Department für Pflegewissenschaft
Familie:
komplexes Fallmanagement bei komplexen
Beziehungsgeflechten?
Univ. Prof. Dr. Wilfried Schnepp 7. ANP Kongress
Fachhochschule Oberösterreich Linz, 2017
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Case Management
versus „Fallmanagement“
• Case Management: Prozesse steuern, wie Entlassungsmanagement,
Schnittstellenmanagment, sektorenübergreifende Planung, Kosten.
• „Fallmanagement“: Komplexe Probleme von Patienten und ihren Angehörigen sowie
„Begleitprobleme“ erkennen und frühzeitig darauf reagieren. Die Probleme sind gesundheits- und pflegebezogen, familienbezogen und
versorgungsbezogen.
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„ Fallmanager“ als
„Clinical Nurse Specialist“.
Beispiel: Chronisch Kranke (Grypdonck, 2005)
• Die Trajectory Nurse: „Begleitung entlang dem ganzen Weg, den die
chronisch kranke Person zurücklegt. Unterstützung bei Lebensführung und Selbstmanagment. Beratung und Unterstützung in verschiedenen Episoden und Phasen des Lebens mit der Krankheit. Die Trajectory Nurse ist kein Case Manager.Die Organisation der Pflege ist die Sache der kranken Person und ihrer Familienmitglieder. Trajectory Nurse gibt Unterstützung in den sich veränderten Umständen. Sie vermittelt die Sicherheit, dass Beratung, Unterstützung, Hilfe und Pflege angeboten wird, die in diesem Moment erforderlich ist.
• Trajectory Nurses haben Bachelorabschluß, Spezialisierung zu chronischer Krankheit, sie verwenden Familienansatz. Sie leisten individuelle Pflege.
• Bei komplexen Situationen: Clinical Nurse Specialist. Masterabschluß, Experten zu spezifischen Patientengruppen, breite wissenschaftliche Basis, können Informationen, Studienergebnisse, etc. beschaffen und damit
umgehen. Clinical Nurse Specialist können einem Patienten zugewiesen werden, oder sie beraten die Trajectory Nurse.
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Beispiel „Family Nursing“
(Wright und Leahey, 2009,2014)
• Generalisten: Bachelorabschluß, „Familie als Kontext“
z.B. Angehörigenpflege, Belastung, Beratung im Rahmen der Pflegeversicherung/Pflegegeld.
• Spezialisten: Masterabschluß, Promotion, „Familie als Einheit“, familiensystemische Spezialisierung. Kenntnisse zu Familiendynamik, Familiensystemtheorie,
Familienassessment, Familienintervention, familienzentrierte Forschung. Dazu gehören
Gesprächsführung, Familieninterview, Geno- und
Ökogramme.
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Beispiele für familienzentrierte Forschung:
das kooperative Forschungskolleg
„FamiLe“
• Julia Söhngen(laufende Forschung) Extrem frühgeborene Kinder auf der neonatologischen Intensivstation: Das Erleben und
Bewältigungshandeln von Eltern. Die Eltern erleben ihre Situation auf der neonatologischen Intensivstation in den ersten Wochen als „nicht normal“. Sie beschreiben besonders die Zeit nach der Geburt des Kindes als Katastrohe oder als mittlere Katastrohe. Es besteht die Sorge, dass die „große
Katastrophe“ eintritt in Form einer Behinderung des Kindes oder das das Kind versterben könnte.
• Nino Chikhradze (laufende Forschung) Das Leben der Familien während einer fortgeschrittenen Brustkrebserkrankung. Hauptphänomen: „ Jeden Tag damit rechnen, dass es zu Ende ist“. Lebensstrategien, Handlungen und Interaktionen der Familienmitglieder mit dem Konzept „sich auf den Tod und das Ende vorzubereiten“: Frauen – Ichbezogenheit in der mühevollen
Gegenwart und um die Zukunft der Kindern sorgen, Männer – für die Frau da sein - in Abhängigkeit leben, Kinder – die Familie /Mutter unterstützen - in Zwiespalt leben.
