwandt waren, ein weiteres Indiz für die X-chromosomale Vererbung.

Das Expressionsmuster des ADGRG2- Rezeptors mit seiner auffälligen Konzen- tration im Kopf-Abschnitt des Nebenho- dens [13] sowie der charakteristische Infertilitäts-Phänotyp des Adgrg2-Gen- Knockouts [14] waren demnach wichtige Anhaltspunkte für die Priorisierung von ADGRG2 als Kandidaten-Gen und für die Identifizierung der CBAVDX-verur- sachenden Mutationen [12].

Einer der betroffenen azoospermen Pa- tienten hatte sich in der Vergangenheit einer Kinderwunschbehandlung mittels epididymaler Spermienextraktion un- terzogen, begleitet von einer histologi- schen Untersuchung des Nebenhoden- Kopfes, sodass eine Biopsie vorlag, anhand derer eine immunhistochemische Überprüfung auf Proteinebene möglich war [12]. Als Positiv-Kontrolle für den Protein-Nachweis diente das Gewebe eines Patienten mit nicht-obstruktiver Azoospermie, bei dem sich das erwartete normale ADGRG2-Expressionsmuster im Nebenhoden zeigte. Die Ergebnisse begründeten eine gezielte Sequenzierung des ADGRG2-Gens bei weiteren Patien- ten aus der CBAVD-Kohorte [12]. Dazu wurden alle kodierenden Exons mittels Polymerase-Ketten-Reaktion gezielt am- plifiziert und anschließend sequenziert.

In der Gruppe der Patienten ohne Nie- renbeteiligung wurde dabei eine weitere Protein-verkürzende Mutation entdeckt:

c.1545dupT (p.Glu516Ter).

Abschließend wurden die 3 neu gefunde- nen Mutationen mittels Sanger-Sequen- zierung zusätzlich abgesichert [12]. In der Gruppe der CBAVD-Patienten mit Nierenbeteiligung fand sich dagegen keine Mutation im ADGRG2-Gen. Der pathophysiologische Mechanismus die- ser Störung erscheint somit sowohl vom CFTR- als auch vom ADGRG2-Gen un- abhängig und bleibt aufzuklären.

Insgesamt scheinen LoF-Mutationen des ADGRG2-Gens selten aufzutreten, über- einstimmend mit dem X-Chromosom- gebundenen (hemizygoten) Erbgang der CBAVDX. Die neu beschriebenen Mutationen waren bislang in keiner der öffentlichen Gen-Datenbanken doku- mentiert. Allerdings wurden kürzlich 2 weitere CBAVD-assoziierte ADGRG2- Mutationen innerhalb der chinesischen Bevölkerung beschrieben [18]. Darü- ber hinaus sollen in der taiwanesischen Bevölkerung zusätzlich zu CFTR-

Abbildung 2: ADGRG2-Sequenz und X-chromosomale Lokalisation. Die etwa 1000 Aminosäuren lange Pro- teinkette ist durch Kreise im Einbuchstaben-Code abgebildet, Splice-Varianten sind nicht dargestellt; mögli- che N-Glykosylierungsstellen sind grün unterlegt. Wie alle Mitglieder der aGPCR-Familie hat ADGRG2 einen langen extrazellulären N-Terminus, eine zentrale 7TM-Region (Membran-spannende Helices, durch blaue Ziffern markiert) sowie einen intrazellulären C-Terminus. Die Proteinkette ist in 2 Untereinheiten gespalten (durch schwarze Klammern eingerahmt), als N-terminales Fragment (NTF) und C-terminales Fragment (CTF) bezeichnet; der schwarze Pfeil markiert die Spaltstelle. Die GAIN-Domäne (blauer Kasten) katalysiert die Autoproteolyse. Dabei wird die sogenannte Stachel-Sequenz (roter Kasten) freigelegt. Die Positionen der 3 proteinverkürzenden LoF-Mutationen [12] sind durch rote Sterne hervorgehoben. Sie rufen den gleichen Phänotyp hervor, obwohl die Proteinkette an ganz unterschiedlichen Stellen abbricht. Anscheinend reicht allein der Ausfall der letzten 30 Aminosäuren bereits zum vollständigen Verlust der Rezeptor-Funktion.

