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61. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

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p h. h. Erscheinungsort Wien. Verlagspostamt Wien 40

Stenographisches Protokoll

61. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

x. Gesetzgebungsperlode

Tagesordnung Bundesfinanzgesetz für das Jahr 1965

Spezialdebatte

Gruppe III: Äußeres

Inhalt Personalien

Entschuldigungen (S. 3217) Bundesregierung

Zuschrift des Bundeskanzlers Dr. Kl a u s:

Betrauung des Bundesministers für Aus­

wärtige Angelegenheiten Dr. Kr e i sky mit der zeitweiligen Vertretung des Vizekanzlers Dr. P i t t e r m a n n (S. 3217)

Ausschüsse

Zuweisung des Antrages 126 (S. 3217)

Freitag, 27. November 1964

Immunitätsangelegenheit

Auslieferungsbegehren gegen den Abgeordneten Populorum - Immunitätsausschuß (S. 3217) Verhandlungen

Bericht des Finanz- und Budgetausschusses über die Regierungsvorlage (520 d. B.):

Bundesfinanzgesetz für das Jahr 1965 (558 d. B.)

S p e z i aId e b a t t e

Grupp e III: Kapitel 8 : Äußeres

Spezialberichterstatter: Dr. Win t e r (S. 3218)

Redner: Dr. Kos (S . 3218), Dl'. Toncic­

S o r i nj (S. 3222), Czer ne tz (S. 3232), Mah n e r t S. 3242), S türgkh (S. 3244), Horejs (S. 3246), Dr. Hertha F i r n b e r g (S. 3248), Mark (S. 3251) und Bundes­

minister für Auswärtige Angelegenheiten Dr. Kr e i sky (S. 3252)

Beginn der Sitzung: 9 Uhr

V o r s i t zende: Präsident Dr. Maleta, Zwei­

ter Präsident Dipl.-Ing. Waldbrunner.

Präsident : Die Sitzung ist eröff n e t.

Das amtliche P r o t o k o l l der 59. Sitzung vom 25. November 1964 ist in der Kanzlei aufgelegen, unbeanständet geblieben und gilt daher als g e n e h m i gt.

Ent s c h u l di g t haben sich die Abgeordneten Dr. h. c. Dipl.-Ing. Figl, Dr. Kranzlmayr, Dipl.-Ing. Dr. Johanna Bayer, Hartl, Mayr, Dr. Dipl.-Ing. Ludwig Weiß, Fachleutner, Grießner, Kulhanek, Glaser, J osef Steiner (Salzburg), Dr. Hauser, Vollmann, Hermann Gruber, Dr. Haider, Regensbnrger und Ko­

stroun.

Den eingebrachten A n t r ag 126/A der Ab­

geordn,eten Machunze, Dr. Migsch und Ge­

nossen betreffend die N ovellierung des Bundes­

gesetzes vom 5. Juli 1962, BGBl. Nr. 195/

1962 (11. Staatsvertragsdnrchführungsgesetz), w e i s e ich dem Finanz- und Budgetausschuß zu. Wird gegen diese Zuweisung ein Ein­

wand erhoben 1 -Dies ist nicht der Fall.

Ich bitte den Schriftführer, Herrn Abge­

ordneten Machunze, um die Verlesung des Ein l a u f e s.

Schriftführer Machunze :

"An den Herrn Präsidenten des National-

1964, über meinen Antrag gemäß Artikel 73 des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 für die Dauer der zeitweiligen Ver­

hinderung des Vizekanzlers Dr. Bruno Pitter­

mann den Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten Dr. Bruno Kreisky mit dessen Vertretung betraut.

Hievon beehre ich mich mit dem Ersuchen um gefällige Kenntnisnahme Mit.teilung zu machen.

Klaus"

Präsident : Dient zur Kenntnis.

Ferner gebe ich bekannt, daß ein 'Ersuchen des Bezirksgerichtes Villach um Aufhebung der Immunität des Abgeordneten zum Nationalrat Adolf Populorum wegen § 431 StG.

(Verkehrsunfall) eingelangt ist. Dieses weis e ich dem Immunitätsausschuß zu. Wird gegen diese Zuweisung ein Einwand erhoben 1 - Das ist nicht der Fall.

Bericht des Finanz- und Budgetausschusses über die Regierungsvorlage

(520

der Beilagen):

Bundesfinanzgesetz für das Jahr

1965 (558

der

Beilagen) Spezialdebatte

Gruppe III Kapitel

8:

Äußeres

rates. Präsident : Wir gehen in die Ta g e s 0 r d-

Der Herr Bundespräsident hat mit Ent- n u n g ein. Gegenstand lRt die Spezia.1deba,tte schließung vom 24. November 1964, Zl. 1l.449/ über die Gruppe In.

(2)

3218 Nationalrat X. GP. -61. Sitzung -27. November 1964 Präsident

Spezialberichterstatter ist der Herr Abge­

ordnete Dr. Winter. Ich ersuche ihn um seinen Bericht.

Spezialberichterstatter Dr. Winter : Hohes Haus! Das Kapitel 8: Äußeres, weist Aus­

gaben in der Höhe von 260,461.000 S und Einnahmen in der Höhe von 2,815.000 S auf.

Die Ausgabensumme stellt 0,4 Prozent der Ausgaben der ordentlichen Gebarung des gesamten Bundesvoranschlages für 1965 dar und liegt um rund 22 Millionen über den Ansätzen des laufenden Jahres, während die Einnahmen um 350.000 S höher angesetzt sind.

Bei den Einnahmen sind die Konsular­

gebühren nicht eingeschlossen, weil sie mit den Stempel- und Rechtsgebühren gemeinsam im Kapitel 17 ausgewiesen sind.

Von den Gesamtausgaben sind 41 Millio­

nen Schilling als Beiträge Österreichs an ver­

schiedene internationale Organisationen vor­

gesehen, sodaß der Nettoaufwand nur rund 219 Millionen Schilling beträgt.

Im Dienstpostenplan sind für den Bereich des Ministeriums und des ganzen auswärtigen Dienstes 1086 Posten vorgesehen, was eine Vermehrung um 103 gegenüber den Ansätzen für 1964 bedeutet. Damit werden neben der Zentralbehörde 71 österreichische Vertretungs­

behörden im Ausland unterhalten, wobei die Errichtung von vier neuen vorgesehen ist.

Für den Ankauf von bundeseigenen Objek­

ten zur Unterbringung von Vertretungsbe­

hörden ist der Betrag von 9,68 Millionen Schilling veranschlagt.

Für die Diplomatische Akademie, die ihren Betrieb Anfang 1965 aufnehmen wird, sind 3 Million�n Schilling an Ausgaben vorgesehen;

an Schulgeld und an Internatskosten erwartet man Einnahmen von etwa 0,75 Millionen Schilling.

Hervorzuheben ist noch, daß unter den Förderungsaufwendungen des Bundesministe­

riums für Auswärtige Angelegenheiten 3 Mil­

lionen Schilling als Kostenbeiträge zur Kon­

ferenz des Internationalen Roten Kreuzes enthalten sind.

Der Finanz- und Budgetausschuß hat in seiner Sitzung vom 16. November dieses Jahres den Teilvoranschlag des Kapitels 8 beraten. Die Diskussionsteilnehmer sind im schriftlichen Bericht des Ausschusses ange­

führt. Bundesminister Dr. Kreisky beant­

wortete in ausführlicher Darstellung die an ihn gerichteten Fragen.

Der Finanz- und Budgetausschuß hat bei der Abstimmung am 19. November dieses

Jahres den finanz gesetzlichen Ansätzen des Kapitels 8 die Zustimmung gegeben.

In seinem Namen habe ich den A n t r a g z u stellen, der Nationalrat wolle dem Kapitel 8:

Äußeres, des Bundesvoranschlages für das Jahr 1965 (520 der Beilagen) die verfassungs­

mäßige Zustimmung geben.

Ich bitte, in die Spezialdebatte einzu­

gehen.

Präsident : Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.

Als erster Redner zum Wort gemeldet ist der Herr Abgeordnete Dr. Kos. Ich erteile es ihm.

Abgeordneter Dr. Kos (FPÖ): Hohes Haus!

Meine Damen und Herren! Ich habe leider wiederum Veranlassung, mi�h so wie im ver­

gangenen Jahr deswegen mit den Ansätzen zu diesem Kapitel zu beschäftigen, weil, wie Sie den Ausführungen des Herrn Berichterstat­

ters schon entnehmen konnten, für das Kapitel Äußeres praktisch nur 0,4 Prozent dieses 66 Milliarden-Budgets aufgewendet werden.

