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Die österreichische Parlamentsbibliothek im Wandel der Zeit

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Nur was sich ändert, bleibt!

Die österreichische Parlamentsbibliothek im Wandel der Zeit

1869 - 2002

Christian Pech

Wien 2002

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Impressum:

Medieninhaber (Verleger): Parlamentsdirektion, Dr. Karl Renner-R ing 3, 1017 Wien, www.parlament.gv.at

Lektorat/Redaktion Parlamentsbibliothek: Dr. Elisabeth Dietrich-Schulz www.parlament.gv.at:3000 (Parlamentsbibliothek)

Lektorat/Redaktion Abt. Information und Publikation: Mag. Barbara Blümel Hersteller: Parlamentsdirektion – Hausdruckerei,

Druckerei Edelbacher (Titelblatt)

Titelblattgestaltung: Mag. Bernhard Kollmann, www.kollmanndesign.at

ISBN 3-901991-05-0

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Geleitwort

Nicht immer muss ein runder Geburtstag Anlass für die Herausgabe einer Festschrift sein. Schon länger hatte die jetzige Direktorin der Bibliothek, Dr. Elisabeth Dietrich- Schulz, die Idee, sich eingehender mit der Geschichte der österreichischen Parlaments- bibliothek zu befassen. Aus diesem Grund wurden viele Dokumente zusammengetragen.

Christian Pech, Student der Politikwissenschaft, war ursprünglich angetreten, diese Sammlung im Zuge seines Praktikums zu sichten und zu ordnen. Diese Arbeit weckte nicht nur seine Neugierde, sondern wurde zur Zeitreise vom 19. bis zum 21. Jahrhun- dert. Am 11. Mai 2002 feierte die Parlamentsbibliothek ihren 133. Geburtstag – und erstmals liegt nun eine Gesamtdarstellung ihrer Geschichte von 1869 bis 2002 vor.

Die wechs elvolle Geschichte der Bibliothek und ihrer Bibliothekare und Bibliothekarinnen macht dieses Buch zu einer spannenden Lektüre. Nicht nur weil genau auf die bibliothe- karische Entwicklung eingegangen wird, sondern auch weil politische und historische Zusammenhänge vermittelt werden. Seien es die ausführlichen biographischen Skizzen zu Siegfried Lipiner und Karl Renner oder die Kapitel „Personalhoheit und Amtseid“

sowie „Mediengesetz“. Besonders deutlich wird die stete Fortentwicklung der Bibliothek hin zu einer Informationsplattform, die Wissen in vielfältiger Weise speichert und abruf- bar macht.

Diese Darstellung ist ein wichtiger Baustein der Geschichte der österreichischen Parla- mentsverwaltung. Ich hoffe, dass sie hilft, das Verständnis für die Aufgaben einer Parla- mentbibliothek zu vertiefen und wünsche der Publikation in diesem Sinn eine möglichst weite Verbreitung.

Wien, im September 2002

Dr. Heinz Fischer Präsident des Nationalrates

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Inhalt

VORWORT 7

I. EINLEITUNG 9

II. VON DER BÜCHERSAMMLUNG DES STAATSRATES ZUR

BIBLIOTHEK DER VOLKSVERTRETUNG 13

1. Die Bibliothek des Staatsrates unter Franz J. Koch (1869 - 1870) 13 2. Die Reichsratsbibliothek unter der Leitung von

Dr. Johann Vincenz Goehlert (1870 – 1876) 16

3. Der provisorische Leiter der Bibliothek

Johann Freiherr von Päumann (1876 – 1881) 20

4. Jahre der Kontinuität unter der Leitung von

Dr. Siegfried Lipiner (1881 – 1911) 23

5. Die Zeit um den Ersten Weltkrieg unter

Dr. Johann Ladislaus Merklas (1912 – 1924) 52

6. Die Zwischenkriegszeit unter Dr. Ernst Lemm (1925 – 1933) 58 7. Die Parlamentsbibliothek unter der Leitung von

Dr. Richard Fuchs (1933 - 1942) 59

8. Die Rettung der Bibliothek durch Dr. Hilda Rothe (1942 – 1945) 62 9. Der Wiederaufbau der Bibliothek unter der Leitung von

Dr. Gustav Blenk (1946 - 1957) 64

10. Die Bibliothekserweiterung unter Dr. Michael Stickler (1958 – 1974) 67 11. Geschichtsforschung unter Dr. Theodor Stöhr (1975 – 1991) 71 12. Der Einstieg in das Computerzeitalter unter der Leitung von

Dr. Elisabeth Dietrich-Schulz (seit 1992) 77

III. FOTOANHANG 85

IV. ZAHLEN, DATEN, FAKTEN 133

1. Buchbestand und Entlehnungen 133

2. Zeittafel der Direktoren 135

3. Publikationen der Leiter der Parlamentsbibliothek 136

V. GLOSSAR 142

VI. WEITERFÜHRENDES LITERATURVERZEICHNIS 144

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Vorwort

Nicht nur architektonisch ist die österreichische Parlamentsbibliothek ein Juwel - sie be- findet sich in dem nach Plänen von Theophil Hansen errichteten Parlaments-Prachtbau an der Wiener Ringstraße - sondern auch und vor allem eine Schatzkammer an Büchern und anderen Medien für alle an der parlamentarischen Arbeit Interessierten.

Das Forschen in der Parlamentsbibliothek für die vorliegende Studie stellte für mich ein großes Vergnügen dar, nicht zuletzt aufgrund der freundlichen Aufnahme durch das ge- samte Bibliotheksteam.

Besonderer Dank gebührt der Direktorin der Parlamentsbibliothek, Dr. Elisabeth Dietrich- Schulz, ohne deren Idee und aufopferungsvollen Einsatz diese Arbeit undenkbar gewe- sen wäre. Durch ihre permanente Hilfe wurden mir viele Türen geöffnet, die mir sonst verschlossen geblieben wären. Für Ihre große Unterstützung beim Erscheinen dieses Buches danke ich auch Mag. Barbara Blümel, die zahlreiche Ideen eingebracht hat.

Bei allen, die meine Arbeit während der Entstehungsphase oft mehrmals gelesen und mir so wichtige Anregungen und Hinweise gegeben haben, möchte ich mich herzlich bedanken, namentlich bei DDDr. Hellmut Lösch, Dr. Karl Megner, Dr. Sieglinde Osiebe, Christine Prayer, Dr. Anton Schulz, Markus Stöger, Dr. Theodor Stöhr, Friederike Ullrich.

Erich Klenk gebührt für die Unterstützung bei den Fotoaufnahmen ebenfalls Anerken- nung.

Mein Dank gilt auch meinen Eltern, die mir meinen Aufenthalt in Wien erst ermöglicht haben, und nicht zuletzt meinem Bruder Oliver und meiner Freundin Alexandra für Motivation und Unterstützung.

Möhrendorf bei Nürnberg, im September 2002 Christian Pech

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I. Einleitung

„Wissen ist Macht“, schrieb Ende des sechzehnten Jahrhunderts der englische Philo- soph und Politiker Francis Bacon. Er formulierte damit in einer kurzen Formel einen auch heute noch beachtenswerten Gedanken. Gerade im modernen Parlamentarismus darf sich die Legitimation der Herrschenden nicht mehr auf das Erbe einer hohen Geburt gründen1. In Zeiten der Informationsvielfalt kann man ebenfalls nicht davon ausgehen, dass alle Parlamentarier2 für jeden Bereich Experten sind. Eine Schnittstelle zwischen Wissen und Macht verkörpert in modernen Volksvertretungen daher die Parlamentsbib- liothek, die den Parlamentariern eine umfassende Sammlung von Büchern und Periodika aus verschiedenen Jahrhunderten bietet.

Eine Bibliothek im Haus der Volksvertretung stellt eine Abkehr von der Wissenschaft im Elfenbeinturm dar. Dieses abstrakte Verständnis von Wissenschaft herrschte lange Zeit vor. „Als Mathematiker im 12. Jahrhundert vorschlugen, ihre geometrischen Kenntnisse beim Dombau in Siena einzubringen, wurde ihre Idee als völlig absurd abgelehnt.“3 Der praktische Wert der Wissenschaft wurde erst später erkannt, wird aber heute umso in- tensiver genutzt. Die Zugangsmöglichkeit zu Wissen hat sich gerade durch die neuen Medien wie Internet, aber auch durch die traditionellen und immer noch unabdingbaren Wissensquellen wie öffentliche Bibliotheken in den letzten Jahrhunderten entscheidend gewandelt. Wissen war lange Zeit nur einer bestimmten, elitären Clique vorbehalten:

„Noch im 15. Jahrhundert hatte der Mainzer Bischof Berthold von Henneberg den Buchdruck nur in Griechisch und Latein zugelassen, damit Laien – gar

‚weiblichen Geschlechts’ – gelehrte Schriften nicht lesen und daraus törichte Gedanken ableiten können.“4

Nun hat sich heute das Verständnis der Wissenschaft dahingehend verändert, dass sie dem Nutzen der Menschheit gereichen soll, oder wie Bertolt Brecht seinen Galilei sagen ließ: „Ich halte dafür, dass das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühselig- keit der menschlichen Existenz zu erleichtern“.5

Heute ist es die Aufgabe von Bibliotheken, das vorhandene Wissen, das einem immer größer werdenden Wachstum unterliegt, den Menschen zugänglich zu machen, um da-

1 Die Labour Regierung Tony Blairs in Großbritannien schränkte im Jahre 1999 die erbliche Mitglied- schaft (hereditary peerage) im britischen Oberhaus (House of Lords) des Parlaments ein. So exis- tiert weltweit lediglich noch ein Land, in dem die erbliche Mitgliedschaft das Hauptelement des Ober- hauses darstellt: Lesotho. Weiterführend: Russell, Meg: Reforming the House of Lords. Lessons from Overseas, Oxford, New York 2000, S. 30 (Signatur der Parlamentsbibliothek: 60.776).