© C. Kirchhoff

J Reproduktionsmed Endokrinol_Online 2018; 15 (3)

(6)

Genetische Heterogenität der angeborenen Samenleiteraplasie Mutationen ebenfalls Deletionen im

NHE3/ Slc9a3-Gen, das einen Natrium- Protonen- (Na+/H+-) Austauscher ko- diert, an der Pathogenese der CBAVD beteiligt sein [19]. Es ist deshalb anzu- nehmen, dass Verteilung und Häufigkeit der CBAVD-verursachenden Mutationen populations spezifisch sind. Folglich werden die Ergebnisse abhängig von der jeweiligen ethnischen Zugehörigkeit der Patienten eine unterschiedliche Relevanz für die Praxis haben.

„ ADGRG2 – ein Adhäsions- G-Protein-gekoppelter Rezeptor in Ductuli efferentes und proxima- lem Nebenhoden

Das Produkt des ADGRG2-Gens, in der Vergangenheit auch als HE6 oder GPR64 bezeichnet [16, 20], gehört zu den Ad- häsions-G-Protein-gekoppelten Rezep- toren (aGPCRs), die mit 33 Vertretern beim Menschen die zweitgrößte Rezep- tor-Gruppe innerhalb der GPCR-Familie bilden [15]. Während die Funktionen und Signalübertragungswege der klassischen GPCRs inzwischen gut verstanden sind, ist über die aGPCRs bisher weit weniger bekannt. Wie die klassischen GPCRs sind auch sie große Sieben-Transmem bran- spannende- (7TM-) Proteine mit extra- zellulärem N-Terminus und intrazellu- lärem C-Terminus (Abb. 2). Auffällig ist der lange extrazelluläre Bereich, der bei vielen aGPCRs aus einer variablen Kom- bination funktioneller Domänen besteht [15]. Zudem haben die meisten keine lös- lichen Liganden, sondern binden Matrix- proteine [21] oder nehmen mechanische Reize wahr [22]. Für den ADGRG2- Rezeptor ist bisher gar kein Ligand be- kannt. Er gehört damit weiterhin zu den Orphan- („Waisen“-) Rezeptoren. Der N-terminale Bereich von ADGRG2 zeigt keine signifikante Übereinstimmung mit bekannten Adhäsionsdomänen; zahlrei- che Splice-Varianten sprechen jedoch für einen modularen Aufbau [16]. Es bleibt zu klären, inwieweit dieser Bereich mit der Rezeptorfunktion in Zusammenhang steht.

Ein Alleinstellungsmerkmal der aGPCRs ist die sog. Gain- („GPCR autoproteo- lysis-inducing”-) Domäne mit der GPS („GPCR Proteolysis Site“) als zentrale Spaltstelle (Abb. 2). Hier wird die Pro- teinkette in 2 membrangebundene Un-

tereinheiten gespalten, ein N-terminales Fragment (NTF) und ein C-terminales Fragment (CTF) (Abb. 2), die sowohl zusammen als auch einzeln funktionell sein können [15]. Die hohe Konservie- rung der GAIN/GPS-Domäne innerhalb der aGPCRs spricht dafür, dass sie ein essentieller Bestandteil der Rezeptoren ist. In der GAIN/GPS-Domäne liegt bei vielen aGPCRs außerdem die sog.

Stachel-Sequenz verborgen, die nach der endoproteolytischen Spaltung freigelegt wird und nach einer bisher umstrittenen Hypothese als Molekül-interner „ange- bundener“ Ligand fungiert. Die Spaltung des „reifen“ ADGRG2-Proteins in 2 membranständige Untereinheiten wurde mittels Western-blot-Verfahren bereits nachgewiesen [16]; die Rolle des „Sta- chels“ wird derzeit untersucht [23].

ADGRG2 wurde nach seiner Entde- ckung vor über 20 Jahren aufgrund seines charakteristischen Expressions- musters im Nebenhoden zunächst als HE6-Protein (= Human Epididymis 6) beschrieben [20]. Das kodierende Gen wurde auf dem X-Chromosom lokalisiert [16]. Vergleichende Untersuchungen auf mRNA-Ebene ergaben, dass es sich um ein evolutiv hoch konserviertes Genpro- dukt handelt, das bei allen untersuchten Säugetieren spezifisch im Kopfabschnitt des Nebenhodens auftritt. Die zentra- le 7TM-Region ist Kennzeichen der GPCRs; später wurde HE6 deshalb in GPR64 (G-Protein gekoppelter Rezeptor 64) umbenannt. Ungewöhnlich für einen GPCR erschien von Anfang an jedoch das hohe Expressionsniveau (etwa 0,1 % der mRNA im Nebenhoden [20]), das eher an ein Strukturprotein erinnerte.

