GELDPOLITIK & WIRTSCHAFT
Quar talsheft zur Geld- und Wir tschaftspolitik
Stabilität und Sicherheit.
GELDPOLITIK & WIR TSCHAFT Q1 /0 9
Q1/09
Wirtschaftskrise und wirtschaftspolitische
Antworten – einige ausgewählte Themen
Schriftleitung
Peter Mooslechner, Ernest Gnan Koordination
Manfred Fluch Redaktion
Karin Fischer, Susanne Pelz Übersetzung
Ingeborg Schuch Technische Gestaltung
Peter Buchegger (grafische Gestaltung)
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© Oesterreichische Nationalbank, 2009 Alle Rechte vorbehalten.
Im Sinne einer verbesserten Lesbarkeit wurde auf geschlechtsspezifische Formulierungen verzichtet. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich der Text immer sowohl auf Frauen als auch auf Männer bezieht.
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Schwerpunkt: Wirtschaftskrise und wirtschaftspolitische Antworten – einige ausgewählte Themen
Globale Rezession vertieft sich
Finanzkrise löst weltweiten Konjunkturabschwung aus 10
Andreas Breitenfellner, Martin Schneider, Josef Schreiner
Österreichs Exporte nach Osteuropa: Bestandsaufnahme, aktuelle Wachstumsprognosen
und Auswirkungen auf das Wachstum in Österreich 1
Christian Ragacs, Klaus Vondra
Ein Exportfrühindikator für Österreich auf Basis der Lkw-Fahrleistung 47
Gerhard Fenz, Martin Schneider
Die Umsetzung der Geldpolitik in der Krise 2007 bis 2008 57
Clemens Jobst
Die Effektivität fiskalischer Wachstums- und Konjunkturbelebungsmaßnahmen in Krisenzeiten 8
Walpurga Köhler-Töglhofer, Lukas Reiss
Analysen
Inflationsraten für österreichische Haushaltsgruppen 108
Friedrich Fritzer, Ernst Glatzer
Öffentliche Ausgliederungen: Bilanzkosmetik oder nachhaltige Verbesserung? – Fallstudie für Österreich 125
Doris Prammer
Hinweise
Abkürzungen 146
Zeichenerklärung 147
Studienübersicht zu Geldpolitik & Wirtschaft 148
Periodische Publikationen der Oesterreichischen Nationalbank 151
Adressen der Oesterreichischen Nationalbank 15
Die von den Autoren in den Studien zum Ausdruck gebrachte Meinung gibt nicht notwendigerweise die Meinung der Oesterreichischen Nationalbank oder des Eurosystems wieder.
krise durch eine außergewöhnlich rasche und starke Verschlechterung der Wachstumsaussichten auch in Öster
reich gekennzeichnet. Der Welthandel wird 2009 massiv zurückgehen, wo
durch sich auch ein deutlicher Einbruch bei den österreichischen Exporten er
geben wird. Für die kleine offene, stark exportorientierte Volkswirtschaft Öster
reichs hat dies unmittelbare Auswir
kungen auf die Investitionstätigkeit – die Schrumpfung der Bruttoanlage
investitionen könnte im Jahr 2009 im
nosen von einem realen Wirtschafts
wachstum in Österreich im Jahr 2009 von 2 % bis 2½ % ausgegangen, bis Sommer 2008 wurden die Wachstums
prognosen zwar merklich, aber noch nicht dramatisch auf etwa 1½ % zu
rückgenommen. Nach der Verschär
fung der Finanzmarktsituation infolge des Zusammenbruchs von Lehman Brothers im September 2008 nahm die Größenordnung der Abwärtsrevisionen jedoch eine historisch neue Dimension an. Ende März 2009 geht die OECD
Entwicklung der Prognosen für das Jahr 2009 für Österreich
Quelle: OeNB, WIFO, IHS, OECD, Europäische Kommission, IWF.
OeNB Veränderung zum Vorjahr in % Reales BIP
3,0 2,0 1,0 0,0 –1,0 –2,0
–3,0Juni Sep. Dez. März Juni Sep. Dez.
2007 2008
in %
Inflationsrate
in %
Arbeitslosenquote1
Veränderung zum Vorjahr in % Exporte real
8,0 6,0 4,0 2,0 0,0 –2,0 –4,0 –6,0 –8,0 –10,0
Juni Sep. Dez. März Juni Sep. Dez.
2007 2008
Veränderung zum Vorjahr in % Privater Konsum real
Veränderung zum Vorjahr in %
Bruttoanlageinvestitionen2 real
WIFO IHS OECD Europäische Kommission IWF
1Eurostat-Definition; OECD: Definition der OECD.
März 2009
3,0 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5
0,0Juni Sep. Dez. März Juni Sep. Dez.
2007 2008
März 2009
6,0 5,5 5,0 4,5 4,0 3,5
3,0Juni Sep. Dez. März Juni Sep. Dez.
2007 2008
März 2009
März 2009
Juni Sep. Dez. März Juni Sep. Dez.
2007 2008
2,5 2,0 1,5 1,0 0,5
0,0 März
2009 4,0 2,0 0,0 –2,0 –4,0 –6,0
–8,0Juni Sep. Dez. März Juni Sep. Dez.
2007 2008
März 2009
2IHS: Bruttoinvestitionen.
1 Die Autoren danken Beate Resch für die Erstellung der Grafiken.
für das Jahr 2009 von einem Rückgang des Welthandels um mehr als 13 % und von einer Schrumpfung der realen Wirtschaftsleistung im Euroraum um rund 4 % aus. Für Österreich revi
dierten WIFO und IHS die Erwar
tungen auf –2,2 % bzw. –2,7 % weiter nach unten.
Die Geld und Wirtschaftspolitik ist in dieser Situation in bisher nicht gekannter Weise gefordert. Dabei sind angesichts des außergewöhnlichen Charakters der Entwicklungen auch außergewöhnliche Maßnahmen erfor
derlich, die nicht durch das wirtschafts
politische „Standardrepertoire“ erfasst sind. Dies gilt für die Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzsektors ebenso wie für die Geld und Fiskalpolitik.
Dabei treten die üblichen Zeitverzöge
rungen von ein bis drei Monaten, mit denen Daten zur Wirtschaftsentwick
lung zur Verfügung stehen, in dem sich rasch ändernden wirtschaftlichen Umfeld besonders akzentuiert hervor.
Rasch verfügbaren Frühindikatoren – die auch unter den besonderen Bedin
gungen der Krise ihren Erklärungsge
halt behalten – kommt derzeit für die richtige Einschätzung der Wirtschafts
dynamik ein besonders hoher Stellen
wert zu. Das vorliegende Schwerpunkt
heft versucht, dieser Problematik in mehreren Studien aus unterschiedlicher Perspektive nachzugehen und auf diese Weise zu einem besseren Verständnis der aktuellen wirtschaftspolitischen Herausforderungen beizutragen.
Die ersten drei Beiträge widmen sich der Analyse der internationalen und österreichischen Konjunkturent
wicklung. Breitenfellner, Schneider und Schreiner geben einen aktuellen Über
blick über die internationale sowie europäische Konjunkturlage und prä
sentieren die jüngste kurzfristige Kon
junktureinschätzung für Österreich bis zur Jahresmitte 2009. Demnach wird
das erste Halbjahr 2009 von einer tie
fen, globalen Rezession geprägt sein.
Freilich lässt jedoch die Tatsache, dass einige Vertrauensindikatoren gemäß den letzten Beobachtungen auf sehr niedrigem Niveau einen Boden gefun
den haben, hoffen, dass im ersten Halb
jahr 2009 der Konjunkturtiefpunkt erreicht sein könnte und ab dem zwei
ten Halbjahr eine vorsichtige Erholung möglich erscheint – wenn sich die in
ternationalen Rahmenbedingungen nicht weiter verschlechtern oder neue Schocks auftreten.