2 Im folgenden wird die männliche Form als für beide Geschlechter geltend ve rwendet.

3 http://www.archive.hoechst.com/txt_d/ls_forum/wissen/artikel_3.html vom 15.7.2001.

4 Ebd.

5 Brecht, Bertolt: Das Leben des Galilei, in: Ders.: Gesammelte Werke 3, S. 1340 (Signatur der Parla- mentsbibliothek: 52.399).

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durch dessen effiziente Nutzung zu ermöglichen. Im Gegensatz zu anderen Bibliotheken kommen auf Parlamentsbibliotheken durch den speziellen Benutzerkreis besondere Aufgaben zu.

„Politiker fragen nicht in erster Linie nach Schriften, die ihnen nach Verfasser und Titel bekannt sind, sondern suchen Material zu bestimmten Themen, Ar- gumente und Belege, die ihnen Aufschlüsse zur Lösung ihrer Probleme ge- ben können.“6 Daher benötigt eine Parlamentsbibliothek ein zentrales Katalogsystem, dessen „Grundgedanke ist, [...] alles Material zu einem Thema an einer Stelle zusam menzuführen, gleichgültig, ob eine Information als Buch, Zeitschriftenaufsatz, Mikrofilm, Landkarte oder Tonband angeboten wird.“7

Selbstverständlich sollten dieser Aufzählung aus heutiger Sicht auch die CD-ROMs so- wie Inhalte aus dem Internet hinzugefügt werden.

Um die Parlamentarier, deren vornehmliche Aufgabe es ist, die Geschicke des Staates durch Gesetzgebung8 zu lenken, mit dem nötigen Wissen zu versorgen, arbeiten Parla- mentsbibliotheken und wissenschaftliche Dienste an der Bereitstellung des nötigen In- formationsmaterials. Da sich gerade die Politik mit allen Teilen des täglichen Lebens be- schäftigt, ist es in Parlamentsbibliotheken nötig, ein möglichst breites Spektrum an Bü- chern und anderen Informationsquellen zu bieten. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die größte Wissenssammlung der Welt eine Parlamentsbibliothek, nämlich die Library of Congress9 in Washington, D.C., ist. Gegen ein solches Vorbild ist der Bestand der österreichischen Parlamentsbibliothek bescheiden, doch gilt sie heute mit rund 300.000 Büchern als die größte österreichische Bibliothek für politische Literatur. Interessant ist, dass die Privatbibliothek George Washingtons den Grundstock der Library of Congress10

6 Matthes, Heinz: Die Dokumentations- und Informationseinrichtungen der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, in: Dietz, Wolfgang/Kirchner, Hildebert/Wernicke, Kurt Georg (Hrsg.):

Bibliotheksarbeit für Parlamente und Behörden. Festschrift zum 25jährigen Bestehen der Arbeits- gemeinschaft der Parlaments- und Behördenbibliotheken, München, New York, London, Paris 1980, S. 78 (Signatur der Parlamentsbibliothek: 45.956).

7 Ebd.

8 Die Gesetzgebungsfunktion ist nur eine Aufgabe des Parlaments. Die weiteren Aufgaben sind die Mitregierungsfunktion, die Kontrollfunktion sowie die Tribünenfunktion. Nach: Fischer, Heinz: Das Parlament, in: Dachs, Herbert/Gerlich, Peter et al. (Hrsg.): Handbuch des politischen Systems Ös- terreichs. Die Zweite Republik, 3. Auflage, Wien 1997, S. 224 (Signatur der Parlamentsbibliothek:

51.367,3.A). Weiterführend, insbesondere zu den aktuellen Änderungen, die der EU-Beitritt Öster- reichs mit sich brachte beispielsweise: Schefbeck, Günther: Verhandlungs ökonomie - EU-Mitwir- kungsrecht – Ausschußöffentlichkeit. Zur Reform der Nationalratsgeschäftsordnung, in: Wiener Zeitung – Beilage Parlament, Nr. 31 (Oktober)/1996, S. 8-11 und Schefbeck, Günther: Parlament und EU. Eine Zwischenbilanz, in: Wiener Zeitung, 16.12.1998 (über Internetseite www.wienerzeitung.at abgerufen).

9 Sie besitzt heute mehr als 112 Millionen Bücher und Dokumente, die Regalbretter von 857 Kilome- tern Länge füllen. Nach: http://www.archive.hoechst.com/txt_d/ls_forum/wissen/artikel_3.html vom 15.7.2001. Zusätzlich erfüllt die Library of Congress die Aufgaben einer Nationalbibliothek. Der Be- stand der Österreichischen Nationalbibliothek wird derzeit mit mehr als 6 Millionen Objekten ange- geben.

10 Die Library of Congress wurde 1800 mit einem Anfangsbestand von 6.487 Büchern gegründet, in- dem der Congress die Privatsammlung Washingtons aufkaufte. Weiterführend: Dietrich-Schulz,

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darstellt; die österreichische Parlamentsbibliothek durfte sozusagen als „Geburtsge- schenk“ die ehemalige Bibliothek des Staatsrates übernehmen.

Im Folgenden wird auf die Entwicklung der österreichischen Parlamentsbibliothek, die sich mit dem Motto „Nur was sich ändert, bleibt!“ beschreiben ließe, von den Anfängen im Jahre 1869 bis 2002 eingegangen. In den entsprechenden Kapiteln werden die Per- sönlichkeiten, die in der Bibliothek ihr Wirkungsgebiet fanden, dargestellt. So arbeiteten der Schriftsteller Dr. Siegfried Lipiner als Leiter, sowie der spätere Bundespräsident Dr.

Karl Renner als Bibliotheksadjunkt (= wissenschaftliche Hilfskraft) in der Parlamentsbib- liothek. Für den einen stellte die Parlaments bibliothek den Anfang und das Ende seiner beruflichen Laufbahn dar, während sie für den anderen erste wichtige Einblicke in den parlamentarischen Ablauf bot.

Die Parlamentsbibliothek umfasst heute, neben den schon erwähnten 300.000 Büchern und insgesamt 519 laufenden Zeitungen und Zeitschriften, auch 300 Loseblattsammlun- gen und zahlreiche Datenbankanschlüsse11. Insgesamt wurden im Jahre 2001 23.915 Werke ausgeliehen oder im Lesesaal benutzt12. Auch auf eine rege Nutzung des Inter- net- und Intranetangebots13 der Bibliothek kann geschlossen werden: ein Webcounter14 zeigte 7.226 Zugriffe auf das Internetangebot im Jahr 2001 an, was etwa 20 virtuellen Benutzern pro Tag entspricht.

Nicht nur die Benutzung der Bibliothek, sondern auch das Image und die Anforderungen an den Bibliothekar haben sich im Laufe der Jahre gewandelt. Während Bibliothekare von heute für Neuerungen aufgeschlossen sein müssen, um mit den neuesten Informati- onstechnologien Schritt zu halten, damit die Attraktivität ihrer Bibliothek gewahrt bleibt, herrschte zu Zeiten der k.u.k. Monarchie15 ein gänzlich anderes Bild dieser Berufsgruppe vor:

„Bibliothekare (und Archivare) wurden sozial und bürokratieintern als bessere Magazineure, ‚eine Art Küster’, als Verwahrer dessen, was nach dem Skartie- ren übrig blieb (‚alte Registratur’), als skurille [sic!], graue Mäuse angesehen,

Elisabeth: „The nation’s library“. Bericht über einen Studienaufenthalt an der Library of Congress, 20. – 23. Mai 1997, in: Mitteilungen der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen &

Bibliothekare (Hrsg.), Nr. 50 (1997) 3/4, Wien 1997, S. 122 – 126 (Signatur der Parlamentsbibliothek: I-275).

11 Im Jahre 2000 waren es 112 Datenbankanschlüsse, darunter CD-ROMs, Internet etc.

12 Nur Mitarbeiter des Parlaments oder der parlamentarischen Klubs dürfen Ausleihen vornehmen, der breiten Öffentlichkeit steht die Bibliotheksbenutzung im Lesesaal offen.

13 Das Intranetangebot der Bibliothek steht lediglich den Angehörigen des Parlaments zur Verfügung und bietet seinen Nutzern weitere Informationsmöglichkeiten und Kataloge an.

14 Zählwerk, für Zugriffe auf Internetseiten.

15 Mit k.u.k. werden Behörden und Einrichtungen der österreichisch-ungarischen Monarchie nach dem Ausgleich 1867 bezeichnet, die beiden Reichshälften gemeinsam waren. Diejenigen, die lediglich der cisleithanischen, das heißt österreichischen Reichshälfte zugeordnet waren, werden mit k.k. ab- gegrenzt.