Auffällig war auch seine Regionen-spe- zifische Verteilung mit Konzentration auf den proximalen Nebenhoden. Immunfär- bungen zeigen, dass das Protein in den Epithelzellen von Ductuli efferentes und proximalen Nebenhodengang kon- zentriert ist (Abb. 1) [13]. Hier werden 90 % der aus dem Hoden stammenden Flüssigkeit resorbiert; zahlreiche Ionen- kanäle und Transporter sind an der Konzentrierung und Modifikation der luminalen Flüssigkeit beteiligt, darunter auch CFTR [24]. Laser-konfokale Stu- dien an Perfusions-fixierten Organen der Maus belegten schließlich ein Auftreten beider ADGRG2-Untereinheiten in den apikalen Mikrovilli und Stereozilien der Prinzipalzellen, nicht jedoch in den Ki- nozilien der Zilien-tragenden Zellen der

Ductuli efferentes (Abb. 1) [13]. Struktu- relle Merkmale wie der lange N- termi- nale Bereich und die Spaltung innerhalb der GAIN-Domäne führten dazu, dass der Rezeptor schließlich als aGPCR klassifiziert und in ADGRG2 umbenannt wurde [15]. Datenbank einträge belegen, dass sich die Expression von ADGRG2 nicht auf den männlichen Genitaltrakt be- schränkt; geringe Mengen des Rezeptors werden auch in vielen anderen Organen gefunden [15]. Es ist aber bisher nicht bekannt, ob der ADGRG2-Rezeptor außerhalb des männlichen Genitaltrakts eine funktionelle Bedeutung hat (siehe unten). In letzter Zeit mehren sich aller- dings Hinweise auf eine Überexpression von ADGRG2 in bestimmten Tumoren des Menschen [25, 26].

„ Die Rolle des Adgr2- Rezeptors im Tiermodell

Das auffällige und innerhalb der Säuger hoch konservierte Expressionsmuster von HE6/GPR64/ADGRG2 [13, 16, 20]

führte schon früh zu der Vermutung, dass der Rezeptor für die männliche Fertilität bedeutsam sein könnte. Gleichzeitig stellen GPCRs eine wichtige Klasse von Wirkstoffzielen dar; über 30 % der verschriebenen Medikamente zielen auf diese Rezeptor-Klasse. (Neben den GPCRs sind allerdings auch Ionenkanäle wichtige Angriffspunkte von Medika- menten.) Die Identifizierung von HE6 als neuartiger GPCR des proximalen männlichen Genitaltrakts nährte deshalb die Hoffnung, mithilfe eines geeigneten Antagonisten pharmakologisch in die Funktionen des Nebenhodens eingreifen zu können. Dazu war es jedoch zunächst notwendig, seine physiologische Be- deutung aufzuklären. Da natürlich vor- kommende Mutationen zu der Zeit nicht bekannt waren, lag es nahe, die Funktion durch eine gezielte Mutation im Tiermo- dell zu untersuchen, respektive anhand einer Adgrg2-Knockout-Maus [14]. Das

„Nebenhoden-spezifische“ Expressions- muster ließ zudem hoffen, dass die klas- sische Strategie eines konventionellen Gen-Knockouts zur Klärung der Funk- tion ausreichen und zu einem Phänotyp führen würde, der sich ausschließlich oder überwiegend im männlichen Geni- taltrakt ausprägt. Wäre ein funktionsfä- higer Adgrg2-Rezeptor dagegen für zen- trale Organe oder sogar für den gesamten Organismus unverzichtbar, hätte dieser Ansatz ein frühzeitiges Absterben wäh-

(7)

Genetische Heterogenität der angeborenen Samenleiteraplasie

140

rend der Embryonalentwicklung oder zumindest einen gravierenden Phänotyp in beiden Geschlechtern zur Folge.

Auf der Grundlage der hohen evolutio- nären Konservierung und in Kenntnis der Lokalisation auf dem X-Chromosom wurden Konstrukte für einen konven- tionellen Adgrg2-Knockout hergestellt [14].

Mittels homologer Rekombination wurde derjenige Genabschnitt zerstört, der das CTF inklusive der gesamten 7TM-Region von Adgrg2 kodiert (vgl.

auch Abb. 2), um die vermutete Signal- übertragungsfunktion auszuschalten.

