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145. Sitzung des N. R. der Republik Österreich, II. G. P. — 27. Mai 1926.

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Stenographisches Protokoll.

145. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich.

II. Gesetzgebungsperiode. Donnerstag. 27. Mai 1926.

Inhalt.

Personalien: Abwesenheitsanzeigen (3566). — Mandats¬

niederlegung Karl Irsa (3566). — Urlaube (3566).

Zuschriften des Bundeskanzlers: Mitteilung von der Erledigung einer vom Nationalrate zu besetzenden Stelle eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes infolge Ab¬

lebens des Dr. Robert Neumann-Ettenreich (3566);

Mitteilung von der Zurückziehung der Regierungs¬

vorlage (B. 502), betr. die Gebührennovelle 1926 (3566).

Zuschriften des Finanzministers: 1. Vorlage eines Be¬

richtes über die Kreditüberschreitungen und neuen Aus¬

gaben im Jahre 1926 — Finanz- und Budgetausschuß (3566);

2. Bekanntgabe einer auf Grund des § 8, Absatz 2, des Zollgesetzes erlassenen Verordnung über die Einführung eines Erlaubnisscheinverkehres mit rohen, baumwollenen Schlauchkopsgarnen (3566) — Finanz- und Budgetausschuß (3596).

Zuschrift des Handelsministeriums: Vorlage eines Exemplars der „Statistik des auswärtigen Handels Öster¬

reichs im Jahre 1925" (3566).

Rechnungshof: Vorlage des Bundesrechnungsabschlusses für 1925 (3566) — Finanz- und Budgetausschuß (3596).

Regierungsvorlagen: 1. Kartoffelkrebsgesetz (B. 551) (3566) — Ausschuß für Land- und Forstwirtschaft (3596);

2. Verbrauchssteuernovelle vom Jahre 1926 (B. 552) (3566) — Finanz- und Budgetausschuß (3596);

3. Goldbilanzengesetznovelle (B. 555) (3566) — Finanz- und Budgetausschuß (3596);

4. Gebührennovelle 1926 (B. 556) (3566) — Finanz- und Budgetausschuß (3596);

5. Jugendgerichtsgesetz (B. 558) (3566) — Justiz¬

ausschuß (3596);

6. Zweiter Zusatzvertrag zum deutsch-österreichischen Wirtschaftsabkommen (B. 559) (3566) — Ausschuß für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten (3596);

7. Abänderung des Bundesverfassungsgesetzes über die Regelung der Handels- und Verkehrsbeziehungen mit aus¬

wärtigen Staaten (B. 560) (3566) — Ausschuß für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten (3596);

8. Mündelsicherheit der 7prozentigen Obligationenanleihe der Stadtgemeinde, Baden (B. 561) (3596) — Finanz- und Budgetausschuß (3596);

9. Abänderung des § 21 des Gesetzes vom 14. Mai 1869, in der Fassung des Gesetzes vom 2. Mai 1883 (B. 562) (3596).

Verhandlungen: 1. Bericht des Ausschusses für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten über die Regierungs¬

vorlage (B. 545), betr. das Zusatzprotokoll zum Handels¬

und Schiffahrtsvertrag mit Italien vom 28. April 1923 (B. 553) — Berichterstatter Volker (3567) — Annahme des Ausschußantrages (3567);

2. Bericht des Ausschusses für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten über die Regierungsvorlage (B. 541), betr. das Zusatzabkommen zu dem zwischen der Republik Österreich und dem Königreiche Ungarn am 8. Februar

1922 in Budapest geschlossenen Handelsübereinkommen (B. 554) — Berichterstatter Volker (3567 u. 3578), Müller (3568), Zarboch (3572), Dr. Schönbauer (3574), Dr. Gimpl (3576), Sailer (3577) — Annahme des Ausschußantrages (3579).

Dringliche Anfrage: Glöckel, Muchitsch, Hammerstorfer, Ebner, Tuller u. Gen. an die Bundesregierung über die Ausübung eines Zwanges auf konfessionslose Kinder zum Besuche des römisch-katholischen Religionsunterrichtes und über den jüngsten Erlaß des Unterrichtsministers über die Schülerbefragung (3566) — Glöckel (3579 u. 3590), Bundeskanzler Dr. Ramek (3587), Dr. Seipel (3588).

Anfragenbeantwortung: Beantwortung der Interpella¬

tionen Ferdinand Ertl, Dr. Grailer (328/1) und Tomschik, Weiser, Scheibein (329/1) durch Bundesminister Dr. Schürff (3592).

Ausschüsse: Wahl Hans Hofer und Hölzl als Mit¬

glieder und Meißner als Ersatzmann des Zollausschusses an Stelle Stöckler und Schiegl, beziehungsweise Richard Seidl (3596).

Eingebracht wurden:

Anträge: 1. Fink, Unterberger, auf ein Bundesgesetz, betr. Grundsätze für die Einräumung von Wegerechten und die Errichtung von Feldwegen, wirksam für das Bundesland Vorarlberg (256/A);

2. Heinl,betr. Reform des Preistreibereigesetzes (257/A);

3. Heinl, betr. Reform der Strafhausarbeiten (258/A);

4. Heinl, betr. Steuer- und Gebührenbegünstigungen bei Fusionen von Gesellschaften mit beschränkter Haftung (259/A);

5. Heinl, betr. Vereinfachung der Steuerveranlagung und -einhebung (260/A);

6. Heinl, betr. Abbau des Sichtvermerkzwanges (261/A);

7. Schneeberger, Hammerstorfer, betr. die Einstellung von Mißbräuchen bei der Verwendung landwirtschaftlicher Saisonarbeiter (262/A);

8. Dr. Ellenbogen, Proft, auf ein Bundesgesetz, betr. die Regelung des Verkaufes von Ätzlaugen (263/A).

Anfragen: 1. Ferdinand Ertl, Dr. Grailer, Handels¬

minister, betr. das Eisenbahnunglück in der Station Simmering (328/1);

2. Tomschik, Weiser, Scheibein, Handelsminister, betr.

das Eisenbahnunglück in Simmering (329/1);

3. Falle, Gabriel, Gröger, Tusch, Bundeskanzler, betr.

ungerechtfertigte Bewilligungen zur Aufnahme ausländischer Arbeiter durch das Bundeskanzleramt (Wanderamt) (330/1);

4. Hölzl, Sever, Bundesminister für soziale Ver¬

waltung, über den verbrecherischen Amtsmißbrauch des Primarius Dr. Groag (331/1);

5. Dr. Schönbauer, Bundesregierung, betr. die Kolonie Uhlfeld in der Kirgisenrepublik (332/1).

Verteilt wurden:

Regierungsvorlagen: 551, 552, 555.

Berichte: 553, 554.

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145. Sitzung des N. R. der Republik Österreich, II. G. P. — 27. Mai 1926.

Präsident Miklas eröffnet die Sitzung um 3 Uhr 20 Min. nachm, und erklärt das Protokoll über die Sitzung vom 27. April als genehmigt.

Krank gemeldet find Gröger, Zwenk, Dr. Renner und Frau Popp.

Abg. Irsa hat fein Mandat zurückgelegt.

Buchinger erhält einen vierwöchigen, Spalowsky einen Urlaub bis 15. Juni.

Eingelangt sind Regierungsvorlagen, und zwar:

Kartoffelkrebsgesetz (B. 551); Verbrauchssteuernovelle vom Jahre 1926 (B. 552); Goldbilanzengesetz¬

novelle (B. 555); Gebührennovelle 1926 (B. 556);

Jugendgerichtsgesetz (B. 558); Zweiter Zusatzvertrag zum deutsch-österreichischen Wirtschaftsabkommen (B. 559); Abänderung des Bundesverfassungsgesetzes über die Regelung der Handels- und Berkehrs¬

beziehungen mit auswärtigen Staaten (B. 560);

Mündelsicherheit der 7prozentigen Obligationen¬

anleihe der Stadtgemeinde Baden vom Jahre 1926 (B. 561).

Die Bundesregierung hat ihre am 23. Februar 1926 übermittelte Gesetzesvorlage, betr. die Änderung einiger Vorschriften über die Stempel- und Rechts¬

gebühren (Gebührennovelle 1926) (B. 502), zurück¬

gezogen.

Der Rechnungshof hat den Bundesrechnungs¬

abschluß für das Verwaltungsjahr 1925 vorgelegt.

Der Bundesminister für Finanzen legt in Aus¬

führung des Artikels IV, Absatz 2 und 3, des Bundessinanzgesetzes für das Jahr 1925, B. G. Bl.

Nr. 111, einen Bericht über die Kreditüberschreitungen und neuen Ausgaben im Jahre 1925 vor.

Dieser Bericht wird dem Finanz- und Budget¬

ausschuß zugewiesen.

Der Bundesminister für Finanzen bringt im Sinne des tz 8, Absatz 2, des Gesetzes vom 10. Juni, St. G. Bl. Nr. 250 (Zollgesetz), die mit Zustimmung des Hauptausschusses vom Bundesministerium für Finanzen im Einvernehmen mit dem Bundes¬

ministerium für Handel und Verkehr erlassene Ver¬

ordnung vom 23. Dezember 1925, B. G. Bl.

Nr. 462, über die Einführung eines Erlaubnisschein¬

verkehres mit rohen baumwollenen Schlauchkops¬

garnen zur Verarbeitung aus Scheuertücher und Putzschwämme dem Nationalrate zur Kenntnis.

Das ■ Bundesministerium für Handel und Verkehr hat ein Exemplar der „Statistik des auswärtigen Handels Österreichs im Jahre 1925" zur Verfügung gestellt.

Dieses Exemplar wurde der Bibliothek des Nationalrates übermittelt, wo es von den Mit¬

gliedern des hohen Hauses eingesehen werden kann.

Laut Mitteilung des Herrn Bundeskanzlers ist die durch das Ableben des Senatspräsidenten a. D.

Dr. Robert Neumann-Ettenreich erledigte Stelle eines Mitgliedes des Versassungsgerichtshoses durch Wahl des Nationalrates zu besetzen.

Diese Wahl wird auf die T. O. der nächsten Nationalratssitzuug gestellt.

Eine dringliche Anfrage Glöckel, Muchitsch, Hammerstorfer, Ebner, Tuller u. Gen. an die Bundesregierung über die Ausübung eines Zwanges auf konfessionslose Kinder zum Besuch des römisch- katholischen Religionsunterrichtes und über den jüngsten Erlaß des Unterrichtsministers über die Schülerbefragung lautet:

„Abschnitt V des III. Teiles des Staatsvertrages von Saint-GerMain vom 10. September 1919, St. G. Bl. Nr. 303 ans 1920, räumt in Artikel 66, der die Kraft eines Verfassungsgesetzes hat, allen Staatsangehörigen ohne Unterschied der Religion, des Glaubens und des Bekenntnisses, die gleichen bürgerlichen und politischen Rechte ein.