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die das Tageslicht scheuen und in alten Schartecken bzw. Akten lesen (Spitzweg-Image).“16

Doch dieses Bild stellt lediglich ein Vorurteil dar, die Realität hingegen zeigt Anderes:

Philosophen und Politiker wie Siegfried Lipiner oder Karl Renner bewiesen durch ihr Werk und ihr Handeln stets Weltoffenheit; Bibliothekare wie Hilda Rothe besonderen Einfallsreichtum und Mut in den Jahren der Gefahr 1938 bis 1945.

16 Megner, Karl: Beamte. Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Aspekte des k.k. Beamtentums, Wien 1985, S. 71 (Signatur der Parlamentsbibliothek: I-2.466/21).

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II. Von der Büchersammlung des Staatsrates zur Bibliothek der Volksvertretung

1. Die Bibliothek des Staatsrates unter Franz J. Koch (1869 - 1870)

Das von Kaiser Franz Joseph I. am 26. Februar 1861 erlassene „Februar- Patent“17 sah in seinem „Grundgesetz über die Reichsvertretung“ die Gründung eines Parlaments vor, das den Namen Reichsrat tragen sollte und aus zwei Kam mern, Herrenhaus und Abge- ordnetenhaus, bestand. Der Reichsrat existierte bis zum Ende der Monarchie 1918, trat allerdings nie in seiner vollen Besetzung zusammen, da sich eine Koordination der Abgeordneten über das große Staatsgebiet als zu schwer herausstellte. Beendeten die Abgeordneten des einen Kronlandes den Boykott des Reichsrates, gehörten wieder andere Kronländer bereits nicht mehr dem Reich an.18

In der ersten Session, die von 1861 bis 1865 andauerte, verfügte der Reichsrat über keinerlei eigenständige Informationsmöglichkeiten. Erst während der zweiten Session richtete der Präsident des Abgeordnetenhauses, Dr. Moritz von Kaiserfeld, ein Hand- schreiben an den Ministerpräsidenten, Fürst Carl Wilhelm Auersperg, in dem er betonte, dass „der Abgang einer Bibliothek, welche den Mitgliedern des Reichsrathes zu jeder Zeit zugänglich ist, [...] von denselben wiederholt tief gefühlt“19 worden ist. Zu diesem Zwecke bat Kaiserfeld um Übergabe der Bibliothek des aufgelösten Staatsrates20 an den Reichsrat. Er stellte diese Bitte, da

„die Aufgabe, welche dem Staatsrathe durch das Statut vom 26. Feber 1861 R.G.B. [RGBl.] No 22 gestellt war, lässt mich annehmen, dass die Werke, welche den Bestand der Bibliothek bilden, diese nunmehr zu einer Bibliothek des Reichsrathes vollkommen geeignet machen“21.

Allerdings sollte die Bibliothek vorerst22 in den Räumen des ehemaligen Staatsrates belassen werden, da in dem provisorischen Gebäude für das Abgeordnetenhaus, der sogenannten „Bretterbude“ am Schottentor, nicht ausreichend Platz und Beamte für eine

17 Das Februar-Patent wiederum verstand sich als eine Ausführung des Oktober-Diploms. Beide Dokumente befinden sich bis heute im Bestand der Parlamentsbibliothek (Signaturen der Parlamentsbibliothek: VI-216, VI-217).

18 Vgl. dazu allgemein: Parlamentsdirektion (Hrsg.): Das österreichische Parlament. The Austrian Parliament, Wien 2000, S. 24-25 (Signatur der Parlamentsbibliothek: 51.714,NA).

19 Präsidium des Hauses der Abgeordneten, Nr. 3167-1868/A.H., IV. Session, 15. Juni 1868 (in:

Archivschachtel 1k „Bibliothek“).

20 Der Staatsrat wurde durch Gesetz vom 12. Juni 1868 durch Kaiser Franz Joseph aufgehoben. Die Veröffentlichung des Gesetzes erfolgte im Reichsgesetzblatt (RGBl.) Nr. 24 vom 16. Juni 1868.

21 Präsidium des Hauses der Abgeordneten, Nr. 3167-1868/A.H., a.a.O.

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Bibliothek vorhanden waren. So blieb die Bibliothek in den Räumen Bankgasse 10, dem Ministerratspräsidium, und auch der Bibliothekar Franz J. Koch verrichtete seinen Dienst dort bis zu seinem Tod im Jahr 1868 oder 1869. Als Mitbewerber um die Übernahme der Bibliothek galt das Reichsgericht. So verwunderte es, dass „die Bibliothek des Staats- rathes nicht an das nach der Auflösung des letzteren geschaffene Reichsgericht, son- dern an den Reichsrath übergegangen“23 war. Seinen letzten Bericht zur Übergabe der Bibliothek schrieb Koch im „letzten Viertel des Jahres 1868“24:

„‚Der ehrfurchtsvoll Gefertigte erlaubet sich einer hohen mündlichen Auffor- derung Euer Excellenz gehorchend über den Stand der staats räthlichen Bib- liothek einen umfassenden Bericht ergebenst zu erstatten und in demselben erstens über den Ursprung und Vermehrung gegenwärtigen Zustand dersel- ben dann über die Maßnahmen, welche zur Beseitigung der bisherigen Miss- stände derselben zweckdienlich erscheinen dürften zu sprechen’. Diese Be- stände, aus verschiedenen Quellen stammend, waren in acht Kästen25 aus hartem Holze und neun Kästen aus weichem Holze so untergebracht, ‚dass sie kaum mehr ihren Inhalt zu fassen vermögen’.“26

Auch innerhalb dieser Schränke, die auf mehreren Stockwerken aufgestellt waren, und die offenbar nur mühsam zu erreichen waren, herrschte nur ungefähre alphabetische Ordnung27 und die Bände waren aus Platzmangel in mehreren Reihen hintereinander aufgestellt. Als Ordnung diente ein Katalog, der sowohl eine Gliederung nach Autoren, als auch eine Aufteilung nach Materien beinhaltete. Allerdings bot der Katalog keine wirklich exakte Bestandsaufnahme, da selbst der Bibliothekar den genauen Bücherbe- stand nicht wusste und von einer „muthmäßlichen Höhe von 6.000 Bänden“28 sprach.

Bereits in diesem Bestand gab es eine große Anzahl an Gesetzessammlungen sowie wichtige Werke aus den gesam melten Bereichen. So war die Philosophie mit „Metaphy- sische Anfangsgründe der Rechtslehre“ von Immanuel Kant vertreten29, im Bereich der Ökonomie lag u.a. das zweibändige Werk von Adam Smith „Über die Quellen des Volks-

22 Mit Fertigstellung des neuen Parlamentsgebäudes an der Ringstraße sollte die Bibliothek auch räumlich mit dem Abgeordnetenhaus zusammengeführt werden.

23 Hugelmann, Karl: Die Centralisation der Amtsbibliotheken in Wien, in: Österreichische Zeitschrift für Verwaltung, 20. Jg. Nr. 34, Wien 25.08.1887 + Nr. 35 1.09.1887, S. 140 (Signatur der Parlaments- bibliothek: I-142).

24 Stickler, Michael: Die Bibliothek des Reichsrathes 1869 – 1919, in: Mayrhöfer, Josef/Ritzer, Walter (Hrsg.): Festschrift Josef Stummvoll: Dem Generaldirektor der Österreichischen Nationalbibliothek zum 65. Geburtstag, 19. August 1967, dargebracht von seinen Freunden und Mitarbeitern, Wien 1970, S. 429 (Signatur der Parlamentsbibliothek: 39.806).

25 Kasten ist das österreichische Wort für Schrank. Nach: Wintersberger, Astrid/Artmann, H.C.:

Österreichisch – Deutsches Wörterbuch, Salzburg, Wien 1995 (Signatur der Parlamentsbibliothek:

55.734).

26 Stickler, Michael: Die Bibliothek des Reichsrathes 1869 – 1919, a.a.O., S. 429.

27 Ebd.

28 Ebd.

29 Diese Ausgabe befindet sich heute nicht mehr im Bestand der Bibliothek, dafür wurde eine neue Ausgabe dieses Werks angeschafft (Signatur der Parlamentsbibliothek: I-6.856/360).

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wohlstandes“30 vor, und auf dem Gebiet des Völkerrechtes war das von Grotius auf latei- nisch verfasste, fünfbändige Werk „De jure belli ac pacis cum commentariis cocceji“31 im übergegangenen Bestand vorzufinden. Zusätzlich zu den staats wissenschaftlichen Bereichen „waren Neben- und Hilfswissenschaften (Enzyklopädien, Lexika, Geschichte, Topographien, Landkarten, Schematismen) vertreten“32. An Zeitungen waren immerhin die Allgemeine Zeitung (Augsburg), die französische Zeitung „Revue des deux mondes“, sowie die „Wiener Zeitung“ seit dem Jahr 1809 vertreten33. Nach Meinung des Bibliothe- kars Koch waren „alle inländischen juristischen und staatswissenschaftlichen Zeitschrif- ten vertreten, die aus ländischen Fachzeitschriften allerdings fehlten“34.