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Beispiele für familienzentrierte Forschung:
das kooperative Forschungskolleg
„FamiLe“
• Sandra Falkson (laufende Forschung) Erleben und Bewältigungshandeln von Familien häuslich beatmeter Kinder und Jugendlicher. Ein weit
entfernterer Blick in die Zukunft wird von den Eltern vermieden. Die Eltern
konzentrieren sich auf die gegenwärtigen Probleme. (Gesundheit / Strukturelle Probleme) Sie versuchen die Zeit in der Gegenwart, die Zeit im Jetzt mit ihrem Kind zu genießen und sind dankbar für die Zeit mit ihrem Kind. Besonders
Mütter von Töchtern versuchen ihrem Kind Erfahrungen zu bieten, die
gesunde Kinder auch erleben würden. Dabei werden Erlebnisse die die Kinder evtl. in der Zukunft machen würden, wie beispielsweise ein Besuch der
Diskothek, vorgezogen um ihn für die Tochter erlebbar zu machen.
• Maren Rohling (laufende Forschung) Einsicht in die Lebenswelt
ehemaliger pflegender Kinder und Jugendlicher aus ihrer Perspektive als Erwachsener. Alleine, auf sich selber gestellt sein.Da die Eltern sehr häufig selber mit der eigenen Erkrankung oder des Partners überfordert waren,
wurde ein großer Teil der Verantwortung zur Bewerkstelligung der häuslichen Situation auf die Kinder übertragen.
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Perspektiven
• Von Laienpflege zu Angehörigenpflege
• Vom pflegenden Angehörigen zur pflegenden Familie
• Von Belastung zu umfassenden Erfahrungen
• Von „weiblich“ zu „Gender“
• Von gerontologisch zu Lebensspanne
• Von „chronisch“ zu Krankheitstrajekten
• Vom pflegenden Angehörigen zu umfassenden Rollen und Aufgaben. (z.B. Erwerbsarbeit und „Sorgearbeit“)
• Von „Leistungserbringer“ zu „Doing Family“
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Annahmen
• Familienleben - Komplex und kompliziert
. (Bowen, M., 1961;Jurczyk, K.;Lange, A.;Thiessen, B. ,2013)
• „Normale“ Familien rücken mehr in den Hintergrund.
(Jurczyk, K.; Lange, A.; Thiessen, B. 2013)
• Emotionale Beziehungen - Fürsorge/Care als Basis für die zwischenmenschlichen Beziehungen
innerhalb der Familie
(Bowen, M., 1961; Jurczyk, K.; Lange, A.; Thiessen, B., 2013)• Familie als ein System muss im Lebensverlauf
immer wieder hergestellt werden
(Jurczyk, K.; Lange, A.; Thiessen, B.2013)
• Doing Family
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Doing Family
„Familie als Herstellungsleistung fokussiert …
zum einen auf die Prozesse, in denen im alltäglichen und biographischen Handeln Familie als gemeinschaftliches Ganzes permanent neu hergestellt wird („Doing Family“),
zum anderen auf die konkreten Praktiken und
Gestaltungsleistungen der Familienmitglieder, um Familie im Alltag lebbar zu machen.“
• (Schier & Jurczyk, 2008, S. 9)
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Der „Fall“ als Grundlage für das Fallmanagement bei komplexen Beziehungsgeflechten: die Familie
Fragen zum professionellen Handeln
1. Als „was“ kommt die Family Nurse in die Familie?
2. Wer ist der Klient?
3. Was sind die Gesundheits-und Pflegeprobleme?
4. Welche Besonderheiten hat das Assessment?
5. Was sind die Interventionen?
6. Was sind die Outcomes?
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„Family Nursing in der Praxis: eine komplexe Fallstudie“ (Walford,2001 )
„Betty Smith war 3 ½ Jahre alt, als sie erstmalig zu mir in meiner Funktion als pädiatrische Inkontinenz - und Stomaberaterin überwiesen wurde. ZU dieser Zeit lautete die Diagnose idiopathische Obstipation als Folge einer Anus –Plastik bei Analstenose.