Auch im vergangenen Jahr habe ich mich mit diesem Umstand auseinandergesetzt und es beklagt, daß wir Freiheitlichen darauf hin­

weisen müssen, wir, die wir ansonsten mit Ihnen über die Verwendung der Mittel rechten, daß in diesem Falle die zu geringe Dotierung des Kapitels angeprangert werden muß. Im Jahre 1964 wurden 238 Millionen Schilling aus­

gegeben, für das Jahr 1965 sind 260 Millionen Schilling vorgesehen, und dies bei einem Gesamtbudget von 66 Milliarden Schilling, wie ich schon erwähnte. Der Anteil des Kapitels Äußeres ist von 0,42 Prozent bei einer Aus­

weitung um mehr als 10 Prozent auf nunmehr 0,4 Prozent zurückgegangen.

Meine Damen und Herren! Österreich wird dadurch, daß es für dieses Kapitel zuwenig Geld aufwendet, nach unserer Ansicht auch so weit gebracht, daß unser Land im Ausland zuwenig vertreten ist. Diese Dotierung des Budgets, an der ja auch im Ausschuß Kritik geübt wurde, und die Tatsache, daß vor allem darauf hingewiesen werden muß, daß im nord­

afrikanischen und im mittelamerikanischen Raum kaum diplomatische Vertretungen Öster­

reichs bestehen beziehungsweise daß sie unzu­

reichend sind, ist auch von der anderen Seite kritisiert worden. Wir sollten wirklich alles tun, damit Österreich über die notwendigen Sprachrohre in aller Welt verfügt.

Hier wird unserer Ansicht nach am falschen Ort gespart, und es können entscheidende Positionen nicht in entsprechender Weise ausgebaut werden. Das gleiche finden wir beim Kapitel Landesverteidigung. Es ergibt sich eine gewisse Parallele aus der Tatsache, daß sowohl für das Äußere - für die Propa-

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Nationalrat X. GP. -61. Sitzung -27. November 1964 3219 Dr. Kos

ganda, möchte ich in gewissem Sinne sagen - als auch für die Landesverteidigung - für den Selbstschutz dieses Staates - zuwenig Mittel aufgewendet werden. Eine Voraussetzung für die Erhaltung und den Schutz unserer Neutrali­

tät - das habe ich im vergangenen Jahr schon gesagt - ist es doch, daß wir über eine ent­

sprechende Landesverteidigung verfügen.

Es ist begrüßenswert - das hat der Herr Berichterstatter auch erwähnt -, daß für die Diplomatische Akademie nunmehr ein Betrag von 3 Millionen Schilling ausgeworfen wird und daß, wie wir wissen, diese Diplomatische Akademie bereits im Jänner kommenden Jahres ihren Betrieb aufnehmen wird. Wir begrüßen es, daß von den zur Verfügung stehenden Plätzen ein Drittel für Ausländer vorgesehen ist, und es ist sehr erfreulich, wie der Herr Außenminister feststellen konnte, daß zahlreiche Stipendien nicht nur von Län­

dern, sondern auch von Privaten gegeben werden - wir erhoffen uns noch weitere -, um den Frequentanten dieser Diplomatischen Akademie auch wirklich die Möglichkeit zu geben, unbehindert von finanziellen Sorgen und finanziellen Überlegungen ihren Studien nach­

zugehen.

Zu der Formulierung des Herrn Außen­

ministers, die lautete, die Integration und die Neutralität seien die beiden Pole der öster­

reichischen Außenpolitik, möchte ich sagen, daß zu dem Thema "Neutralität" hier in diesem Hause schon sehr viel und, ich möchte heinahe sagen, schon erschöpfend gesprochen worden ist. Auf der anderen Seite aber ist das Thema "Integration" das Thema, das uns derzeit wohl deswegen am meisten beschäfti­

gen muß, weil - Sie wissen, wir Freiheitlichen haben schon seinerzeit und wiederholt hier diese Ansicht vertreten - es besser gewesen wäre, wenn wir uns entschlossen hätten, statt in die EFTA, die Europäische Freihandels­

zone, zu gehen, uns gleich von allem Anfang an damit zu beschäftigen, wie wir mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft am besten zu einem gedeihlichen Verhältnis kom­

men können.

Sie haben sich seinerzeit entschlossen, den Weg in die Europäische Freihandelszone zu suchen, wohl auch in der Annahme, daß dies der kürzeste Weg sei, der zu einer gesamteuro­

päischen Lösung führen werde. Aber Sie sind sich - das ist ja auch hier zum Ausdruck gekommen - auch darüber im klaren, daß die EFTA und der Weg zur EFTA keine end­

gültige und vor allem keine gesamteuropäische Lösung sein kann. Das Ziel der EFTA - und darin unterscheidet sie sich sehr wenig von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft - ist in erster Linie der Abbau der Handelsschranken

untereinander, ferner das Bestreben, die Zu­

wachsraten der Wirtschaft auszuweiten, die Vollbeschäftigung aufrechtzuerhalten und den Lebensstandard ihrer Völker zu erhöhen.

Wir bekennen uns zu diesen Notwendigkei­

ten, und es ist bezeichnend, daß auf dem Weg zur europäischen Integration Österreich im Zeitraum von 1958 bis 1963 seine Ausfuhren um nicht weniger als 44,5 Prozent steigern konnte. Diese Ausfuhrsteigerung gliedert sich aber so: nach der Europäischen Wirtschafts­

gemeinschaft um 45 Prozent, nach der EFTA um 120 Prozent und nach Drittländern um 23 Prozent.

Wir haben seinerzeit darauf hingewiesen und unsere Sorgen in der Richtung zum Aus­

druck gebracht, daß wir glaubten, daß England als der größte Staat in der Europäischen Frei­

handelszone, in der EFTA, eine entscheidende Rolle spielen werde. Unsere Befürchtungen, daß England in der EFTA dominieren werde, haben sich nun leider gerade in den letzten Tagen und Wochen bestätigt. Wir mußten fest­

stellen, daß sich Großbritannien infolge einer schweren wirtschaftlichen Krise einem Defizit für das Jahr 1964 von rund 800 Millionen Pfund Sterling gegenübersieht, was rund 50 Milliarden Schilling ausmacht. Angesichts dieser wirt­

schaftlichen Situation hat die englische Regie­

rung einen Schritt gesetzt, den man deswegen nicht gutheißen kann, weil hier offensichtlich der EFTA-Vertrag gebrochen worden ist. Es mögen hiefür die verschiedensten Gründe maß­

gebend gewesen sein.

Wir hatten auf einer Tagung der EFTA­

Parlamentarier in Straßburg im vergangellen Monat Gelegenheit, in einer eingehenden Aus­

sprache die Beweggründe der englischen Re­

gierung kennenzulernen. Sie sind uns so dargestellt worden, daß man sich der Erkennt­

nis nicht verschließen konnte, daß von seiten Englands etwas geschehen mußte, um dieser Situation abzuhelfen. Aber es ist unverzeih­

lich, daß der EFTA-Staat England, der stärkste EFTA-Staat, es nicht einmal für nötig ge­

funden hat, seine Vertrags partner über diesen entscheidenden Schritt zu konsultieren, son­

dern daß man nicht nur die EFTA-Partner, sondern auch die Handelspartner Englands einfach dadurch vor vollendete Tatsachen gestellt hat, daß man die 15prozentige Importabgabe eingeführt hat, von der sich jetzt schon herausgestellt hat, daß sie absolut nicht das Allheilmittel ist, von dem man noch vor wenigen Wochen gesprochen hat; denn es ist Tatsache, daß das englische Pfund seit Tagen gestützt werden muß. Wenn man in der heutigen Tagespresse liest, daß der Betrag von 1 Milliarde Dollar in Anspruch genommen werden muß, muß man wohl sagen, daß dieser

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3220

Nationalrat X. GP. -61. Sitzung -27. November 1964 Dr. Kos

Schritt, daß diese wirtschaftliche Maßnahme Beispiel hingestellt worden ist, die Schweiz.

eben doch nicht das ist, was man uns seinerzeit, Diese Länder haben anläßlich der EFTA­

vor wenigen Wochen, in Straßburg noch in Ministerkonferenz unzweideutig erkennen las­

Aussicht gestellt hat, daß es nämlich das sen, daß das britische Vorgehen nicht nur wesentlichste Mittel sei, um dieser wirtschaft- unzeitgemäß, sondern auch integrations widrig lichen Situation Englands abhelfen zu können. und wenig freundlich zu den EFTA-Staaten Es steht sicherlich fest, daß die englische gewesen ist. Die Schweizer sind sogar so weit Labour-Regierung durch die Tatsache, daß gegangen, mit der Konsequenz des Austrittes sie nach den Wahlen zum englischen Unter- aus der Europäischen Freihandelszone zu

drohen.

haus die Konservativen abgelöst hat, eine schlechte Erbschaft übernommen hat. Es ist sicherlich die jetzige Situation Großbritan­

niens auch darauf zurückzuführen, daß sich die Verhandlungen mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft seinerzeit zerschlagen haben. Aber es ist doch so, daß die Schritte, die jetzt gesetzt worden sind, nicht nur be­

rechtigten Widerspruch, sondern auch be­

rechtigte Empörung deswegen auslösen müssen, weil man mit" seinen Vertragspartnern nicht so umspringen kann, wie dies geschehen ist.

