• Keine Ergebnisse gefunden

2. Die Entwicklung des Arbeitsrechts in der Monarchie

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "2. Die Entwicklung des Arbeitsrechts in der Monarchie"

Copied!
78
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Entre le faible et le fort c´est la liberté qui opprime et c´est la loi qui libère.1 Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt,

und das Gesetz, das befreit.

Joe Püringer

D ie e ntwicklung Des

A rbeitsrechts in Ö sterreich Z ugleich ein Z ugAng Zum

As ch g-Ü bergAngsrecht

1. Einleitung

2. Die Entwicklung des Arbeitsrechts in der Monarchie 3. Das Arbeitsrecht in der Ersten Republik

4. Die Heimarbeit

5. Das Arbeitsrecht im Austrofaschismus (1933 – März 1938)

6. Das Arbeitsrecht unter der NS-Herrschaft in Österreich (März 1938 – April 1945) 7. Das Arbeitsrecht in der Zweiten Republik

8. Literatur (Auswahl)

1 Jean-Jaques Rousseau, 1762,

Französisch-schweizer Schriftsteller und Staatstheoretiker der Aufklärung (1712–1778)Jacques

(2)

1. Einleitung

„Arbeitsrecht“2 entstand gemeinsam mit der sich entwickelnden Lohnarbeit. Immer mehr Menschen mussten ihre Arbeitskraft, d.h. ihr körperliches und geistiges Arbeits- vermögen, gegen Lohnzahlung unter die Verfügungsgewalt eines Unternehmers stel- len. Dieser einschneidende wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel vollzog sich in Österreich etwa ab Mitte des 18. Jahrhunderts.

Für die ersten Jahrzehnte waren das Verlagssystem, in welchem die zentral orga- nisierte Produktion dezentral in den Wohnstätten erfolgte, und die Manufakturen dominierend. So beschäftigte die Linzer Wollzeugmanufaktur 1762 fast 50 000 Arbei- terInnen, von denen der Großteil als ländliche Hausspinner und Weber außerhalb der Manufaktur Heimarbeit 3 verrichtete.

Der Übergang zur Manufaktur und später zur Fabrik vollzog sich langsam und stieß auf den erbitterten Widerstand der Zünfte, die ihre strengen, auf Gebietsschutz, Höchst- zahl der Meister und Gesellen, zulässige Produktionsmethoden usw. ausgerichteten Zunftordnungen zu bewahren suchten. Für die Landesfürsten hingegen bedeutete die Steigerung der Güterproduktion und des Wohlstandes „ihrer Länder“ eine Macht- ausweitung und vergrößerte ihr Ansehen. Sie förderten die neue Produktionsweise, indem sie an „Fabrikanten“ Fabrikprivilegien verliehen, die diese vom Zunftzwang befreiten und überdies Konkurrenzschutz garantierten. Staatliche Subventionen wur- den gewährt; wo sich kein privater Unternehmer fand, entstanden vereinzelt staatliche Manufakturen. Die Regenten setzten ihre Absicht, die Zunftrechte einzuschränken und schließlich ganz zu beseitigen, schrittweise durch, wobei sie zunehmend Unterstüt- zung von der neu entstehenden Klasse der Kapitalisten erhielten. Mit der wirtschafts- liberalen Gewerbeordnung war dieser Prozess 1859 besiegelt.

Die ersten „Fabriken“ im heutigen Sinn des Wortes entstanden in der Textilerzeu- gung. Mit Wasserkraft günstig versorgt, entstand 1801 in Pottendorf die erste mecha- nische Spinnerei Österreichs, deren Baumwollspinnmaschinen aus England kamen und die 1811 bereits 1 800 ArbeiterInnen beschäftigte. Üblicherweise aber blieb im Biedermeier die Beschäftigtenzahl in Fabriken meist unter 500. Ab etwa 1825 begann die „industrielle Revolution“ in Österreich und ersetzte die Wasserkraft durch die Dampfmaschine4. Mit dem Bahnbau – die erste Dampfeisenbahn fuhr 1837 – entwi- ckelte sich die Maschinenindustrie.

Die LohnarbeiterInnen – eine rasch wachsende gesellschaftliche Klasse, die es vor- her nicht gegeben hatte – mussten sich um ihr unmittelbares Über-Leben kümmern.