Die Folge war ein vollständiger Verlust beider Untereinheiten auf der Protein- ebene [14]. Tatsächlich verursachte der konventionelle Knockout aber weder embryonale Letalität noch einen beide Geschlechter betreffenden gravierenden Phänotyp, ein Zeichen dafür, dass die Strategie aufgegangen war. Wie auf- grund des Expressionsmusters vermutet, beschränkte sich der Phänotyp auf den männlichen Genitaltrakt. Die hemizygo- ten Adgrg2-Knockout-Männchen zeig- ten eine deutlich verminderte Fertilität, die mit steigendem Alter immer weiter abnahm. Die große Masse der Spermien wurde in den Ductuli efferentes zurück- gehalten und gelangte nicht in die weiter distal gelegenen Regionen des Nebenho- dens, obwohl der Genitaltrakt in gesam- ter Länge vorhanden war. Die wenigen in den Samenleitern auffindbaren Spermien waren zudem missgebildet. Die weibli- chen Tiere desselben Wurfs waren in ih- rer Fertilität dagegen nicht vom Wildtyp zu unterscheiden [14].

Der Adgrg2-Knockout-Phänotyp in der Maus entsprach somit dem einer obs- truktiven Azoospermie [14]. Anschei- nend führt der Verlust des Rezeptors zu einer ungeregelten Resorption der lumi- nalen Flüssigkeit und zu einer erhöhten Spermienkonzentration in den Ductuli efferentes; der zunehmend zähflüssige Inhalt verursacht schließlich eine Ob- struktion der ableitenden Samenwege.

Auf der Grundlage dieser Ergebnisse wurde HE6/GPR64/ADGRG2 zeitweise als mögliches Zielprotein für die post- testikuläre männliche Kontrazeption angesehen [27]. Allerdings zeigten die Adgrg2-Knockout-Männchen eine mas- sive Verklumpung der Spermien in den Ductuli efferentes sowie ein stark gewei-

tetes Rete testis mit Flüssigkeitsrückstau in die Hoden, oft verbunden mit einer Atrophie der Samenkanälchen. Diese Beobachtungen nährten schon bald den Verdacht, dass ein pharmakologischer Eingriff in die ADGRG2-Funktion irre- versibel und nicht auf den post-testikulä- ren Bereich des Genitaltrakts beschränkt sein könnte. Spezies-Unterschiede in- nerhalb der Eutheria, sowohl die Ana- tomie des Nebenhodenkopfs als auch das Expressionsmuster verschiedener Ionenkanäle entlang des männlichen Genitaltrakts betreffend, machen es allerdings schwierig, die Ergebnisse di- rekt auf den Menschen zu übertragen.

Ähnliches gilt übrigens für die meisten Cftr-Knockout-Modelle in der Maus.

Diese haben in der Regel einen anato- misch normal ausgebildeten männlichen Genitaltrakt und sind darüber hinaus auch fertil, vermutlich aufgrund der Expression eines alternativen Chlorid- Ionenkanals im männlichen Genitaltrakt, der die Funk tion des Cftr-Ionenkanals übernimmt [28]. Im Unterschied dazu waren die Adgrg2-Knockout-Männchen immerhin infertil [14] und reflektieren so ein zen trales Charakteristikum der CBAVD beim Mann. Welche Relevanz das Mausmodell darüber hinaus für das Verständnis der molekularen Pathogene- se der CBAVDX hat, bleibt zu klären.

„ „Zusammenspiel“ von ADGRG2 mit Ionen- kanälen und Gerüst- proteinen in Interaktions- Netzwerken – ein Ausblick

Der Einsatz von Methoden der Hoch- durchsatzsequenzierung hat das lange vermutete Phänomen der genetischen Heterogenität klinisch identischer Krankheitsbilder bestätigt, jetzt auch für die CBAVD.

Die genetische (Lokus-) Heterogenität äußert sich dadurch, dass der Funktions- verlust genetisch nicht gekoppelter Proteine, in diesem Fall von CFTR, ADGRG2 und möglicherweise auch NHE3/ SLC9A3, den gleichen klinischen Phänotyp hervorrufen kann [12, 18, 19]. Dabei sind möglicherweise nicht die Struktur und Aktivität der einzel- nen Proteine ausschlaggebend, sondern die Art und Weise, wie diese funktio- nell miteinan der verknüpft sind. CFTR, ADGRG2 und NHE3/SLC9A3 sind

möglicherweise Bestandteile eines Zell- typ-spezifischen Protein-Interaktions- Netzwerks im proximalen männlichen Genitaltrakt. Tatsächlich werden alle 3 Proteine in den Mikrovilli und Stereozi- lien der apikalen Membrandomäne der humanen Prinzipalzellen gefunden [13, 24, 29]. Dort sind sie mit Komponenten des Zytoskeletts und mit Gerüstprote- inen verbunden und stehen so in einem engen räumlichen und funktionellen Zusammenhang. Als aGPCR könnte ADGRG2 im Zentrum eines solchen Netzwerks stehen. aGPCRs beeinflussen die Organisation des apikalen Zytoske- letts, den cyclo-AMP-Spiegel und die