Das Budget der Bibliothek machte dem Bibliothekar allerdings Sorgen, da von den 500fl.35 pro Jahr bereits 150fl. auf Abonnements und 160fl. auf Buchbindearbeiten entfielen. Für den Ankauf neuer Werke blieben dem Bibliothekar lediglich 190fl. übrig.

Ein mittleres Sachbuch kostete zu dieser Zeit etwa 1,5fl. Damit war dem Bibliothekar jährlich die Anschaffung von durchschnittlich nur etwa 120 Büchern möglich.

Die unwegsamen Räumlichkeiten, sicherlich aber die finanziellen Sorgen ließen Koch zum Abschluss seines Berichtes Bemerkungen machen, dass ihm

„die fernere Führung der Bibliotheksagenden beschwerlich zu werden be- ginnt. Die Ungemächlichkeiten eines vorgerückten kränkelnden Alters, das Schwinden eines durch Undank und Kränkung gebeugten geistigen Lebens [...] gemahnt ihn weit mehr an Ruhe und Erholung und zwinget ihn dieselbe selbst mit empfindlichen Einbußen seines Einkommens zu suchen“36.

Das weitere Schicksal des Bibliotheksleiters Koch kann aufgrund der unvollständigen Aktenlage nicht nachvollzogen werden, doch ist in einem Schreiben des Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Dr. Moritz Edler von Kaiserfeld, an den Ministerpräsidenten37 Taaffe vom 29. März 1870 erwähnt, „dass die Bibliothek wegen Sessionsschlusses und

30 Smith, Adam: Über die Quellen des Volkswohlstandes, Stuttgart 1861, (Signatur der Parlamentsbibliothek: 2.690).

31 Grotius, Hugo: De jure belli ac pacis cum commentariis cocceji, 5 Bände, Lausanne 1751 (Signatur der Parlamentsbibliothek: 1.539).

32 Stickler, Michael: Die Bibliothek des Reichsrathes 1869 – 1919, a.a.O., S. 429.

33 Noch heute befindet sich die Wiener Zeitung seit dem Jahre 1809 lückenlos im Bestand der Parla- mentsbibliothek (Signatur der Parlamentsbibliothek: I-99).

34 Stickler, Michael: Die Bibliothek des Reichsrathes 1869 – 1919, a.a.O., S. 429.

35 Die Abkürzung fl. steht für Gulden. 1 Gulden entsprach zu jener Zeit 100 Kreuzern. Zum Vergleich:

Eine „Rundsemmel“ kostete rund 15 Kreuzer. Für die Miete einer mittleren Wohnung mussten etwa 360fl. aufgebracht werden. Nach: Pribram, Alfred Francis: Materialien zur Geschichte der Preise und Löhne in Österreich, Band 1, Wien 1938, S. 433 (Signatur der Parlamentsbibliothek: 21.157) und: Sandgruber, Roman: Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittel- alter bis zur Gegenwart, Wien 1995, S. 268 (Signatur der Parlamentsbibliothek: 54.579/10).

36 Zit. nach: Stickler, Michael: Die Bibliothek des Reichsrathes 1869 – 1919, a.a.O., S. 430.

37 Graf Eduard von Taaffe folgte nach dem Rücktritt Carl Wilhelm (auch: Carlos) Auerspergs im Herbst 1868 als Ministerpräsident nach, trat aber bereit im Januar 1870 wieder zurück. Allerdings wurde er bereits im April wieder Innenminister. Später, im August 1879, wurde Taaffe erneut Mi- nisterpräsident.

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wegen des Todes des Bibliotheksverwalters Koch noch nicht übernommen werden konnte“38.

Das endgültige Geburtsdatum der Parlamentsbibliothek wird einhellig auf den 11. Mai 1869 angesetzt, dem Tag des kaiserlichen Handschreibens39, mit dem die Bibliothek des Staatsrates dem Reichsrate zur Benützung überlassen wurde. Eine Eigentums- übertragung war laut Ministerpräsident Taaffe nicht möglich, da „der Mangel der eigenen Kompetenz zur Gutfindung über das Eigentum bezüglich dieser Bibliothek“40 ihm diese Entscheidung unmöglich machte.

2. Die Reichsratsbibliothek unter der Leitung von Dr. Johann Vincenz Goehlert (1870 – 1876)

Zur Person Nach dem Tod des Staatsratsbibliothekars Koch übernahm schließlich Dr.

Johann Vincenz Goehlert die Leitung der Reichsratsbibliothek. Sein Jah- resgehalt belief sich auf 1200fl. und zusätzlich 300fl. Quartiergeld. Die Ausgaben eines alleinstehenden Beamten betrugen zu jener Zeit nach ei- ner Modellrechnung etwa 980fl. pro Jahr41.

Dienst-

instruktion Der vormalige Beamte im k.k. Statistischen Büro und Konzipist im Staatsministerium des Inneren kümmerte sich insbesondere um die Aus- arbeitung einer Bibliotheks-Dienstinstruktion. Der Titel dieser Dienstin- struktion lautete „Vorschrift für den Dienst in der Reichsrathsbibliothek“ . Die Arbeit daran fand in den Jahren 1870 bis 1871 statt.

Zur Erweiterung des Bibliotheksbestandes bat Goehlert, „dass ihm die Überwachung des Austausches der Druckschriften übertragen“42 werde.

Zwar wurde der Bibliothek im Voranschlag für das Jahr 1870 ein Budget von 1500fl. gewährt, doch war nach der neuen Dienstinstruktion der Bib- liothekar keineswegs frei im Umgang mit diesem Budget:

„Zur Anschaffung von Büchern, Druckschriften und Kartenwer- ken durch Ankauf oder durch Tausch bedarf der Bibliothekar den schriftlichen Auftrag oder im Falle eines diesbezüglichen Antrages des Bibliothekars die schriftliche Genehmigung des

38 Stickler, Michael: Die Bibliothek des Reichsrathes 1869 – 1919, a.a.O., S. 430.

39 Die Festlegung des Geburtstages der Bibliothek nahm Stickler vor, spätere Autoren schlossen sich dieser Datierung an.

40 K.k. Ministerpräsident, Nr. 914 M.P., IV. Session, 25. December 1868 (in: Archivschachtel 1k

„Bibliothek“).

41 Einen guten Überblick über die Kosten zu jener Zeit bietet: Megner, Karl: a.a.O., S. 94ff.

42 Stickler, Michael: Die Bibliothek des Reichsrathes 1869 – 1919, a.a.O., S. 430.

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Präsidiums eines der beiden Häuser des Reichsrathes, und es werden die Mitglieder dieser Häuser ersucht werden, diesfalls ihre Wünsche in Betreff der Nachschaffungen dem bezügli- chen Präsidium bekannt zu geben.

Dem Bibliothekar ist übrigens die Nachschaffung der Fortset- zung bereits begonnener Sammelwerke, sowie der Ankauf bibliothekarischer Hilfswerke, wie: Wörterbücher, Cataloge u.

dgl. – letzterer Hilfswerke jedoch nur innerhalb der Gränzen [sic!] einer Jahres summe von 100fl. – ohne vorläufige Genehmigung gestattet.“43

Ebenfalls sah die Dienstinstruktion vor, dass während der Amts stunden

„auch die unmittelbare Benützung der Bücher durch Einsicht in dieselben in dem Bibliothekslokale stattfinden“44 kann. Die unmittelbare Benützung und Entlehnung von Werken waren „auch dem Reichsgerichte, den Mi- nisterien und öffentlichen Behörden und Staatsanstalten, sowie dem Nie- derösterreichischen Landtage ges tattet“45. Bemerkenswert ist, dass der Zugang zur Bibliothek allen Gewalten gleich war, von einer Gewaltentei- lung hinsichtlich der Verwaltungsapparate also nicht gesprochen werden konnte, wäre es doch sonst naheliegend, getrennte Büchersammlungen zu errichten. Die Exekutive hatte zwar mit der 1850 eröffneten Administra- tiven Bibliothek eine eigene Organisationseinheit46, doch gerade das Reichsgericht hatte zur Benutzung nur die Bibliothek des Reichsrates.

Katalog Der erste Katalog der Reichsratsbibliothek wurde im Jahr 1871 in Druck gegeben. Seither wurden unter der Leitung Goehlerts jährlich exakt die Neuerwerbungen in Supplementheften aufgenommen; damit konnte die jährliche Bestandserhöhung47 ausgewiesen werden. Goehlerts Nachfolger brachte lediglich alle zwei Jahre einen neuen Supplementband48 heraus.

43 So §4 der „Vorschrift für den Dienst in der Reichsrathsbibliothek“, Nr. 568 A.H. Die gesamte Vor- schrift ist auch veröffentlichet in: Lösch, Hellmut: Die österreichische Parlamentsbibliothek in Ver- gangenheit und Gegenwart, in: Hahn, Gerhard/Kirchner, Hildebert (Hrsg.): Parlament und Bibliothek. Internationale Festschrift für Wolfgang Dietz zum 65. Geburtstag, München, London, New York, Oxford, Paris 1986, S. 94 ff. (Signatur der Parlamentsbibliothek: 48.774).

44 §12 der „Vorschrift für den Dienst in der Reichsrathsbibliothek“, a.a.O.

45 §13 der „Vorschrift für den Dienst in der Reichsrathsbibliothek“, a.a.O.