Die Lage der ArbeiterInnen in den meisten dieser Arbeitsstätten war mit folgenden Eckpunkten zu charakterisieren: gegen Lohnsenkung besteht keine Handhabe; Ent- lassung ist jederzeit möglich; die Arbeitszeit (in der Textilindustrie bis 16 Stunden pro Tag) wird entsprechend den Produktionserfordernissen verlängert; eine ausreichende Nachtruhe und der arbeitsfreie Sonntag sind nicht gesichert; der Lohn wird unregel- mäßig bezahlt; der Arbeitgeber legt Lohnabzüge z.B. für „Vergehen“ fest; Kinder müs-

2 Arbeitsrecht kann man summarisch als das Sonderrecht der unselbstständig Erwerbstätigen bezeichnen. Siehe dazu sowie zur Einteilung des Arbeitsrechts den Beitrag „Was gilt für wen in Österreich? ArbeitnehmerInnenschutz und technische Sicherheit“ von J. Püringer in diesem Band.

3 Jede mechanische Spinnmaschine, wie sie ab 1800 eingesetzt wurde, ersetzte 200 HandspinnerInnen, jeder mechanische Webstuhl (ab 1830) ersetzte zumindest vier HandweberInnen. Die Verarmung der dadurch arbeitslos gewordenen HeimarbeiterInnen trug wesentlich zur Verschärfung der sozialen Probleme bei.

4 1826 wurde in Österreich die erste Dampfmaschine in Betrieb genommen, 1841 waren rund 50 und 1851 rund 150 in Betrieb. Ab 1830 bildete die Dampfschifffahrt v.a. auf der Donau eine wichtige Transportmöglichkeit.

(3)

sen arbeiten wie Erwachsene; die Krankenbehandlung ist meist nicht gewährleistet;

Wöchnerinnen arbeiten bereits kurz nach der Entbindung wieder; das Fernbleiben von der Arbeit wegen Krankheit bewirkt Lohnausfall oder Entlassung; Streiks sind verbo- ten, ebenso jeder Zusammenschluss zu einer Vereinigung.

An diesen Aspekten erkennt man deutlich, dass das gesamte Arbeits- und Sozialrecht, das die Arbeiterschaft im Verlauf der nächsten Jahrzehnte zu erkämpfen hatte, Arbei- terschutzrecht ist. Für einen geschichtlichen Rückblick auf das Arbeitsrecht ist es daher sinnvoll und notwendig, die wesentlichen Entwicklungslinien des Arbeitsrechts in seiner Gesamtheit aufzuzeigen. Dem Zweck dieses Lehrbuchs entsprechend, wird dabei auf die Entwicklungen in den Bereichen Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit besonders eingegangen.

2. Die Entwicklung des Arbeitsrechts in der Monarchie

2.1 Die Anfänge der Industrialisierung und die Kinderarbeit

Der absolutistische Staat des 18. Jahrhunderts forcierte rücksichtslos die Steigerung der Güterproduktion. Damit ging eine groß angelegte soziale Disziplinierung einher:

Der Alltag der Menschen sollte sich nicht daran orientieren, was diesen zum Lebens- unterhalt genügte oder „Spaß“ machte; vielmehr wurde ihnen Arbeitsfleiß, Genau- igkeit, Pünktlichkeit und Unterordnung nicht nur gepredigt, sondern aufgezwungen.

Ein einschneidender Wandel, der nur mit Repression durchführbar war. Das weit ver- breitete Umherziehen, das Betteln und sonstiger „Müßiggang“ wurden verboten und zumindest mit Zwangsarbeit bestraft. Josef II. senkte 1783 die Zahl der jährlichen Feiertage von 42 auf 27. Die genannten „Tugenden“ – die forcierte neue Arbeitsgesin- nung – schufen die Voraussetzung, um die Menschen für die fremdbestimmte Arbeit in Manufakturen und Fabriken brauchbar zu machen.

Um den hohen Arbeitskräftebedarf der Manufakturen zu decken, hielt man sich bald an die Zucht- und Arbeitshäuser, in denen nicht nur Arme und Behinderte (und so zu Bettlern Gewordene), sondern auch „trutzige Dienstboten, unbändige Handwerksbur- schen, leichtfertige Weibspersonen und sonstiges schlimmes Gesindel“ eingesperrt waren. Aus der gewerblichen und handwerklichen Bevölkerung waren Arbeiter anfangs nur schwer zu gewinnen, weil es als unehrenhaft galt, in der Fabrik zu arbeiten, da diese die Zunftregeln missachtete. Häufig nahmen TaglöhnerInnen, verabschiedete Soldaten und verarmte Bauern Arbeit in der Fabrik an. Frauen rekrutierte man vorwie- gend aus den „Spinnschulen“ und unter den „Soldatenweibern“.

Ein großes und noch dazu kostengünstiges Arbeitskräftepotential stand in den vie- len staatlichen, kirchlichen und privaten Waisen- und Findelhäusern zur Verfügung.