Der Verwaltungsgerichtshof hat entschieden, daß es mit dem Geist und Wortlaut dieses Artikels im Einklang steht, wenn konfessionslose Eltern ihre Kinder unter sieben Jahren in den Zustand der Konfessionslosigkeit überführen. Im Bundesland Steiermark nehmen die Bezirkshauptmannschaften die Anzeige des Austrittes von Kindern aus der katholischen Kirche entgegen den: Wortlaut der an¬

geführten Bestimmung nicht zur Kenntnis, Rechts¬

mittel dagegen werden vom Landeshauptmann ab- weislich erledigt, an das Ministerium gelangte Rekurse bleiben aber unerledigt liegen, weshalb — dies soll wohl der Zweck der Nichterledigung sein — den Betroffenen der Rechtszug an den Verwaltungs¬

gerichtshof versperrt bleibt.

Der Nationalrat hat in: vergangenen Jahre eine Reihe bedeutsamer und umfangreicher Gesetze ge¬

schaffen, die man gemeinhin als Verwaltnngsresorin- gesetze bezeichnet; einer der Zwecke der Verwaltungs¬

reformgesetzgebung war der, den Staatsbürger von den Willkürlichkeiten der Verwaltungsbehörden zu befreien, Österreich auf den: Gebiete der Verwaltung zum Rechtsstaat zu machen; es mutet geradezu wie ein Hohn auf die guten Absichten der Verwaltungs¬

reformgesetzgebung an, wenn derselbe Bundeskanzler, der sich die Erledigung der Verwaltungsreformgesetze beinahe als persönliches Verdienst zuschreibt, duldet, daß in der zentralen Verwaltung Aktenstücke nur deshalb, und zwar eingestandenermaßen deshalb nicht erledigt werden, und damit dem Staatsbürger den Weg zum Verwaltungsgerichtshos unmöglich machen will.

Diesen Zustand der Rechtsweigerung ausnutzend, hat nun kürzlich der steirische Landesschulrat mit Berufung aus § 38 des allgemeinen Verwaltnngs- versahrensgesetzes eine Entscheidung erlassen, durch die verfügt wird, daß konfessionslose Kinder verhalten sein sollen, den katholischen Religionsunterricht zu besuchen.

Es scheint, als ob die Regierung durch die pflichtvergessene Handhabung der ihr übertragenen

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Gewalt und durch die Unterlassung der Beauf¬

sichtigung einiger Landesschulräte den Zustand herbei¬

führen wollte, daß über das Glaubensbekenntnis von Kindern unter sieben Jahren und über den diesen zu erteilenden Religionsunterricht nicht die Eltern, sondern der Landeshauptmann und die Mehrheit eines Landesschulrates zu entscheiden hätten —- ein Zustand, der mit den geltenden Gesetzen und mit der herrschenden Rechtsprechung nicht in Einklang gebracht werden kann.

Das Recht der Eltern, über die Teilnahme ihrer Kinder an den religiösen Übungen zu entscheiden, ist durch den jüngsten Erlaß des Bundesministers für Unterricht über die Befragung von Kindern durch den Religionslehrer über die Teilnahme an den religiösen Übungen schwer beeinträchtigt worden;

es ist kein Zweifel, daß durch die Handhabung der Schülerbefragung schwere Konflikte in die Seele der Kinder und in das Verhältnis zwischen Schule und Haus, ja auch zwischen Eltern und Kinder getragen werden müssen.

Die Gefertigten richten daher an den Bundes¬

kanzler die Fragen:

,1. Sind Sie bereit, dafür zu sorgen, daß an die Zentralstelle gelangte Rechtsmittel in Kultus- und Schulfragen ohne rechtsverweigernden Verzug erledigt werden?

2. Was werden Sie gegen die Entscheidung des steirischen Landesschulrates Vorkehren, durch die konfessionslose Kinder zum katholischen Religions¬

unterricht gepreßt werden sollen?

3. Womit können Sie vor dem Gesetz und vor dem pädagogischen Gewissen verantworten, daß durch den jüngsten Erlaß über die Befragung der Kinder durch die Religionslehrer schwere Konflikte zwischen dem Kinde und seinen Eltern oder auch zwischen Schule und Haus gefördert werden?'"

Es wird zur T. O. übergegangen. Erster Punkt der T. O. ist der Bericht des Ausschusses für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten über die Regierungsvorlage (B. 545), betr. das Zusatzprotokoll zum Handels- und Schiffahrtsvertrag mit Italien vom 28. April 1923 (B. 553).

Berichterstatter Volker: Hohes Haus! Durch dieses Zusatzprotokoll wird die Aktivierung des Super¬

phosphatzolles ermöglicht.

Der Nationalrat hat mit der 1. Zolltarisnovelle einen Superphosphatzoll von 1*50 Goldkronen für 100 Kilogramm beschlossen. Bisher waren Super¬

phosphate in Österreich autonom zollfrei; die Zoll- sreiheit ist auch in unserem Handelsvertrag mit Italien gebunden. Die italienische Regierung ist bereit, Österreich aus der Bindung der Zollsreiheit für Superphosphat zu entlassen, wenn Österreich aus die im Handelsvertrag mit Italien vereinbarte Bindung des italienischen Zolles von 1 Lire für Ammoniumsulfat verzichtet. Diese Vereinbarung

wurde in Form des vorliegenden Zusatzprotokolls getroffen, das mit Austausch der Ratifikations¬

urkunden in Kraft treten wird.

Der Ausschuß für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten stellt sohin den Antrag (liest):

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Dem Zusatzprotokoll zmu Handels- und Schiff¬

fahrtsvertrag mit Italien vom 28. April 1923 (B. 545) wird die verfassungsmäßige Genehmigung erteilt."

Der Ausschußantrag wird angenommen. Der nächste Punkt der T. O), ist der Bericht des Aus¬

schusses für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten über die Regierungsvorlage (B. 541), betr.

das Zusatzabkommen zu dem zwischen der Republik Österreich und dein Königreich Üngarn am 8. Februar 1922 in Budapest geschlossenen Handelsüberein¬

kommen (B. 554).

Berichterstatter Volker: Hohes Haus! Das vor¬

liegende Zusatzübereinkommen ergänzt in der Haupt¬

sache das bestehende Handelsübereinkommen mit Ungarn vom 8. Februar 1922 durch zolltarifarische Vereinbarungen. Die Verhandlungen über dieses Zusatzabkommen gestalteten sich sehr schwierig. Die ungarische Industrie hat großen Widerstand geleistet, anderseits haben die ungarischen Agrarier weitest¬

gehende Forderungen an uns gestellt. Die abge¬

schlossenen Tarifvereinbarungen sind in den Anlagen A und B enthalten und erstrecken sich auf fast alle wichtigen Zweige der beiderseitigen Produktion. Die Anlage zun: ungarischen Tarif umfaßt rund 160 Tarif¬

positionen. Von besonderer Wichtigkeit für den öster¬

reichischen Export sind die Vertragspositionen aus der Gruppe Holz und Holzwaren, ferner aus der Gruppe der Textilien. Aus der Leder- und Leder- warenklaffe wären die Positionen Taschnerwaren, Ledergalanteriewaren und Luxusschuhe hervorzuheben.

Die Vertragszölle für Sohlleder haben desgleichen eine Ermäßigung erfahren, und in den: Schlu߬

protokoll verpflichtete sich Ungarn, daß ein weiterer Abbau dieser Sätze erfolgen soll. Zu erwähnen wäre auch bei dieser Gruppe noch ein zollermäßigtes Kontingent von 4000 Paar Schaftstiefeln, durch welches den burgenländischen Tschismenerzeugern ein Absatzgebiet in den benachbarten Teilen Ungarns gegeben werde:: soll. Auch für die Eisen- und Metallindustrie sowie für die Maschinen- und Elektro¬

industrie wurden Ermäßigungen erreicht. Von größerer Bedeutung sind dann auch noch die Herabsetzungen der Zölle für Knöpfe, Kämme, Haarschmuck und Rauchrequisiten.

Die Erruäßigungen von: ungarischen autononun Tarif durch die Vertragssätze der Tarisanlage be¬

tragen bis zu 50 Prozent und darüber. Sie lassen erwarten, daß wir eine wesentliche Steigerung des Geschäftes mit Ungarn erreichen werden.

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Anderseits mußten auch wir Ungarn Konzessionen machen; es betreffen diese sowohl agrarische Artikel wie auch industrielle Positionen. Die agrarischen Artikel umschließen drei Gruppen; die erste Gruppe umfaßt Obst und Gemüse, die zweite Mehl und Mahlprodukte und die dritte Gruppe Wein. Ebenso großes Gewicht wie auf die Herabsetzung des Zolles für Mehl und Mahlprodukte legten die Ungarn auch auf die Herabsetzung des Zolles für Wein. Diese Angelegenheit wurde ja schon vielfach erörtert. Ich möchte nur noch erwähnen, daß die ursprüngliche ungarische Forderung dahin ging, einen Vertragszoll von 15 Goldkronen für 100 Kilogramm brutto für netto unserseits einzuführen. Diese Forderung war vollkommen unannehmbar. Man einigte sich schließlich aus einen Zollsatz von 30 Goldkronen für 100 Kilo¬

gramm ohne Unterschied des Alkoholgrades. Neben diesen Zollermäßigungen hat Ungarn noch die Bindung einer Reihe von autonomen, beziehungs¬

weise vertragsmäßigen Sätzen aus agrarischem Gebiete erhalten. Erwähnenswert wäre noch eine reziprok gefaßte Klausel im Schlußprotokoll, durch bte eine Erweiterung des Absatzgebietes für unsere Emmen- talererzeugung zu erwarten ist.

Von den Konzessionen auf industriellem Gebiete sind in der Gruppe der Lebensmittelindustrie zu er¬

wähnen die bei Paprika, Salami, Gemüse- und Obst¬

konserven und Bäckereien gemachten Zugeständnisse.

Auf dem Gebiete der Maschinenindustrie sind be¬

sonders die Zollermäßigungen für Pumpen und Müllereimaschinen zu erwähnen.