Ragacs und Vondra gehen auf Basis der letztverfügbaren Exportdaten vom Dezember 2008 detaillierter auf die Frage ein, wie sehr die österreichischen Exporte nach Osteuropa bereits durch den globalen Wachstumseinbruch ge
litten haben. 2008 gingen 17,6 % aller Warenexporte Österreichs in die in den Jahren 2004 und 2007 beigetre
tenen EUMitgliedstaaten, für eine breite Definition von 30 zentral, ost
und südosteuropäischen sowie zentral
asiatischen Ländern lag der Anteil sogar bei 24,6 %. Obwohl nun auch Ost
europa von der globalen Krise erfasst wurde, ist der Wachstumsausblick in vielen Ländern Osteuropas – verglichen etwa mit dem Euroraum – nach wie vor günstiger. Simulationen mit dem Makromodell der OeNB ergeben, dass ein den rezentesten Prognosen entspre
chender Wachstumsrückgang in Ost
europa im Vergleich zur OeNB
Dezemberprognose einen Wachstums
rückgang für Österreich von 0,7 Pro
zentpunkten impliziert.
Schließlich präsentieren Fenz und Schneider einen neuen, von der OeNB entwickelten Frühindikator für die österreichische Konjunkturentwicklung basierend auf Daten der ASFINAG über die LkwFahrleistung. Dieser steht mit einer Verzögerung von nur fünf Werk
tagen zur Verfügung und erlaubt damit
zwei Monate rascher als bisher eine gute Einschätzung der Entwicklung im abgelaufenen Monat, vor allem der Güterexporte und der Industriepro- duktion. Dieser Indikator lässt schlie- ßen, dass sich die österreichischen Exporte im Februar und März 2009 weiter stark rückläufig entwickelt haben und demnach mit einem weiteren markanten Rückgang der realen Ex- porte im ersten Quartal 2009 zu rech- nen ist.
Zwei weitere Beiträge befassen sich mit den beiden wichtigsten makroöko- nomischen Wirtschaftspolitiken: der Geld- und Fiskalpolitik. Zunächst er- läutert Jobst die tiefgreifenden und weitreichenden Änderungen bei der Umsetzung der Geldpolitik, mit denen das Eurosystem – aber auch viele an- dere Zentralbanken weltweit – auf die Herausforderungen der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise reagiert haben.
Das geldpolitische Instrumentarium hat sich dabei als äußerst krisenfest er- wiesen. Der EZB-Rat konnte den neuen Herausforderungen sehr flexibel be- gegnen, etwa durch Anpassung der Zu- teilungsmodalitäten beim Hauptrefinan- zierungsgeschäft (unlimitierter Men- gentender), durch eine deutliche Ver- schiebung der Geldmarktoperationen zu längerfristigen Geschäften mit einer Laufzeit von drei und sechs Monaten sowie durch eine Ausweitung der refi- nanzierungsfähigen Sicherheiten. Zu- sätzlich zur deutlichen Senkung der Leitzinsen hat das Eurosystem damit vor allem zur Stabilität des Banken- und Finanzsystems sowie zur Aufrecht- erhaltung des Finanzierungskreislaufs beigetragen.
Köhler-Töglhofer und Reiss gehen der Frage nach, wie die Fiskalpolitik mit- tels Konjunktur- und Wachstumspake- ten auf den Konjunktureinbruch ant- worten und welchen Erfolg man sich realistischerweise bei der Abfederung
der realwirtschaftlichen Auswirkungen der Krise erwarten kann. Erwartungs- gemäß schränken Entscheidungs- und Wirkungsverzögerungen sowie geringe Multiplikatoren die Konjunkturglät- tung mittels diskretionärer Fiskalpro- gramme in der Praxis ein. Angesichts der Tiefe, der möglichen Länge sowie des globalen, synchronen Charakters sowohl der aktuellen Rezession als auch der konjunkturpolitischen Gegenmaß- nahmen dürfte diesen Einschränkungen in der derzeit gegebenen Situation je- doch weniger Gewicht beizumessen sein. Die von der österreichischen Bun- desregierung bislang getroffenen Infla- tions- und Konjunkturpakete sowie die Vorziehung der Einkommensteuer- reform werden das Wachstum gemäß einer Schätzung mit dem OeNB- Makromodell in den Jahren 2009 und 2010 um ¾ % bzw. ½ % (kumuliert um 1¼ %) stützen und jährlich mit einem positiven Beschäftigungseffekt von etwa 12.000 Arbeitsplätzen (kumuliert über zwei Jahre: 25.000) zeitigen. Gleich- zeitig empfehlen die Autoren aber auch eine Selbstverpflichtung zur raschen Budgetkonsolidierung nach dem Ende der Krise.
Zwei abschließende Studien befas- sen sich zwar nicht unmittelbar mit krisenbezogenen Themen, allerdings ergeben sich bei näherer Betrachtung auch hier Bezüge zur aktuellen Wirt- schaftsentwicklung. Fritzer untersucht die unterschiedliche Betroffenheit ver- schiedener Bevölkerungsgruppen durch Inflation. Die Studie findet, dass in der betrachteten Periode von Anfang 2000 bis Oktober 2008 private Haushalte mit geringeren Ausgaben eine (um etwa 0,1 Prozentpunkte) geringfügig höhere Preissteigerung ihres Verbraucherkorbs hinnehmen mussten als der durch- schnittliche private Haushalt. Dabei hängen die Inflationsunterschiede frei- lich weniger von der Höhe der Inflati-
onsrate als vielmehr von unterschied- lichen Konsummustern, unterschied- lich hohen Konsumbudgets und rela- tiven Preisänderungen ab.
Prammer geht schließlich den Aus- wirkungen öffentlicher Ausgliederun- gen nach. Letztere werden oft mit Effi- zienzgewinnen und einer Verbesserung der öffentlichen Finanzierungssituation motiviert. Die Autorin zeigt, dass mit dem betriebswirtschaftlichen Effizienz- gewinn jedoch auch verteilungspoli- tische Implikationen einhergehen kön- nen und weiters der konjunkturpoli- tische Stabilisierungsauftrag des Staats
durch Ausgliederungen tangiert sein kann. Anhand von Fallbeispielen wird gezeigt, dass Ausgliederungen die Ein- schätzung der fiskalischen Nachhaltig- keit beeinflussen können, ohne dass dies tatsächlich erwartet werden kann.
Die Herausgeber und Autoren hof- fen, mit diesen Analysen einen kleinen Beitrag zum Verständnis der aktuellen Wirtschaftslage beitragen zu können und so die Formulierung geeigneter Antworten der Wirtschaftspolitik in einer Zeit ungewöhnlicher Herausfor- derungen zu unterstützen.
1 Weltwirtschaft steckt tief in der Rezession
1.1 USA: Notenbank greift zu unkonventionellen Mitteln
Die jüngsten veröffentlichten Daten zur Wirtschaftsentwicklung in den USA lassen noch keinen Rückschluss auf ein baldiges Ende der Rezession in der USamerikanischen Wirtschaft zu. So ist das reale BIP im vierten Quartal 2008 wesentlich markanter als erwar
tet um 6,3 % geschrumpft. Vor allem überraschte der starke Rückgang der Nettoimporte im Schlussquartal 2008.
Das Leistungsbilanzdefizit verringerte sich in der Folge auf 3,7 % des BIP, das geringste Defizit seit sieben Jahren;
Ende 2005 hatte es noch 6,6 % des BIP betragen. Gleichzeitig ließ die Nachfrage nach Investitionsgütern und Software deutlich nach. Der staatliche Konsum blieb die Hauptstütze der Kon
junktur.
Im Februar 2009 lag die Industrie
produktion um 11 % unter dem Ver
gleichswert des Vorjahres. Die Auto
produktion, die in den vorangegan
genen Monaten massiv eingebrochen war, erholte sich etwas, lag aber immer noch um 38 % unter jener vom Februar 2008. Es wird allgemein mit einem weiteren BIPRückgang im ersten Quartal 2009 gerechnet.
Redaktionsschluss:
31. März 2009 Redaktionsschluss:
31. März 2009
gungen, einen Rückgang des Vertrauens aller Wirtschaftsakteure und einen dramatischen Einbruch des Welthandels eine globale Rezession aus. Weltweit sind Maßnahmen zur Stabili- sierung der Finanzsysteme und zur Konjunkturbelebung ergriffen worden. Diese konnten eine weitere Eskalation der Finanzkrise eindämmen. Da die Konjunkturmaßnahmen Zeit zur Entfaltung ihrer Wirkung benötigen, ist für 2009 von einer tiefen Rezession auszugehen.