„Rekrutierung“ von Gerüstproteinen mit sog. PDZ-Domänen [15]. (Das Akronym

„PDZ“ setzt sich zusammen aus den An- fangsbuchstaben der ersten 3 Proteine, in denen diese Domäne beschrieben wurde: das Post-synaptische Density- Protein 95, das Septate junction-Protein Discs large aus Drosophila melanogaster und das Tight junction-Protein Zonula occludens-1.) Es handelt sich dabei um modular aufgebaute Interaktionsdomä- nen, die sequenzspezifisch an kurze Pep- tide innerhalb anderer Proteine binden.

Wichtige PDZ-Gerüstproteine in den Epithelien des männlichen Genitaltrakts sind die Na+/H+-Exchanger Regulator Faktoren (NHERFs). CFTR ist über Mit- glieder der NHERF-Familie in ein kom- plexes Netzwerk aus Rezeptoren, Trans- portern und Ionenkanälen eingebunden [24]. ADGRG2 könnte also direkt oder indirekt über die NHERF-Proteine die Aktivität des cyclo-AMP-abhängigen CFTR-Kanals sowie weiterer Ionenka- näle steuern (Abb. 3) [12, 30].

Entlang der Ductuli efferentes und des Nebenhodens entsteht durch aktive inter- und transzelluläre Transportprozesse ein zeitlich und regional sich stetig wandeln- des luminales Milieu, das für die funk- tionelle Reifung, den Transport und die Speicherung der Spermien notwendig ist. Die beteiligten Epithelien mit ihren spezifischen apikalen Differenzierungen und Zellverbindungen entwickeln sich während der Ontogenese. Infolge dessen sind zu unterschiedlichen Zeiten in den verschiedenen Zelltypen und Regionen des männlichen Genitaltrakts eine Viel- zahl von Protein-Interaktions-Netzwer- ken an der Integration dieser Prozesse beteiligt [24]. Die Ergebnisse basieren noch weitgehend auf Untersuchungen in Tiermodellen und/oder Zellkulturen.

J Reproduktionsmed Endokrinol_Online 2018; 15 (3)

(8)

Genetische Heterogenität der angeborenen Samenleiteraplasie

Die neuen Erkenntnisse aus der human- genetischen Forschung tragen jetzt dazu bei, die Komponenten dieser Netzwerke auch beim Menschen zu identifizieren.

Vor dem Hintergrund der rasanten Ent- wicklung der Sequenzierungsmethoden der „nächsten Generation“ ist die Ent- deckung von ADGRG2 als ein wich- tiger „Mitspieler“ womöglich erst der Anfang eines Prozesses, der ausgehend von den einzelnen Bausteinen langfristig zu einem vollständigen Verständnis der molekularen Prozesse im männlichen Genitaltrakt führen könnte. Neben der

grundlagenwissenschaftlichen Bedeu- tung haben die neuen Befunde aber möglicherweise auch Konsequenzen für die Familienplanung von Kinderwunsch- paaren und sollten bei der Beratung von CBAVD-Patienten bedacht werden.

Es bleibt zu wünschen, dass für Patienten mit isolierter CBAVD ohne Nierenbetei- ligung in Zukunft auch Tests zur Identi- fizierung von ADGRG2-Mutationen zur Verfügung stehen. Immerhin stellt die richtige Diagnose für betroffene Fami lien eine wichtige Entscheidungshilfe dar.

„ Interessenkonflikt

Die Autorin gibt an, dass kein Interessen- konflikt besteht.

Literatur:

1. Behre HM, Nieschlag E, Weidner W, Wieacker P. Dis- eases of the seminal ducts. In: Nieschlag E, Behre HM, Nieschlag S (eds). Andrology – Male Reproductive Health and Dysfunction. 3. Aufl., Springer-Verlag, Heidelberg, Dordrecht, London, New York, 2010; 263–78.

2. Lissens W, Mercier B, Tournaye H, Bonduelle M, Férec C, et al. Cystic fibrosis and infertility caused by congenital bilateral absence of the vas deferens and related clinical entities. Hum Reprod 1996; (Suppl 4): 55–78.