Es sei noch bemerkt, daß in der Anlage 6 auch Bestimmungen über den Eisenbahnverkehr enthalten sind. Es werden die in den ursprünglich getroffenen Handelsübereinkommen enthaltenen Vereinbarungen dadurch ergänzt, daß die baldige Inkraftsetzung der beiden Berner Internationalen Konventionen aus dem Jahre 1924 über den Eisenbahn-, Personen- und Gepäckverkehr sowie über den Eisenbahnfracht¬

verkehr zwischen Österreich und Ungarn ermöglicht

werden soll. Die weiteren Bestimmungen dieses Protokolls betreffen den Durchgangsverkehr (Öster¬

reich über Ungarn nach Österreich, Ungarn über Österreich nach Ungarn), und es wird so die durch

die später erfolgte burgenländische Grenzführung ge¬

schaffene Situation berücksichtigt.

In einem besonderen Protokoll ist die Frage der Wanderarbeiter geregelt. M ist eine Tatsache, daß

in Österreich ein empfindlicher Mangel an gewissen

Kategorien geschulter landwirtschaftlicher Arbeiter, besonders an Rübenarbeitern herrscht, die gerade in Ungarn wieder in Überzahl vorhanden sind.

Bei den Ausschußverhandlungen hat auch die sozialdemokratische Partei zu dieser Frage besonders Stellung genommen. Das Schlußprotokoll zu den Tarifanlagen enthält außer den bereits erwähnten Vereinbarungen eine Reihe von Bestimmungen, die

den Umfang der einzelnen Tarifkonzessionen näher umschreiben. Das Abkommen tritt acht Tage nach Austausch der Ratifikationen in Kraft. Es ist auf unbestimmte Zeit abgeschlossen und int allgemeinen dreimonatig kündbar. Sollte aber durch den freien Verkehr die Gefährdung lebenswichtiger Produktions¬

zweige eintreten, dann kann der Vertrag mit ein- monatiger Kündigungsfrist gekündigt werden.

Mit Rücksicht daraus, daß durch dieses Abkommen gewiß das Geschüftsleben eine bedeutende Besserung erfahren wird, und mit Berücksichtigung des beider¬

seitigen Interesses am Warenaustausch mb Verkehr stellt der Ausschuß für Handel und Gewerbe, In¬

dustrie und Bauten den Antrag (liest):

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Dem Zusatzabkommen zu dem zwischen der Republik Österreich und dem Königreich Ungarn am 8. Februar 1922 in Budapest geschloffenen Handelsübereinkommen (B. 541) wird die verfassungsmäßige Genehmigung erteilt."

Müller: Hohes Haus! Die Vorlage, mit der sich das hohe Haus soeben beschäftigt, zu beurteilen, ist eine nicht angenehme Aufgabe, weil mau von sehr gemischten und bedrückenden Gefühlen beherrscht wird. Wir haben soeben gehört, daß die Ver¬

handlungen, die hierüber geführt wurden, unserer Wirtschaft eine Reihe wesentlicher Vorteile bringen sollten. Wenn man den Vertrag aber näher ansieht, muß man sagen, daß man zu dieser Ansicht nicht gelangen kann. Im Gegenteil: man kommt viel eher zu der Überzeugung, daß die Wünsche und die Hoffnungen, die man billigerweise an das Zustande¬

kommen dieses Vertrages, insbesondere hinsichtlich der Belebung unseres Arbeitsmarktes, der Verbesserung unserer Wirtschaftsverhältnisse, der Beseitigung oder Eindämmung der Arbeitslosigkeit knüpfen konnte, nicht erfüllt worden sind. Bei ganz objektiver Be¬

urteilung des vorliegenden Vertrages kommt man zu dem Resultat, daß der Vertrag schlecht ist, daß die Ergebnisse durchaus unbefriedigend sind, daß wir von den Zugeständnissen, die wir uns von den ungarischen Verhandlungspartnern erwartet haben, sehr wenige bekommen haben, auf der anderen Seite aber einem Teil unserer Volkswirtschaft ganz bedeutende Belastungen auferlegt worden sind.

Wenn wir uns die einzelnen Positionen des Vertrages näher ansehen, jene Positionen namentlich, die für die Milderung der Arbeitslosigkeit in Betracht kommen, zum Beispiel die Position 487, Möbel, so zeigt die hier eingesetzte erreichte Ziffer auf den ersten Blick, daß die von der beteiligten Industrie erwartete Belebung des Arb eits Marktes mit Rücksicht auf die dort herrschenden Verhältnisse nicht zu er¬

warten ist. Bei den Positionen 548, 549, Baumwoll¬

garne, dann bei den Positionen 626, 628 und 629, das sind Konfektionswaren, die einen größeren Absatz

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erhoffen ließen, erscheinen die erreichten Zugeständ¬

nisse durchaus nicht geeignet, eine Besserung der bestehenden Verhältnisse herbeizuführen.

Der Herr Berichterstatter hat in seinen Aus¬

führungen die Position 656, Taschnerwaren, in den Vordergrund gestellt. Gerade in dieser Position wurde eigentlich nichts erreicht. Es ist eine bekannte Tatsache, daß einer der Großbetriebe, die wir in Österreich haben, der in Budapest eine Filiale besitzt, infolge dieser allzu hohen Zollsätze nicht einmal in der Lage ist, seine eigene Filiale zu beliefern. Man hätte also bei dieser Position erwarten können, daß bei den Belastungen, die inan anderseits unserer Wirtschaft auferlegt, weitergehende Zugeständnisse hätten erreicht werden können. Hm Taschnergewerbe sind 35 Prozent der gefaulten Berufsangehörigen arbeitslos.

Ähnlich ist es auch bei anderen Positionen, die von Bedeutung sind, wie Position 807, Explosions- motoren, usw.

Man mag die Geschichte drehen und wenden wie man will, man kommt immer wieder zu dem Resultat, daß das Ergebnis dieser Verhandlungen ein sehr arnrseliges ist, daß es fast nichts bedeutet. Dazu hat die Regierung ein ganzes Jahr lang verhandelt. Die Arbeitslosigkeit in unserem Lande ist immer mehr gestiegen. Viele Hoffnungen sind enttäuscht worden.

Dagegen hat es der andere Verhandlungspartner verstanden, für sich doch wesentliche Vorteile heraus¬

zuschlagen, die eine schwere Belastung für einen Teil unserer Wirtschaft bedeuten. Das Ergebnis ist, daß die von uns erreichten Zugeständnisse in gar keinem Berhültiris zu den Lasten stehen, die Ulan uns auf¬

erlegt hat.

Darüber wäre sehr viel zu sagen, ich will luich aber mit einer Kategorie dieser Lasten, mit den Weinzöllen beschäftigen. Es ist allgemein bekannt, daß sich der österreichische Weinbau in einer besonders schweren Krise befindet. Der weitaus größere Teil, man kann nach den Mitteilungen der Presse und der Fachzeitungen ruhig sagen, rund 72 Prozent der weinbautreibenden Bevölkerung hat ihre Er¬

zeugnisse aus dem Vorjahre und zunl Teil auch aus früheren Jahren noch unverkauft in den Kellern liegen. Da bei uns in Österreich der überwiegende Teil der Weinbauern lediglich aus die Weinproduktion eingestellt ist, also von ihr seine Existenz bestreitet, sind die Weinzölle für die Existenz unserer heimischen weinbautreibenden Bevölkerung natürlich nicht gleich¬

gültig. Es scheint, daß die Regierung bei den diesbezüglichen Verhandlungen diese Frage, die nicht nur für die Weinhauer, sondern auch für die ganze Volkswirtschaft wichtig ist, nicht mit dem notwendigen Ernst und Nachdruck behandelt hat. Unsere Wein¬

bauern leiden unter einer großen Absatzkrise, die ihre Ursache vor allem in der verminderten Konsum¬

kraft der arbeitenden Bevölkerung hat. Es ist ja

selbstverständlich, daß, wenn so viele Tausende keine Arbeit und kein Brot haben, der Weinkonsum zurückgehen muß. Aber es trägt dazu natürlich auch die große Belastung bei, die bei der verkehrten Sanierungsmethode bei uns in Österreich den Wein¬

produzenten aufgebürdet wurde. Es wurde ein ganz bedeutender Teil der Sanierungslasten den Wein¬

produzenten auferlegt. Die Weinproduzenten haben die Warenumsatzsteiler zweimal zu tragen, einmal ebenso wie alle anderen, die Waren einkaufen müssen, und ein zweites Mal in dein pauschalierten Betrage, mit dem die Weinhauerschaft für das Produkt ihrer Arbeit belastet wird. Bis zum heutigen Tage wurde in .der Frage der Weinsteuer nichts Positives unter¬

nommen; ja erst heute haben wir die Vorlage über die Herabsetzung der Weinsteuer endlich ans den Tisch des hohen Hauses bekommen, also zu einer Zeit, in der die Krise bereits so gewaltige Fort¬

schritte gemacht hat, daß auch die Durchführung dieser Herabsetzung der Weinsteuer keine wesentlichen Milderungen des großen Elends der Weinbau¬

treibenden wird herbeiführen können. Mit den Sanierungsmethoden wurden die Landtage ge¬

zwungen, auch für die Weinbautreibenden die Grund¬

steuern in einem ganz ungerechtfertigten Ausmaße zll erhöhen. Während der ganzen Jahre, als die Absatzkrise im Weinbau bereits eingetreten und die Konsumkraft der Bevölkerung immer mehr im Schwinden begriffen war, wurde alles getan, um eine vermehrte Einfuhr ausländischer Weine zu er- möglichen. In den letzten Jahren der Sanierungs¬

maßnahmen wurde durch den Abschluß der ver¬

schiedenen Handelsverträge ermöglicht, daß ganz bedeutende Mengen von ausländischen Weinen herein¬

gekommen sind. Im Jahre 1924 sind beispielsweise von einem verbrauchten Quantuni von 946.706 Hekto¬

liter nicht weniger als 379.225 Zentner Wein¬

produkte aus dem Ausland eingesührt worden. Im ersten Halbjahr 1924 betrug die Einfuhr aus Italien in der Getränkepost, bei der die Weineinsuhr eine besondere Rolle spielt, nicht weniger als 1.893.000 Goldkronen. In der gleichen Zeit belief sich die Einfuhr aus Ungarn auf 1,837.000 Gold¬

kronen. Mit Portugal wurde ein Vertrag ab¬

geschlossen, der ein Kontingent von 20.000 Hekto¬

liter zu einem verminderten Zollsatz von 45 Gold¬

kronen vorsieht, mit Jugoslawien ein Kontingent von 80.000 Hektoliter zum verminderten Zollsatz von 30 Goldkronen, mit Spanien 45.000 Hektoliter zum Zollsätze - von 45 Goldkronen, mit Italien 50.000 Hektoliter Wein und 50.000 Hektoliter Most zum ermäßigten Zollsatz von 30 Goldkronen, mit Frankreich 40.000 Hektoliter zum Zollsatz von 45 Goldkronen, ähnlich auch mit Belgien, Luxem¬

burg usw. Es sind also ganz bedeutende Mengen durch die Handelsvertragsabschlüsse aus dem Aus¬

land hereingekommen, und das hat neben allen

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anderen Ursachen, den verkehrten Sanierungsmaß- nahmen, den schweren Belastungen des Weinbaues und dem verminderten Konsum, dazu beigetragen, daß jetzt schon ein nennenswerter Teil der öster¬

reichischen Weinbauernschaft am Rande ihrer Existenz¬

möglichkeit angelangt ist.