Dazu kamen Soldatenkinder aus Militär-Waisenhäusern. Ermuntert durch den Staat, der sich einen Teil des Lohns für die Unterbringung der Kinder bezahlen ließ, und oft unter dem Vorwand wohltätiger Absicht holten sich viele Fabrikanten „Lohnkinder“

ab dem 6. Lebensjahr als Arbeitskräfte. Mit der Fabrik erhielt das Waisenhaus eine neue Funktion: Viele wurden den Fabriken einfach angeschlossen! Wenn der Arbeits- eifer der Lohnkinder den Erwartungen nicht entsprach, hatten sie zumeist Prügel zu

(4)

erwarten. Die „Erziehung zur Arbeitsamkeit“, zu der die Kinderarbeit vorgeblich die- nen sollte, geriet häufig in Konflikt mit der in den 1770er Jahren eingeführten Schul- pflicht. Um von der billigen Arbeitskraft keine einzige Stunde zu verlieren, errichteten viele Manufakturbesitzer Fabrikschulen, in denen die Kinder nach 12 bis 13 Stunden Fa brikarbeit noch 2 Stunden zu lernen hatten.

Die eklatanten Missstände, die mit der Ausbeutung der Kinder verbunden waren, führ- ten sogar zu einer Kontrolle, die sich allerdings auf die den Fabriken angeschlosse- nen Kinderhäuser konzentrierte. 1785 besuchte Kaiser Josef II. die Seidenflorfarbrik in Traiskirchen, in der 150 Personen, meist Kinder, arbeiteten. Er stellte „unendliche Gebrechen in der Reinlichkeit der Kinder, welche voll Krätze waren“, und sanitäre Missstände in der Unterbringung fest. Die Reaktion darauf bestand jedoch nicht in einer Einschränkung der Kinderarbeit. Vielmehr ordnete der Monarch „um diesem mehrfältigen Übel für die Zukunft vorzubeugen“ 5 vierteljährliche staatliche Inspekti- onen an, die – bald in jährliche Berichte umgewandelt – in den 1820er Jahren dem liberalen Prinzip der Nichteinmischung in die Betriebe zum Opfer fielen. Dazu kam, dass Kinderhäuser tendenziell aufgelassen wurden, da es für den Fabrikherren billiger war, wenn die Kinder bei ihren Eltern untergebracht waren und um 5 Uhr Früh in die Fabrik kamen.

Das Elend der Fabrikkinder wurde als zum Gang der Wirtschaft gehörend hingenom- men. Nur einzelne Kreisämter in Westösterreich schlossen regional Mädchen unter 10 und Buben unter 12 Jahren von der Fabrikarbeit aus, wobei die Kontrolle durch Seelsorger, Gemeindevorsteher und Landgerichtsbeamte erfolgen sollte (ebert 1975, 49 ff.). Eine Verordnung, mit der 1839 die (auch für Wien zuständige) niederösterrei- chische Regierung die Fabrikbeschäftigung für Kinder unter 12 Jahren verbot und für ältere Kinder die Tagesarbeitszeit auf 13 Stunden begrenzte, musste sie auf Weisung des Kaiserhofes widerrufen. Ähnlich erging es 1846 einer oberösterreichischen Rege- lung, die die Arbeitszeit gar auf 10 Stunden zu beschränken suchte.

1842 sah ein Entwurf der Zentralregierung die Zulassung zur Nachtarbeit „erst“ ab 16 Jahren vor. Für 9- bis 12-Jährige, die „ausnahmsweise“ beschäftigt würden, sollte ein Maximalarbeitstag von 10 Stunden und für 12- bis 14-Jährige von 12 Stunden gelten.

Die schroffe Ablehnung durch die Unternehmerverbände veranlasste die Monarchie, diese Regelung nicht in Kraft zu setzen.

Das Verhältnis der Löhne von Männern, Frauen und Kindern lag etwa im Verhältnis 4 : 2 : 1. Nachdem die Mechanisierung6 – in der Textilindustrie ab 1800 – die körper- lichen Anstrengungen zum Teil verringert hatte, wurden Kinder und Frauen in noch größerer Zahl eingestellt. Ähnliches galt für die Tabakwaren-, Hadernpapier- und Spie- gelfabriken und für die Kleineisenindustrie. In den 1840er Jahren überstieg in einigen niederösterreichischen Bauwollspinnereien die Zahl der Kinder jene der erwachsenen ArbeiterInnen.

Die Löhne der ungelernten Arbeiter waren extrem niedrig7, sodass die ganze Fami- lie einschließlich der (vielen) Kinder zur Lohnarbeit gezwungen war. Die „industrielle

5 Die kaiserlichen Anordnungen werfen ein Licht auf die mit Kinderarbeit verbundenen Verhältnisse: Es darf „in einem Bette niemals mehr als ein Kind liegen, und nicht, wie es bisher auch geschehen ist, 4 auch 5 zusammengelegt werden“, ...