In den USA ist trotz massiver Konjunkturpakete kein Ende der Rezession in Sicht. Die US- Notenbank senkte die Leitzinsen auf das historisch niedrigste Niveau und versucht nun mit unkonventionellen Mitteln die Kreditvergabe zu stimulieren.
Auch im Euroraum vertiefte sich die Rezession im vierten Quartal 2008, vor allem durch eine Abschwächung der Exportnachfrage und der Investitionen. Die Arbeitslosigkeit ist merk- lich gestiegen. Vorlaufindikatoren und Prognosen deuten auf eine weitere Verschlechterung der Konjunktur im Verlauf des ersten Halbjahres 2009. Ein Hoffnungsschimmer ergibt sich daraus, dass eine Reihe von Vertrauensindikatoren in den letzten Wochen einen Boden auf niedrigem Niveau erreicht zu haben scheinen. Der Abschwung könnte sich daher ab dem zweiten Halbjahr 2009 verflachen und zum Stillstand kommen. Die HVPI-Inflationsrate ist, getrieben vor allem durch gesunkene Energie-, Rohstoff- und Lebensmittelpreise, in den letzten Monaten stark rückläufig. Sie wird daher im Jahr 2009, aber auch 2010 deutlich unter der Preisstabilitätsdefinition des Eurosystems bleiben.
In den letzten Monaten wurde klar, dass sich die zuvor dynamisch wachsenden Schwellen- länder nicht von der Rezession abkoppeln können. Insbesondere einige Länder Zentral-, Ost- und Südosteuropas wurden von der Krise schwer erfasst. Andere Länder der Region wiederum haben zwar verschlechterte, aber nach wie vor günstigere Aussichten als der Euroraum-Durchschnitt.
Die internationale Wirtschaftskrise hat auch die österreichische Wirtschaft im Herbst 2008 erfasst. Im Oktober kam es zu einem massiven Einbruch bei Güterexporten und Industrie- produktion. Gemäß den aktuellen Ergebnissen des OeNB-Konjunkturindikators wird für das erste Quartal 2009 ein Rückgang des realen BIP um 1,5 % (saison- und arbeitstägig bereinigt, im Vergleich zum Vorquartal) erwartet. Im zweiten Quartal 2009 wird die österreichische Wirtschaft voraussichtlich um weitere –0,7 % schrumpfen.
Breitenfellner, Martin Schneider, Josef Schreiner1
Breitenfellner, Martin Schneider, Josef Schreiner1
Auch die Lage auf dem Arbeits
markt hat sich weiter verschlechtert.
Die Arbeitslosenquote erreichte im Februar 8,1 %. Seit Beginn des Jahres 2008 gingen 4,3 Millionen Arbeits
plätze verloren. Der Abbau an Arbeits
kräften bewirkte einen deutlichen Anstieg der Produktivität der USameri
kanischen Wirtschaft im vierten Quar
tal 2008. Die hohe Zahl an Entlas
sungen könnte signalisieren, dass sich die Unternehmen auf eine länger an
dauernde Rezession einstellen. Bevor sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht verbessert und der USamerika
nische Immobilienmarkt die Talsohle erreicht hat, ist mit keiner Stabilisie
rung der privaten Konsumausgaben zu rechnen. So ist die Zahl der neu begon
nenen Hausbauten sowie der Baugeneh
migungen weiter im Sinken. Der An
stieg der Zwangsversteigerungen trägt zum Immobilienpreisverfall bei, der sich zuletzt sogar beschleunigte.
Die Vorlaufindikatoren für die Wirtschaftsentwicklung geben wenig Hoffnung auf eine baldige konjunktu
relle Trendwende. Der Indikator für das Konsumentenvertrauen des Con- ference Board stabilisierte sich im März
2009 einigermaßen, nachdem er im Februar steil gefallen war. Zwar wurde die gegenwärtige Situation noch drasti
scher als im Vormonat eingeschätzt, jedoch stiegen die in die Zukunft ge
richteten Erwartungen. Während der EinkaufsmanagerIndex für den Dienst
leistungssektor, der rund 80 % des BIP der USA ausmacht, nach zweimona
tiger Verbesserung wieder einbrach, hat sich die Stimmung der Einkaufs
manager im verarbeitenden Gewerbe im Februar zum zweiten Mal aufge
hellt. Beide Indikatoren liegen aber weiterhin deutlich unter der 50Pro
zentMarke und signalisieren somit ein anhaltendes Schrumpfen der Wirt
schaft. Überraschend gestiegen sind hingegen die Auftragseingänge für lang
lebige Güter im Februar.
Eine graduelle Erholung der US
amerikanischen Wirtschaft dürfte frü
hestens in der zweiten Jahreshälfte 2009 einsetzen. Die Fed erwartet, dass die Wirtschaft im Jahr 2009 um 0,5 % bis 1,25 % schrumpfen wird. Im Jahr 2010 könnte das Wirtschaftswachstum bereits 2,5 % bis 3,3 % betragen, bevor 2011 die Zeichen wieder auf Hochkon
junktur stehen. Dieser Ausblick ist mit
Veränderung in % zum Vorquartal
USA: Purchasing Manager Index (PMI) und BIP-Wachstum
Grafik 1
2,0 1,5 1,0 0,5 0,0 –0,5 –1,0 –1,5 –2,0
Quelle: Institue for Supply Management (ISM), Bureau of Economic Analysis (BEA).
in % 70 65 60 55 50 45 40 35 30
BIP (linke Achse) Manufacturing PMI (Sachgütererzeugung)
Jän. 00 Jän. 01Jän. 01 Jän. 02 Jän. 03 Jän. 04 Jän. 05 Jän. 06 Jän. 07 Jän. 08 Jän. 09 Non-Manufacturing PMI (ohne Sachgütererzeugung)
großen Unsicherheiten behaftet. Die Fed hält dieses Szenario nur dann für realisierbar, wenn die von Regierung, Kongress und Notenbank ergriffenen Maßnahmen ihre erwünschte Wirkung erzielen. Die OECD sieht die Lage pessimistischer und prognostiziert für 2009 einen BIPRückgang um 4,0 %;
für 2010 erwartet sie lediglich eine wirtschaftliche Stagnation. Sie ist da
mit wesentlich pessimistischer als die um den Jahreswechsel veröffentlichten Prognosen des IWF, der Europäischen Kommission und der Weltbank.
Das neuerliche, 787 Mrd USD schwere Konjunkturpaket der USame
rikanischen Regierung ist inzwischen von beiden Häusern des Kongresses verabschiedet worden. Davon entfallen zwei Drittel auf Infrastrukturinvesti
tionen und ein Drittel auf Steuersen
kungen. Die OECD erwartet, dass dadurch das Budgetdefizit 2009 auf 10,2 % steigen und 2010 noch weiter zulegen wird. Präsident Obama hat in
des angekündigt, bis zum Ende seiner Amtszeit den Fehlbetrag des Staats
haushalts wieder um mehr als die Hälfte reduzieren zu wollen, wozu so
wohl Steuererhöhungen, als auch Spar
maßnahmen notwendig sein werden.
Das Federal Open Market Committee (FOMC) hat anlässlich seiner Sitzung am 16. Dezember 2008 den Zielsatz für die Federal Funds Rate erstmals als Spanne definiert und auf 0 % bis 0,25 % gesenkt, den niedrigsten Leitzinssatz in der Geschichte der USA. Die Fed kün
digte an, die Zinsen auf absehbare Zeit auf diesem niedrigen Niveau halten zu wollen. Seit Herbst hat die Fed zudem mehrere unkonventionelle Maßnahmen gesetzt, um die Finanzkrise zu ent
schärfen, die Banken mit Liquidität zu versorgen und spezifische Marktseg
mente zu unterstützen. Dazu gehört unter anderem der Ankauf von ver
brieften Immobilienkrediten.
In der FOMCSitzung Mitte März 2009 wurde eine Aufstockung dieser unkonventionellen Maßnahmen be
schlossen. Die Fed hat angekündigt, langfristige Staatsanleihen im Volumen von 300 Mrd USD ankaufen zu wollen.