Meine Damen und Herren! Die Engländer mögen eine sehr sportliche Nation sein, und wir wissen zuminde"lt aus der Presse, daß die Diskussionen im englischen Unterhaus sehr witzig und sehr spritzig sind. Aber was sagen Sie dazu, wenn vorgestern a,uf Vorhalte der konservativen Opposition, Großbritannien hätte vor der 15prozentigen Zollerhöhung die EFTA-Partner verständigen sollen, der Herr Premierminister im Unterhaus formulierte:

"Wozu soll man jemanden konsultieren, dem man ein blaues Auge schlägt?" Das ist eine Einstellung in den internationalen Gewohn­

heiten, die man nicht mehr verstehen kann.

Das ist die typische Haltung eines Landes - ich habe es schon an anderer Stelle aus­

gesprochen -, das in den Vordergrund seiner Überlegungen das Sprichwort stellt: Right

01' wrong, my country! Das sind aber auch die Konsequenzen, mit denen wir Mitglied­

staaten der EFTA uns auseinandersetzen müßten.

Seinerzeit ist an dieser Haltung Englands nicht nur von mir Kritik geübt worden; auch Kollege Toneie hat die Engländer eindringlich darauf aufmerksam gemacht, daß nicht nur die Form verletzend war, in der das geschehen ist, sondern auch die Umstände, unter denen diese Importabgabe vorgenommen wurde.

Tonci6 hat England aufgefordert, beim Ver­

trag zu bleiben. Wir waren nicht die einzigen, die dazu aufforderten. Die Reaktion der anderen Staaten war nicht minder kräftig.

Vor allem die Staaten, die eine langjährige, ich möchte beinahe sagen, eine jahrhunderte­

alte Freundschaft und Sympathie mit England verbindet, sind die größten Rufer im Streite gewesen: die Schweden, die Dänen und vor allem ein Land, das uns immer wieder als

Der schwedische Ministerpräsident Erlander formulierte in dieser Konferenz der Außen­

minister in Genf, daß England keinen glück­

lichen Schlußstrich unter die EFTA-Probleme gesetzt habe, und er knüpfte daran die Hoff­

nung, daß die Verhandlungen am 18. und 19. November aber doch einen glücklichen Auftakt bedeuten werden.

Ich muß von dieser Stelle aus sagen: Wir sehen keinen glücklichen Auftakt. Wir haben auch keinerlei Zusicherung von England er­

halten, daß diese angeblich befristete Import­

abgabe in absehbarer Zeit aufgehoben werden wird. Niemand war dazu imstande, und niemand wollte Auskunft darüber geben, wann diese Importabgabe aufgehoben werden wird.

Diese Importabgabe trifft gerade Österreich deshalb besonders schmerzlich, weil wir uns in der letzten Zeit bemüht haben, unsere Exporte nach England besonders zu ver­

stärken.

Nicht nur die verstaatlichte Industrie hat darauf hingewiesen, daß mit empfindlichen Einbußen auf dem Walzwerksektor zu rech­

nen ist. Wenn wir von den Zahlen des Jahres 1964 ausgehen, unterliegen heute 1,7 Milliar­

den Schilling diesem englischen Importzoll.

Rund ein Viertel der EFTA-Exporte Österreichs geht nach England ! Wir werden nun wahrscheinlich erleben, daß dann, wenn wir nicht mehr liefern, weil wir nicht mehr konkurrenzfähig sind oder weil wir keine ent­

sprechenden Erlöse mehr erzielen können, entweder englische Lieferanten an unsere Stelle treten oder EWG-Staaten, gegen die die EFTA seinerzeit praktisch als Konkurrenz­

unternehmen aufgezogen worden ist. Eisen und Stahl sind mit nicht weniger als 13 Prozent an der österreichischen Ausfuhr nach England beteiligt.

Meine Damen und Herren! Das bringt uns wieder zur Überlegung, daß es notwendig ist, in Brüssel erneut darauf zu drängen, daß die Verhandlungen mit der EWG, die uns schon so lange zugesagt sind, endlich auf­

genommen werden. Aber es ist betrüblich und bedauerlich, daß wir gerade heute wieder in den Morgenzeitungen lesen können, daß auch für den 30. November dieses Jahres voraussichtlich keine Möglichkeit besteht, die

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Nationalrat X. GP. -61. Sitzung -27. November 1964 3221 Dr. Kos

Verhandlungen mit Österreich aufzunehmen.

Dieser Umstand sollte unsere Regierung neuer­

lich darin bestärken, das Nötige zu tun und das Nötige zu veranlassen.

Seinerzeit habe ich im Ausschuß den Antrag gestellt, die österreichische Regierung be­

ziehungsweise den Herrn Außenminister auf­

zufordern, in Großbritannien vorstellig zu werden, um den Abbau des Importzolles zu erreichen. Ich kann diesen Antrag deswegen heute nicht wiederholen, weil er durch die Tagung in Genf am 18. und 19. November überholt ist. Das schließt aber nicht aus, daß wir sowohl den Herrn Außenminister als auch den Herrn Handelsminister nach­

drücklich auffordern müssen, in England vor­

stellig zu werden, um im Zusammenwirken mit den anderen EFTA-Staaten darauf hin­

zuwirken, daß diese Importabgabe so schnell wie möglich deswegen abgebaut wird, weil die Konsequenzen für Österreich weitreichend wären. Gerade gestern ist in der Debatte über die verstaatlichte Industrie darauf hin­

gewiesen worden, wie exportempfindlich die verstaatlichte Industrie ist und wie notwendig es ist, die Vollbeschäftigung und alles andere, worüber wir uns hinreichend unterhalten haben, aufrechtzuerhalten. Es ist ferner notwendig, und wir erwarten das von der österreichischen Regierung, sich nicht mit schönen Formulie­

rungen, daß viel erreicht wurde und ähnliches, zu begnügen, sondern man muß mit allem Nachdruck darauf hinweisen, daß wir das nicht hinnehmen können und daß man von England erwarten kann, daß Verträge, die seinerzeit verbindlich abgeschlossen worden sind, auch eingehalten werden.

Meine Damen und Herren! Ich werde mich nun mit einem anderen Gebiet, und zwar mit den Vermögensverträgen, befassen. Schon im Ausschuß war hinreichend Gelegenheit, sich über dieses Thema zu unterhalten. Ande­

rerseits scheint es mir aber doch notwendig zu sein, auch hier vor dem offenen Haus ein paar Fragen anzuschneiden, die uns nicht be­

friedigen können. Es war schon anläßlich der Verabschiedung des Jugoslawiengeschädig­

ten-Gesetzes Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß wir immer wieder den sehr bedauerlichen Umstand feststellen müssen, daß die öster­

reichische Bundesregierung beim Abschluß von solchen Vermögensverträgen immer wieder auf wohlerworbene, ich möchte beinahe sagen, auf angestammte Rechte ihrer Staatsbürger verzichtet. Für die Verträge mit Rumänien und Bulgarien sind hiflr sehr schöne Worte gefunden worden. Demnächst werden wir den Vermögensvertrag mit Ungarn ins Haus be­

kommen. Aber all diesen Verträgen haftet der Makel an, daß sie unzureichend sind,

auch künftighin unzureichend sein werden und daß sie denen, die sich von diesen Ver­

trägen ein Maximum erwarten, praktisch nur ganz bescheidene Entschädigungen brin­

gen. Das ganze Hoffen und alle Wünsche von hunderttausenden Menschen in Österreich hängt daran, daß dieser Staat alles tun wird, ihnen wenigstens einen angemessenen Teil ihrer berechtigten Vermögensansprüche gegen­

über anderen I.Jändern wieder zu verschaffen.