In den Handelsverträgen wurde allen Staaten die Meistbegünstigungsklausel eingeräunll, die nun durch den Abschluß des vorliegenden Handelsver¬

trages niit Ungarn ebenfalls ihre Wirksamkeit auf alle übrigen Länder ausüben wird, das heißt praktisch, daß alle Staaten, mit denen diese Handels¬

verträge bisher getätigt worden sind, nun die Möglichkeit haben, in unbeschränktem Maße, so wie Ungarn, Wein nach Österreich einzuführen.

Wenn wir uns nun die Verhältnisse im öster¬

reichischen Weinbau, die Produktionsmöglichkeiten, die Lebensmöglichkeiten näher betrachten, so nmssen wir sagen, daß hier die Regierung mehr unterlassen hat, als man bei ihren sonstigen Eigenschaften an- nehmen konnte. Es ist wirklich keine Rücksicht auf die Verhältnisse unter der Weinhauerschaft genommen worden. Wir haben zum Beispiel in Niederösterreich in 665 Gemeinden, die auf 37 Bezirke verteilt find, Weinbaubetriebe. In einzelnen Bezirken, wie zum Beispiel dem Bezirk Haugsdorf, macht die An¬

baufläche, auf der Weinbau betrieben wird, 16 Prozent, in Poysdorf 12 Prozent, im Bezirk Retz 9 Prozent, im Ravelsbacher Bezirk 8 Prozent, im Bezirk Matzen 7 Prozent aus. Man kann sagen, daß in den 665 Gemeinden, die auf 37 Bezirke verteilt find und wo Weinbau betrieben wird, durch¬

schnittlich 70 Prozent Kleinbesitzer find. Das sind Arbeitsbauern, die Besitzungen bis zu höchstens 5 Hektar haben, Arbeitsbauern, die ohnehin unter ganz unmöglichen Voraussetzungen Landwirtschaft betreiben, die um ihre Existenz ringen, die bei einem ganz geringfügigen Anlaß zusammenbrechen, die bei einer so mangelhaften Rücksichtnahme aus die Interessen einer so bedeutenden Berufsgruppe tatsächlich in ihrer Existenz schwer gefährdet find.

Es handelt sich in Niederösterreich um uicht weniger als 45.000 Personen, die durchschnittlich noch in den letzten Nachkriegsjahren durch ihre Tätigkeit in der Weinbauproduktion Werte von 600 Milliarden Kronen jährlich geschaffen haben. Es gibt Menschen, die auf dem Standpunkte stehen, daß die Wein¬

bauern, wenn sie ihren Wein nicht mehr absetzen können, ihre Wirtschaft umstellen sollen, daß sie die Weingärten in Ackerland umwandeln oder in Wald und Wiesen. Das würde eine sehr schwere Schädigung unserer Volkswirtschaft bedeuten, denn die Zahl dieser 45.000 Personen, die da in Niederösterreich allein in der Weinbauproduktion beschäftigt sind, würde sich durch den Ruin der Weinproduktion

— und es hat jetzt tatsächlich den Anschein, daß dieserRuin herbeigeführt werden wird, wenn nicht ganz

bedeutende Abhilfemaßnahmen getroffen werden — bei Umstellung auf die Ackerwirtschaft oder Wald¬

wirtschaft auf 9000 vermindern. Wir würden also zu dem Heer von Arbeitslosen noch 36.000 Arbeits¬

lose dazubekommen, und es ist natürlich sehr zu erwägen, ob unsere Wirtschaft das auszuhalten vermag. Die Wertverminderung, die durch eine solche Umstellung erfolgen würde, würde ganz bedeutende Verluste mit sich bringen. Es würden statt um 600 Milliarden nur mehr um 173 Milliarden bei dieser Umstellung der Wirtschaft produziert werden können. Man muß also sagen, daß in der Frage der Berücksichtigung der Interessen der Weinbauern gar nichts vorgekehrt ist, obwohl den Mehrheits¬

parteien wie auchtzden von der Regierung zu den Verhandlungen entsendeten Organen die Verhältnisse im Weinbau sehr genau bekannt find, weil ja die Notschreie der Weinhauer nicht bloß zu uns dringen, sondern in allererster Linie zu Jhneu, also diese Schreie nicht ungehört geblieben find, und Sie daher schon vom Standpunkt der bloßen Rettung von Existenzen, wenn Sie schon auf der einen Seite für die Industrie nur so geringfügige Zugeständnisse erreicht haben, auf der andern Seite wenigstens hätten versuchen müssen, einem so schwer kämpfenden Stand, wie es die Weinhauer unseres Landes find, nicht so schwere Lasten aufzuerlegen. Es ist selbst¬

verständlich, daß auch wir im gegenwärtigen Zeit¬

punkt nichts anderes tun können, als die gegebenen Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen. Aber damit ist natürlich noch lange nicht gesagt, daß man das einfach hinnehmen muß, daß man nicht aufzeigen dürfe, in welch fahrlässiger Art hier die Interessen unserer Volkswirtschaft preisgegeben worden sind.

Man muß also die Regierung und die Mehrheits¬

parteien schon an die Pflicht erinnern, die Ihnen aus dieser neuen drückenden Situation erwächst, und diese Pflicht ist, für die bedrängte Berufsgruppe und für die Abwehr der dadurch unserer gesamten Volkswirtschaft drohenden Schäden vorzusorgen. Ich glaube, es ist nicht besonders schwer, hier die richtigen Mittel und Wege zu finden. Deutschland hat ja unter ähnlichen schwierigen Verhältnissen die Frage des Schutzes der heimischen Weinproduktion behandeln müssen. Aber Deutschland ist aus der Erkenntnis heraus, daß es pflichtgemäß für die eigene Wirtschaft etwas tun müsse, hergegangen und hat für den Weinbau ganz bedeutende Zuwendungen gemacht. Es wurden 30 Millionen Mark gewidmet, um die allerärgsten Schäden sofort beheben zu können. Es wurden wesentliche Steuerermäßigungen gewährt, vor allem andern wurde jener Zucker, der zmn Versüßen der Weine verwendet wird, von der Steuer befreit. Die Kontrolle der Weinbereitung wurde verschärft, es wurde auf Reichskosten eine großzügige Propaganda für den Absatz der deutschen Weine in der ganzen Welt gemacht und, wie aus

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den Fachzeitschriften der deutschen Weinbautreibenden zu entnehmen ist, mit ziemlichem Erfolg.

Wie ist es dagegen bei uns? Gerade in der Frage der Zuckersteuer haben wir erst kürzlich Gelegenheit gehabt, hier im hohen Haus die schäd¬

lichen und hemmenden Wirkungen dieser Steuer aufzuzeigen. Bei uns ist also in dieser Richtung noch gar nichts geschehen, und ich muß mit den Worten, die Ihre Herren, die Herren von der Mehrheit, in den Versammlungen der Weinbau¬

treibenden im Munde führen, sagen: Es ist wirklich die zwölfte Stunde da, daß Sie für die Weinbau¬

treibenden und für die gesamte Bevölkerung die Zuckersteuer mit ihren schädlichen Wirkungen beseitigen!

Auch die Frage der Weinsteuer, über die uns heute der Entwurf auf den Tisch gelegt wurde, muß raschestens behandelt werden, wenn Sie nicht die Wirkung dieser Maßnahme völlig verpuffen lassen wollen. Wir hören auch von Ihnen nie etwas davon, daß Sie die so nachteilige Wirkung der Warenumsatzsteuer auf Nahrungsmittel und auch auf den Wein ermäßigen, beziehungsweise in den wichtigsten und drückendsten Positionen ausheben wollen. Der Herr Minister Buchinger hat uns während seiner Amtstätigkeit als Minister hier in sehr leidenschaftlichen Darlegungen von der Not¬

wendigkeit erzählt, daß die Kellereiinspektion aus- gebaut werden müsse; er hat davon gesprochen, daß die Regierung es für selbstverständlich halten wird, diesem Zweige der Fürsorge für die Weinproduktion ganz bedeutende Zuwendungen zu widmen. Ich muß sagen, wenn man draußen in den ländlichen Bezirken tätig ist, so hört man immer das Gegenteil, hört man, daß die Weinpantscherei eher zugenommen als abgenommen hat, daß die Kontrolle schlechter sei, als sie früher war, aus den: einfachen Grunde, weil im Zuge der Sparmethoden auch die Kellerei¬

inspektion nicht nur nicht aufgebaut, sondern ganz bedeutend vernachlässigt wird. Wir müssen auch fordern, daß man unsere Anträge, Anfragen und Be- mühungen, den Schädlingen der heimischen Wirtschaft entgegenzuwirken, zum Beispiel den Pantschereien, den Schwindeleien bei der Einfuhr ausländischer Trauben¬

sorten usw., doch ernst nehme. Ich muß feststellen, wie es auch mein Kollege Sailer im Ausschüsse bereits getan hat, daß die Anfrage unseres Kollegen Pölzer u. Gen. wegen der italienischen Trauben — es hat sich um 700 Waggons Trauben gehandelt, die aus Italien als Trauben hereingeschmuggelt wurden und dann zur Weinbereitung verwendet worden sind, wodurch nicht nur die Weinbautreibenden geschädigt wurden, sondern auch der Staat durch die Zoll¬

hinterziehung einen schweren Schaden erlitten hat — bis heute nicht beantwortet ist, obwohl es sich um eine wichtige Sache handelt. Die Regierung findet es aber nicht der Mühe wert, eine so wichtige Frage zu beantworten.