Dadurch war sie nicht in der Lage auf normalem Weg
und ohne Intervention ihren Darm zu entleeren.“
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Die Familie und
Familienentwicklung
Mutter Jennifer zum 2. Mal verheiratet, geschieden, 1. Ehemann gewalttätig. In erster Ehe 2 Töchter, 4 Fehlgeburten. Graham, Bettys Vater ist in erster Ehe verheiratet. Im Haushalt lebt die 12 jährige Anne aus Jennifers erster Ehe, die 17 jährige Carry lebt zu
diesem Zeitpunkt bei ihrem Vater und hat keinen Kontakt zur Familie. Jennifer und Graham haben keinen oder sehr wenig Kontakt zu ihren
Herkunftsfamilien
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Wer ist der Klient?
• Hauptpflegeperson versus Mutter/Krankenschwester- Dyade
• „Es wurde mir sehr deutlich, dass Jennifer und ich durch eine sehr starke dyadische Beziehung verbunden waren, was positiv für Jennifer war, aber gleichzeitig das
Familiensystem beeinflusste…..Graham stand dabei eher am Rand und mir wurde klar, dass er in das Geschehen einbezogen werden musste, wobei er in Gesprächen jedoch sehr zurückhaltend war.“
• Die Familie als Klient
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Probleme: Krisen
• Betty: verschiedene Diagnosen, Obstipation, Darmspülung, manuelles Darmausräumen, Medikamentengaben, Gewichtsabnahme…
• Eingeschränkte Problemlösung der Familieneinheit:
Schwierigkeiten die Diagnose zu verstehen, „Elterndyade in Gefahr“.
• Anne: einnässen, „außen vor“
• „Die Bewältigungsstrategien die die Familie zeigte,
bestand darin, dass Jennifer mich ständig um Rat fragte,
Graham alles abwehrte und sich distanzierte und Anne
durch ihr Verhalten Aufmerksamkeit suchte.“
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Das Familienassessment
• Struktur, Entwicklung Funktion
• Genogramm: liefert eine Fülle von Daten zu
Beziehungen, Gesundheit, Familienfunktion. Es hilft Hypothesen für weitere Evaluationen zu
entwickeln.
• Ökogramm: gibt Überblick über die Familie und ihre Situation, Kontakte zur Außenwelt,
Ressourcen und Konflikte.
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Interventionen
• Medizinisch-pflegerische Interventionen
• Familienbesprechung: „Circular Questioning“, ermutigende Reflexion, Refraiming, Information, Einigung auf Ziele, Absprachen treffen.
• Familien-Helfer Besprechung: Informationen,
Konflikte klären, Entscheidungen treffen
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Outcomes
• Bettys Gesundheitszustand besserte sich.
• Jennifer arbeitet an persönlichen Problemen.
• Die Partnerschaft der Eltern verbesserte sich.
• Graham zeigt mehr Verständnis für Bettys Zustand.
• Anne macht ein psychologisches Councelling.
• Jennifer hat Kontakt zu ihrer Herkunfstfamilie und
bekommt Unterstützung.
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Unser Auftrag
Familien helfen, bei Entwicklungsprozessen und Transitionen wie Schwangerschaft, Geburt, aber auch Krankheit und Pflegedürftigkeit, familialer Sorgearbeit und komplexen, gesellschaftlichen
Anforderungen wie z.B. Erwerbstätigkeit, Familie zu
sein und zu bleiben. Hieraus leitet sich der Auftrag
für Wissenschaft, Forschung und klinischer Praxis
ab.
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