„müssen den Kindern alle 8 Tage neu gewaschene Wäsche, Hemden etc. gegeben werden“, und die Kinder selbst waren

„alle Wochen wenigstens einmal“ zu waschen und zu kämmen, usw. (Mises 1905, 229 ff.; weiDenholzer 1985, 87 f.) 6 Häufige Arbeitsunfälle waren fortan solche an Transmissionen, auch das Abreißen der Transmissionsriemen. Ein Unfallversicherungsschutz wurde erst 90 Jahre später geschaffen.

7 1805 erhielten in der Spiegelfabrik Neuhaus der Manufakturverwalter jährlich 500 Gulden und der Manufakturschreiber 300 bis 400 Gulden; beiden stand eine Leistungsprämie von bis zu 150 Gulden in Aussicht. Ein ungelernter männlicher

(5)

Reservearmee“ Arbeit suchender Menschen, die sich laufend durch arbeitslos gewor- dene HeimarbeiterInnen, verarmte Handwerker und Dienstboten, die aus der schran- kenlosen Ausbeutung durch den Grundherrn geflohen waren, vermehrte, ließ jede For- derung, etwa nach Lohnerhöhung, illusorisch erscheinen.

Außerhalb der Städte wurden zu Fabriken oft Fabriksiedlungen errichtet, die räumlich strikt – manchmal sogar durch eine Mauer – vom übrigen Ort getrennt waren. Dabei spielten disziplinäre Überlegungen des Unternehmers eine Rolle. Die FabrikarbeiterIn- nen waren so auch in der Freizeit und politisch leichter zu kontrollieren. Dort, wo es dem Fabrikbesitzer gelang, die Grundherrschaft zu erwerben, übte er bis zur Grund- befreiung von 1848 sogar die niedrige Gerichtsbarkeit (in der Art eines Bezirksgerich- tes) über „seine“ ArbeiterInnen aus!

Erwachsene ArbeiterInnen waren, ebenso wie die „Fabrikkinder“, ohne jeden Schutz:

Stockte der Verkauf, wurden sie sofort entlassen und in ihre Heimatorte abgeschoben.

Bei verstärkter Nachfrage mussten sie zusätzlich Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit leisten.

Nach der Revolution von 1848 – in der die Arbeiterschaft den 10-Stundentag erkämpft hatte, ihn aber nach der blutigen Niederschlagung im Oktober 1848 wieder verlor – konnte der Wirtschaftliberalismus (bei gleichzeitiger politischer Unterdrückung des ganzen Staates durch den Neoabsolutismus) noch ungehemmter agieren. In einem Bericht der Innsbrucker Statthalterei klagte diese, dass „seit den Jahren 1848/49 (…) wohl nicht bloß in Vorarlberg, sondern in der ganzen Monarchie die Willkür der Fabrik- besitzer in Ausbeutung der Arbeitskräfte zum Nachtheile der Letzteren zugenommen“

hat (zit. nach ebert 1975, 53).

Der Ordnungsstaat Metternich’scher Prägung zeigte sich unfähig, selbst so offen- kundige und extreme Missstände wie die Kinderarbeit8 zu unterbinden. Nachdem die Kinderausbeutung dramatische Dimensionen erreicht hatte, mussten erst weitere 60 Jahre vergehen, bis 1859 mit der Gewerbeordnung (siehe Pkt. 2.3) ein zögerlicher – und kaum wirksamer – erster Schritt getan werden sollte.

2.2 Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (1811), der Wirt- schaftsliberalismus und die Fiktion der Vertragsgleichheit

Nachdem unter Maria Theresia, Josef II. und Leopold II. umfangreiche Vorarbeiten geleistet worden waren, erließ Kaiser Franz I. 1811 das Allgemeine Bürgerliche Gesetz- buch (ABGB), das ab 1812 das Zivilrecht – u.a. das Vertragsrecht – für die „deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie“ zusammenfasste und einheitlich regelte (d.h. kodifizierte).

Arbeiter hingegen kam auf etwa 2 Gulden pro Woche (Industriegeschichte 2003, 134).

8 Die 1841 von Ludwig W. MAuthner, dem Gründer des ersten Kinderspitals in Wien (heute: St. Anna), öffent lich geübte Kritik erregte großes Aufsehen: „Die in den von mir gesehenen Fabriken beschäftigten Kinder unterscheiden sich auffallend durch einen schwächeren Knochen- und Muskelbau von den Lehrjungen der Handwerker (…) Knochenverkrümmungen infolge der so genannten englischen Krankheit, die man aber leider mit ebensolchem Rechte auch schon die Wiener Krank- heit nennen könnte (…). Auffallender [Anm.: als in Wien] zeigt sich die schwächliche Körperkonstitution der Fabrikkinder in den großen Baumwollspinnereien der Umgebung (…) Bauchscrofeln [Anm.: Tbc] und scrofulöse Abzehrung sollen nicht selten, hitzige Krankheiten häufig; frühzeitiges Altern und Absterben [ist] das gewöhnliche Los derselben. Unter den beson- deren Formen von Kranksein müssen noch erwähnt werden bei den Posamentiererkindern Beinfraß des Brustbeins infolge der Brustbretter, bei den Streicherbuben die Augenentzündung und erfrorene Füße infolge des Arbeitens in kaltem Wasser und des Farbenprüfens, weißer Fluss bei den Steckermädeln infolge des andauernden Sitzens.“ (Mises 1905, 255 f.)