Sie folgt damit dem Beispiel der Bank of England, die eine ähnliche Maß
nahme schon einige Tage davor erfolg
reich eingeleitet hat. Die Rendite auf zehnjährige Staatsanleihen im Vereinig
ten Königreich sank als Folge dieser Aktion erstmals seit sieben Jahren wie
der unter die Rendite deutscher Bun
desanleihen. Die Fed möchte mit dieser Maßnahme auch die langfristigen Zin
sen drücken und damit zu einer Ver
besserung der Lage auf den privaten Kreditmärkten beitragen; die Kredit
zinsen stehen in engem Zusammenhang mit den Renditen der Staatsanleihen.
Ähnliche Aktionen hatte die Fed zu
letzt in den 1960erJahren gesetzt.
1.2 Japan: stemmt sich gegen Deflation
Japan ist derzeit besonders heftig von der globalen Wirtschafts und Finanz
krise betroffen. Die japanische Wirt
schaft befindet sich bereits seit dem zweiten Quartal 2008 in der Rezession.
Im vierten Quartal 2008 verschlech
terte sich die wirtschaftliche Lage weiter. Das reale BIP schrumpfte um 3,2 %, das ist der gravierendste Wachs
tumseinbruch seit dem Erdölschock vor 35 Jahren. Dazu trug vor allem der Einbruch der Exporte bei, die durch die Schwäche der Weltwirtschaft und die Aufwertung des japanischen Yen in der zweiten Jahreshälfte 2008 belastet wurden. Die japanischen Ausfuhren gingen im vierten Quartal um 13 % zu
rück. Belastend wirkt nun die starke Exportorientierung der japanischen Wirtschaft; einstige Exportschlager, wie Kfz und Heimelektronik, finden kaum Abnehmer, und die Lagerbe
stände nehmen rapide zu. Aber auch die Inlandsnachfrage bildete sich im vierten Quartal 2008 zurück.
Sämtliche der jüngsten Wirtschafts
daten signalisieren eine Fortsetzung der Rezession in den kommenden Quar
talen. Die Exporte fielen im Februar 2009 gegenüber dem Vorjahresmonat um 49 %. Im Jänner verzeichnete Japan erstmals seit 13 Jahren ein Defizit in seiner Leistungsbilanz. Die Stimmung in den Unternehmen ist so schlecht wie zuletzt in der Folge der schweren Bankenkrise 2002. Die Industrie pro
duzierte im Jänner 2009 um 30 % we
niger als im Vergleichsmonat des Vor
jahres. Nur die Arbeitslosenquote ging zuletzt im Jänner 2009 leicht zurück.
Die OECD prognostiziert in ihrer Interimsprognose von Ende März für 2009 einen Rückgang des realen BIP um 6,6 %, wozu der Exporteinbruch ebenso beiträgt wie die schwache In
landsnachfrage. Auch 2010 wird die Wirtschaft leicht um 0,5 % schrump
fen.
Zum Jahreswechsel verdichteten sich zudem wieder die Anzeichen einer neuerlich aufkeimenden Deflation. Im Februar 2009 lagen die Inflationsrate gemessen am VPI sowie auch die Kern
inflationsrate bei –0,1 %. Die Konsu
mentenpreise werden laut OECD in den Jahren 2009 und 2010 um 1,2 % bzw. 1,3 % sinken. Zuletzt hatte Japan in den Jahren 1999 bis 2003 eine Deflationsperiode durchgemacht, von der sich das Land bis heute nicht voll
ständig erholt hat. Allerdings ging die Deflationsrate im Jahresdurchschnitt damals nicht über 0,9 % hinaus.
Die japanische Regierung und die Bank of Japan (BoJ) haben jedoch ihre Lehren aus der noch nicht lange zu
rückliegenden Deflations und Rezes
sionsphase gezogen und stemmen sich diesmal massiv gegen die Krise. Die japanische Regierung hat für das kom
mende Fiskaljahr (ab April 2009) ein Budget in Rekordhöhe beschlossen; es entspricht einem Anstieg um 6,6 % ge
genüber dem vorangegangenen Fiskal
jahr. Die OECD prognostiziert für 2009 ein Budgetdefizit von 6,8 %.
Damit spitzt sich die öffentliche Ver
schuldungsquote weiter zu, die mit 170 % des BIP im Jahr 2007 bereits die höchste der großen Wirtschafts
nationen war.
Auch die Geldpolitik wurde gelo
ckert, seit Mitte Dezember 2008 liegt der Leitzinssatz bei 0,1 %. Um die Eigenkapitaldecke der Finanzinstitute zu stärken und ihnen damit einen grö
ßeren Spielraum zur Kreditvergabe zu verschaffen, kauft die BoJ den Ge
schäftsbanken kurzfristige, hoch be
wertete Schuldverschreibungen sowie Firmenanleihen mit hoher Bonität ab.
Seit Anfang März 2009 haben Banken auch die Möglichkeit, Aktienbestände an die BoJ zu verkaufen, bisher stieß dieses Angebot jedoch auf geringe Re
sonanz. Die Notenbank erwägt daher nun, diese Operationen auf Anleihen und Darlehen geringerer Bonität aus
zudehnen, für die nicht leicht andere Käufer zu finden sind. Die japanische Regierung hat zudem angekündigt, einen Teil der Fremdwährungsreserven – nach China die zweitgrößten der Welt – dafür zu nützen, um unter Liquiditätsengpässen leidenden Betrie
ben zu helfen.
1.3 China: massive
Konjunkturprogramme
Auch Chinas Wirtschaft kann sich der Weltwirtschaftskrise nicht entziehen.
Im vierten Quartal 2008 lag das BIP
Wachstum bei nur mehr 6,8 %, was bereits als Wachstumsrezession interpre
tiert werden kann. Vor allem die Ex
portwirtschaft leidet unter der Welt
wirtschaftskrise, aber auch die Investi
tionen im Immobiliensektor (10 % des
BIP) sind eingebrochen. Die Inflations
sorgen des ersten Halbjahres 2008 wer
den nun von einer Deflationserwartung abgelöst. Im Februar 2009 gingen die Konsumentenpreise bereits um 1,6 % gegenüber dem Vorjahr zurück, zum ersten Mal seit der AsienKrise 2002.
Die Regierung hat sich zum Ziel ge
setzt, das Wirtschaftswachstum nicht unter die 8ProzentMarke fallen zu lassen; darunter kann die Wirtschaft nicht genug Arbeitsplätze für Schulab
gänger und ländliche Migranten schaf
fen, was zu sozialen Unruhen führen könnte. Die chinesische Notenbank hat daher im Herbst 2008 ihren Leitzins
satz fünfmal um insgesamt 216 Basis
punkte gesenkt. Das Konjunkturpaket der Regierung beläuft sich auf rund 15 % des BIP (für 2009 und 2010) und soll, wenn nötig, noch aufgestockt wer
den. Die großen Währungsreserven und die ausgeglichenen Budgets der vergangenen Jahre bieten den nötigen Spielraum. Exportorientierte Unter
nehmen profitieren von Steuerrabatten;
gleichzeitig wurde die Aufwertung der Landeswährung gegenüber dem US
Dollar gestoppt, um die Exportwirt
schaft zu unterstützen. Die Banken, die großteils vom Staat kontrolliert wer
den, sind zu großzügiger Kreditvergabe angehalten.
Die massiven Konjunkturstützungs
maßnahmen scheinen bereits erste Wirkung zu zeigen. Darauf deutet der chinesische EinkaufsmanagerIndex hin, der bereits dreimal in Folge gestiegen ist und nur mehr knapp unter jener Marke liegt, ab der eine wirtschaftliche Erholung signalisiert wird. China könnte sich damit früher von der Wirt
schaftskrise erholen als andere Staaten.
Mittelfristig ist die chinesische Wirt
schaft jedoch auf die Exportnachfrage aus großen Industrienationen angewie
sen. Der Exportanteil von Chinas Wirt
schaft beträgt 20 %, davon geht etwa
die Hälfte an die EU, die USA und Japan. Im Februar 2009 sank die Ex
porttätigkeit um 27 % gegenüber dem Vorjahr.