3. Yu J, Chen Z, Ni Y, Li Z. CFTR mutations in men with con- genital bilateral absence of the vas deferens (CBAVD): a systemic review and meta-analysis. Hum Reprod 2012; 27:

25–35.

4. de Souza DAS, Faucz FR, Pereira-Ferrari L, Sotomaior VS, Raskin S. Congenital bilateral absence of the vas deferens as an atypical form of cystic fibrosis: reproduc- tive implications and genetic counseling. Andrology 2018;

6: 127–35.

5. Chillón M Casals T, Mercier B, Bassas L, Lissens W, Silber S, et al. Mutations in the cystic fibrosis gene in pa- tients with congenital absence of the vas deferens. N Engl J Med 1995; 332: 1475–80.

6. Cutting GR. Cystic fibrosis genetics: from molecular un- derstanding to clinical application. Nat Rev Genet 2015;

16: 45–56.

7. Stuhrmann M, Dörk T. CFTR gene mutations and male infertility. Andrologia 2000; 32: 71–83.

8. Kleinle S, Koehler U, González Fassrainer D, Holinski- Feder E. Genetische Untersuchungen in der Reproduk- tionsmedizin. J Reproduktionsmed Endokrinol 2015; 12:

57–64.

9. Dohle GR, Veeze HJ, Overbeek SE, van den Ouweland AM, Halley DJ, et al. The complex relationships between cystic fibrosis and congenital bilateral absence of the vas deferens: clinical, electrophysiological and genetic data.

Hum Reprod 1999; 14: 371–4.

10. Jarvi K, McCallum S, Zielenski J, Durie P, Tullis E, et al.

Heterogeneity of reproductive tract abnormalities in men with absence of the vas deferens: role of cystic fibrosis transmembrane conductance regulator gene mutations.

Fertil Steril 1998; 70: 724–8.

11. McCallum T, Milunsky J, Munarriz R, Carson R, Sadeghi-Nejad H, Oates R. Unilateral renal agenesis as- sociated with congenital bilateral absence of the vas deferens: phenotypic findings and genetic considerations.

Hum Reprod 2001; 16: 282–8.

12. Patat O, Pagin A, Siegfried A, Mitchell V, Chassaing N, et al. Truncating Mutations in the Adhesion G Protein- Coupled Receptor G2 Gene ADGRG2 Cause an X-Linked Congenital Bilateral Absence of Vas Deferens. Am J Hum Genet 2016; 99: 437–42.

13. Kirchhoff C, Osterhoff C, Samalecos A. HE6/GPR64 ad- hesion receptor co-localizes with apical and subapical F-actin scaffold in male excurrent duct epithelia. Repro- duction 2008;136: 235–45.

14. Davies B, Baumann C, Kirchhoff C, Ivell I, Nubbemeyer R, et al. Targeted Deletion of the Epididymal Receptor HE6 Results in Fluid Dysregulation and Male Infertility. Mol Cell Biol 2004; 24: 8642–8.

15. Hamann J, Aust G, Araç D, Engel FB, Formstone C, et al. International Union of Basic and Clinical Pharma- cology. XCIV. Adhesion G protein-coupled receptors.

Pharmacol Rev 2015; 67: 338–67.

16. Obermann H, Samalecos A, Osterhoff C, Schröder B, Heller R, Kirchhoff C. HE6, a two-subunit heptahelical re- ceptor associated with apical membranes of efferent and epididymal duct epithelia. Mol Reprod Dev 2003; 64: 13–26.

Abbildung 3: Hypothetische funktionelle Verknüpfung von ADGRG2-Rezeptor und CFTR-Ionenkanal in den Epithelzellen der Ductuli efferentes. Eine Assoziation von ADGRG2-intrazellulären Loops mit heterotrimeren G-Proteinen induziert Signale, die durch die cyclo-AMP- (cAMP-) abhängige Proteinkinase A weitergeleitet werden und direkt zur Aktivierung und Öffnung des CFTR-Ionenkanals führen könnten. ADGRG2 zeigt eine promiske bzw. Zelltyp-abhängige G-Protein-Kopplung [23]; hier ist die Kopplung an G-Alpha s dargestellt (gelb: alpha-Untereinheit; grün: βγ-Unterheiten). Na+/H+-Exchanger-Regulator-Faktoren (NHERFs) könnten über ihre PDZ-Domänen sowohl ADGRG2 als auch CFTR binden. Sie binden außerdem an Ezrin und könnten so eine Verbindung zum Aktin-Zytoskelett herstellen (siehe auch [13]). © C. Kirchhoff

„ Relevanz für die Praxis

– Die angeborene beidseitige Samenleiteraplasie wird in den meisten Fällen durch Mutationen im CFTR-Gen verursacht (CF-CBAVD).