46 Nach: Ternyak, Heidemarie: Die Administrative Bibliothek und österreichische Rechtsdokumen- tation im Bundeskanzleramt. Ein Überblick über ihre Entwicklung und Aktivitäten seit 1849, Wien 1989, S. 9 (Signatur der Parlamentsbibliothek: 53.869).

47 Im Jahre 1872 wurden 553 Bücher der Bibliothek einverleibt, darunter allerdings die etwa 400 Werke, die aus dem Nachlass des „Centralarchivs für Statistik und Gesetzgebung“ bestanden. Im Jahre 1873 wuchs der Bücherbestand um 511 Werke.

48 So existiert der Supplementband VI, als „Verzeichnis jener Werke, welche der Reichsraths - Biblio- thek im Jahre 1875 und 1876 einverleibt worden sind“, Katalog der Reichsraths – Bibliothek, VI.

Supplement – Heft, Wien 1877 (Signatur der Parlamentsbibliothek: 18.984/6). Ein solcher Supple- mentband erschien auch als Band VII für die Jahre 1877 bis 1878.

(18)

Der gedruckte Katalog war allerdings nur „sehr laienhaft angelegt“49. Signaturen waren im Katalog keine vorhanden, da zu diesem Zeitpunkt den Büchern noch keine Signaturen zugeordnet waren. Der Katalog war eine Mischung aus Autorenverzeichnis und Schlagwortkatalog. Die Beschlagwortung der Bücher muss sich als sehr unbefriedigend bezeich- nen lassen. Stickler bemerkte hiezu:

„Anonyme Werke und Sachtitel stehen meist unter einem ge- eignet erscheinenden Stichwort. Zum Beispiel steht unter ‚Ös- terreich’ ‚Die Unterrichtsfrage vor dem Reichs rathe etc. Wien 1862’, ‚Die Juden in Österreich. Leipzig 1842’, ‚Documenta imperii Austriaci etc. Viennae, 1856’. Der Titel ‘Bischöfliche Versammlung zu Wien im Jahre 1849. Wien 1850’ ist unter

‚Bischöfliche’ eingeordnet. Unter ‚Parlamentarisches’ sind die stenographischen Berichte des Herrenhauses, des Abgeord- netenhauses, die stenographischen Berichte ausländischer Parlamente oder Monographien über Parlamente aufgenom- men. Es ist keine Seitenzahl oder Größe, wohl aber die Zahl der Bände angegeben.“50

Weiters wurde unter Goehlert 1872 ein gedruckter, nach Schlagworten sortierter Realkatalog herausgegeben, welcher, in einem Band verfasst, Leerseiten umfasste, sodass weitere Ergänzungen jederzeit möglich wa- ren, die bis Ende 1874 auch durchgeführt wurden. Der Katalog spiegelte auch einen Standortkatalog wider, „da die Werke und Bände nach Schlagworten alphabetisch in Kästen gereiht waren“51.

Die von Goehlert angestrebte Ordnung der Bibliothek ist ihm allerdings nicht gelungen, da sein Nachfolger Johann Freiherr von Päumann in ei- nem Übernahmebericht 1876 bemängelte, „daß der vorhandene unbib- liothekarisch eingelegte Zettelkatalog mit der Aufstellung des Bücherbe- standes nicht nur nicht übereinstimme, sondern auch unvollständig sei"52. Außerdem bemerkte er, dass er „keine Kontrolle der Entlehnungen auf- zuweisen vermag"53. Die genauen Vorschriften54 seiner eigens

49 Stickler, Michael: Die Bibliothek des Reichsrathes 1869 – 1919, a.a.O., S. 430.

50 Stickler, Michael: Die Bibliothek des Reichsrathes 1869 – 1919, a.a.O., S. 431.

51 Stickler, Michael: Die Bibliothek des Reichsrathes 1869 – 1919, a.a.O., S. 432.

52 Päumann, Johann Freiherr von, Protokoll aufgenommen über die zum 31. Oktober erfolgte Über- gabe, resp. Übernahme der Bibliothek des Reichsrates, Wien 4. November 1876 (in: Archiv- schachtel 1k „Bibliothek“).

53 Ebd.

54 U.a. §5 der „Vorschrift für den Dienst in der Reichsrathsbibliothek“: „Der Bibliothekar hat die von den Präsidien der beiden Häuser des Reichsrathes, sowie auch die von einzelnen Reichs-

rathsmitgliedern verlangten Bücher gegen Empfangsbestätigung jederzeit ohne Anstand auszufol- gen“.

(19)

ausgearbeiteten Dienstinstruktion hat Goehlert demnach selbst nicht ge- nau befolgt.

Bestände Der Bestand der Bibliothek wird im Jahr 1870 auf etwa 8.000 bis 10.000 Bücher55 beziffert. Durch den begonnenen Gesetzestausch mit anderen Ländern war es den Parlamentariern nun möglich, sich über Gesetzge- bungs prozesse im Ausland zu informieren, um von dort Beispiele und Rückschlüsse auf die heimische Politik zu ziehen. Die ausländischen Ge- setzessammlungen wurden zu diesem Zwecke mit einem deutschen Sachregister versehen.

Seinem Interesse an Statistik entsprechend56 hat Goehlert sich um die Buchbestände des aufgelösten „Zentralarchivs für Gesetzgebung und Statistik“ der Professoren Lorenz von Stein und Hugo Brachelli bemüht, so dass der Präsident des Abgeordnetenhauses, Ritter von Hopfen, in der Sitzung vom 14. Mai 1872 mitteilen konnte:

„Die Herren Gründer des Centralarchives für Gesetzgebung und Statistik, die k.k. Professoren Dr. Lorenz Ritter v. Stein und Dr. Hugo Brachelli, haben nach Mittheilung des Reichs- raths-Bibliothekars bei Auflösung dieses Ar chives ihre wert- volle Büchersammlung, bestehend aus 400 Bänden, der Bib- liothek des Reichsrathes unentgeltlich überlassen. Ich werde den genannten Herren für ihr uneigennütziges Geschenk den Dank aussprechen und bin überzeugt, dass das hohe Haus damit einverstanden ist.“57

Zum

Schluss In einem Schreiben vom 20. Dezember 1875 teilte Goehlert dem Präsi- dium des Abgeordnetenhaus es mit,

„dass ich infolge meines andauernden Augenleidens genötigt bin, von dem mir so lieb gewordenen Posten eines Bibliothe- kars des Reichsrathes zu scheiden und gleichzeitig um die Versetzung in den bleibenden Ruhestand“58

anzusuchen. Dem Ansuchen um Pensionierung wurde von Seiten des In- nenministeriums schnell nachgekommen; sie erfolgte schließlich im Jahr 1876. Mit ihr ging eine Beförderung einher, so dass er mit „Titel und Cha- rakter eines Regierungsrates“ entlassen wurde. Nach seiner Pensionie-

55 Nach: Lösch, Hellmut: Die österreichische Parlamentsbibliothek in Vergangenheit und Gegenwart, a.a.O., S. 97.

56 Beispielsweise ist im Supplementheft zum Jahr 1872 der Zuwachs der statistischen Werke mit 42 Büchern der größte Posten.

57 Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Hauses der Abgeordneten des österreichi- schen Reichsrathes, IX. Session, 98. Sitzung, Wien 1881, S. 3409.

58 Nr. 4080 Abg.H. per 21. Dezember 1875 (in: Archivschachtel 1k „Bibliothek“).

(20)

rung ging Goehlert weiterhin seinen statistischen Interessen nach, indem er statistische Überlegungen zur Dynastie der Kapetinger59 und zur Bibel60 veröffentlichte61.

3. Der provisorische Leiter der Bibliothek Johann Freiherr von Päumann (1876 – 1881)

Zur Person Da nach der Pensionierung Goehlerts kein geeigneter Leiter der Bibliothek zu finden war, entschied man sich, den Sektionsrat Johann Freiherr von Päumann aus dem Ruhestand zurückzuberufen, um ihn provisorisch mit der Leitung der Bibliothek zu beauftragen. Hiezu wurde ihm zusätzlich zu seiner Pension eine Zulage von 800fl. gewährt.

Räumlich-

keiten Die Räumlichkeiten der Bibliothek waren 1874 aus dem Ministerratspräsi- dium, Bankgasse 10, in ein anderes Gebäude verlegt worden. Der Präsi- dent des Abgeordnetenhauses, Dr. Rechbauer, teilte hiezu in der Sitzung am 24. Oktober 1874 mit:

„Ich ersuche ferner zur Kenntniß zu nehmen, dass die Reichs- rathsbibliothek sich derzeit auf dem Schillerplatz im ehemaligen Hotel ‚Britannia’ befindet und als Amtsstunden die Stunden festgesetzt sind: An Wochentagen von 9 bis 2 Uhr, an Sonn- und Feiertagen von 10 bis 12 Uhr Vormittags.“62

Katalog Wie bereits erwähnt, war Päumann mit den Leistungen und der Ordnung Goehlerts keineswegs zufrieden. Er erstellte zu Beginn seines Amtsan- tritts ein Verzeichnis, in dem 72 Bücher, die „bei der Anvision der Reichs- rathsbibliothek nicht vorgefunden wurden“63, aufgeführt waren. Er betonte in seinem Übernahmeprotokoll ebenfalls, er wolle nur die Verantwortung für diejenigen Bücher übernehmen, die zum Zeitpunkt der Anvision vorzu- finden waren.