1.4 Weltwirtschaft wird 2009 schrumpfen
Nach den Industrie und Schwellenlän
dern erreicht die globale Wirtschafts
krise nun in einer dritten Welle die Entwicklungsländer. Sowohl der IWF als auch die Weltbank erwarten, dass die Weltwirtschaft 2009 schrumpfen wird. Dies wäre der erste Rückgang seit dem Zweiten Weltkrieg. Laut Welt
bank wird das globale Wachstum zu
mindest 5 Prozentpunkte unter dem Potenzialwachstum liegen, Mitte 2009 könnte die Industrieproduktion ihr Vorjahresniveau um 15 % untertreffen.
Die expansive Geld und Wirtschafts
politik sollte 2010 wieder ein Wachs
tum von 2,5 % ermöglichen, das aber immer noch unter der Definition einer globalen Rezession des IWF (+3 %) läge.
Der Welthandel schrumpft bereits seit dem vierten Quartal 2008 und könnte 2009 den größten Rückschlag seit 80 Jahren erfahren. Die OECD prognostiziert einen Rückgang des globalen Handelsvolumens um 13,2 %.
Neben dem Exportnachfrageeinbruch kristallisiert sich zunehmend die man
gelnde Bereitschaft der Banken, Han
delskredite zu vergeben, als Hemm
schuh für den Welthandel heraus.
2 Rezession im Euroraum 2.1 Wirtschaftsleistung stark
rückläufig
Die Rezession, in der sich der Euro
raum seit dem zweiten Quartal 2008 befindet, hat sich im vierten Quartal erheblich verschärft. Die Wirtschafts
leistung schrumpfte um 1,5 % gegen
über dem Vorquartal. Ein Rückgang in diesem Ausmaß wurde seit Bestehen
der WWU noch nicht verzeichnet. In den großen Mitgliedstaaten schrumpfte seit 1990 die Wirtschaft noch nie so stark innerhalb eines einzigen Quar
tals. Nur in einzelnen kleineren Mit
gliedstaaten (z. B. Finnland) kam es zu Beginn der 1990erJahre zu Schrump
fungen ähnlichen Ausmaßes.
Zum Einbruch im vierten Quartal 2008 trugen beinahe alle Nachfrage
komponenten bei, insbesondere die Nettoexporte, die Bruttoanlageinvesti
tionen sowie der Privatkonsum. Selbst der Staatskonsum entwickelte sich negativ, da umfangreiche Konjunktur
belebungsprogramme noch nicht (voll
ständig) wirksam wurden. Einzig die Vorratshaltung trug positiv zum Wachs
tum bei; in Zeiten starken Nachfrage
rückgangs ist aber selbst das kein gutes Zeichen.
Die schwache Investitionstätigkeit ist teilweise Ausdruck sinkender Aus
lastung bestehender Produktionsanla
gen. Einer Umfrage der Europäischen Kommission zufolge fiel die Kapazitäts
auslastung in der Industrie im Jänner
2009 auf 75,2 %. Dies ist nicht nur der absolut niedrigste Wert, der jemals verzeichnet wurde, sondern auch der größte Rückgang innerhalb eines Quar
tals.
Die Rezession trifft alle großen Mitgliedstaaten stark, aber nicht gleich
mäßig. In Deutschland und Italien ging die Wirtschaftsleistung stärker, in Frankreich und Spanien etwas schwä
cher zurück als im EuroraumDurch
schnitt. Der Rückgang des deutschen BIP (–2,1 %) war fast ausschließlich auf die Exporte zurückzuführen. Offen
sichtlich trifft der Einbruch der Ex
portnachfrage Deutschland wegen sei
ner für große Volkswirtschaften außer
gewöhnlichen Außenwirtschaftsorien
tierung (47 % Exportquote, inklusive Dienstleistungen) besonders stark.
2.2 Vorlaufindikatoren fallen auf Rekordmarken
Sowohl die vorliegenden Vorlauf oder Vertrauensindikatoren als auch aktuelle Prognosen deuten auf ein Anhalten des Abschwungs im ersten Halbjahr
Außenbeitrag (Waren- und Dienstleistungen) Bruttoanlageinvestitionen
Konsumausgaben des Staats Konsumausgaben der privaten Haushalte und POoE
Quelle: Eurostat.
Vorratsveränderungen und Statistische Differenz BIP Q1
2006
Wachstumsbeitrag der Komponenten des realen BIP im Euroraum
Grafik 2
in % zum Vorquartal 2,0
1,5 1,0 0,5 0,0 –0,5 –1,0 –1,5 –2,0
Q1 Q2 Q3 Q4
Q1 Q2 Q3 Q4
Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4
2007 2008
2009. Die Industrieproduktion hat seit September 2008 eine außerge
wöhnliche und sich beschleunigende Schrumpfung durchgemacht. Im Jän
ner 2009 fiel die Industrieproduktion im Euroraum um 3,5 % gegenüber dem Vormonat und um 17,3 % gegenüber Jänner 2008. Diese Schrumpfungsraten übertreffen jene vorangegangener Re
zessionen um ein Vielfaches. Die Auf
tragseingänge der Industrie fallen seit Sommer 2008 fortdauernd.
Der von der Europäischen Kom
mission erhobene Economic Sentiment Indicator (ESI) ist im März 2009 weiter gesunken, und hat damit erneut einen historischen Tiefstand erreicht. Die Reduktion betraf alle Komponenten mit Ausnahme des Einzelhandelsver
trauens, das sich weiter verbesserte und dem Vertrauen im Bauwesen, das stag
nierte. Besonders ausgeprägt war auch diesmal der Rückgang der Industrie
komponente. Der IndustrieEinkaufs
managerIndex verbesserte sich im März 2009 geringfügig von dem im Februar erreichten Rekordtief. Pro
duktion und Auftragseingänge stiegen, während die Beschäftigungskompo
nente sowie die Einschätzung der Ein
kaufs und Verkaufspreise erheblich sanken.
Trotz der allgemein eher düsteren Aussichten geben eine Reihe von Indi
katoren Hinweise auf eine Stabilisie
rung der Konjunktur in nächster Zu
kunft: Die Geschäftserwartungen, die als Teil des ifo GeschäftsklimaIndex erhoben werden, sind im März 2009 zum dritten Mal in Folge gestiegen, der Gesamtindex erreichte allerdings im März einen neuen historischen Tief
punkt. Die ZEWKonjunkturerwar
tungen für Deutschland verbessern sich seit Herbst 2008, die Talsohle dürfte demnach im Sommer 2009 erreicht werden. Der IndustrieEinkaufsmana
gerIndex unterbrach seinen rückläu
figen Trend und schwankt seit Dezem
ber 2008 auf niedrigem Niveau. Seit Anfang März ist der Dow Jones EURO STOXX 50Index um knapp 17 % ge
stiegen.
Der private Konsum ist im vierten Quartal 2008 sehr schwach ausgefal
len. Im Jänner 2009 war zwar das Ab
satzvolumen im Einzelhandel gegen
über dem Vormonat um 0,2 % gestie
gen, gegenüber Jänner 2008 jedoch um 2,2 % gesunken. Die Neuzulassungen für Personenkraftwagen gingen im Jänner 2009 um 20,5 % gegenüber dem Vorjahreswert zurück. Gegenüber Dezember 2008 bedeutete das aller
dings eine leichte Verbesserung. In Deutschland, Frankreich und Spanien wurden im Jänner 2009 bereits wieder mehr Neuwagen angemeldet als im Dezember 2008; offensichtlich ein Er
gebnis der Verschrottungsprämien. Das von der Europäischen Kommission er
hobene Konsumentenvertrauen hat sich im Februar 2009 weiter verschlechtert und damit einen neuen historischen Tiefstwert erreicht. Die quartalsweise erhobene Bereitschaft für größere Aus
gaben in den nächsten zwölf Monaten stagnierte im ersten Quartal 2009 ebenfalls auf historischen Tiefständen oder knapp darüber. Daher ist mit kei
ner raschen Verbesserung beim priva
ten Konsum zu rechnen. Die pessimis
tische Grundstimmung der Konsu
menten steht im Widerspruch zu den Realeinkommen, die sich zuletzt dank abnehmendem Preisdruck und relativ hoher Nominallohnzuwächse positiv entwickelten. Allerdings haben sich die Arbeitsmarktaussichten eingetrübt.