(6)

Dem Arbeitsvertrag, der in den nächsten Jahrzehnten durch die Industrialisierung für die meisten Menschen zum wohl wichtigsten Vertrag überhaupt werden sollte, wid- mete das ABGB jedoch nur ganz wenige und völlig unzureichende Bestimmungen9. Dass in der langen Zeit der Vorbereitung des Gesetzbuches die Probleme der Lohn- arbeit noch nicht jene Sprengkraft entfaltet hatten, die sie wenige Jahrzehnte danach erlangen sollten, mag dabei eine Rolle gespielt haben.

Der Hauptgrund für das Fehlen von arbeitsvertragsrechtlichen Regelungen liegt jedoch in der Rückbesinnung auf das historische römische Recht, welches – neben anderen Quellen – für die systematische abstrakte Neuordnung des Zivilrechts heran- gezogen wurde. Das römische Recht kannte kein Arbeitsrecht im heutigen Sinn, denn damals waren in der Regel nur Sklaven zur Arbeitsleistung verwendet worden. Das römische Recht behandelte die Rechtsbeziehungen zwischen Herren und Sklaven wie die Rechtsbeziehung zwischen dem Verkäufer eines Korbes Oliven und dessen Käu- fer, d.h. als ein schuldrechtliches Austauschverhältnis, welches unberücksichtigt lässt, dass der Vertragsgegenstand die Arbeitstätigkeit eines Menschen ist: Sklaven waren rechtlich gesehen nichts anderes als Gegenstände.

Diese Grundkonstruktion konnte den Bedürfnissen der Arbeiterschaft, die von ihrer Hände Arbeit leben muss und keinerlei materielle Reserven besaß, nicht gerecht wer- den. Das ABGB setzte – indem es für das Arbeitsverhältnis keine Sonderregelungen traf – beim Arbeitsvertrag gleichberechtigte Vertragspartner voraus, so als verkaufe ein Grundherr eine Kutsche an einen anderen Grundherrn. Es schuf die Fiktion der Vertragsgleichheit: Beim Aushandeln des Arbeitsvertrags stünden Unternehmer und ArbeiterIn einander auf gleicher Ebene gegenüber. Die höchst ungleichen Vorausset- zungen beim Abschluss dieses Vertrages – die wirtschaftliche Stärke des einen und die abhängige Lage des anderen – ignorierte das Gesetzbuch.

Die herrschende Wirtschaftsauffassung, der Liberalismus („Manchester-Liberalis- mus“), war mit dieser Rechtsgrundlage sehr zufrieden. Sein Dogma war die Nicht- einmischung des Staates: Der Stärkere dürfe nicht daran gehindert werden, seinen Willen durchzusetzen. Die Arbeitskraft sei eine Ware, und ihr Preis, ebenso wie die Tagesarbeitszeit, solle sich durch Angebot und Nachfrage bestimmen. Keinesfalls dürfe gegen die „Freiheit der Vertragsbedin gungen“ verstoßen werden.

Auch die Hofkanzlei teile diese Auffassung. Auf wiederholte Forderungen, die Aus- beutung der ArbeiterInnen durch Festlegung einer Höchstarbeitszeit zu beschränken, antwortete sie 1843: Die Beschäftigung in den Fabriken sei ein „Gegenstand freien Übereinkommens“, jedes staatliche Eingreifen verrücke die „natürlichen Verhältnisse“, hemme die Entwicklung der Industrie und verschlimmere die Lage der ArbeiterInnen…

(nach ebert 1975, 52).

9 Das damalige ABGB regelte im Hauptstück „Von entgeltlichen Verträgen über Dienstleistungen“ unter dem Begriff

„Lohnvertrag“ fast nur Fragen, die man heute dem Werkvertrag zuordnet. Für den Arbeitsvertrag von LohnarbeiterInnen traf im Wesentlichen nur folgende Bestimmung zu: „Arbeiter, welche auf eine bestimmte Zeit bestellet worden sind, können ohne rechtmäßigen Grund vor verlaufener Zeit weder die Arbeit aufgeben, noch verabschiedet werden.“ Zum Privatrecht = Zivilrecht siehe auch Beitrag „Was gilt für wen in Österreich?“ von J. Püringer. Einige Beschäftigtengruppen wurden vom ABGB erst nach und nach erfasst: Für den Bergbau galten noch die Bergordnungen, im zünftischen Gewerbe die Handwerksordnungen und für DienstbotInnen die patriarchalischen Gesindeordnungen. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers sollte erst 105 Jahre später in das ABGB aufgenommen werden (siehe Pkt. 2.14).