59 Goehlert, Vinc.: La dynastie Capetienne, in: Ann. du [sic!] Demogr. Internat., Paris 1876, S. 145 – 155 (Signatur der Parlamentsbibliothek: 62.629).

60 Goehlert, Vinc.: Considerazioni statistiche sui dati biblici, Trieste 1887 (Signatur der Parlamentsbibliothek: 62.630).

61 Das Werk über die Kapetinger ist auf Französisch erschienen. Da es keine Angaben über einen Übersetzer gibt, scheint Goehlert des Französischen mächtig gewesen zu sein. Bei dem italieni- schen Werk handelt es sich um eine Übersetzung.

62 Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Hauses der Abgeordneten des österreichi- schen Reichsrathes, VIII. Session, Bd.3, Wien 1874, S. 2422.

63 Päumann, Johann Freiherr von, Verzeichniß, Nr. ii, 899, Wien 1. März 1877 (in: Archivschachtel 1k

„Bibliothek“) (Unterstreichung im Original).

(21)

Die Supplementhefte64, die unter der Leitung Päumanns herausgegeben wurden, entbehrten der allgemeinen Stichworte und beschränkten sich vornehmlich auf eine Gliederung nach Autoren. „So war Päumann der erste, der den Büchern Signaturen gab, einen Standortkatalog anlegte und die weitgehende Systematik der Aufstellung aufließ.“65 Durch die neue Vergabe der Signaturen, die bis heute fortgeführt werden, läuft die Durchnummerierung in dieser Zeit nicht nach Eintreffen der Bücher, son- dern nach der damaligen Aufstellung, also in grober thematischer Ord- nung. Die Bücher waren in „16 Gruppen folgender Stoffgebiete, alphabe- tisch geordnet, untergebracht: Advokaten, Armenpflege, Baurecht bis Gemeinwesen.“66 Seit 1877 erfolgt die Aufstellung der Werke nach dem Zeitpunkt der Aufnahme in die Bibliothek. Die Aufnahme der Signaturen nahm einige Zeit in Anspruch. So schreibt Päumann in seinem Rechen- schaftsbericht im März 1877, der „Gefertigte hofft, in einigen Monaten da- mit zum Abschluß zu kommen“67.

Zusätzlich sammelte er Broschüren, „die bis jetzt ihren Platz mitten unter den Büchern hatten“68, in Pappschachteln.

In seinen Beilagen zum Rechenschaftsbericht 1877 legte er Muster für einen Zettelkatalog bei, der in alphabetischer Reihenfolge gegliedert sein sollte. Wahrscheinlich wurden die Zettel jenes Kataloges später durch eine Neuordnung nach systematischen Kriterien für den von Karl Renner ausgearbeiteten Katalog wieder verwendet. Allerdings wurden gleichzei- tig, wie aus dem genannten Rechenschaftsbericht zu erkennen war, vier verschiedene Kataloge geführt:

1. Alphabetischer Nominalkatalog auf Zetteln

2. Gedruckter alphabetischer Realkatalog in Buchform 3. Gedruckter Realkatalog in Buchform

4. Zusatzregister für alle Arten von Erwerbungen

Personal Aufgrund dieses Verwaltungsaufwandes ist es nicht weiter verwunderlich, dass im Jahr 1880 der Präsident des Abgeordnetenhauses, Graf Coronini, verkündete:

„Von Seite des Vorstandes der Reichsrathsbibliothek ist ein Bericht an das Präsidium des hohen Hauses gelangt, in wel- chem der Antrag auf Creirung der Stelle eines Amanuensis69 gestellt wird. Es ist dies eine innere Angelegenheit des hohen

64 Laut Supplementheft VI beläuft sich der Zuwachs in den Jahren 1875 – 1876 auf 164 Bücher.

65 Stickler, Michael: Die Bibliothek des Reichsrathes 1869 – 1919, a.a.O., S. 433.

66 Ebd.

67 Päumann, Johann Freiherr von, Rechenschaftsbericht, Nr. 6228 A.H., VIII Session, 8. März 1877 (in: Archivschachtel 1k „Bibliothek“).

68 Ebd.

69 Ein Amanuensis war eine Hilfskraft im Beamtenstatus.

(22)

Hauses; ich glaube daher, dass dieselbe jedenfalls an den Budgetausschuss zu leiten ist, der darüber eventuell zu berathen und Bericht zu erstatten hat. Wenn kein Widerspruch erhoben wird, nehme ich an, dass das hohe Haus mit diesem Vorgange einverstanden ist.“70

Doch sollte es noch einige Zeit dauern, bis ein weiterer Beamter in der Reichsrathsbibliothek seinen Dienst tun durfte. Erst mit der Überstellung des späteren Leiters der Bibliothek, Merklas, von einer Bibliotheks hilfskraft zum Amanuensis im Jahr 1895 wurde dieser Bitte nachgekommen. Doch gab es bereits Bibliotheksdiener, die dem Bibliothekar zur Seite gestellt waren71.

Zum Schluss Wegen Krankheit beantragte Päumann 1881 Urlaub und wurde später des halb von der Leitung der Bibliothek mit einem Ruhegehalt von insge- samt 2400fl. enthoben. In einer Übergangs phase versah „Kanzleirat Kupka recht und schlecht die Obliegenheiten des Bibliothekars“72.

Unter dem Pseudonym Hans Max veröffentlichte Johann Freiherr von Päumann von etwa 1860 bis 1890 zahlreiche Lustspiele, Schwänke und komische Operetten. Auffällig ist, dass nicht nur die Liebe für die Literatur, sondern offenbar auch ein Interesse für polnische Literaten Päumann mit seinem Nachfolger verband. Päumann gab ein Lustspiel Józef Korzeniowskis73 in deutscher Übersetzung heraus, sein Nachfolger in der Bibliotheksleitung, Siegfried Lipiner, übersetzte mehrere Werke von Adam Mickiewicz74 ins Deutsche.

Bilanz Der Vergleich der beiden Leiter der Bibliothek der ersten elf Jahre ergibt, dass sich Goehlert stark für die Erweiterung des Buchbestandes ein- setzte, insbesondere auf dem Gebiet der Statistik, darüber allerdings die eigentliche Verwaltung der Bibliothek übersah. Sein Nachfolger Päumann erwarb sich weniger Verdienste auf dem Gebiet der Akquisition75 neuer Bücher oder der Übernahme alter Buchbestände, dafür ordnete und ver- waltete er den Buchbestand neu und effizienter.

70 Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Hauses der Abgeordneten des österreichi- schen Reichsrathes, IX. Session, 98. Sitzung, Wien 1881, S. 3409.

71 Im erwähnten Rechenschaftsbericht von 1877 spricht Päumann von dem Bibliotheksdiener Josef Pöck, der „am 19. Oktober 1876 seinen Dienst antrat“.

72 Stickler, Michael: Die Bibliothek des Reichsrathes 1869 – 1919, a.a.O., S. 434.

73 Päumann, Johann Freiherr von (Max, Hans pseud.): Zuvor die Mama! Lustspiel in 1 Aufzug. Frei nach dem Polnischen des Józef Korzeniowski, Wien 1861.

74 Lipiner, Siegfried: Poetische Werke von Adam Mickiewicz, Leipzig 1882.

75 Zwar wies Päumann jährliche Zuwächse aus, doch wird allgemein von einem Buchbestand 1875 von etwa 13.000 gesprochen (so: Stickler, Michael: Die Bibliothek des Reichsrathes 1869 – 1919, a.a.O., S. 433), zum Ende der Amtszeit Päumanns scheint der Buchbestand laut Nachfolger Lipiner 12.645 gewesen zu sein. (Lipiner, Siegfried, Rechenschaftsbericht 1883, Nr. 1 1883, IX. Session:

Gesamtbestand: 13.861, Zuwachs: 1.216)

(23)

4. Jahre der Kontinuität unter der Leitung von Dr. Siegfried Lipiner (1881 – 1911)

Der bisher am längsten aktive Leiter der Bibliothek war der am 1. Oktober 1881 eingestellte Schriftsteller und Philosoph, Siegfried Lipiner.

Biographische

Skizze Der Dichter und Philosoph, Siegfried Lipiner, dem die Bibliothek des Reichs rates große Fortschritte und eine Fülle an Ideen verdankt, wurde am 24. Oktober 1856 als Sohn jüdischer Eltern in Jaroslau, Galizien, ge- boren. Später, im Jahr 1862, zog die Familie ins west-galizische Tarnow um, „das eine größere jüdische Gemeinde hatte als Jaroslau“76. Wenige Jahre später, im Jahr 1871, besuchte Siegfried Lipiner bereits das Leo- poldstädter Gymnasium in Wien. Ob er mit seiner Familie oder allein nach Wien kam, ist nicht eindeutig geklärt77. Als sicher gilt, dass Lipiner keine herausragenden Beziehungen zu seinen Eltern gehabt zu haben scheint, denn weder durch ihn, noch durch seine Freunde wurde viel darüber be- richtet. Da er in armen Verhältnissen aufgewachsen ist, musste er seinen Lebensunterhalt noch während seiner Gymnasialzeit „durch Stundenge- ben“78 verdienen.