Wir müssen also verlangen, daß den Forderungen und berechtigten Wünschen der weinbautreibenden Bevölkerung ernstlich Rechnung getragen werde und daß man diese Fragen auch wirklich einmal ernst behandle. Es kann doch schließlich der Regierung und den Mehrheitsparteien, die die Macht bei uns haben, nicht gleichgültig sein, wie es den Weinbau¬

treibenden und der in dieser Frage interessierten übrigen Bevölkerung geht. Wir müssen also die Gründung von Kellereigenossenschaften fordern, ebenso die Förderung des heimischen Weinabsatzes durch eine großzügige Propaganda, die die Regierung unterstützen muß. Sie haben ja den Apparat dazu, Sie haben eine ganze Reihe von Bauern- kammern, Sie haben Tausende von Parteisekretären draußen als Bezirkssekretäre, als Kammersekretäre angestellt, es bedarf also nur der Beistellung der nötigen Mittel, um den Weinbautreibenden aufzu¬

helfen und der Weinproduktion, die so schwer einen Absatz finden kann, diesen Absatz zu verschaffen.

Es muß die Weinpantscherei durch eine ernste Kontrolle, durch Bestellung von Kellereiinspektoren, die Sie versprochen haben, bekämpft werden.

Schließlich müssen Sie sich auch damit befassen, die Zuckersteuer abzuschaffen. Es genügt nicht, daß Sie das bloß draußen in den Versammlungen, wie Sie es machen, versprechen und erklären: Es ist selbstverständlich, daß die Zuckersteuer aufgehoben wird, es ist selbstverständlich, daß die Waren¬

umsatzsteuer ermäßigt, beziehungsweise ganz aufge¬

hoben werden muß! Sie erklären draußen: Alle eure Forderungen sind berechtigt! Aber ich bitte, damit, daß Sie diese Forderungen draußen in allen Ihren Versammlungen als berechtigt erklären, müssen Sie einmal Ernst machen. Genau so verhält es sich mit Ihrer Stellungnahme zu der Grund¬

steuer, kurz zu allen Lasten, die heute die Weinbau¬

wirtschaft so schwer bedrücken. Es muß bei diesem Anlaß wohl auch noch ein ernstes Wort darüber gesprochen werden, daß die Parteien der Mehrheit dieses hohen Hauses gerade in der Frage des ungarischen Handelsvertrages nichts unterlassen haben, um die weinbautreibende Bevölkerung bis zur letzten Stunde völlig inl Unklaren zu lassen, daß sie durch den eigenartigen, schlechten und un¬

befriedigenden Abschluß des ungarischen Handels¬

vertrages in eine schwere wirtschaftliche Situation geraten. Im Gegenteil, Sie haben in einer ganzen Reihe von Versammlungen, in denen die Wein¬

bauern protestiert haben, weil sie ihre Ware nicht mehr absetzen können, darauf verwiesen, daß nicht Ihre Taktik, nicht Ihre Stellungnahme daran schuld sei. In einer großen Protestversammlung, die heuer im Jänner hier in der Volkshalle des Rathauses stattgefunden hat, sind ihre eigenen Abgeordneten und Ihre Landeshauptleute aufmarschiert und haben ihre eigene Regierung dafür schuldig erklärt, daß

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bei den Verhandlungen mit Ungarn die Forde¬

rungen der Weinbauernschaft nicht durchgesetzt worden sind. Wir haben vom Juni des vorigen Jahres bis in die allerletzte Zeit hinein sowohl in der

„Reichspost", dem führenden Organ der christlich¬

sozialen Partei, als auch im „Bauernbündler", dem Organ des Niederösterreichischen Bauernbundes, und in allen anderen Blättern der verschiedenen Parteien und in den amtlichen Blättern der Bauern- organisationen immer wieder lesen können, daß Sie diejenigen sind, die es nicht dulden werden, daß in den Handelsvertragsverhandlungen mit den Ungarn ein niederer Zollsatz vereinbart werde. Ja, Sie haben das Spiel so weit getrieben, daß Sie erklärt haben: Der Minister Buchinger muß hinans- geschmissen werden, weil er schuld daran ist! Sie haben in den Versammlungen der Bauern erklärt:

Wir müssen nach Wien marschieren! und als Ihnen darauf die Bauern erklärt haben: Ihr seid selbst daran schuld! da sind Sie mit dem Schlagwort von den Juden gekommen und mit dem Schlag¬

wort, daß die Sozi, diese gottlosen Bauernfänger, daran schuld seien. Sie haben die Bauernschaft gerade in Niederösterreich in einer ganzen Reihe von Weinbaubezirken bewußt irregesührt; Sie haben die Bauernschaft nicht nur nicht ans die drohenden Gefahren aufmerksam gemacht, sondern Sie haben tut Gegenteil in den letzten Jahren, wo verschiedene Handelsverträge abgeschlossen worden sind und die Einfuhr ausländischer Weine bereits auf den heimischen Absatz so drückend gewirkt hat, das Gegenteil von dem getan, was notwendig gewesen wäre. Das muß bei dieser Gelegenheit besonders des¬

halb festgestellt werden, weil Sie die Verantwortung dafür tragen, wenn ein so wichtiger Berufszweig, der unter so schwierigen Verhältnissen arbeiten nluß, auf der einen Seite unter den Lasten znsammenbricht und aus der anderen Seite viele Hoffnungen auf Minderung der Arbeitslosigkeit einer ganzen Reihe bestimmter Jndustriegruppen zunichte gemacht werden.

Wir können, da wir überhaupt für Handels¬

verträge sind, nicht erklären, daß wir diesen Handels¬

wertrag ablehnen. Aber die Verantwortung für die Folgen dieser ganz und gar nicht zufriedenstellenden Verhandlungen werden nicht wir, sondern werden Sie, die Regierung und die Mehrheitsparteien dieses hohen Hauses, zu tragen haben. (Beifall und Hand ekla tsch en.)

Zarboch: Hohes Haus! Bei der Beurteilung dieses Zusatzabkommens zum ungarischen Handels¬

vertrag sehen wir ans der einen Seite die Aus- regung, die dieses Zusatzabkommen in Hauerkreisen hervorgerufen hat, aus der anderen die Not¬

wendigkeit, dieses Abkommen zu schließen. Ich glaube, gerade die Partei des verehrten Herrn Vorredners hat Ursache, jene Positionen genau zu

untersuchen, die der Arbeitslosigkeit steuern sollen.

Der Bericht zu diesem Zusatzabkommen erzählt uns von den Schwierigkeiten, die bei den Verhand¬

lungen bemerkbar geworden sind, deshalb bemerkbar geworden, weil sich die aufstrebende ungarische In¬

dustrie schärfstens dagegen wehrte, daß uns irgend¬

welche Zugeständnisse gemacht werden, und ans der anderen Seite die ungarischen Agrarier, die die höchstmöglichen Forderungen stellten. Die ungarischen Agrarier sind uns dafür bekannt, daß sie ihre Forderungen jederzeit mit der größten Zähigkeit und — ich möchte fast sagen — mit einer ge¬

wissen Unverschämtheit durchzusetzen versuchen. Von den Konzessionen, die den ungarischen Agrariern gemacht wurden, möchte ich jene hervorheben, die aus Obst und Gemüse Bezug haben, und die Position 83 a, die den Wein betrifft. Die Tarif¬

position Nr. 33 betrifft Weintrauben. Ich möchte seststellen, daß ich darin mit meinem Vorredner übereinstimme, daß es in Zukunft ausgeschlossen sein sollte, daß ausländische Weintrauben unter einem gewissen billigen Zollsatz zu uns hereinkommen, um dann im Inland in Most gepreßt zu werden und auf diese Weise das Kontingent der aus¬

ländischen Weine zu erhöhen. Die Positionen 35 und 39 sind ebenfalls Positionen, die unter Um- ständen von weitesttragender Bedeutung sein können.

Die Posten 35 und 39 beziehen sich 'ans Obst und

Geniüse. Nach diesen Tarifposten wird in Zukunft auf ein Kilogrannn Marillen ein Zoll von 6 g, auf Kirschen ein Zoll von 7 g, aus Pfirsiche ein Zoll von 11 g und auf Gurken und Johannis¬

beeren ein Zoll von 3 g entfallen. Durch diesen verhältnismäßig geringen Zollschutz werden ins¬

besondere jene Landwirte getroffen, die versucht haben, sich umzustellen und an die Stelle des früheren Weinbaues Obst- und Gemüsebau gesetzt haben. Ganz in der Nähe von Wien, in Kritzen- dors, sind an die Stelle ehemaliger Weingärten ausgedehnte Ribisel(Johannisbeer)kulturen getreten.

Die Wachau ist ein ausgesprochenes Ausfuhrgebiet für Marillen (Aprikosen), und in der Umgebung von Retz hat sich ein ausgedehnter Gurkenban bereits Anerkennung erworben. Gerade diese Pro¬

duktionsgebiete sind cs nun, die durch diesen ge¬

ringen Zollschutz sehr unangenehm berührt werden.

Die betreffenden Landwirte können infolge des geringen Zollschutzes nicht nur in die Gefahr kommen, daß sie das Kapital, das sie für die Um¬

stellung ausgewendet haben, vielleicht nutzlos aufge¬

wendet sehen, sie werden auch in der Hoffnung erschüttert, sich durch eine derartige Umstellung aus der Not, in der sich der Weinbau jetzt befindet, gerettet zu haben.

Es wäre nur zu wünschen, daß der Notwendig¬

keit einer Hebung der Produktion auch insofern

Rechnung getragen wird, daß verhindert wird, daß

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die Obstpreise auf dem Wiener Markte nicht durch Händler derartig in die Höhe geschraubt werden dürfen, daß der Anreiz zum Ankauf von Obst, welches ja ein Massenartikel sein soll, eingeschränkt wird. Die Preise wurden ins Ungemessene getrieben, ohne daß der Produzent den entsprechenden Anteil am Preise gehabt hätte.

Die größte Erbitterung hat die Post 83 a hervor¬

gerufen, die die Einfuhr von Wein betrifft. Der Zollsatz betrügt 30 Goldkronen pro 100 Kilogramm brutto für netto; umgerechnet aus das Nettogewicht, also 17 Prozent für die Tara abgerechnet, würde sich bei einem Gewichte von 83 Kilogramm oder eben¬

soviel Liter ergeben, daß ein Liter Wein mit 52 g zur Verzollung gelangt. Dieser Zollschutz ist deshalb ungenügend, weil die Produktionskosten in Deutschösterreich bedeutend höhere sind als in Ungarn.