(7)

2.3 Die Gewerbeordnung (GewO) von 1859

In ihrem VI. Hauptstück beschäftigte sich die Gewerbeordnung (GewO; RGBl Nr.

227/1859; in Kraft ab 1.5.1860) unter dem Titel „Gewerbliches Hilfspersonale“ mit den Rechtsverhältnissen zwischen den Arbeitgebern und den „Gehilfen“, wie die Arbeite- rInnen bezeichnet wurden. Dem wirtschaftsliberalen Grundsatz folgend, erklärte die GewO „die Art der Verwendung des Gehilfen, seine Bezüge und sonstige Stellung, die Dauer des Dienstverhältnisses, die allfällige Probezeit und die Kündigungsfrist“ zum

„Gegenstand freien Übereinkommens“. So konnte ein Arbeiter z.B. nicht auf der im Gesetz vorgesehenen 14-tägigen Kündigungsfrist bestehen, falls ihm der Arbeitgeber im Arbeitsvertrag eine kürzere Frist abpresste.

Die wichtigste Vorschrift betraf die Schutzbestimmungen für Kinder und Jugendli- che, die allerdings nur für „größere Gewerbsunternehmungen, in welchen gewöhnlich mehr als 20 Arbeiter zusammenwirken“, galten. Siehe die Abb. 1. Mangels Kontrollen (Pkt. 2.5) wurden sie jedoch fast nicht eingehalten.

GewO 1859 GewO in der Fassung der Novelle 1885 galt NUR für Gewerbeun-

ternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten:

Unterschiedliche Vorschriften für Gewerbe und „Fabrik“ b) Lebensalter

(vollendete Jahre)

erlaubte Arbeits- stunden pro Tag

Nachtarbeit (21 – 5 Uhr)

Art des Betriebes

erlaubte Arbeits- stunden pro Tag

Nachtarbeit (20 – 5 Uhr)

10 bis 12 a) 10 a) verboten verboten

> 12 bis 14

10, mit behördlicher

Erlaubnis: 12

verboten Gewerbe: 8 mit behördli-

cher Erlaubnis

„Fabrik“ b): verboten verboten

> 14 bis 16 12

mit behörd- licher Erlaubnis

Gewerbe: keine gesetzliche Beschränkung

mit behördli- cher Erlaubnis

„Fabrik“ b):

11, mit behördlicher

Erlaubnis: 12

mit behörd licher

Erlaubnis c)

> 16 keine Beschränkung wie: 14 bis 16 Jahre erlaubt c)

a) Voraussetzung: Erlaubnisschein des Gemeindevorstandes beantragt durch den Vater

b) „Fabriksmäßig betriebene Gewerbsunternehmungen“ mit mehr als 20 ArbeiterInnen. Die Abgrenzung war in der Praxis oftmals unklar.

c) Nachtarbeit von Frauen in „Fabriken“ war mit behördlicher Erlaubnis zulässig: Für viele Industriezweige (z.B. Textilindus- trie, Papier- und Halbzeugherstellung, Zuckerfabriken, Konservenfabriken, Bettfedernherstellung) wurde das Nachtarbeits- verbot für Frauen schon von Vornherein durch generelle Ausnahmeverordnung (RGBl Nr. 86/1885) aufgehoben.

Abb. 1: Beschäftigungsbeschränkungen für Kinder und Jugendliche nach der GewO von 1859 und der GewO-Novelle von 1885 (Pkt. 2.7)

Der Arbeitgeber hatte eine Arbeitsordnung (damals: Dienstordnung) auszuhängen, in der er festlegte: „Die verschiedenen Classen des verwendeten Personales und seine Dienstverrichtungen“, insbesondere die Tätigkeiten der Kinder und der Arbeiterinnen, die Arbeitsdauer, die Lohnzahlungstermine, die „Befugnisse des Aufsichtspersona- les“, die Behandlung im Krankheitsfall, „allfällige Löhnungsabzüge und Arbeitsstrafen bei Übertretungen der Dienstordnung“, die Kündigungsfristen und die Entlassungs-

(8)

gründe. In Betrieben über 20 ArbeiterInnen war außerdem ein Arbeiterverzeichnis mit Angabe auch der Löhne zu führen und zur Einsicht durch die Behörde bereitzuhalten.