Bereits während seiner Schulzeit ist Lipiner als „ein sehr frühreifer und begabter Schüler“79 aufgefallen. So schuf er in seinen letzten Jahren am Gymnasium bereits seine ersten Dichtungen, „das Epos ‚Echo’, die histo- rische Tragödie ‚Arnold von Brescia’ und Teile der epischen Dichtung ‚Der entfesselte Prometheus’“80.

In seinem 19. Lebensjahr erhielt Lipiner sein Reifezeugnis mit Auszeich- nung, obwohl er seine Prüfungen aufgrund einer Eingabe durch den Leh- rer ein Jahr früher als gewöhnlich ablegen durfte81, und begann sogleich das Studium an der Universität Wien. Insbesondere erstreckten sich seine Studien „auf das philosophische, das literar-historische und naturwissen-

76 Kann, Robert: Siegfried Lipiner (1856 – 1911) als Vertreter einer Polnisch-Deutschösterreichischen Kulturellen Synthese, aus: Zeszty naukowe uniwersytetu jagiellonskiego. 582, Warschau 1980, S.

101 (Signatur der Parlamentsbibliothek: 46.213).

77 Robert Kann schreibt, dass die Familie in Wien zu finden ist, während Hartmut von Hartungen keine genauen Anhaltspunkte dafür finden kann.

78 Hartungen, Hartmut von: Der Dichter Siegfried Lipiner (1856 – 1911). Dissertation, München 1932, S. 1 (Signatur der Parlamentsbibliothek: 56.477).

79 Ebd.

80 Ebd.

81 Nach: Bach, J.: Siegfried Lipiner, in: Arbeiter-Zeitung, Nr. 10 vom 12.1.1912 (Signatur der Parlamentsbibliothek: 63.491).

(24)

schaftliche Gebiet.“82 Im zweiten Studienjahr studierte er zusätzlich Philosophie an der Universität Leipzig und verbrachte auch kurze Zeit an der Universität Straßburg.

Neben dem Studium bewegte er sich in einem Kreis, dem illustre Persön- lichkeiten angehörten, unter denen er seine Freunde wie Gustav Mahler, Engelbert Pernerstorfer und Victor Adler83 fand. In diesen Kreisen wurden vor allem Werke von Nietzsche und Paul de Lagarde gelesen. Als Be- wunderer Nietzsches trat Lipiner bald mit ihm in Briefkontakt84. Anfänglich war Nietzsche von dem jungen Lipiner und vor allem von seinen Werken begeistert, doch bald wird Lipiner Nietzsche in seinen „Briefen allzu zu- dringlich“85 und verliert dadurch den Kontakt zu Nietzsche wieder. In ei- nem Brief schrieb Nietzsche über ihn:

„Von Lipiner ein Brief, lang, bedeutend für ihn sprechend, aber von unglaublicher Impertinenz gegen mich. Den ‚Verehrer’ und seinen Kreis bin ich nun los, - ich athme dabei auf. Mir liegt sein Werden sehr am Herzen, ich verwechsle ihn nicht mit sei- nen jüdischen Eigenschaften, für die er nicht kann“86.

Robert A. Kann sieht in Lipiners Wesen allerdings weniger eine Zudring- lichkeit, denn mit dieser ließe sich nicht bereits in so jungen Jahren ein Kreis junger Männer um sich sammeln, er führt es eher auf eine „Unfähig- keit oder Unwilligkeit“87 Lipiners zurück, „auf die Empfindlichkeit großer Männer einzugehen“.

Denn nicht nur mit Nietzsche, sondern auch mit Richard Wagner hatte Lipiner Kontakt. Noch während seiner Studienzeit wurde Lipiner von Richard Wagner nach Bayreuth eingeladen, wo er der Uraufführung des Parsifal beiwohnen durfte und in der Villa Wagners „längere Zeit als gerne festgehaltener Gast verweilte“88. Allerdings entstand zwischen Wagner und Lipiner keine intensive Beziehung, nicht zuletzt wegen ihrer konträren Einstellung gegenüber der Philosophie Schopenhauers.

Eine dauerhafte Freundschaft verband Siegfried Lipiner mit Gustav Mahler. Dieser bezeichnet Lipiner als den

82 Hartungen, Hartmut von: A.a.O., S. 2.

83 Ausführliche Schilderungen deren Treffen in: Meysels, Lucian O.: Victor Adler, Wien 1997, S. 30ff.

84 Auf den Briefkontakt Lipiners mit Nietzsche wird ausführlich eingegangen in: McGrath, William J.:

Mahler und der Wiener „Nietzsche-Verein“, in: Golomb, Jacob (Hrsg.): Nietzsche und die jüdische Kultur, Wien 1998, S. 210 – 224 (Signatur der Parlamentsbibliothek: 58.832).

85 Die Presse: Im Schatten des Übermenschen. Nietzsches Briefwechsel mit einem Wiener, Wien 20.

August 1950.

86 Nietzsche, Friedrich: zit. nach: Hartungen, Hartmut von, a.a.O., S. 13.

87 Kann, Robert A.: A.a.O., S. 102.

88 Pernerstorfer, Engelbert: Nekrolog. Siegfried Lipiner, in: Zeitschrift des Österreichischen Vereins für Bibliothekswesen, Jg. 3 (ganze Reihe: Jg. 16), Heft 2, Juni 1912, S. 122 (Signatur der

Parlamentsbibliothek: I-275).

(25)

„teuerste[n] Freund fürs Leben, bei dem er ‚Rat in allen mögli- chen Phasen des Daseins’ und ‚Beruhigung all’ seiner Zweifel sucht und findet’“89.

Lipiner stellte in Mahlers geistigem Leben eine Schlüsselfigur dar. „Nicht nur die Weltanschauung Mahlers ist von Lipiner entscheidend mitgeprägt worden, sondern auch das Schaffen Mahlers steht teilweise unter Lipiners starkem Einfluss. Das gilt insbesondere für die Zweite, die Dritte und die Zehnte Symphonie.“90 Mahlers Zweite Sym phonie war beispielsweise angeregt durch Lipiners Übersetzung der Verse „Todtenfeier“ des polni- schen Dichters Adam Mickiewicz.91 Zum 50. Geburtstag Mahlers widmete Lipiner ihm eines seiner eigenen Gedichte.92 Allerdings wurde die Freund- schaft zwischen Mahler und Lipiner getrübt, als Mahler seine spätere Gat- tin Alma kennen lernte, da Lipiner und Mahlers Gattin eine „Feindschaft“93 hegten. Alma Mahler, geborene Schindler, bezeichnete Lipiner als „Böse- wicht“ und ausgesprochenen Feind. Dies gipfelte darin, dass in den acht Jahren nach Mahlers Vermählung der Name Lipiners weder in Mahlers Briefen noch in Almas Tagebüchern aufschien.94 Lipiner schien von sei- nen Freunden Unterwerfung95 verlangt zu haben, was mit der ebenfalls starken Persönlichkeit von Mahlers Gattin nicht zu vereinbaren war. Laut Ingemar Söderberg, dem Enkel Lipiners, entstand der Streit zwischen Alma Mahler und Siegfried Lipiner auch aufgrund verschiedener Ansich- ten über den Maler Guido Reni, der von Lipiner verehrt, von Alma Mahler jedoch abgelehnt wurde.

Das Jahr 1881, in welchem Lipiner in den Dienst der Reichsratsbibliothek trat, stellte auch in seinem geistigen Schaffen einen Wendepunkt dar. „Die christlich-religiöse Idee als Grundproblem seiner Weltanschauung tritt von nun an immer klarer hervor.“96 Als Zeichen hiefür vollendete er 1898 das Werk „Adam“97, das als Vorspiel einer geplanten Christus-Trilogie ange- legt war. Das Christus-Werk warf er allerdings „ins Feuer“, weil er „ein stark kritischer Geist“ war, der „seine Leistungen zerfaserte“, was nach Hainisch „das Unglück seines Lebens“ war98. Lipiner selbst sah diese

89 Hartungen, Hartmut von: A.a.O., S. 3.

90 Floros, Constantin: Gustav Mahler. I. Die geistige Welt Gustav Mahlers in systematischer Darstel- lung, Wiesbaden 1977, S. 72.

91 Nach: Floros, Constantin: A.a.O., S. 82.

92 Laut Ingemar Söderberg, dem Enkel Siegfried Lipiners.

93 Nach: Floros, Constantin: A.a.O., S. 80.

94 Nach: Ebd.

95 Nach: Pernerstorfer, Engelbert: Nekrolog. Siegfried Lipiner, a.a.O., S. 124.

96 Floros, Constantin: A.a.O., S. 75.

97 Lipiner, Siegfried: Adam. Ein Vorspiel, Stuttgart 1913 (Signatur der Parlamentsbibliothek: 35.870).

98 Nach: Hainisch, Michael: 75 Jahre aus bewegter Zeit. Lebenserinnerungen eines österreichischen Staatsmannes, Wien 1978, S. 130 (Signatur der Parlamentsbibliothek: I-1.501/64).