Nicht nur die klimatischen Verhältnisse, die Boden¬

verhältnisse, sondern auch die Arbeitsverhältnisse sind in Ungarn ganz andere, so daß der ungarische Weinhauer den Wein leichter und billiger auf den Markt bringen kann als der österreichische Hauer, der vielfach in terasseuförmig angelegten Gebieten sein Produkt mühsam erarbeiten muß. Die n. ö.

Landwirtschastskammer hat sestgestellt, daß die Eigenkoften eines Liter Weins 8000 K betragen, das heißt, daß ein Hauer für einen Liter Wein mindestens 8000 K einnehmen muß, um nicht nur seine Spesen zu decken, sondern auch für sich und seine Familienmitglieder das zum Leben Nötige zu erhalten. Wir sehen nun, daß für einen Liter Wein 5000, 6000, vielleicht auch 7000 X geboten werden, dagegen nur in den seltensten Fällen jener Preis, der als Mindestpreis bezeichnet wurde.

Die Not der Hauerschaft wurde durch verschiedene Kundgebungen, durch Eingaben an die Regierung, durch Resolutionen in den verschiedensten Formen nicht nur den Regierungskreisen, sondern auch dem Parlament bekauntgemacht. Von dem vergangenen Finanzminister Herrn Dr. Ahrer wurde zugesichert, daß ein Weinsteuergesetz werde geschaffen werden, welches eine wichtige Forderung der Weinhauer erfüllt, nämlich die, daß die Steuer wieder am Konsumort eingehoben werde. Mit großer Freude habe ich die heute eingebrachte Vorlage gesehen, nach welcher die Weinsteuer für die Zukunft um I 000 K — gewiß kein geringer Betrag — herab¬

gesetzt werden soll. Vor einem halben Jahre hätte wohl nieniand gehofft, daß der neue Finanzminister ein solches Entgegenkommen werde zeigen können.

Daß aber in dieser Vorlage der alte Wunsch der Hauerschaft, daß die Steuer am Kousumorte ein¬

gehoben werde, nicht berücksichtigt wird, erregt des¬

halb Verwunderung, weil der vergangene Finanz- minister die strikteste Zusage gemacht hat, daß diesem Wunsche Rechnung getragen werden würde.

Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch hervor¬

heben, daß sich schon jetzt nicht nur unter der Hauer- schast, sondern auch unter der Händlerschaft eine Bewegung bemerkbar macht, die dahin gerichtet ist, daß das neue Weinsteuergesetz unter gar keinen Umständen einen Unterschied zwischen Großhändlern und Kleinhändlern machen solle, daß man also den¬

jenigen, der kein Freilager besitzt, nicht schlechter behandeln soll als denjenigen, der ein solches besitzt.

Ich möchte auch an den Herrn Minister für Land¬

wirtschaft die Bitte richten, der Weinpantscherei insofern entgegenzutreten, als er sich vielleicht mit den diesbezüglich im Hause eingebrachten Anfragen und Anträgen etwas mehr beschäftigen und sich ins¬

besondere mit dem Herrn Finanzminister darüber ins Einvernehmen setzen möge, daß die Steuerstraf¬

behörden dazu gebracht werden, daß sie nicht Wein¬

pantschern, die zu hohen Geldstrafen verurteilt worden sind, irgendwie tut Ablaßverfahren entgegcnkommen, wodurch vielfach die Meinung entstand, daß utan die Weinpantscherei durch zu geringe Strafen und Lässigkeit geradezu fördere. Die Hauerfchast hat durch ihre Körperschaft, insbesondere durch die n. ö. Landeslandwirtschaftskammer, die jederzeit die Interessen der Weinbautreibenden 51t wahren sucht, die Forderungen zusammengesaßt und den Parteien dieses Hauses zugestellt. Die erste Forderung, die daratff gerichtet war, bei der heute in Verhandlung stehenden Vorlage Änderungen durchzusetzen, kann deshalb nach Aussage der Verantwortlichen un¬

möglich erfüllt werden, weil der ganze Vertrag sonst nicht behandelt werden könnte. Die Landwirt¬

schaftsverbände tragen sich aber tut! der Hoffnung, daß durch andere Maßnahnten der Schaden, der diesem wichtigen Produktionszweige zugesügt wurde, in anderer Fornt gutgemacht werde. Man erhofft dies in erster Linie dadurch, daß bei dem Handels¬

verträge mit der Tschechoslowakei, der in der nächsten Zeit abgeschlossen werden soll, möglichst auf die Interessen der Hauerschaft Rücksicht ge- nontmen wird. Österreichische Weine haben derzeit nach der Tschechoslowakei einen Zoll von 2°4 Tschechen¬

kronen zu tragen, italienische, französische und griechische Weine lediglich einen Zoll von 2‘1 Tschechen¬

kronen. Auch die Ausfuhr nach Deutschland, Polen, Holland und Schweden wird bei den Handels¬

verträgen entsprechende Berücksichtigung finden müssen.

Es muß uns wundernehmen, daß das Deutsche Reich, mit dem wir ja in den verschiedensten Dingen Zusammengehen oder wenigstens zusammenzugehen versuchen, für österreichische Weine einen Zoll von 80 Reichsmark einhebt, während spanische Weißweine lediglich einen Zoll von 30 Reichsmark und spanische Rotweine einen Zoll von 20. Reichsmark zu tragen haben.

Eine weitere Forderung geht dahin, daß zu den Handelsverträgen, die bereits abgeschlossen wurden,

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Zusatzabkommen geschlossen werden, die sich darauf beziehen, daß schwächere Weine — und als solche bezeichnet man die Weine bis zu 12 Grad — anders behandelt werden als hochgradige, also hochwertige

Weine.

Die Herabsetzung der Weinsteuer soll, wie ich schon früher ausführte, mit der Einhebung mit Konsumorte Zusammengehen.

Ein alter Wunsch geht dahin, daß ähnlich wie es in Deutschland schon durch verschiedene Erlässe geschehen ist, Gastwirtschaften, die von öffentlichen Körper¬

schaften irgendwie abhängig sind, veranlaßt werden, lediglich inländische Weine zum Ausschank zu bringen.

Ich möchte noch einen Wunsch zum Ausdruck bringen, der in der letzten Zeit stark hervorgetreten ist und der auch vom Herrn Vorredner berührt wurde — er wurde von ihm mit dem Worte Grund¬

steuer gestreift. Der Wunsch geht dahin, daß die Möglichkeit geschaffen werde, daß die Grundsteuer

von Äckern und Weingärten gleichgestellt, das heißt,

daß der Katastralreinertrag von Äckern und Wein¬

gärten gleichgestellt werde.

Wenn wir den Zollvertrag durchblättern, so sehen wir, daß in den wichtigsten Jndustriepositionen ganz bedeutende Zugeständnisse von Ungarn gemacht wurden. Ich glaube, der Herr Vorredner wird mir recht geben, wenn ich feststelle, daß in manchen dieser wichtigen Artikel bis 50 Prozent Zollermäßigungen zugestanden wurden.

Es ist weiters hervorzuheben, daß der Vertrag eine Klausel enthält — und das ist für die Hauer- schast ein gewisser Trost —, daß, wenn sich irgend¬

eine von diesen Zollpositionen für einen Produktions¬

zweig katastrophal auswirken sollte, eine einmonatige Kündigung vorgesehen ist.

Durch das Entgegenkommen aus industriellem Ge¬

biete, glaube ich, werden manche Arbeitsstätten wieder mehr von Arbeitern bevölkert, und aus diese Weise wird der großen Arbeitslosigkeit in Österreich wenigstens einigermaßen gesteuert werden. Durch Verhandlungen mit dem Herrn Minister für Landwirtschaft konnte sestgestellt werden, daß er das Bestreben hat, die wichtigsten Forderungen der Hauer schon in der nächsten Zeit zu erfüllen, so daß wir in der Lage sind, dieseni Abkommen unsere Zustimmung zu geben.

(Beifall.)

Dr. Schönbauer: Hohes Haus! Der Landbund hat das vorliegende Zusatzabkommen zu dem Handels- Übereinkommen zwischen Österreich und Ungarn sachlich eingehend geprüft und ist zu der Überzeugung ge¬

langt, daß er für dieses Zusatzabkommen nicht stimmen kann, und zwar aus folgenden Gründen: Schon die Bestimmungen, die die Vorredner ausführlich be¬

sprochen haben, geben zu schweren Bedenken Anlaß.

Es sind die Zollermäßigungen für Mehl und Müllerei¬

produkte, Obst und Gemüse und vor allem bezüglich des Weines. Betreffs des Weines sind schon von

den beiden Vorrednern hinreichende Gründe dar¬

gelegt worden, die gegen das Abkommen sprechen.

Deshalb muß ich sagen: Ich bewundere den Mut der Politiker, die auf die Vergeßlichkeit der Wein¬

bauern spekulieren und meinen, daß diese schon in acht Wochen vergessen haben, was ihnen seinerzeit erzählt und versprochen wurde. Wenn es damals hieß, daß ein Handelsvertrag mit Ungarn, der eine Zoll- ermüßigung auf 30 Goldkronen beim Weine bringt, eine Katastrophe für den österreichischen Weinbau bedeute, so muß natürlich diese Ansicht auch heute noch gelten.

Aber das ist nicht der einzige Grund, warum wir dem Handelsabkommen nicht beipflichten können.

Denn man könnte noch immer sagen, wenn die Re¬

gierung der Meinung war, daß wichtige volkswirt¬

schaftliche Momente, insbesondere der Absatz der Jndustrieprodukte, so sehr von dieser Weinzollermäßi¬

gung abhängen, daß man sie gewähren müsse, dann muß nian sich allenfalls mit Gegenleistungen dafür begnügen. Das Deutsche Reich ist ja da mit dem richtigen Beispiel vorangegangen, indem es mit Rück¬

sicht auf die außerordentliche Not des Weinbaues die Weinsteuer für die Jetztzeit völlig aufgehoben hat.

Bei uns wurde erst eine Vorlage. eingebracht, die die Steuer um etwas mehr als 40 Prozent er¬

mäßigen soll. Ich muß mit Bedauern seststellen, daß die Wirkungen des Abkommens mit Ungarn sofort in Kraft treten sollen, während es noch unbestimmt ist, wann die Weinsteuerermäßigung eintritt. Daß aber das Inkrafttreten des ungarischen Handels¬

abkommens und die Ermäßigung der Weinsteuer nicht gleichzeitig erfolgen, bringt gerade in diesen Monaten eine außerordentliche Stockung im Wein¬

absatz unserer Weinbauern mit sich, eine Wirkung, die vielleicht nicht beabsichtigt war, die man aber hätte verhindern müssen. Man könnte also als Gegenleistung eine wirkliche Aushebung der Weinsteuer annehmen, ferner, daß zum Beispiel auch die alte Einhebungsart der Weinsteuer am Konsumort, wie sie durch mehr als siebzig Jahre mit Erfolg gehandhabt wurde, wieder eingesührt wird, daß schließlich ausgiebige Zuwendungen von Notstandsbeiträgen an die Wein¬

bauern beschlossen werden. Aber auch das ist nicht oder nicht in hinreichendem Maße geschehen, so daß wir aus diesem Gesichtspunkte die schwersten Be¬

denken haben müssen, für das Zusatzabkommen mit Ungarn zu stimmen.