Die Beschäftigung ist im vierten Quartal 2008 um 0,3 % oder rund 450.000 Personen gegenüber dem Vor
quartal gesunken. Die saisonbereinigte Arbeitslosenquote ist im Jänner 2009 auf 8,2 % gestiegen, das bedeutet, dass etwa 13 Millionen Menschen arbeitslos
sind. In Spanien ist die Arbeitslosen
quote innerhalb eines Jahres um nahe
zu 5 Prozentpunkte auf mittlerweile 14,8 % geklettert. Aber auch in fast allen anderen Mitgliedstaaten hat nach langjährigem Abwärtstrend nun eine steigende Tendenz eingesetzt. In vielen Ländern verhindern arbeitsmarktpoli
tische Maßnahmen eine noch ungünsti
gere Entwicklung der Arbeitslosenrate.
Um Kündigungen zu vermeiden, stel
len viele Betriebe auf Kurzarbeit um.
Dabei wird die Arbeitsleistung der Be
legschaft reduziert und der Verdienst
entgang teilweise durch staatliche Zu
schüsse kompensiert. In Deutschland bezogen im Dezember 2008 bereits über 200.000 Beschäftigte Kurzarbeits
geld.
Laut Prognose der Europäischen Kommission soll im Jahr 2009 die Ar
beitslosenquote im Euroraum 9,3 % und gegen Ende des Folgejahres 10,2 % erreichen. Die von der Europäischen
Kommission erhobenen Beschäftigungs
erwartungen haben sich im Februar 2009 in allen Branchen weiter ver
schlechtert.
2.3 Sehr niedrige Inflation
Mit dem Platzen der Energie und Roh
stoffpreisblase löste sich das zuvor viru
lente Inflationsproblem rascher als erwartet. Nachdem die HVPIInflati
onsrate im Sommer 2008 ihren Höhe
punkt von 4 % überschritten hatte, fiel sie von Monat zu Monat rasch, bis sie im Jänner 2009 1,1 % erreicht hatte;
im Folgemonat stieg sie geringfügig auf 1,2 %, bevor sie sich im März auf 0,6 % (vorläufige Schnellschätzung) halbierte.
Der kräftige Rückgang der Teue
rungsrate ist primär auf die Entwick
lung der Rohstoffpreise und hier vor allem von Rohöl zurückzuführen. Der Preis für ein Barrel der NordseeRohöl
marke Brent ist seit dem Allzeitrekord
wert von rund 145 USD pro Barrel
Gesamtindex ohne Energie und unbearbeitete Nahrungsmittel in % Quelle: Eurostat.
Industrielle, nicht energetische Güter Dienstleistungen
Bearbeitete Nahrungsmittel einschließlich Alkohol und Tabak
Komponenten des HVPI
Grafik 3
in % 4,5 4,0 3,5 3,0 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 0,0 –0,5 –1,0
HVPI insgesamt in % Energie
Unbearbeitete Nahrungsmittel
Apr. 07 Juli 07 Okt. 07 Jän. 08 Apr. 08 Juli 08 Okt. 08 Jän. 09
Mitte Juli 2008 auf rund 45 USD gegen Jahresende gesunken. Um diesen Wert pendelte der Rohölpreis in den Wochen danach, zuletzt zeigte er allerdings wieder eine leicht steigende Tendenz mit über 50 USD pro Barrel. Aus
schlaggebend für das insgesamt ver
gleichsweise niedrige Energie und Rohstoffpreisniveau ist der weltweite Einbruch der Energie und Rohstoff
nachfrage im Gefolge der Rezession.
Die Kerninflationsrate (HVPI ohne die volatilsten Inflationskomponen
ten – Energie und unbearbeitete Nah
rungsmittel) war seit Herbst 2008 ebenso, wenn auch weniger deutlich, gesunken und betrug im Februar 2009 nur mehr 1,7 %. Verantwortlich für die Trägheit der Kernteuerung sind haupt
sächlich die Dienstleistungspreise, die im Februar 2009 – bedingt durch die verzögerte Wirkung der höheren Herbstlohnrunden des Vorjahres – um 2,4 % stiegen. Vor allem die Preise für Verkehrsdienstleistungen, Reisen und Gastronomie stiegen vergleichsweise kräftig. Im Vergleich zu Dienstleistun
gen stehen Industriegüter stärker im internationalen Wettbewerb und daher unter größerem Preisdruck. Die Infla
tionsrate für nicht energetische Indus
triegüter ist entsprechend niedrig, wenngleich sie im Februar 2009 – trotz fallender Preise für Kfz – marginal auf 0,7 % anstieg.
Der Wechselkurs des Euro gegen
über dem USDollar schwankte in den letzten Monaten stark. Von seinem Höchststand von knapp 1,60 EUR/
USD im Sommer 2008 fiel er im Herbst auf rund 1,25 EUR/USD, wohin er nach kurzer Erholungsphase Anfang März 2009 wieder zurückkehrte. Seit
her festigte sich der Wechselkurs auf über 1,30 EUR/USD. Gegenüber dem japanischen Yen wertete der Euro im Herbst und Winter 2008 zunächst ab, seit Februar 2009 zeigt sich der Euro
jedoch wieder stärker. Effektiv, das heißt gegenüber 21 handelsgewichteten Währungen, schwankte der Wechsel
kurs des Euro ähnlich heftig. Den ab
rupten Fall von Sommer bis Ende Ok
tober 2008 kompensierte der Index bis Jahresende zur Gänze (+12 %). Anfang Februar 2009 büßte er abermals fast 7 % an Wert ein, was seither jedoch wieder großteils ausgeglichen wurde.
2.4 Laufende Abwärtskorrektur der BIP-Prognosen
Die Prognosen wurden im Lauf der letzten Monate sukzessive weiter nach unten korrigiert. In den im März 2009 erstellten gesamtwirtschaftlichen Pro
jektionen für den Euroraum geht die EZB von einem jährlichen Wachstum des realen BIP in einer Bandbreite zwi
schen –3,2 % und –2,2 % im Jahr 2009 sowie zwischen –0,7 % und +0,7 % im Jahr 2010 aus. In beiden Jahren wird die Jahreswachstumsrate des BIP von negativen statistischen Überhängen aus dem Vorjahr gedämpft werden. Für die 2010 projizierte graduelle Erholung sind international koordinierte Kon
junkturprogramme sowie Maßnahmen zur Wiederherstellung der Funktions
fähigkeit des Finanzsystems ausschlag
gebend. Zudem sollte der Rückgang der Rohstoffpreise die verfügbaren Ein
kommen stärken und damit der Kon
sumzurückhaltung allmählich ein Ende setzen. Die Unsicherheit bleibt beträcht
lich. Einerseits können die weltweit koordinierten Konjunktur und Finanz
marktstabilisierungsmaßnahmen das Ver
trauen der Wirtschaftsakteure fördern;
andererseits könnte die Finanzkrise die Rezession verschlimmern, zunehmen
der Protektionismus den Welthandel weiter beeinträchtigen, und die Anpas
sungen der globalen Leistungsbilanz
ungleichgewichte mit extremen Wech
selkursschwankungen einhergehen.
Auch die Prognosen der Europä
ischen Kommission, des IWF oder etwa Consensus Forecast legen allesamt nahe, dass die Wirtschaft des Euro
raums im Jahr 2009 um mindestens 2 % schrumpfen wird. Wesentlich pes
simistischer sind die Interimsprogno
sen der OECD. Danach soll die Wirt
schaftsleistung des Euroraums im Jahr 2009 um 4,1 % schrumpfen. Deutsch
land wäre demnach unter den großen Volkswirtschaften mit einer Schrump
fung um 5,3 % am stärksten betroffen, gefolgt von Italien mit –4,3 % und Frankreich mit –3,3 %. 2010 soll der BIPRückgang noch 0,3 % betragen.