(26)

Eigenschaft allerdings nicht, denn sein Freund, der Abgeordnete Engelbert Pernerstorfer schilderte:

„Er konnte es mir nie vergessen, dass ich ihm einmal sagte, er sei durchaus ein kritischer Kopf. Nach Jahren, nachdem ich diesen Ausspruch getan, kam er immer wieder auf ihn zurück um mir zu beweisen, dass ich Unrecht habe.“99

1891 trat Lipiner zum Protestantismus100 über und kam so seiner neuen Überzeugung und seinem geistigen Wandel hin zum christlich-zentrierten Weltbild nach. Pernerstorfer stellte fest, dass Lipiner „ein überzeugter Christ“101 war, allerdings nicht im kirchlichen Sinne.

„In den Dingen der Kunst, der Philosophie und der christlichen Theologie war er ein bewundernswerter Gelehrter. Aber nicht bloß ein solcher, der um die Dinge wusste. Er erhob sich über sie durch selbstständiges Denken. Wer ihn oft stundenlang über einen solchen Gegenstand hat reden hören, der konnte nicht leicht entscheiden, was größer an ihm sei: Die Summe des fruchtbaren Wissens oder die Fülle eigener Gedanken.“102 Lipiner starb am 30. Dezember 1911 nach einem langen Leiden an Zun- genkrebs103. In einem Nachruf stand über den, der einst großen literari- schen Ruhm genoss:

„Ein Unbekannter starb. Der Regierungsrat und Bibliotheksdi- rektor war nicht jener Siegfried Lipiner, der vor einigen dreißig Jahren am Geisteshimmel erschien und leuchtend seine Bahn zog. Erst als dieser Feuergeist in das Dunkel eines Amtes ver- schwand, ward er der, von dem eine karge Todesanzeige sprach. Doch nicht ganz der, und ganz vermochte er dieser nicht zu sein. Wär’ er es ganz gewesen, man hätte ihn feier- licher bestattet.“104

Allerdings wurde 50 Jahre nach dem Tod des Reichsratsbibliothekars und Schriftstellers eine Straße im 23. Wiener Gemeindebezirk nach ihm be- nannt105.

99 Pernerstorfer, Engelbert: Nekrolog. Siegfried Lipiner, a.a.O, S. 124.

100 Lipiner weigerte sich, den katholischen Glauben als Christentum anzuerkennen. Nach: Pernerstor- fer, Engelbert: Nekrolog. Siegfried Lipiner, a.a.O, S. 124.

101 Pernerstorfer, Engelbert: Nekrolog. Siegfried Lipiner, a.a.O, S. 124.

102 Pernerstorfer, Engelbert: Nekrolog. Siegfried Lipiner, a.a.O, S. 123.

103 Nach Auskunft Ingemar Söderbergs.

104 Bach, J.: A.a.O.

105 Autengruber, Peter: Lexikon der Wiener Straßennamen. Bedeutung. Herkunft. Frühere Bezeichnungen, Wien 2001, S. 147 (Signatur der Parlamentsbibliothek: 57.306,4.A).

(27)

Der Bibliotheks-

leiter Auf Empfehlung des Präsidenten des Abgeordnetenhauses, der zugleich Führer des Polenklubs106 war, Dr. Franciszek Smolka, bekam der 24 Jahre junge, aus Galizien stammende Lipiner die Chance, als Leiter der Parlamentsbibliothek in die österreichische Beamtenlaufbahn einzutreten.

Dies war nicht nur wegen seines jugendlichen Alters erstaunlich, auch als Sohn jüdischer Eltern war es oft schwierig, im katholischen Kaiserstaat Fuß zu fassen. Hinzu kommt, dass er erst kurz zuvor sein Studium „auf- grund einer sehr beachtlichen Dissertation über ‚Homunculus, eine Studie über Faust und die Philosophie Goethes’ abgeschlossen“107 hatte.

Trotz dieser schwierigen Umstände schaffte es Lipiner „mit voller Zustim- mung des Präsidenten des Herrenhauses, Graf Ferdinand Trautmannsdorff-Weinsberg, zum Direktor der Bibliothek ernannt“108 zu werden. Hiezu heißt es in einem Brief von Smolka an den Ministerpräsi- denten Taaffe:

„Der Herr Ministerpräsident [...] hat an mich das Ersuchen ge- richtet [...] eine für diese Stelle [...] geeignete Persönlichkeit namhaft zu machen.

Als solche glaube ich nun den Schriftsteller Siegfried Lipiner in Wien benennen zu sollen, da derselbe alle Eigenschaften be- sitzt, die ihn für diesen Posten vollkommen befähigen. Lipiner ist nicht nur ein vorzüglicher wissenschaftlich gebildeter und geistvoller, sondern auch mit der Literatur aller Kulturepochen vertrauter Mann, der sich in seinem Privatleben des besten Leumunds erfreut.“109

Wichtig ist, dass Lipiners

„Ernennung, die auf Betreiben eines freiheitlich gesinnten Staatsmannes in einer nicht mehr liberalen Ära der österreichi- schen Innenpolitik erfolgte, in keiner Weise auf von ihm ange- botene oder verlangte Zugeständnisse zurückzuführen ist“110.111

106 Der 1867 gegründete Polenklub war der Zusammenschluss der polnischen Mitglieder im

Abgeordnetenhaus des Reichrates. Weiterführend: Kucharski, Wladyslav S.: Polacy w austriackim parlamenicie. W 130. rocznice kola polskiego/Die Polen im österreichischen Parlament. Zum 130.

Jahrestag des Polenklubs, Lublin, Wien 1997 (Signatur der Parlamentsbibliothek: 57.903), sowie:

Meldung der Parlamentskorrespondenz vom 27.05.2002 (Nr. 552) (www.parlament.gv.at).

107 Kann, Robert A.: A.a.O., S. 103.

108 Ebd.

109 Zit. Nach: Ebd.

110 Ebd.

111 Als Beweis führt Kann an, dass Lipiner erst nach zehn Jahren zum Protestantismus, nicht zum Katholizismus übergetreten ist.

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Für Lipiner war der Posten des Bibliotheksleiters insbesondere wichtig, da er sich in einer finanziellen Krisensituation befand und daher unbedingt zum Broterwerb gezwungen war. Die Stelle des Bibliothekars bot ihm so- wohl das benötigte Einkommen, als auch, so war es zumindest in seinem Freundeskreis geplant, die Möglichkeit, dem Schöngeistigen nachzuge- hen, „doch nimmt Lipiner selbst sein Amt sehr gewissenhaft und widmet sich ihm ganz“112.

„So dankt es in weitem Umfange ihm die Wiener Reichs rats- bibliothek, der er 30 Jahre vorstand, dass sie von Sachver- ständigen als eine der best eingerichteten der Welt bezeichnet wurde.“113

In dem Nekrolog zu Lipiner schreibt sein Freund, Mandatar des Abgeord- netenhauses und Bücherliebhaber114, Engelbert Pernerstorfer:

„Er fühlte das Bedürfnis, nicht nur ein totes Verwaltungs organ zu sein, sondern er suchte sich zum lebendigen Beherrscher des sachlichen Inhaltes der Büchermassen zu machen. Seine Universalität machte er der Sache der Bibliothek dienstbar und er hielt es für seine Pflicht, allen denen, die die Bibliothek be- nützen wollten, ein sicherer Führer zu sein. Und so wenig kon- genial ihm vielleicht gewisse Wissenszweige waren: man konnte bei ihm nicht bloß erfahren, wo etwas Wissenswertes über einen juristischen Gegenstand zu finden sei, er wusste in der Regel selbst ziemlich viel, oft mehr von dem Gegenstande, als der fragende Sachverständige selbst.“115

Auf der anderen Seite existieren auch Stimmen, die von dem idealtypi- schen Bild eines Bibliothekars, das bisher aufgezeigt wurde, abweichen.

So erinnerte sich der ehemalige Bundespräsident116 Michael Hainisch:

„Er hatte, zum Bibliothekar des Reichsrates ernannt, die Bib- liothek neu geordnet und eingerichtet, worauf er sich dann aber allerdings nur wenig um seinen Beruf küm merte. Er ging viele

112 Hartungen, Helmut von: A.a.O., S. 8.

113 Natrop, Paul: Vorwort, in: Lipiner, Siegfried: Adam. Ein Vorspiel, Stuttgart 1913, S. 5 f. (Signatur der Parlamentsbibliothek: 35.870).

114 Von Pernerstorfer ist folgender Ausspruch überliefert:

„Ich muß meine Bücher um mich haben. Sie bilden meine Dienerschaft und meinen Hofstaat. Sie sind meine Freunde, mit denen ich plaudere, sie sind meine mir so unentbehrlich notwendigen Gegner, mit denen ich streiten will, sie sind mein Harem und mein Lustgarten.“

Zit. nach: Wolensky, Madeleine: Pernerstorfers Harem und Viktor Adlers liebster Besitz oder zwei sozialistische Bibliophile, ihre Bücher und die Arbeiterkammerbibliothek. Schriftenreihe der Sozialwissenschaftlichen Studienbibliothek unter der Leitung von Josef Vass, Wien 1994, S. 5 (Signatur der Parlamentsbibliothek: I-5.649/1).

115 Pernerstorfer, Engelbert: Nekrolog. Siegfried Lipiner, a.a.O., S. 123.

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