Sicherlich wird auch noch beim Kapitel Finanzen die Gelegenheit ergriffen werden, über bestimmte Dinge zu sprechen, ich möchte beinahe sagen, man wird sich bei diesem Kapitel über die Praxis unterhalten müssen, mit der die österreichischen Finanzämter und die Entschädigungskommissionen vor­

gehen. Es ist doch äußerst bedenklich, wenn wir feststellen müssen - ich zitiere den Kreuz­

nacher Vertrag -, daß zwar Österreich in genau derselben Höhe wie die Bundesrepublik Deutschland Entschädigung zu leisten hat, daß aber bis jetzt einer Leistung der deutschen Bundesrepublik von rund 800 Millionen Schil­

ling praktisch kein einziger Schilling öster­

reichischer Gegenleistung gegenübersteht! Das bedeutet nichts anderes, als daß Berechtigte aus dem Kreuznacher Vertrag, die derzeit eine Entschädigungssumme von rund 11.500 S bekommen, dann, wenn Österreich auch seine Pflicht erfüllen würde, nicht 11.500, sondern 18.500 S Ent.schädigung erhalt.en würden.

Ich möchte dem Kollegen von meiner Fraktion, der zu diesem Thema spricht, hier nicht Material vorwegnehmen, aber ich möchte den Herrn Außenminister gerade bei dieser Gelegenheit doch bitten, angesichts des Um­

standes, daß beispielsweise nun erst die Ver­

mögensverhandlungen mit der Tschechoslo­

wakei und mit Polen beginnen werden, wobei nach groben Schätzungen gegenüber der Tschechoslowakei ein Betrag von rund 5 Mil­

liarden D-Mark, also 30 Milliarden Schilling, als Schadenssumme in Verhandlung stehen wird, alles einzusetzen, damit den berechtigten Ansprüchen der Österreicher, die gegenüber der Tschechoslowakei Ansprüche haben, doch entscheidend entsprochen wird, damit nicht das Gefühl wachbleibt, daß hier mit zweierlei Maß gemessen wird oder daß die österreichische Regierung nicht alles unternommen hat, was in diesen Fällen zu unternehmen wäre.

Wir Freiheitlichen werden zu einem anderen Thema, zum Thema Südtirol, durch den Kollegen Mahnert noch Stellung nehmen.

Meine Damen und Herren! Wenn ich meine Ausführungen nun schließe, so soll das nicht bedeuten, daß wir zu dem großen Katalog der außenpolitischen Aspekte nicht noch manches zu sagen hätten. Aber gerade

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3222 Nationalrat X. GP. -61. Sitztmg -27. November 1964 Dr. Kos

die Entwicklung, die unsere Integrations­

bemühungen genommen haben, war mir An­

laß, hier eine berechtigte freiheitliche Kritik anzumelden, mit der Aufforderung an· die österreichische Bundesregierung, nun wirklich alles zu unternehmen, damit wir nicht neuerlich solchen Situationen ausgesetzt werden, und genauso wie in den Vermögensverhandlungen dafür zu sorgen, daß die berechtigten An­

sprüche österreichischer Staatsbürger künftig­

hin besser erfüllt werden, als dies bisher geschehen ist.

Im übrigen darf ich meine Ausführungen mit der Feststellung schließen, daß wir Frei­

heitlichen so wie in den vergangenen Jahren dem Kapitel Äußeres unsere Zustimmung aus den grundsätzlichen Überlegungen heraus versagen, mit denen wir dieses Budget ganz allgemein ablehnen, und aus den besonderen Überlegungen, die ich an den Anfang meiner Ausführungen gestellt habe.

(Beifall bei der FPÖ.j

Präsident: Als nächster Redner ist der Herr Abgeordnete Dr. Tonci6 zum Wort gemeldet.

Ich erteile es ihm.

Abgeordneter Dr. Toncic-Sorinj (ÖVP):

Hohes Haus! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir können heute feststellen, daß Österreich auch bei den entferntesten Staaten und bei den entferntesten Völkern Interesse erweckt, daß dieser Staat heute ein größeres Echo hervorruft, als es in der Ver­

gangenheit der Fall war. Das ist darauf zu­

rückzuführen, daß es die österreichische Außen­

politik in den vergangenen 20 Jahren zu­

stande gebracht hat, dieses Land von einer vierfachen Besetzung zu befreien' und völlig selbständig zu machen. Das ist der gra­

vierendste Umstand für die Weltöffentlichkeit.

Dieses Moment scheint überall auf. Öster­

reich ist der einzige Staat der Welt, dem es gelungen ist, dies in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg zustande zu bringen und damit eines der großen Nachkriegsprobleme - bis­

her das einzige - endgültig zu lösen oder wenigstens an dieser Lösung entscheidend mitzuwirken.

Dieses Faktum ist nach wie vor, wie ich sagte, entscheidend. Es ist für die Welt nachhaltiger und einprägsamer als unser ge­

rechter Kampf um die Rechte der Süd­

tiroler oder unsere Bemühungen, unsere Be­

ziehungen zur EWG zu regeln. Die Auf­

gabe, die errungene Unabhängigkeit zu sichern und sie mit den übrigen Aufgaben unserer Außenpolitik in Einklang zu bringen, ist nach wie vor unser wichtigstes Anliegen und für die Welt der bedeutsamste Teil unserer außenpolitischen Aktivität. Wir dürfen, be­

drängt von der Dringlichkeit der übrigen Auf-

gaben unserer Außenpolitik, diesen Ausgangs­

punkt und diese Grundtatsache unserer inter­

nationalen Existenz als Wertmaßstab unseres HandeIns niemals aus den Augen verlieren.

Wenn wir die letzten zwei Jahrzehnte unserer Geschichte betrachten und eine Vor­

ausschau auf das dritte Jahrzehnt wagen, so können wir in Parallele damit unsere Außenpolitik in drei Etappen einteilen: die erste Periode von 1945 bis 1955, die zweite Periode von 1955 bis ungefähr in die Gegen­

wart und eine dritte, nunmehr anhebende Periode, von der wir nur in vergleichender Abschätzung historischen Geschehens etwa ein Jahrzehnt, vielleicht zwei in Voranschlag bringen können.

Die erste Periode diente nicht nur der Be­

freiung des Landes von ausländischen Truppen, sondern auch der Erringung der Unabhängig­

keit und Souveränität im staatsrechtlichen und völkerrechtlichen Sinn. Zwar ist dieses Werk durch eine großartige Gesamtleistung und konzentrierte Anstrengung des ganzen österreichischen Volkes errungen worden, zwar hat das die Regierung der beiden Koalitions­

parteien in unzähligen mühseligen Verhand­

lungen erkämpft, dennoch müssen wir rück­

schauend auf diese große Zeit erkennen, daß sie in erster Linie geprägt und überstrahlt wurde von der monumentälen Erscheinung des verstorbenen Kanzlers Julius Raab.

In seiner Rede in München vor dem Wirt­

schaftsbeirat der Christlichsozialen Union hat Bundeskanzler Dr. Klaus diesen Gedanken dahin gehend definiert, daß er von Raab sagte, daß ihm etwas gelungen ist, was nach dem Jahre 1918 nicht gelang: "die Fixierung der weltpolitischen Koordinaten· für einen Staat in der Größenordnung Österreichs, der an den machtpolitischen Schnittlinien zweier militärischer Blöcke liegt und dessen Existenz die Interessensphären beider Machtgruppierun­

gen infolge seiner geopolitischen Lage in gleicher Weise berührt".

Dies gilt vor allem für das Ergebnis dieser Periode: den Staatsvertrag und das Bundes­

verfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität Österreichs. Beide Ereignisse sind juristisch getrennt. In dem einen Dokument finden wir keinen direkten Bezug auf das andere. Aber dennoch stehen beide in einem tiefen historischen und politischen Zusammen­

hang. Der Staatsvertrag brachte dem öster­

reichischen Staat völlige Souveränität und echte Unabhängigkeit in rechtlichem, politi­

schem und wirtschaftlichem Sinn. Die Neu­

tralität stellte das erreichbare Höchstmaß an internationaler Absicherung der mit dem Staatsvertrag erkämpften Souveränität dar.