– Kürzlich wurde jedoch das auf dem X-Chromosom lokalisierte ADGRG2 als ein weiteres CBAVD-assoziiertes Gen identifiziert. Es kodiert einen Adhä- sions-GPCR des Nebenhodenkopfs.

– Die durch verkürzende Mutationen im ADGRG2-Gen verursachte Samenlei- teraplasie, auch als CBAVDX bezeichnet, gleicht phänotypisch der CF-CBA- VD. Ob zusätzlich andere Organe betroffen sein können, ist bisher unbekannt.

– Die unterschiedlichen Erbgänge und Häufigkeitsverteilungen von CF-CBAVD und CBAVDX sollten bei der humangenetischen Beratung und Familienanam- nese berücksichtigt werden, wobei die ethnische Herkunft der betroffenen Kinderwunschpaare von Bedeutung sein könnte.

(9)

Genetische Heterogenität der angeborenen Samenleiteraplasie

142

17. Neveling K, Hoischen A. Exom-Sequenzierung zur Identifizierung von Krankheitsgenen. Med Gen 2012; 24:

4–11.

18. Yang B, Wang J, Zhang W, Pan H, Li T, et al. Patho- genic role of ADGRG2 in CBAVD patients replicated in Chinese population. Andrology 2017; 5: 954–7.

19. Wang YY, Lin YH, Wu YN, Chen YL, Lin YC, et al. Loss of SLC9A3 decreases CFTR protein and causes obstructed azoospermia in mice. PLoS Genet 2017; 13: e1006715.

20. Osterhoff C, Ivell R, Kirchhoff C. Cloning of a human epididymis-specific mRNA, HE6, encoding a novel mem- ber of the seven transmembrane-domain receptor super- family. DNA Cell Biol 1997; 16: 379–89.

21. Mehta P, Piao X. Adhesion G-protein coupled recep- tors and extracellular matrix proteins: Roles in myelination and glial cell development. Dev Dyn 2017; 246: 275–84.

22. Scholz N, Guan C, Nieberler M, Grotemeyer A, Maiel- laro I, et al. Mechano-dependent signaling by Latrophilin/

CIRL quenches cAMP in proprioceptive neurons. eLife 2017; 6:e28360.

23. Demberg LM, Winkler J, Wilde C, Simon KU, Schön J, et al. Activation of Adhesion G Protein-coupled Re- ceptors: Agonist specificity of satchel sequence-derived peptides. J Biol Chem 2017; 292: 4383–94.

24. Breton S, Ruan YC, Park YJ, Kim B. Regulation of epi- thelial function, differentiation, and remodeling in the epididymis. Asian J Androl 2016; 18: 3–9.

25. Richter GH, Fasan A, Hauer K, Grunewald TG, Berns C, et al. G-Protein coupled receptor 64 promotes invasive- ness and metastasis in Ewing sarcomas through PGF and MMP1. J Pathol 2013; 230: 70–81.

26. Balenga N, Azimzadeh P, Hogue JA, Staats PN, Shi Y, et al. Adhesion GPCR GPR64/ADGRG2 Is Overexpressed in

Parathyroid Tumors and Attenuates Calcium-Sensing Receptor-Mediated Signaling. J Bone Miner Res 2017; 32:

654–66.

27. Gottwald U, Davies B, Fritsch M, Habenicht UF. New approaches for male fertility control: HE6 as an example of a putative target. Mol Cell Endocrinol 2006; 250: 49–57.

28. Guilbault C, Saeed Z, Downey GP, Radzioch D. Cystic Fibrosis Mouse Models. Am J Respir Cell Mol Biol 2007;

36: 1–7.

29. Kujala M, Hihnala S, Tienari J, Kaunisto K, Hästbacka J, et al. Expression of ion transport-associated proteins in human efferent and epididymal ducts. Reproduction 2007;

133: 775–84.

30. Zhang DL, Sun YJ, Ma ML, Wang YJ, Lin H, et al. Gq activity- and β-arrestin-1 scaffolding-mediated ADGRG2/

CFTR coupling are required for male fertility. Elife 2018;

eLife.33432.