Ähnlich wie die BIPPrognosen wurden auch die Inflationsprognosen laufend nach unten revidiert. Die EZB prognostiziert für das Jahr 2009 eine außergewöhnlich niedrige Teuerungs
rate des HVPI zwischen 0,1 % und 0,7 % und für 2010 einen sehr mäßigen Preisanstieg zwischen 0,6 % und 1,4 %.
Basiseffekte infolge vergangener Ener
giepreisentwicklungen werden die jähr
lichen Gesamtinflationsraten mögli
cherweise bis zur Jahresmitte 2009 vorübergehend auf negative Werte drücken. Die verfügbaren Prognosen internationaler Organisationen bestäti
gen die Aussicht auf überaus moderate Inflationsraten in beiden Prognose
jahren.
2.5 EZB-Rat senkt geldpolitische Zinssätze deutlich
Am 5. März 2009 beschloss der EZB
Rat auf der Grundlage seiner regelmä
ßigen wirtschaftlichen und monetären Analyse den Zinssatz für die Hauptrefi
nanzierungsgeschäfte des Eurosystems sowie die Zinssätze für die Spitzenrefi
nanzierungsfazilität und die Einlage
fazilität um jeweils 50 Basispunkte auf 1,5 % (bzw. 2,5 % und 0,5 %) zu sen
ken. Damit wurde der Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte des
Eurosystems seit dem 8. Oktober 2008 in insgesamt vier Schritten um 275 Ba
sispunkte gesenkt.
Begründet wurde diese Zinssen
kung vor allem damit, dass die Teue
rungsraten merklich zurückgegangen sind und den Erwartungen zufolge in den Jahren 2009 und 2010 deutlich unter 2 % bleiben werden. Ausschlag
gebend für diese Inflationsaussichten sind der Rückgang der Rohstoffpreise sowie die Preiseffekte der Abschwä
chung der gesamtwirtschaftlichen Akti
vität. Die jüngsten Wirtschaftsdaten und Umfrageergebnisse lieferten wei
tere Belege für die Einschätzung des EZBRats, dass die Nachfrage weltweit sowie im EuroWährungsgebiet im Jahr 2009 sehr schwach sein dürfte. Im Jahresverlauf 2010 wird mit einer all
mählichen Konjunkturerholung ge
rechnet. Gleichzeitig bleiben die ver
fügbaren Indikatoren für die mittel bis längerfristigen Inflationserwartungen fest auf einem Niveau verankert, das mit dem Ziel des EZBRats, die Preis
steigerung mittelfristig unter, aber nahe 2 % zu halten, im Einklang steht.
Eine Gegenprüfung mit den Ergebnis
sen der monetären Analyse bestätigt, dass der Inflationsdruck nachgelassen hat.
Mit dem Beschluss geht der EZB
Rat davon aus, dass die Preisstabilität auf mittlere Sicht gewährleistet bleibt und somit die Kaufkraft der privaten Haushalte im Euroraum stützen wird.
Der EZBRat wird weiterhin dafür Sorge tragen, dass die mittelfristigen Inflationserwartungen fest auf einem Niveau verankert bleiben, das ein nach
haltiges Wirtschaftswachstum sowie die Beschäftigung stützt und zur Finanz
stabilität beiträgt. Dementsprechend wird der EZBRat auch in nächster Zeit alle Entwicklungen sehr genau verfol
gen.
2.6 Wirtschaftspolitik ergreift Maßnahmen zur Konjunktur- stabilisierung
Die Wirtschaftspolitik hat weltweit in den letzten Monaten ihre Anstrengun
gen zur Stabilisierung des Finanzsys
tems und der Konjunktur intensiviert.
In der EU wurden nicht nur die einzel
nen Mitgliedstaaten aktiv, sondern auch die EU übernahm eine bedeutende Rolle: Auf europäischer Ebene wurde ein umfassendes wirtschaftspolitisches Programm aufgelegt, das eine abge
stimmte Vorgehensweise für Konjunk
turbelebungsmaßnahmen im Bereich der Realwirtschaft sicherstellt und da
mit den Nutzen einzelstaatlicher Maß
nahmenpakete über Multiplikatoreffekte erhöht und die geldpolitischen Maß
nahmen ergänzt.
Mitte Oktober 2008 hat die EU eine gemeinsame Strategie zur Be
kämpfung der Finanzkrise verabschie
det. Die mittlerweile für 18 Staaten be
stehenden Bankenpakete umfassen im Wesentlichen eine Erhöhung der Ga
rantiesummen im Rahmen der Einla
gensicherung, die Möglichkeit staat
licher Garantien für Interbankenkre
dite sowie staatliche Kapitalzufuhr für Banken. Seither wurde dieser gemein
same Rahmen durch die Mitgliedstaa
ten in Form nationaler Umsetzungs
maßnahmen implementiert.
Ein erster wichtiger Teilbereich da
von war eine Änderung der Einlagen
sicherung, die von der Europäischen Kommission am 15. Oktober 2008 vor
geschlagen wurde. Die neuen Vor
schriften sollen den Schutz der Einleger verbessern und ihr Vertrauen in die Sicherheit ihrer Spareinlagen erhalten.
Konkret wurde vereinbart, die Min
destdeckungssumme für Einlagen von 20.000 auf 50.000 EUR und inner
halb eines Jahres auf mindestens 100.000 EUR zu erhöhen. Den Mit
gliedstaaten wurde freigestellt, eine höhere Deckungssumme festzulegen, wovon einige Länder, darunter auch Österreich, Gebrauch machten. Ebenso wurde der bis dahin mögliche Selbst
behalt bei Eintreten eines Einlagen
sicherungsfalls abgeschafft und die Zeit
spanne, innerhalb der ein Einlagen
sicherungssystem die Einleger ent
schädigen muss, auf drei Tage verkürzt.
Bis dahin betrug diese Frist drei Mo
nate und konnte auf bis zu neun Monate ausgedehnt werden.
Daneben sticht vor allem der vom Europäischen Rat am 11. und 12. De
Entwicklung der Leitzinssätze im Euroraum und in den USA
Grafik 4
in % 6 5 4 3 2 1 0
Quelle: Thomson Reuters.
USA – Federal Funds Target Rate Eurosystem – Zinssatz für Hauptrefinanzierungsgeschäfte
Juli 04 Juli 05 Juli 06 Juli 07 Juli 08
Jän. 04 Jän. 05 Jän. 06 Jän. 07 Jän. 08 Jän. 09
zember 2008 beschlossene „European Economic Recovery Plan for Growth and Jobs“ hervor. Dieses Programm sieht einen gezielten und zeitlich befris
teten, budgetären Impuls in Höhe von rund 200 Mrd EUR bzw. 1,5 % des BIP der EU vor. Die Mittel sollen sowohl aus den nationalen Haushalten (rund 170 Mrd EUR oder 1,2 % des BIP) als auch aus den Haushalten der EU und der Europäischen Investitionsbank – EIB (rund 30 Mrd EUR oder 0,3 % des BIP) aufgebracht werden. Zum einen werden damit kurzfristige Maßnahmen zur Ankurbelung der Nachfrage, Siche
rung von Arbeitsplätzen und Wieder
herstellung des Vertrauens in die Wirt
schaft und zum anderen Investitions
maßnahmen in langfristig nachhaltiges Wachstum finanziert.
Das Maßnahmenpaket umfasst von
seiten der EU unter anderem eine ver
einfachte, raschere und vorgezogene Auszahlung von 1,8 Mrd EUR aus dem Europäischen Sozialfonds für aktive Arbeitsmarktmaßnahmen und Investi
tionen von 5 Mrd EUR zur Verbesse
rung der Energieverbundnetze und der Breitbandinfrastruktur. Weiters soll die EIB ihre jährlichen Finanzierungs
fazilitäten um rund 15 Mrd EUR auf
stocken und die europäischen Kohäsi
onsfonds Investitionen im Umfang von 4,5 Mrd EUR vorziehen. Der Anwen
dungsbereich des European Globalisation Adjustment Funds soll erweitert, eine raschere Abrufung von Finanzmitteln ermöglicht und gezielt Arbeitsmarkt
politiken unterstützt werden. Zusätz
lich empfiehlt die Europäische Kom
mission die Senkung von Sozialkosten für Arbeitgeber (niedrige Einkom
mensbereiche) sowie die permanente Reduzierung von Mehrwertsteuersät
zen im Bereich arbeitsintensiver Dienst
leistungen.