Dieses erreichbare Höchstmaß manifestiert

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Nationalrat X. GP. -61. Sitmng -2 7 . November 1964 3223 Dr. Toncic-Sorinj

sich in einem Sonderstatus, den es nur selten wie dies aus den Schweizer Archiven hervor­

in der Geschichte gab. Er ist ähnlich dem geht. Unsere Jugend wuchs unter anderen Schwedens und identisch nur mit einem Auspizien auf. Sie ist derzeit vor allem vom einzigen anderen Staat, nämlich der Schweiz. Königsgedanken einer europäischen Einigung Dadurch, daß die Freiheit und Unabhängig- erfaßt. Es ist daher verständlich, wenn die keit nicht durch Einordnung in eines der emotionelle Konfrontation mit dem Status der großen Verteidigungssysteme errungen wer- Neutralität bei uns anders ist als in der den konnten, bloße Bündnislosigkeit jedoch Schweiz.

völlige Schutzlosigkeit bedeutet hätte, war Umsomehr muß man hervorheben, daß, die Idee der immerwährenden Neutralität - rein geographisch gesehen, die weltpolitische im übrigen ein österreichischer Vorschlag - Tragweite der Neutralisierung des österreichi­

der einzige und bei den gegebenen Verhält- schen Raumes unvergleichlich größer ist als nissen bestmögliche Ausweg. die Neutralisierung der Schweizer Gebirgs-

Seit damals ist ein Jahrzehnt vergangen. kämme . Dies ist einer der Gründe, weswegen Die Welt steht im Grunde noch immer im die österreichische Neutralität auf der Welt Konflikt zwischen Ost und West, die Tren- so großes Interesse hervorruft, warum man sich nungslinie zwischen Freiheit und Sklaverei im Libanon, in den Himalajastaaten, in Japan, läuft noch immer entlang unserer Ostgrenze. in Südostasien sehr genau mit unserer Neu­

Die Riesenheere der Weltmächte stehen sich tralität, ihrem Wesen und ihrer Handhabung noch immer gegenüber. Die großen Fragen beschäftigt.

der Weltpolitik, wie beispielsweise die Wieder- Sofort hört man zwei Einwände. Erstens:

vereinigung Deutschlands, sind noch immer ist absolute Souveränität in unserer Zeit nicht nicht gelöst. Das bedeutet aber, daß die' überholt? Zweitens: Hat die Neutralität im Prämissen des Jahres 1955 in diesem Punkte I Zeitalter atomarer Kriegführung noch einen nach wie vor weiterbestehen und daß daher Sinn?

jede Änderung oder Erschütterung dieses Zum ersten Ein'wand, meine Damen und unseres Sonderstatus ein Wiederaufflammen Herren: Es ist richtig, daß der Begriff der der mit Österreich verbundenen internationalen nationalen Souveränität durch die Verflech­

Problematik vor dem Jahre 1955 zwangs· tungen der 'Weltwirtschaft, durch die Er­

weise, wenn' auch vielleicht mit anderen fordernisse mindestens regionaler Verteidigung, Einzelerscheinungen, mit sich bringen würde.

I

durch das eng.e univers�le Verkehr�netz, kurz- Daß dem so ist, wird uns Jahr für Jahr von. um durch dIe AusweItung zu emer plane­

neuem bestätigt. Seit der Notifikation des i taren Gesellschansor

nung in unserer Zeit Bundesverfassungsgesetzes über die immer- anders aufzufassen Ist als im 19. Jahr­

währende Neutralität an die Staatengemein- hundert.

schaft hat uns keine einzige Regierung, kein Das darf uns aber nicht zu dem Irrglauben einziges Parlament, kein einziger verant- verleiten, daß das Konzept einer einigen wortlicher Staatsmann, kein einziger mit Welt, das ja als Sinngebung und als Ziel internationalen Problemen vertrauter Poli- beispielsweise dem Völkerbund und den Ver­

tiker, kein einziger verantwortlicher Wirt- einten Nationen zugrunde lag, in einer irgend­

schaftsführer, ja überhaupt kein einziger ver- wie konkreten Form erreicht wurde. Der antwortlich Denkender jemals geraten, an Sprung zur echten Aufgabe souveräner Rechte unserem Neutralitätsstatus zu rütteln. Ja wurde nirgends getan, nicht im Sicherheitsrat im Gegenteil: Man könnte eine große Anzahl der Vereinten Nationen, nicht in der Organi­

von Beispielen aus West und Ost, aus Nord sation amerikanischer Staaten, bis heute auch und Süd anführen, durch die der Wert unserer nicht in der Europäischen Wirtschaftsgemein­

Neutralität hervorgehoben und uns direkt schaft.

oder indirekt, mit mehr oder weniger Eindring­

lichkeit nahegelegt wurde, unsere Neutralität nicht nur zu erhalten, sondern zu festigen.

Wir besitzen keine alte Tradition der Neu­

tralität wie die Schwejz, die sie schon seit J ahrhunclerten teils faktisch, teils in Form einer innerstaatlichen und internationalen Ver­

pflichtung praktiziert. Für uns bedeutet die Neutralität kein nationales Band wie für die Schweiz, wo durch sie vier Völker zu einer Nation verbunden wurden. Wir können auf keinen Erfahrungsschatz von Vorteilen der Neutralität durch viele Jahrzehnte hinweisen,

In der Realpolitik kennen wir echte Bünd­

nisse souveräner Länder und die Unterwerfung eines Landes unter die Oberherrschaft eines anderen auf der Basis der Ungleichheit.

Aber noch immer sind die Nationalstaaten, vielleicht bcclauerlichenveise, die Organisatoren der internationalen Beziehungen. Solange die­

ser Zustand besteht, ist die Existenz neutmler Staaten auf der Grundl2,ge der Souveränität und Unabhängigkeit als Lösungsform be­

sonderer internationaler Situationen nicht nur legitim, sondern auch notwendig . Es gab und gibt bis heute keinen tauglichen Alternativ-

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vorschlag für den Status der immerwährenden Neutralität Österreichs. Und es gibt keinen Staat, der die Funktion der Schweiz in der Staatengemeinschaft der ganzen Welt ersetzen könnte. Man kann die Hoffnung, ja die Erwartung aussprechen, daß die Evolution besonders der atlantischen Staaten welt über souveräne Einzelstaaten hinauswachsen wird.

Aber es würde gegen jede Realpolitik ver­

stoßen, heute schon anzunehmen, daß ein solcher Zustand in irgendwie sichtbare Nähe gerückt ist.

Zum zweiten Einwand: Der Krieg unter Einsatz von Atomwaffen bedeutet eine Aus­

einandersetzung der Weltmächte. Wen� es um deren letzte Existenz geht, ist die Über­

nahme eines derartigen Risikos gerechtfertigt.

Je schrecklicher diese Waffen sind, desto größer ist aber die Wahrscheinlichkeit, daß sie nicht eingesetzt werden, desto größer ist also die Wahrscheinlichkeit, daß die Ausein­

andersetzungen der Mächte auf andere Art, darunter auch durch konventionelle Krieg­

führung, ausgetragen werden. Das heißt also, daß die Atombombe zunächst nicht zu einer Reduktion der Einsatzmöglichkeiten konven­

tioneller Waffen führt, sondern zu einer er­

höhten Wahrscheinlichkeit dieser Form der Kriegführung . Mit anderen Worten: der sogenannte Krieg durch Stellvertreter. Wir sehen dies auch überall: Kriege, teils bürger­

kriegähnlicher Art, in Zentralafrika, im Nahen Osten, in Südostasien.

Nun hat niemand die Existenz und die Notwendigkeit neutraler, für ihre Verteidigung wohlgerüsteter Staaten in der Ära konventio­

neller Kriege bestritten. Nicht nur, daß ein militärisches Vakuum in dieser Situation gefährlich wäre, die neutralen Staaten, ins­

besondere die Schweiz, haben immer wieder von neuem bewiesen, daß die Neutralen in dem Unglück des Krieges mindestens drei Aufgaben zu erfüllen haben: die Übernahme der Interessenvertretung der kriegführenden Staaten, die Bewahrung der Werte, insbe­

sondere der Kulturwerte unserer Zivilisation über die Kriegszeit hin und einen Treffpunkt für die auch in Kriegszeiten fortgeführten Verhandlungen und Fühlungnahmen zur Wie­

derherstellung des Friedens. Es ist klar, daß sich kein neutraler Staat gegen Aggressoren mit Atomwaffen wehren kann. Dies ist aber kein Problem mehr zwischen Neutralem und Aggressor, sondern ein Problem zwischen dem Aggressor und der anderen, diesem entgegen­

tretenden Weltmacht. Aus all dem die Schluß­

folgerung zu ziehen, daß die Funktion der neutralen Staaten in der Gegenwart durch die Entwicklung der Kriegstechnik überholt sei, bedeutet auch hier eine Vorwegnahme einer Situation, die in der Zukunft vielleicht ein-

treten kann, aber derzeit noch nicht einge­

treten ist.