Der Arbeitsbuchzwang, der in der Form des Gesindebuches der Disziplinierung der Dienstboten diente, wurde auf das Gewerbe übertragen. Das Arbeitsbuch musste beim Firmeneintritt dem Gewerbeinhaber zur Aufbewahrung übergeben werden. Ohne Arbeitsbuch durfte bei Strafe kein/e ArbeiterIn eingestellt werden. Auch bei schlech- testen Arbeitsbedingungen konnte man den Arbeitgeber erst wechseln, wenn dieser das Arbeitsbuch wieder ausgehändigt hatte. Auch bot das Arbeitsbuch reichlich Gele- genheit – obwohl verboten – verschlüsselte Eintragungen über seine/n BesitzerIn vor- zunehmen. Die Arbeiterbewegung forderte daher schon früh die Abschaffung dieses Kontroll- und Unterdrückungsmittels (konnte das aber erst 1919 erkämpfen).

Ein erheblicher Mangel der GewO bestand im Fehlen einer Fabrikinspektion, obwohl die Einrichtung dieses Kontrollinstruments wiederholt angeregt worden war. „Und so ist es gekommen, dass die Arbeiterschutzbestimmungen der Gewerbeordnung ein toter Buchstabe blieben“ (Mises 1905, 270).

Gearbeitet wurde bis zum Lebensende10. Eine Altersvorsorge bestand nicht. Die

„Ausgedienten“, die nicht mehr arbeiten konnten, waren auf die „Armenfürsorge“ der Gemeinde oder auf Asyle der Kirche angewiesen – oder wurden von Haus zu Haus um Brot und Nachtlager geschickt, bis so ihr Leben endete.

Viele ArbeiterInnen wohnten zusammengepfercht in Fabrikquartieren (deren Beistel- lung vom Lohn abgezogen wurde), nicht selten wurden die Werkstätten in der Nacht zu Schlafsälen. Erst in den 1870er Jahren hatten die ArbeiterInnen solche Löhne erkämpft, dass für viele die Gründung eines eigenen Hausstandes erstmals möglich wurde.

2.4 Das Vereinsrecht (1867) und die „Koalitionsfreiheit“ (1870)

Die nach der Niederschlagung der Revolution von 1848 errichtete neoabsolutistische Herrschaft in Österreich, die in ständiger Angst vor neuen Aufständen polizeistaat- lich regierte (erst 1853 nahm Kaiser Franz Josef I. den 1848 über Wien verhängten Ausnahmezustand zurück!), fand 1867 – u.a. als Folge kriegerischer Niederlagen – ein Ende. Einige demokratische Freiheiten, darunter das Versammlungsrecht und das Recht auf Vereinsgründung musste die Monarchie jetzt zugestehen.

Vorher war jeder Zusammenschluss zu einem Verein strengsten Bedingungen unter- worfen, und nur selten wurde z.B. ein Unterstützungsverein von Buchdruckern, ein kleiner Konsumverein oder ein katholischer Gesellenverein bewilligt. Ab 1867 jedoch entstanden Arbeiterbildungsvereine in großer Zahl. Mit der Begründung der „staats- gefährlichen Betätigung“ konnte jeder Verein aber sofort aufgelöst werden. Selbst gewerkschaftliche Debatten galten als staatsgefährlich – sie mussten geheim erfol- gen. „Politische Vereine“ wurden polizeilich penibel überwacht, die Behörden durften Einsicht in die Mitgliederlisten nehmen, Vereinsabzeichen durften nicht getragen wer- den. „Politischen Vereinen“ war jede überörtliche Tätigkeit, ja sogar die schriftliche Korrespondenz mit anderen Vereinen, verboten; „Ausländer, Frauenspersonen und

10 Dabei ist zu berücksichtigen, dass 1869 im Bevölkerungsdurchschnitt die Lebenserwartung der Männer (wenn sie das 1. Lebensjahr überlebt hatten, d.h. nach Abrechnen der Säuglingssterblichkeit von knapp 30%) durchschnittlich nur noch 45 (Frauen: 47) weitere Jahre betrug. Um das Jahr 1900 betrugen diese Kennwerte 52 (Frauen: 53) Jahre, 1950: 66 (Frauen:

70) gegenüber 2012: 77,5 (Frauen: 82,6) Jahre.

(9)

Minderjährige“ durften ihnen nicht beitreten. Frauen waren bis 1918 gezwungen, ihr politisches Engagement in Bildungsvereinen geschickt zu tarnen.