Ganz unmöglich aber wird uns dies vom Stand¬

punkt der gesamten Landwirtschaft, nicht von dem des Weinbaues allein. Es wurden zwar nur die genannten agrarischen Positionen ermäßigt. Aber viel weitergehend in den Wirkungen sind die Bindungen bezüglich anderer agrarischer Positionen. Vor kurzem wurde hier eine Vorlage eingebracht, die unseren ganzen schlechten Zolltarif vom Jahre 1924 novel¬

lieren soll. Übereinstimmend wurde dies für notwendig

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erklärt, einerseits um die Existenz der Landwirt¬

schaft und mancher Industrien zu sichern, ander¬

seits um ein geeignetes Handelsvertragsinstrument zu erhalten. Was sehen wir aber? Bevor diese Vor¬

lage auch nur im Ausschuß erledigt ist, wird mit einem Agrarstaat ein Handelsabkommen getroffen, das nicht nur einige Positionen enthält, sondern sich aus fast alle Positionen bezieht und Bindungen für eine ganze Reihe von agrarischen Zöllen ausspricht.

Ich erwähne nur außer Mehl und Müllereierzeug¬

nissen Bohnen, Wicken, Gemüse u. -dgl., zum Beispiel

Geflügeleier, die jetzt als frei gebunden sind. Das heißt, wenn wir jetzt auch einen neuen Zolltarif machen, der einen Zoll für Eier festsetzt, so ist in¬

folge des Abkommens Ungarn jederzeit berechtigt, frei, ohne irgendeinen Zoll zu zahlen, beliebige Mengen von Eiern hereinzusühren. Wir können also bei keinem anderen Staat überhaupt einen Zoll für Eier durch¬

setzen, weil sonst die Eier ganz einfach über Ungarn

hereingelangen. Oder wir sehen bei Rindvieh, Schlacht¬

vieh den Zoll mit 5 Goldkronen gebunden. Wir

wollen jetzt — das ist übereinstimmend von allen bäuerlichen und landwirtschaftlichen Vertretern ver¬

langt und auch von der Regierung gebilligt worden — diesen Zoll auf Schlachtvieh mäßig erhöhen. Da er aber gegen Ungarn gleichzeitig mit 5 Goldkronen

gebunden wird, kann auch er im neuen Zolltarif

nicht wirksam werden. Bei Schweinen über 40 bis 110 Kilogramm ist er 9 Goldkronen, bei Fett¬

schweinen über 110 Kilogramm Gewicht aber nur 3 Goldkronen, das macht natürlich jedes Bestreben und jede Forderung nach einem Schutz der ein¬

heimischen Schweineproduktion vollkommen bedeu¬

tungslos; er kann vielleicht auf dem Papier stehen, kann sich aber nicht auswirken. Oder für Pferde bis

zu zwei Jahren sehen wir einen Zoll von 30 Gold¬

kronen, gebunden gegenüber Ungarn, oder bei Schweinefleisch gar nur 12 Goldkronen. Das gilt für Schweinefleisch, nicht etwa für die Schweineeinfuhr.

Geschlachtete Schweine über 90 Kilogramm haben nur 6 Goldkronen. Also einen ganz lächerlich ge¬

ringen Zollschutz, der sich zwar jetzt zunächst als eine Ermäßigung oder Beibehaltung des autonomen Zolles darstellt; aber das ist ja der Zoll von 1924, der von allen einsichtigen Volkswirtschaftlern als ver¬

derblich für die Produktion, als höchst schädlich und zugleich auch töricht von unserem Standpunkt er¬

kannt worden ist. Für anderes Fleisch ist der Zoll ebenfalls mit 12 Goldkronen gebunden usw.

Der Grund also, warum wir diesem Zusatzab¬

kommen nicht zustimmen können, liegt nicht sosehr in dem mangelnden Schutz für einen einzelnen landwirtschaftlichen Produktionszweig, wie den Wein¬

bau, die Gärtnerei, sondern in den Wirkungen aus die gesamte Landwirtschaft, die in den Bindungen liegen. Dadurch wird unser Bestreben, den schlechten Zolltarif von 1924 zu novellieren und ihn zu

einen: brauchbaren Handelsvertragsinstrument zu machen, von vornherein hinfällig.

Nun wird man einwenden, dies alles sei nicht

richtig, weil ja der Handelsvertrag dreimonatig gekündigt werden kann. Der Artikel IV enthält sogar

einen Satz, wo es heißt: „Es besteht jedoch

Einverständnis darüber, daß, falls der durch das Abkommen gesicherte freie Verkehr eine schwere Ge¬

fährdung lebenswichtiger Produktionszweige zur Folge haben sollte, das Abkommen mit einer Frist

von einem Monat gekündigt werden kann." Man

sagt also, daß in der kurzen Frist von vier Wochen der Handelsvertrag mit Ungarn ja wieder gekündigt

werden kann. Wenn also zum Beispiel der. Wein¬

bau oder irgendein anderer Produktionszweig wirklich nachweist, daß er durch dieses Zusatzüber¬

einkommen mit Ungarn schwer gefährdet oder ruiniert

ist, dann wird man diesen Handelsvertrag einfach vierwöchig kündigen. Dagegen ist aber folgendes zu sagen: Erstens soll irgendein Produktionszweig den

Beweis erbringen, daß er durch dieses Handels¬

abkommen ruiniert ist. Das ist natürlich an sich

außerordentlich schwer. Zweitens aber nutzt es ihm nicht viel, wenn von ihm dann gehorsamst gemeldet

werden kann, daß er tot ist; denn er kann dann

nicht mehr zum Leben erweckt werden. Wir sind für eine Politik, die vorsorgt, daß der Schwache gestärkt wird und an: Leben bleibt, nicht aber für eine Politik, die ihn erst sterben läßt und dann versucht, ihm neues Lebenslicht einzublasen.

Aber es kommt noch etwas anderes hinzu. Wer

kann sich denn ernstlich vorstellen, daß wegen einer Zollposition oder wegen drei, vier Zollpositionen der ganze Handelsvertrag in kurzer Zeit wieder gekündigt wird? Man hat sich monatelang bemüht, ein Zu¬

satzabkommen zustande zu bringen. Wenn man nun

wirklich einsieht, daß es unmöglich ist, eine Position weiter aufrechtzuerhalten, so wird man sicher nicht kündigen, sondern versuchen, freundschaftlich irgend

etwas zu erreichen. Das hängt aber ganz vom

Partner ab. Und da müssen wir nun fragen:

Ist das notwendig gewesen? Die Antwort lautet:

Nein! Man konnte jetzt die dringendsten Positionen

auf agrarischer und industrieller Seite in einen: Zusatz¬

abkommen erledigen und mit dem endgültigen Handels¬

vertrag warten, bis der neue Zolltarif Gesetz wird.

Das war möglich. Es war daher auch vom taktischen

Standpunkte und vom Standpunkte unserer gesamten

Volkswirtschaft, nicht nur unserer Landwirtschaft, nach meiner Überzeugung durchaus nicht am Platze, jetzt, gleichzeitig mit dem Versuche der Änderung unseres Zolltarifs von 1924 einen so umfassenden Handelsvertrag mit der Bindung fast aller agrarischen

Positionen zu beschließen.

Das sind die rein sachlichen Gründe, die es uns unmöglich machen, für dieses Zusatzabkomuren zu stinttnen. (Beifall).

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3576 145. Sitzung des N. R. der Republik Österreich, II. G. P. — 27. Mai 1926.

Dr. Gimpl: Hohes Haus! Wir können heute

die interessante Tatsache feststellen, daß wir einmal zwei sehr verschieden geartete Parteien dieses Hauses, nämlich die sogenannten ausgesprochenen Vertreter

des Bauernstandes, jene wenigstens, die von sich inuner vorgeben, daß sie die alleinigen und ausge¬

sprochenen Vertreter des Bauernstandes sind, aus einer Linie mit der Linken dieses Hauses, den

Sozialdemokraten finden. Es ist das eine Tatsache,

die immerhin wert ist, festgestellt zu werden. Für

die Geschichte dieses Hauses ist es vielleicht auch von einiger Bedeutung, daß wir zum ersten Male

sehen und hören, daß sich die Herren von der Opposition, die Herren Sozialdemokraten, als Schützer wenigstens eines Teiles des Bauern¬

standes aufwerfen. Bisher hat man es nämlich anders gehört. Bisher waren die Herren stolz darauf, eine Klassenpartei zu sein, klassenbewußte Vertreter des Proletariats, klassenbewußte Betreten der Arbeiter unb Angestellten. Dies nur zur Fest¬

stellung.

Was die Stellung speziell gegenüber den Wein¬

bauern anbelangt, so habe ich schon im Ausschuß ernsthaft darauf hingewiesen und muß es auch hier im Hause wieder tun, daß die Herren von der Oppo¬

sition nicht. immer derselben Meinung waren. Wir

freuen uns ja darüber, daß sie heute einer anderen

Meinung geworden -sind und hoffen, daß sie nicht bloß bei den Forderungen der Weinbauern, sondern auch dann, wenn wir einmal andere Forderungen

der Bauern zu stellen haben, ans der Seite der

Bauernschaft stehen werden. (Müller: Das sagt ja

unser Agrarprogramm!) Es wäre wert, wenn man

das nicht bloß in einem Blatte, sondern in der ge¬

samten Presse und namentlich auch in Ihrer Presse festlegen würde, damit die Arbeiter draußen sehen, welche Schwenkung Sie in Ihrer Wirschaftspolitik

vorgenommen haben. (Zustimmung.) Ich brauche

jo nicht daraus hinzuweisen, wie in den verschiedenen Sitzungen, zum Beispiel int Jahre 1921, von den

Herren der Opposition dagegen gewettert worden

ist, daß die Bauern einen steuerfreien Haustrunk haben, teilweise war Ihnen sogar die Weinsteuer

zu niedrig. Gut, Sie nehmen heute einen anderen

Standpunkt ein. Aber wir müssen schon feststellen, oaß wir nicht glauben, daß hier lauter Liebe zu den Weinbauern die Triebfeder ist, sondern daß hier manche Gedanken nnd manche Absichten mitspielen, die ihren Urgrund im letzten sozialdemokratischen

Parteitag haben. (Zwischenrufe.)

b'ür wen ist denn dieser ungarische Handels¬

vertrag in erster Linie gemacht worden? Jeder

Handelsvertrag wird ja schließlich zu dem Zwecke

gemacht, unsere Handelsbeziehungen mit dem be¬

treffenden Staate zu erleichtern. ‘ Es ist gar kein Geheimnis, und es gehört heute schon sozusagen zum volkswirtschaftlichen Abc, was die Ursache davon

ist, daß wir heute so schwer exportieren können.