Was bedeutet aber nun die im Jahre 1955 so schwer erkämpfte Neutralität? Was ist ihr wesentlicher, auch für die Gegenwart wichtiger Inhalt � Dieser scheint in drei­

facher Form auf: Zunächst bedeutet Neutrali­

tät, wie gesagt, Unabhängigkeit, völlige Un­

abhängigkeit deshalb, weil sich ja der immer­

während Neutrale verpflichtet hat, sich im Falle eines Krieges für neutral zu erklären, und weil er dann auch die rechtliche, mili­

tärische, politische und wirtschaftliche Fähig­

keit haben muß, also mit anderen Worten die Unabhängigkeit dazu haben muß, sich für neutral zu erklären. Es muß daher in Friedenszeiten - das ist nicht eine Ansicht der Neutralitätspolitik, sondern dies ist ein zwingendes Postulat des Neutralitätsrechtes - der immerwährend neutrale Staat seine Politik und seine Handlungen so ausrichten, daß er im Falle des Krieges diese Fähigkeit zum unabhängigen Entschluß beibehält, und er darf sich nicht in eine Situation begeben, die diese seine souveräne Entscheidung beein­

trächtigen könnte. Sosehr es Meinungsver­

schiedenheiten über gewisse Detailaspekte der Neutralität, wie beispielsweise über den ver­

pflichtenden Charakter des courant normal, gibt, über diese von mir geschilderten Grund­

tatsachen gibt es weder in der Staatenpraxis noch in der Lehre irgendeine Meinungsver­

schiedenheit.

Zweitens: Die Verpflichtung aus der Neu­

tralität eines immerwährend neutralen Staates bedeutet auch die Einhaltung der Regeln, die die Neutralität im einzelnen vorschreibt.

Das Bundesverfassungsgesetz erwähnt die ab­

solute Bündnislosigkeit und das Verbot des Durchmarsches fremder Truppen. Dazu kom­

men eine Reihe anderer Bestimmungen, die teils expressis verbis, teils logisch aus den Haager Konventionen erfließen, wie beispiels­

weise die . Verpflichtung, bei einer Regelung der Ausfuhr kriegswichtiger Güter die beiden Streitteile gleichmäßig zu behandeln. Auch in diesem Punkt gibt es keine Meinungsver­

schiedenheiten, schon deshalb nicht, weil die Praxis der Schweiz und Schwedens über dieses Minimum von Vorschriften bereits weit hinaus­

gegangen ist, was sicherlich nicht aus purer Freude an einer allzu weitgehenden Auslegung von Bestimmungen geschehen ist.

Und schließlich drittens: Der Schweizer Völkerrechtslehrer Professor Windschädler hat in einem Vortrag in Wien einen dritten Faktor klar hervorgehoben. Er sagte, daß die Staaten­

welt, die die Neutralität anerkannt hat, Anspruch auf Glaubwürdigkeit der Handlungen des neutralen Staates im Sinne der Einhaltung

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Nationalrat X. GP. -61. Sitzung -27. November 1964 3225 Dr. Toneic-Sorinj

seiner neutralen Verpflichtungen und einer echten Neutralitätspolitik besitzt. Damit be­

rührt WindschädIer einen Umstand, der für die Bestimmung des immerwährend Neutralen zur Umwelt, insbesondere zu den Großmächten, eine zwingende Bedeutung besitzt: das Ver­

trauen.

Die Neutralität ist ein Sonderstatus, der nicht nur allein erklärt und notifiziert wird, sondern der von den anderen Staaten auch anerkannt werden muß. Dieser Vorgang fußt aber letzten Endes auf Vertrauen: Vertrauen des neutralen Staates darauf, daß die anderen seine Neutralität respektieren werden, Ver­

trauen der anderen zum neutralen Staat aber darauf, daß er jederzeit im Frieden und im Kriege den Vorschriften und dem Sinn der Neutralität entsprechend handelt. Vertrauen erwirbt man nicht von heute auf morgen, aber man kann es von heute auf morgen ver­

lieren. Wenn die Staatenwelt in den wechsel­

vollen Ereignissen der Weltpolitik stets im vorhinein wissen kann, wie auf Grund so vieler positiver Erfahrungen der neutrale Staat reagieren wird, entsteht die Atmosphäre des Vertra uens, und der Neutrale wird im steigenden Ausmaß glaubwürdig. Alle die genannten positiven Rechtsvorschriften, alle internatio­

nalen Instrumente, alle Erklärungen sind hinfällig, wenn nicht durch Taten, sei es durch positive Handlungen, sei es durch Unter­

lassungen, diese Glaubwürdigkeit erworben wird.

Es waren dir; beiden fundamentalen Ereig­

nisse des Jahres 1955 gemeint: der Staats­

vertrag, der die Unabhängigkeit und Souveräni­

tät postulierte, und die Neutralität, die diese sicherte. Gestützt auf dieses klare und unmiß­

verständliche Fundament, auf diese eindeutige Direktive der Außenpolitik, auf diese außen­

politische Planung auf lange Sicht müssen wir die Ereignisse und die Aufgaben des zweiten Jahrzehnts der österreichischen Außenpolitik von 1955 bis zur Gegenwart untersuchen.

Nun leben wir nicht in einer Staatenwelt des 19. Jahrhunderts. Kennzeichnend für unser Leben, vor allem also für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, sind die uni­

versalen und regionalen Staatengemeinschaften.

Wodurch wurde das Konzept des souveränen Staates und das der Neutralität im Zeitalter der Staatengemeinschaft entworfen? Es ist durchaus logisch, daß hier eine Antithese besteht. Der neutrale Staat aber kann in der Ära der Staatengemeinschaften nur weiter­

existieren, wenn er diese Antithese zur Synthese gestaltet.

Sehr rasch wurde Österreich und seine Außen­

politik mit diesen Fragen beschäftigt. Am 15. Dezember 1955 wurden wir durch einstim-

mige Empfehlung des Sicherheitsrates und einstimmigen Beschluß der Generalversamm­

lung in die Vereinten Nationen aufgenommen.

Ein neutraler Staat in die Vereinten Nationen 1 Die Schweiz hält sich fern, und Schweden ist im rechtlichen Sinn kein immerwährend neutraler Staat.

Zunächst schien dies nur eine Fragestellung von Theoretikern, eine akademische und pro­

fessorale Seminararbeit. Als aber im Herbst 1956, also nicht einmal ein Jahr später, zehntausende Menschen aus Ungarn flüchteten, als dort tausende starben und als Sicherheitsrat und Generalversammlung der Vereinten Na­

tionen damit beschäftigt wurden, da wurde aus der belehrenden Vorschau bittere Wirklich­

keit. Was sollte geschehen, wenn die Vereinten Nationen im Gegensatz zur Auffassung der Sowjetunion Maßnahmen beschlossen und Österreich zur Teilnahme aufgefordert hätten?

Kein Zweifel, daß wir den Normen der Neutra­

lität gefolgt wären. Aber hätten wir nicht die Satzungen der Vereinten Nationen verletzt?

Die Gefahr ging vorbei - für uns, nicht für Ungarn und nicht für das Prestige der Ver­

einten Nationen, die versagten oder versagen mußten. Und wir präzisierten unser Verhältnis zu den Vereinten Nationen später dahin gehend, daß die einstimmige Empfehlung durch den Sicherheitsrat und die einstimmige Aufnahme durch die Generalversammlung in dem Bewußtsein geschahen, daß ein immer­

während neutraler Staat mit all seinen Rechten und Pflichten in den Kreis der Vereinten Nationen eintrete und daher nichts von ihm verlangt werden könne, was dem widerspräche.

Dies gilt nicht nur für militärische Sanktionen, die den Abschluß eines Sonderabkommens verlangen würden, sondern auch für nicht­

militärische Sanktionen. Im Hintergrund dieser Konzeption hat sich Österreich in den Ver­

einten Nationen in diesem Jahrzehnt einen angesehenen und für unsere Verhältnisse wirkungsvollen und verantwortungsvollen Platz erkämpft.

Ich komme bei· der Betrachtung unseres Verhältnisses zu den Vereinten Nationen auf drei Punkte zu sprechen: Wir haben mit­

gewirkt an den Aktionen der Vereinten Nationen im Kongo und in Zypern. Beide Aktionen waren in Österreich umstritten, beide Aktionen sind in der Welt stark kritisiert worden.

In beiden Fällen konnten die Vereinten Nationen schon deshalb ihre Aufgabe nicht erfüllen, weil die Möglichkeiten, die Kompe­

tenzen, die Macht, die diesen UNO-Truppen gege ben wurden, völlig unzureichend gewesen sind. Nicht die Organisation als solche hat versagt, sondern die Staaten, die Truppen in diese Gebiete geschickt haben, ohne ihnen

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3226 Nationalrat X. GP. -61. Sitzung -27. November 1964 Dr. Toncic-Sorinj

das nötige Pouvoir zu erteilen, Truppen, Auf der einen Seite will man Geld vom die nur bei dringender Gefahr für ihr eigenes Westen, man erwartet Unterstützungen, aber Leben in der Lage waren, von den Schußwaffen gleichzeitig enteignet oder konfisziert man Gebrauch zu machen. ausländisches Eigentum und behandelt Aus-

Meine Damen und Herren! Es läßt sich nicht länder brutal. Unter diesen Voraussetzungen leugnen, daß eine internationale Institution kann man nicht den Strom des internationalen ihre Autorität untergräbt, wenn sie Maß- Kapitals in diese Gegenden lenken, denn keine nahmen ergreift, die ihrem Wesen nach unzu- Macht der Welt ist in der Lage, dem inter­

reichend sind und unzureichend sein müssen. nationalen Kapital einen Befehl zu erteilen.