J Reproduktionsmed Endokrinol_Online 2018; 15 (3)

(10)

Haftungsausschluss

Die in unseren Webseiten publizierten Informationen richten sich ausschließlich an geprüfte und autorisierte medizinische Berufsgruppen und entbinden nicht von der ärztlichen Sorg- faltspflicht sowie von einer ausführlichen Patientenaufklärung über therapeutische Optionen und deren Wirkungen bzw. Nebenwirkungen. Die entsprechenden Angaben werden von den Autoren mit der größten Sorgfalt recherchiert und zusammengestellt. Die angegebenen Do- sierungen sind im Einzelfall anhand der Fachinformationen zu überprüfen. Weder die Autoren, noch die tragenden Gesellschaften noch der Verlag übernehmen irgendwelche Haftungsan- sprüche.

Bitte beachten Sie auch diese Seiten:

Impressum Disclaimers & Copyright Datenschutzerklärung

Mitteilungen aus der Redaktion

e-Journal-Abo

Beziehen Sie die elektronischen Ausgaben dieser Zeitschrift hier.

Die Lieferung umfasst 4–5 Ausgaben pro Jahr zzgl. allfälliger Sonderhefte.

Unsere e-Journale stehen als PDF-Datei zur Verfügung und sind auf den meisten der markt- üblichen e-Book-Readern, Tablets sowie auf iPad funktionsfähig.

  Bestellung e-Journal-Abo

Haftungsausschluss

Die in unseren Webseiten publizierten Informationen richten sich ausschließlich an geprüfte und autorisierte medizinische Berufsgruppen und entbinden nicht von der ärztlichen Sorg- faltspflicht sowie von einer ausführlichen Patientenaufklärung über therapeutische Optionen und deren Wirkungen bzw. Nebenwirkungen. Die entsprechenden Angaben werden von den Autoren mit der größten Sorgfalt recherchiert und zusammengestellt. Die angegebenen Do- sierungen sind im Einzelfall anhand der Fachinformationen zu überprüfen. Weder die Autoren, noch die tragenden Gesellschaften noch der Verlag übernehmen irgendwelche Haftungs- ansprüche.

Bitte beachten Sie auch diese Seiten:

Impressum Disclaimers & Copyright Datenschutzerklärung

Mitteilungen aus der Redaktion

e-Journal-Abo

Beziehen Sie die elektronischen Ausgaben dieser Zeitschrift hier.

Die Lieferung umfasst 4–5 Ausgaben pro Jahr zzgl. allfälliger Sonderhefte.

Unsere e-Journale stehen als PDF-Datei zur Verfügung und sind auf den meisten der markt- üblichen e-Book-Readern, Tablets sowie auf iPad funktionsfähig.

  Bestellung e-Journal-Abo

Besuchen Sie unsere Rubrik

 Medizintechnik-Produkte

InControl 1050 Labotect GmbH Aspirator 3

Labotect GmbH

Philips Azurion:

Innovative Bildgebungslösung Neues CRT-D Implantat

Intica 7 HF-T QP von Biotronik

Artis pheno

Siemens Healthcare Diagnostics GmbH

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Während Erstgespräche bei Kinderwunschpaaren, die sich für eine Spendersamenbehand- lung interessierten, fast uneingeschränkt angeboten wurden, wurden die Therapie- formen IVF

Hinzu kam, dass durch die Ausrufung des Katastro- phenfalls im Bundesland Bayern auch eine Ausgangssperre in greifbarer Nähe war und begonnene Behandlungen nicht mehr

Ziel ist es nun, dass elektive Operationen so durchgeführt werden können, dass es weder beim Personal der Versorgungs- strukturen noch bei den Patientinnen zu einer

It was thus recommended that, before approval of Australian citizenship for offspring of international surrogacy, there should be required documentary evidence of best

D·I·R Statistics in Brief – Fresh Cycles 2019 (CoD Jun 2nd 2020) German IVF Registry – Prospective and Retrospective Data.. *) Out of 1,856 cycles with freeze-all MII oocytes,

Mit Blick auf ihre Klientel sind 86 % der reproduktionsmedizinischen Fachkräfte der Meinung, dass die psychosoziale Kinderwunschberatung grundsätzlich nicht als

Methods: Two one-week intensive training courses on gynecological endo- crinology and reproductive medicine (lectures and hands on training) were given 2011 and 2012 at the

Veränderungen der Knochendichte bei heranwachsenden Frauen (12–18 Jahre) Depo-Clinovir ® (Fachinformation, Stand 02/2010): „Eine offene, nicht-ran- domisierte klinische Studie mit