Die Ursache ist, daß die verschiedenen Staaten um uns sich durch ungeheuer hohe Zollschranken ab¬

schließen. Wir können diese Zollschranken nicht ab¬

bauen, wenn wir nicht irgendwelche Kompensationen dafür geben, und daß diese Kompensationen Ungarn gegenüber nur ans agrarischem Gebiete liegen konnten, ist ja klar, es muß aber doch daraus hingewiesen werden, daß der Zollschutz, den heute die Wein¬

bauern noch immerhin haben, ungefähr lOOProzentbis 120 Prozent des Wertes der Ware ausmacht. Das ist ein Zollschutz, der sich immerhin sehen lassen kann, der gewiß auch für unsere Weinbauern noch günstige Wirkungen haben wird.

Wir erhoffen uns von dem Handelsvertrag und von der Förderung der Produktion für die Wein¬

bauern noch andere Wirkungen. Möglichst hohe Zoll¬

sätze sind nicht der einzige Schutz des Bauern und die einzige Förderung der Landwirtschaft. Wenn wir 200.000 bis 300.000 Arbeitslose haben, wenn so die Konsumkraft der Bevölkerung herabgesetzt ist, muß sich das bei sämtlichen Produkten der Land¬

wirtschaft auswirken, selbstverständlich auch beim Wein. Wenn es uns nun gelingt, durch günstige Handelsverträge eine solche wirtschaftliche Situation zu schassen, daß die Arbeitslosigkeit abgebaut wird und die Industrie wieder imstande ist, Arbeiter und Angestellte einzustellen, wenn wir mit einem Wort durch die Handelsverträge erreichen, daß sich die Konsumkraft des Volkes wenigstens einigermaßen hebt, so wird und nmß sich das selbstverständlich auch aus die gesamte Landwirtschaft und bestimmt auch aus den Weinbau auswirken. Denn es ist selbstverständlich; je weniger Menschen in einem Staate sich noch einen Tropfen Wein kaufen können, umso tiefer muß der Preis des Weines sinken, und je mehr Menschen imstande sind, sich ein Viertel Wein zu kaufen, um so mehr muß natürlich auch der Preis des Weines steigen. Wir sind davon über¬

zeugt, daß eine Steigerung der Konsumkraft des Volkes einen Abbau der Arbeitslosigkeit, eine Wieder¬

einstellung der Angestellten in den verschiedenen Be¬

trieben sich ans die . Landwirtschaft und in letzter Linie auch auf den Weinbau günstig auswirken muß.

Es ist auch von der Warenumsatzsteuer gesprochen worden, die den Weinbau in ganz besonderer Weise belastet, weil sie von dem vollen Preis bezahlt werden muß. Es ist aber bekannt, daß die Waren- umsatzsteuer bei allen Artikeln von dem gesamten Preis der Ware eingehoben wird. Man kann daher beim Wein keine besondere Ausnahme machen. Wenn dann daraus hingewiesen worden ist, daß eine Gefahr für den Weinbau auch darin bestehe, daß italienische und ungarische Trauben eingeführt werden könnten, daß diese Trauben hier verpreßt und dann als zollfreier Wein verkauft werden, so uiuß wohl darauf hingewiesen werden, daß das unmöglich ist;

145. Sitzung NR II. GP - Stenographisches Protokoll (gescanntes Original)

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denn sobald die Trauben hier gepreßt werden, muß der Wein auch versteuert werden. Es muß nach¬

gewiesen werden, wo die Trauben hergekommen sind, und in dem Augenblicke ist aber auch schon die Möglichkeit gegeben, diesen Wein int nachhinein zu verzollen, so daß auf diese Art und Weise für die Weinbauern absolut kein Schaden entstehen kann.

Wenn die Herren von der Opposition sagen, daß man uns allein die Verantwortung für das über¬

lasse, was für die Weinbauern geschieht, so muß man schon sagen, daß das eigentlich nicht angeht.

Es wurde sowohl im Ausschüsse als auch hier betont, daß der Handelsvertrag eine Notwendigkeit ist — und er ist eine Notwendigkeit —, und Sie haben ja gesehen, wie sich die Regierung durch ein ganzes Jahr hindurch bemüht hat, gerade im Interesse der Weinbauern und auch bezüglich des Mehlzolles zu besseren Positionen zu kommen. Wenn es nicht möglich war und doch der Handelsvertrag geschlossen werden nmßte, so steht eben fest, daß wir im Interesse der übrigen Volkswirtschaft dazu gezwungen waren, trotzdem auch wir gewünscht hätten, für die Weinbauern bessere Zollpositionen herauszubekommen. Wenn dieser Handelsvertrag also eine Notwendigkeit ist, was auch von Ihrer Seite anerkannt wird, so geht es nicht an, einfach aus die Regierung und auf die Mehrheitsparteien diesbezüglich alle Verantwortung abzuschieben. Man kann nicht sagen, Ihr Mehrheitsparteien habt dafür zu sorgen, daß unsere Produktion in Industrie und Gewerbe gehoben wird, aber die Verantwortung für das, was etwa nebenbei irgendein anderer Stand zu leiden hat, überlassen wir Euch. Eine solche Politik kann man nicht machen, wenn man es tuit unserer Volks¬

wirtschaft, wenn man es überhaupt in der Politik ernst nimmt. (Beifall und Händeklatschen.)

Sailer: Hohes Haus! Der Herr Abg. Gimpl hat in seinen Ausführungen erklärt, daß es ihn sehr wundernehme, daß die Partei des Landbundes heute plötzlich aus einer Linie mit den Sozialdemokraten marschiere. Ich möchte bemerken, daß die Sozial¬

demokraten für dieses Abkontmen stimmen werden und daß der Vertreter des Landbundes erklärt hat, der Landbund werde dagegen stimmen. Wenn wir an diesem Abkommen jedoch sachliche Kritik üben, so geschieht es deshalb, weil wir der Überzeugung sind, daß das, was in den Verhandlungen erreicht wurde, viel zu wenig ist, daß eine Abschwächung der Arbeitslosigkeit in sehr minimaler Weise eintreten wird, - daß die Ungarn bei diesen Verhandlungen mit einem Worte viel mehr erreicht haben als die Österreicher. Diese sachliche Kritik üben wir an diesem Abkommen, trotzdem wir der Überzeugung sind, daß es notwendig war, daß dieses Abkommen getroffen wurde.

Der Herr Abg. Gimpl hat auch erklärt, es ist sonderbar, die Sozialdemokraten waren bis jetzt

inuiter eine Klassenpartei und nehmen sich jetzt um die Kleinbauern und Weinbauern wegen des Wein¬

zolles an. Ich möchte dem Herrn Abg. Gimpl, der sonst ein sehr geschäftstüchtiger Herr ist (Zwischen¬

rufe) und es wissen sollte, sagen, daß die Sozial- demokraten nicht erst seit gestern und seit 14 Tagen, sondern seit jeher die Vertreter aller arbeitenden Menschen sind. (Lebhafter Beifall und Hände¬

klatschen.) Dazu gehören auch draußen die kleinen Weinbauern, die im Burgenlande, in Niederösterreich und überall, wo sie zu Hause sind, die schwerarbeitenden Kleinbauern, die heute ihr Produkt nicht verkaufen können und beinahe vollständig proletarisiert sind.

Es ist also gar keine Schwenkung zu konstatieren, sondern das, was die Sozialdemokraten immer gemacht haben, üm sie auch in dem konkreten Falle, wenn sie sich der Kleinen und Schwachen annehmen.

Der Herr Abg. Gimpl sagt auch, die Christlich- sozialen freut es, daß wir Sozialdemokraten uns auch der Kleinbauern annehmen. Herr Abg. Gimpl, ich glaube, diese Freude ist nicht echt. (Heiterkeit.) Es ist nicht wahr, was Sie da gesagt haben, daß Sie eine Freude haben, sondern ich meine, die Sache ist Ihnen sehr unangenehm, daß wir uns auch jetzt, im konkreten Fall, um diese Kleinbauern an¬

nehmen.

Der Herr Abg. Zarboch hat gemeint, daß die Partei des Vorredners — damit hat er uns Sozialdemokraten gemeint — alle Ursache hätte, dieses Abkommen zu begrüßen. Ich habe schon erwähnt, Herr Abgeordneter, daß wir auf deut Standpunkte stehen, daß es eigentlich viel zu spät ist, daß dieses Abkommen zustande gekommen ist, daß die Volkswirtschaft schwer darunter leidet, daß es nicht schon früher geschehen ist, und ich erkläre auch Ihnen gegenüber, verehrter Herr Abgeordneter, daß wir die zwingende Notwendigkeit dieses Abkommens einsehen und nur, so wie auch Sie es zunr Teil getan haben, das Ungünstige dieses Abkommens kritisieren.

Derselbe Herr Abgeordnete hat auch erklärt, daß ein gewisser Schutz in der Klausel gelegen ist, die der Herr Landwirtschaftsminister in der letzten Minute noch hineingebracht hat, wo es heißt, daß, wenn dieses Nachtragsübereinkommen zu dem Handels¬

vertrag tnit Ungarn in irgendeinem Zweig ruinös sei, das Übereinkommen vierwöchig gekündigt werden kann. Ich möchte mich da nicht in die Si¬

tuation hineindenken, wenn es dazu käme, daß plötzlich wieder ein vertragsloser Zustand herrscht, und pflichte da dem Herrn Abg. Schönbauer bei, wenn er sagt, daß dann wegen einer oder wegen zwei Positionen das ganze Zusatzübereinkommen in Frage gestellt werden müßte und die primitiven Möglichkeiten, die uns dieses Zusatzübereinkommen geschaffen hat, daß diese oder jene Industrie besser zu arbeiten in der Lage fein wird, wieder wegfallen

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