Man kann sagen, daß im Kongo immerhin ein Aber auch die einzelnen Staaten sind in einer Zusammenstoß der Großmächte, wie er in schwierigen Lage. Wie sollen die Parlamente Korea geschah, vermieden wurde, vor allem der einzelnen Länder die Gelder aufbringen, wie durch die Geschicklichkeit des damaligen sollen die Abgeordneten dazu ihre Zustimmung Generalsekretärs Dag Hammarskjöld, aber geben, wenn die Wählerkreise, wenn die Be­

man kann wieder nicht leugnen, daß die völkerung in steigendem Ausmaß Kritik an Vereinten Nationen im Kongo in allen anderen den Zuständen inden Entwicklungsländern übt 1 Bereichen die Hoffnungen nicht erfüllten, Hier fehlt es noch an sehr vielem. Es wird gut die wir in sie gesetzt hatten. Was nach ihrem sein, alle Hilfsaktionen in der OECD zu ver­

Abzug geschah, wissen wir alle, und wir sind einigen, wenn diese grauenhafte Zersplitterung, glücklich, daß die österreichischen Missionare die es überall gibt und die wir, nebenbei be­

und die übrigen Österreicher aus dem grauen- merkt, auch in Österreich haben, ein Ende vollen Schrecken der Provinz Stanleyville finden und die Maßnahmen koordiniert werden und vor allem der Stadt Stanleyville wieder sollen. Es wird wahrscheinlich auch gut sein, nach Europa zurückkehren konnten. wenn sich Österreich an den Entwicklungs- Auch in Zypern haben Österreicher mitge- banken beteiligt, denn offensichtlich haben sie, wirkt. So wie im Kongo hat ihr Mitwirken die eine große Aufgabe zu erfüllen haben, auch zum österreichischen Ansehen, zur Beliebtheit sehr viele Erfahrungen in diesen Ländern ge­

Österreichs, zur Achtung vor der österreichi- sammelt. Aber alles in allem muß man sagen, schen Leistung wesentlich beigetragen. Aber daß die große Begeisterung, die es noch vor auch dort konnten die Vereinten Nationen einem Jahrzehnt, vielleicht auch noch vor fünf das Problem nicht lösen. Doch man kann Jahren, auf dem Gebiete der Entwicklungshilfe sagen: Vielleicht haben sie mildernd ein- gab, sehr abgeflaut ist. Die große Begeisterung wirken können, um gewisse Erleichterungen in mußte deshalb schwinden, weil der Partner in Zypern, die aus anderen Ursachen entstanden der Aktion der Ehtwicklungshilfe, die Ent­

sind, noch zu verstärken. wicklungsländer, mit wenigen Ausnahmen völlig Österreich ist aber auch in ein anderes versagt hat.

Problem verwickelt, und zwar in die Unter- Ein weiterer Punkt, der bei den Vereinten stützung der Entwicklungsländer. Wir Nationen zur Debatte steht und der auch Öster­

leisten etwas für die Entwicklungsländer, wir reich betrifft, ist das Problem China, das durch geben etwas für die Besserstellung dieser die Anerkennung der Pekinger Regierung durch Völker. Aber, meine Damen und Herren, Frankreich in höchstem Ausmaß an Aktualität auch bei uns, in unserem Lande, läßt sich eine gewonnen hat. Österreich hat keine diplo­

gewisse Kritik nicht mehr zurückhalten, läßt

I

matischen Beziehungen zu China, wie es mit sich nicht mehr verschweigen: Wir haben Ausnahme von Deutschland bis vor einiger nicht das Empfinden, daß die Gelder, die die

I

Zeit keine diplomatischen Beziehungen zu Ge­

Entwicklungsländer bekommen, so verwendet bieten gehabt hat, die geteilt sind, wo also werden, wie sie verwendet werden sollen. Es·

\

zwei Regierungen den Anspruch auf recht­

ist schon richtig, daß man ihnen hilft, ihre mäßige Verwaltung und Leitung dieser Staaten Situation zu verbessern, daß man ihnen dieses erheben.

"take off" gibt, diesen Start, der sie in die Es ist immer unser Grundsatz gewesen - er Lage versetzt, durch erhöhte Eigenproduktion steht auch mit dem Völkerrecht vollkommen im im Laufe der Zeit zu einem Eigenleben zu ge- Einklang -, daß den Anspruch auf inter­

langen. Aber alle diese unsere Maßnahmen nationale Anerkennung diejenige Regierung sind völlig wirkungslos, das ganze Geld, das hat, die die Mehrheit des Volkes vertritt. Die der Westen auf bringt, um in Mrika, Asien Regierung in Bonn hat demokratischen Charak­

und Lateinamerika die Situation zu bessern, ter und vertritt die Mehrheit des deutschen der ganze gute Wille ist umsonst gewesen, wenn Volkes. Es ist daher nicht möglich, eine Regie­

diese Staaten nicht selber, wenn die Staats- rung anzuerkennen, die offensichtlich die männer in diesen Ländern nicht selber eine Minderheit eines Volkes vertritt, beispielsweise solche Politik betreiben, die in sich die Mög- die sogenamite DDR, aber auch das sogenannte lichkeit eines Erfolges birgt. Nationalchina.

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.. Nationalrat X. GP. -6 1 . Sitzung -27. November 1964 3227 Ur. Toncic-Sorinj

Da könnte man fragen : Warum anerkennen wir dann nicht die Regierung in Peking, die doch eindeutig die Mehrheit des chinesischen Volkes vertritt � Nach Auffassung der ameri­

kanischen Regierung, aber nicht allein der amerikanischen Regierung, ist das Pekinger Regime das Regime eines Aggressorstaates.

Es ist ein großes internationales Problem, einem Staat, der nach amerikanischer Auf­

fassung Aggressorstaat ist, die Anerkennung zuteil werden zu lassen.

Dazu kommt aber noch eine zweite Überle­

gung . Eine solche Anerkennung hätte beinahe unü berseh bare internationale Auswirkungen.

Beide chinesische Regierungen, die in Peking und die in Taipeh, stehen auf dem Standpunkt der Einheit Chinas, lehnen also die sogenannte Double-China-policy ab, die es ermöglichen würde, sowohl das eine als auch das andere anzuerkennen und bei den Vereinten Nationen beide Regierungen vertreten zu haben. Beide Regierungen lehnen eine solche Politik ab . Eine internationale Anerkennung Pekings würde bedeuten, daß Nationalchina die Anerkennung entzogen werden müßte, da Peking nicht nur in die Generalversammlung, sondern über kurz oder lang auch in den Sicherheitsrat der Ver­

einten Nationen einziehen müßte.

Nun sagt man: Umso besser ! Peking hat nunmehr die Atombombe, eine Bombe, die zwar mehr psychologischen als militärischen Charakter hat, und dieses Regime würde durch den Eintritt in die Vereinten Nationen sozu­

sagen in eine Art von internationale Kontrolle hineingezwängt werden. Meine Damen und Herren ! Das ist eine ungeheure Illusion ! Wie kann man glauben, daß sich ein kommu­

nistisches Regime stalinistischer Prägung durch die Vereinten Nationen in irgendeiner Ange­

legenheit zurückhalten lassen würde ! Wer läßt sich schon von den V eI'einten Nationen in irgend einer Sache zurückhalten 1 Vor allem nicht eine kommunistische Regierung ! Das wäre aber nicht der einzige Effekt, sondern da.'3 würde logischerweise über kurz oder lang auch dazu führen, daß Nationalchina der inter­

nationale Schutz entzogen werden müßte.

Das würde aber nun wieder bedeuten, daß entweder dort ein großer militärischer Kon­

flikt ausbricht oder daß von vornherein dieses Band der westpazifischen Verteidigung zwischen Japan und Australien verlorengehen würde.

Meine Damen und Herren ! Das sind die internationalen militärischen Aspekte dieser Problematik, die dazu führen würde, daß sich die gesamte Weltsituation völlig ändern würde.

Das würde überdies bedeuten, daß einzig und allein die Regierung in Peking über die nahezu 20 Millionen Auslandschinesen in Südost­

asien und in anderen Ländern des pazifischen

Ozeans die absolute Autorität bekommen würde, was wiederum die Position des Westens, besonders in Südost asien , schwächen würde.