3 Zentral-, Ost- und
Südosteuropa von der Krise erfasst
3.1 Finanzkrise erreicht im Herbst 2008 Osteuropa
Vor dem Hintergrund zunehmender internationaler Risikoaversion wird seit der zweiten Hälfte 2008 auch das Risikoprofil der zentral, ost und süd
osteuropäischen EUMitgliedstaaten neu bewertet. Faktoren, die zu einer deutlichen Verschlechterung in der Wahr
nehmung der wirtschaftlichen Situa
tion geführt haben, waren eingetrübte Wachstums und Exportaussichten, ab
nehmende Kapitalzuflüsse, hoher ex
terner Finanzierungsbedarf, Währungs
und Laufzeitinkongruenzen sowie Risi
ken in Bezug auf gemeinsame Gläubiger des Bankensektors der Region.
Dementsprechend war diese Län
dergruppe von der Intensivierung der Finanzmarktkrise seit Mitte September 2008 besonders stark betroffen. Zuvor hatten sich diese Volkswirtschaften seit dem Ausbruch der internationalen Finanzmarktverwerfungen Mitte 2007 vergleichsweise widerstandsfähig ge
genüber den globalen Vorkommnissen gezeigt. Nun wurden markante Ver
schlechterungen in allen Finanzmarkt
segmenten verzeichnet, wobei sich be
sonders Aktien und Anleihemärkte teils substanziell schlechter als in vergleichbaren Schwellenländern ent
wickelten. Während Aktienpreise in den europäischen Schwellenländern seit Mitte September 2008 um durch
schnittlich 46 % zurückgingen, lag der vergleichbare Wert in asiatischen und lateinamerikanischen Schwellen
ländern bei 23,6 % bzw. bei 22 %. Ähn
lich war die Entwicklung bei Spreads von in Euro denominierten Eurobonds:
Während die Spreads in Europa um 453 Basispunkte anstiegen, nahmen sie in Asien und Lateinamerika nur um 105 bzw. 264 Basispunkte zu.
Darüber hinaus mussten die Wäh
rungen der Länder mit flexiblem Wech
selkursregime deutliche Wertverluste gegenüber dem Euro hinnehmen. So werteten der polnische Zloty seit Sep
tember 2008 um rund 29 %, der unga
rische Forint um über 23 % und der rumänische Leu um etwa 16 % gegen
über dem Euro ab. Die nominaleffek
tive Wechselkursabwertung war im Gegensatz dazu weniger ausgeprägt, da der Euro im selben Zeitraum gegenüber den Währungen wichtiger Handels
partner der Länder der Region (etwa dem Vereinigten Königreich oder Russland) aufgewertet hat.
Die Gründe für die angespannte Lage auf den Devisenmärkten waren vielfältig: Die Einschätzung der Region durch internationale RatingAgenturen wurde deutlich pessimistischer; neue Prognosen für 2009 gingen erstmals von einer Rezession nicht nur für ein
zelne Länder, sondern auch für die ge
samte Region im Durchschnitt aus; und in allen Ländern wurden die Leitzinsen gesenkt (in Ungarn allerdings nach einer deutlichen Anhebung Ende Okto
ber 2008). Neben diesen Faktoren, die zu einer allgemein schlechteren Wahr
nehmung der Lage in der Region führ
ten, war für die Entwicklung in Polen zum Teil auch die Auflösung von Fremdwährungsoptionen verantwort
lich, die in wirtschaftlich besseren Zeiten zur Absicherung gegen eine mögliche weitere Aufwertung des pol
nischen Zloty eingegangen wurde. In Ungarn bestanden zudem Unsicher
heiten bezüglich des hohen externen Finanzierungsbedarfs.
Seit der zweiten Februarhälfte ent
spannte sich die Situation allerdings wieder etwas. Die Tschechische Krone erholte sich deutlich und auch beim polnischen Zloty sowie beim unga
rischen Forint war seit Anfang März 2009 eine Kräftigung zu beobachten.
Wechselkurse ausgewählter Währungen zum Euro
Grafik 5
1. Jänner 2008 = 100 140
135 130 125 120 115 110 105 100 95 90 85
Source: Thomson Reuters.
(Aufwärtsbewegung bedeutet nominelle Abwertung)
Polen Tschechische Republik
Ungarn Slowakei Rumänien
Jän. Feb. März Apr. Mai Juni Juli Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Jän. Feb. März
2008 2009
Die Währungsabschwächung ist in zweierlei Hinsicht zu bewerten: Einer
seits wirkt sie durch eine Verbilligung der heimischen Produktion gegen die Nachfrageschwäche auf den internatio
nalen Märkten; eine solche hat auf
grund der starken Exportorientierung der Region tendenziell besonders nega
tive Auswirkungen auf die Konjunktur.
Andererseits erhöht sie aufgrund der weiten Verbreitung von auf Fremdwäh
rung lautenden Krediten die Schulden
last, woraus sich ein dämpfender Effekt auf die private Nachfrage ergibt. Dies trifft insbesondere auf Ungarn und Rumänien zu, deren Fremdwährungs
anteil (insbesondere in Euro) an der ge
samten Kreditvergabe 50 % deutlich übersteigt.
Zudem wirkt sich die Finanzmarkt
krise vor allem über einen erschwerten Zugang zu Fremdfinanzierung negativ auf die Realwirtschaft aus. Die Investi
tionstätigkeit wird durch folgende Fak
toren beeinträchtigt: steigende Zins
aufschläge, Vermögenswertverluste auf
grund fallender Aktienmärkte, aber teils auch quantitative Kreditbeschrän
kungen seitens der Kreditinstitute, be
dingt durch eine Verschlechterung der Risikostruktur der Bankaktiva, verän
derte Risikoeinschätzungen oder die Abnahme konzerninterner Kapital
flüsse im Bankensektor. Daneben spie
gelt sich eine Abschwächung des Kre
ditwachstums, das in vielen Ländern während der letzten Jahre den privaten Konsum angeheizt hatte, in einer ver
ringerten Nachfrage der privaten Haus
halte wider. Verstärkt wird diese Ent
wicklung durch fallende Vermögens
preise, in einigen Ländern z. B. auch aufgrund platzender Immobilienblasen.
3.2 Kurzfristig keine Erholung in Sicht
Die allgemeine Wirtschaftslage in den zentral, ost und südosteuropäischen Staaten hat sich vor dem skizzierten Hintergrund nach Jahren dynamischen Wachstums (in einigen Ländern bis zur Überhitzung) vor allem seit dem vierten Quartal 2008 deutlich ver
schlechtert. Das Wachstum in der Region schwächte sich markant ab und brach im Durchschnitt auf knapp 1 % ein; im dritten Quartal 2008 hatte es noch 4,8 % betragen. Neben den
Tabelle 1
Wirtschaftswachstum in den zentral-, ost- und südosteuropäischen EU-Mitgliedstaaten
2008 2009¹ Q1 08 Q2 08 Q 08 Q4 08
Wachstumsrate des realen BIP in % gegenüber der Vorjahresperiode
Bulgarien 6,0 0,0 7,1 7,1 6,8 ,5
Estland –,6 –7,0 0,2 –1,1 –,5 –9,7
Lettland –4,6 –8,0 0,5 –1,9 –5,2 –10,
Litauen ,1 –5,0 7,0 5,2 2,9 –2,0
Polen 4,8 1,5 6,2 5,8 5,2 2,
Rumänien 7,1 0,0 8,2 9, 9,2 2,9
Slowakei 6,4 2,0 9, 7,9 6,6 2,5
Slowenien ,5 0,0 5,7 5,5 ,9 –0,8
Tschechische Republik ,2 0,4 4,4 4,4 4,0 0,2
Ungarn 0,5 –,0 1,7 2,1 0,8 –2,
Gesamte Region 4,2 0,0 5,6 5,5 4,8 0,9
Euroraum 0,9 –1,9 2,1 1,4 0,6 –1,
Quelle: Eurostat, Europäische Kommission, wiiw.
1 Prognose; CESEE: wiiw (Februar 2009), Euroraum: Europäische Kommission (Jänner 2009).