Ich ·wollte mit diesen Worten nur folgendes sagen : Das Problem ist nicht so einfach, wie es da und dort dargestellt wird. Ich glaube, daß die bisherige österreichische Politik, in der Frage der Anerkennung der beiden Regierun­

gen zurückhaltend zu sein und sich auch in den Vereinten Nationen der Stimme zu enthalten, die einzig mögliche Politik in der derzeitigen Situation ist,

Ganz anders ist die Lage Frankreichs. Frank­

reich hat eine maßgebliche Position in Südost­

asien. Frankreich betreibt in Mrika eine sehr aktive, vielleicht gewagte Außenpolitik. Frank­

reich hat durch eine solche Politik - einige sagen : zunächst, andere bezweifeln das - nichts zu verlieren. Die Situation der anderen europäischen Staaten und Amerikas ist voll·

kommen anders und mit den Zielen und Maß­

nahmen der französischen Politik nicht zu ver­

gleichen.

Ich habe diese drei Probleme aus dem Aktivi­

tätsbereich der Vereinten Nationen und aus unserem Bezug zu den Vereinten Nationen herausgenommen und wende mich jetzt der zweiten Erscheinung dieses zweiten Jahr­

zehntes österreichischer Außenpolitik zu, dieser wichtigen Erscheinung, mit der wir konfron­

tiert worden sind, den regionalen Zusammen­

schlüssen in Europa, kurz gesagt, der europäi­

schen Integration.

Meine Damen und Herren ! Gestatten Sie mir, daß ich . zunächst zwei grundsätzliche Feststellungen treffe,

Die europäische Integration war von ihren Schöpfern, von den Menschen, die in den Jahren 1947 bis 1950 daran in der einen oder anderen Form gearbeitet haben, niemals - ich betone ausdrücklich : niemals ! - als Ver­

einigung bloß eines Teiles Europas gedacht, weder eines größeren noch eines kleineren Teiles, weder des Randes noch des Kernes. Von allem Anfang an war es das Ziel der europäi­

schen Integration, ganz Europa zu erfassen, von Grönland bis zur Türkei, von Portugal bis Finnland. Kein Teil soll ausgeschlossen bleiben.

Wo es möglich ist zu fusionieren, soll fusioniert werden, wo es nur möglich ist zu kollaborieren, soll aufs engste kollaboriert werden ! Aber ganz Europa soll erfaßt sein ! Das ist die eine ganz dezidierte Feststellung, die ich machen möchte, weil manche von uns in diesem Hause und viele, die nicht in diesem Hause sind, von allem Anfang an an den Bemühungen der europäi­

schen Integration mitgewirkt haben und genau wissen, wie damals die Zielsetzungen eines Churchill, eines De Gasperi, eines Spaak, eines Adenauer und vieler anderer Staatsmänner -

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3228 Nationalrat X. GP. -61. Sitzung -27. November 1964 Dr. Toncic-Sorinj

nicht zu vergessen der österreichische Minister Ludwig, der an der Spitze der damaligen Be­

mühungen gestanden ist ausgeschaut haben, was diese Männer gewollt haben und wie die Vision Europas damals aussah.

Ich habe heute schon aus der Münchener 'Rede des Bundeskanzlers Dr. Klaus zitiert.

Er bringt diesen Gedanken durch folgendes Zitat zur Geltung : "Jedesmal, wenn gesamt­

europäische Entwicklungen einsetzen, er­

starkt auch der österreichische Staatsgedanke. "

Das ist eine sehr, sehr richtige Erwägung, denn überall dort, wo es sich um Teileuropa handelt, treten Schwierigkeiten für Österreich auf . \Vo aber das Konzept eines ganzen Europa gefaßt worden ist - beispielsweise seinerzeit auf wirtschaftlichem Gebiet mit der Großen Freihandelszone -, dort treten Evolutionen auf, die den österreichischen Staatsgedanken stärken. In einem anderen Teil seiner Rede sagte Bundeskanzler Dr. Klaus aber auch :

"Der Blick Österreichs, der Blick meiner Landsleute fällt auf das ,Europa von morgen'.

Und dieses ,Europa von morgen' muß größer sein als jenes der Sechs oder j enes der Sieben, sogar größer als jenes der Sechs u n d der Sieben ! "

Meine Damen und Herren ! Ich möchte das noch einmal ganz deutlich unterstreichen.

Hier ist gesagt worden, daß sich Europa nicht auf die beiden derzeitigen wirtschaftlichen Integrationsformen beschränkt, sondern dar­

über hinausgeht.

Noch ein zweiter Grundgedanke : Niemals haben wir, von allem Anfang an nicht, Europa als ein nur in wirtschaftlicher Integration stehendes Europa aufgefaßt. Selbstverständ­

lich ist die Wirtschaft von tragender, von aus­

schlagge bender Bedeutung, aber niemals war für uns Europa nichts anderes als ein Europa der Zollpositionen und der Exportlizenzen. Europa ist von vornherein so aufgefaßt worden, sich politisch anzunähern, von vornherein war es bestrebt, sich sozial, kulturell, humanitär, auf juridischem Gebiet immer näherzukommen und zu kollaborieren, von vornherein war Europa als der langsame Werdegang, als der Prozeß einer geistigen Europäisierung, als ein geistiges Zueinander kommen und Zusammen­

wachsen, als ein Erstarker des europäischen Verantwortungsgefühls, als die Schöpfung einer europäischen Ideologie aufgefaßt.

Natürlich ist uns manches nicht gelungen.

Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft scheiterte damals am französischen Veto, die europäische politische Gemeinschaft ist im Keim erstickt, viele andere Initiativen, die ergriffen wurden, haben die Regierungen schlep­

pend oder gar nicht behandelt. Das war der Grund, warum man sich zunächst auf das,

was man leichter und aussichtsreicher inte­

grieren konnte, nämlich den wirtschaftlichen Bereich , konzentrierte. Auf diesem Gebiet wurden große Erfolge erreicht. Aber die bloße wirtschaftliche Vereinigung war nie der End­

zweck der europäischen Idee, das war nie die letzte Weisheit oder sozusagen der Schluß­

punkt unter diese Entwicklung.

Österreich war der Ausgangspunkt der euro­

päischen Integration. Hier hat Graf Couden­

hove-Kalergi gewirkt, der in den Jahren zwischen den beiden \Veltkriegen diese Idee langsam der Öffentlichkeit bekanntmachte und über Europa zog und zeitweise einen Ver­

bündeten im französischen Außenminister Aristide Briand gefunden hat. Aber auch das alte Donaureich hatte ungeheure Erfah­

rungen auf dem Gebiet des Zusammenlebens der Völker gesammelt, und zwar gerade in den Gebieten, in denen man sich heute um Detaillösungen der europäischen Integration bemüht ; diese Erfahrungen sind von größtem praktischen Wert. Österreich ist also mit dem Integrationsbemühen historisch und sei­

nem Wesen nach auf das allerengste ver­

bunden.

Unser Problem besteht und bestand in dieser zweiten Epoche der Nachkriegspolitik darin, den Status der Neutralität - ein im wesent­

lichen statisches Ereignis - mit der Dynamik der Integration in Einklang zu bringen. Dieser Einklang war ohne Schwierigkeit dort zu finden, wo zwei Dinge festgestellt werden konnten: Militärische Verpflichtungen brau­

ehen wir nicht zu übernehmen, wir brauchen keinen militärischen Bündnissen beizutreten.

Dieser ganze Bereich der europäischen Zu­

sammenarbeit bleibt uns infolge des Wesens der Neutralität verschlossen. Wir können aber an den Integrationsformen dort mitwirken, wo die Unabhängigkeit des Staates nicht ge­

fährdet wird, und zwar entweder infolge der Einstimmigkeit der beschließenden Organe oder mangels souveränitätseinschränkender Kompetenzen. Das gilt in politischer Hinsicht für den Europarat und in wirtschaftlicher Hinsicht für die frühere OEEC und ihre Nach­

folgeorganisation, die OECD, und für die EFTA. Diese Institutionen arbeiten mit Stim-.

meneinhelligkeit, sodaß die Gefahr, durch Mehrheitsbeschlüsse in Situationen gebracht zu werden, die mit dem Neutralitätsstatus in Konflikt kommen können oder die die Unab­

hängigkeit einschränken könnten, nicht auf­

tritt. In diesem Bereich machte die Neutralität gar keine Schwierigkeiten, an einer Inte­

gration mitzuwirken.

Wir werden über die EFTA, die letzten Ereignisse in der EFTA und über die EWG und unsere Bemühungen, durch ein Überein-

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