Bei verschärftem Arrest verboten11 war den ArbeiterInnen, sich zur Erreichung besse- rer Arbeitsbedingungen zusammenzuschließen, zu organisieren („zu koalieren“) und zu streiken. In zahlreichen Bittschriften – diese waren die einzige erlaubte Form einer politischen Aktivität – hatte die Arbeiterschaft um die Aufhebung des Koalitionsverbo- tes, d.h. um Vereinigungsfreiheit in der Arbeitswelt, gebeten. Doch erst eine macht- volle ArbeiterInnendemonstration setzte die Koalitionsfreiheit durch12. Ab April 1870 war es nicht mehr illegal, einer Gewerkschaft anzugehören. Trotz der Koalitionsfrei- heit hatten die in der Folge entstehenden Gewerkschaften laufend gegen polizeiliche Behinderungen, Verbote und die häufige Inhaftierung ihrer Funktionsträger anzukämp- fen. Auch ihnen war jede überregionale Koordination verboten. Erst 1893 konnte der erste Gewerkschaftskongress stattfinden, zu dem 194 selbstständige Gewerkschaf- ten zusammenkamen.

2.5 Die Gewerbeinspektoren (1883)

In Österreich war eine Aufsicht über die Manufakturen schon 1768 geschaffen wor- den13, diese wurde jedoch um 1825 wieder aufgelöst und geriet in Vergessenheit. In der ab 1868 im Reichsrat geführten Debatte um eine Änderung der GewO (Pkt. 2.7) wurde auch die Einführung der Fabrikinspektion – in England bestand eine solche seit 1833 – gefordert, die nach ursprünglichem Plan in der GewO-Novelle geregelt werden sollte. Nach zahlreichen Arbeiterpetitionen und 15 Jahren stockender Beratung der GewO-Novelle beschloss der Reichsrat 1883 ein eigenständiges Gesetz14, nach wel- chem der Handelsminister „Gewerbeinspectoren“ zu bestellen hatte.

Während derartige Gesetze in den Nachbarstaaten nur für „Fabriken“ galten, erstreckte sich der Wirkungsbereich der österreichischen Inspektoren auf alle der GewO unter- liegenden Betriebe und wurde mit der Zeit auf „Privatpulverwerke“, gewerbliche Lehr- anstalten mit Maschinen, staatliche Tabakfabriken, Gefängniswerkstätten etc. erwei- tert. In den 1890er Jahren wurden Gewerbeinspektoren für das Schiffergewerbe und

„für die Ausführung der öffentlichen Verkehrsbauten in Wien“ bestellt. Freilich blieben

11 § 481 des Strafgesetzes (RGBl Nr. 117/1852): „Verabredungen von Berg- und Hüttenarbeitern, Handwerks gesellen, Hilfsleuten [in Betrieben], von Lehrjungen, Dienstboten oder überhaupt von Arbeitern, um sich durch gemein schaftliche Weigerung, zu arbeiten, oder durch andere Mittel einen höheren Tag- oder Wochenlohn oder andere Bedingungen von ihren Arbeitsgebern zu erzwingen, sind Übertretungen, und an den Rädelsführern mit verschärftem Arreste von 8 Tagen bis zu drei Monaten zu bestrafen; auch sind dieselben, je nachdem sie Inländer oder Ausländer sind, aus dem Kronlande oder dem ganzen Reiche abzuschaffen.“ Das „Koalitionsverbot“ war um 1730 verhängt worden, um die Bruderschaften, die Interessenvereinigungen der Gesellen im zünftischen Handwerk, die den Meistern Kämpfe um mehr Lohn und kürzere Arbeitszeit lieferten, aufzulösen. Die Koalitionsfreiheit wurde mit 9.4.1870 wirksam (RGBl Nr. 43/1870). – Konsequenter Weise zählte die Abschaffung der Koalitionsfreiheit zu den ersten Maßnahmen faschistischer Regime (Pkt. 5.3, 6).

12 Am Eröffnungstag der Reichsratssession (13.12.1869) demonstrierten etwa 25 000 ArbeiterInnen – erstmals – vor dem Reichsratsgebäude und forderten in einer Petition das unbeschränkte Koalitionsrecht sowie gleiches Wahlrecht. Die vom Umfang des aufgestauten Zorns überraschte Regierung legte bereits am nächsten Tag einen Koalitionsgesetzentwurf vor.

Gegen die Organisatoren der Petition wurde – unter dem Vorwand, diese hätten Kontakte zur deutschen Sozialdemo kratie – ein großer Hochverratsprozess (!) durchgeführt; sie wurden zu 6 Jahren Kerker verurteilt (und von der nachfolgenden Regierung amnestiert). Wegen „statutenwidriger und staatsgefährlicher Ausschreitungen“ wurden außerdem alle sozialdemokratischen Arbeitervereine behördlich aufgelöst. (brügel 1919, 62 f.)

13 Beim nö. „Kommerz-Konsess“ (einer Art Fabriksförderungsamt) war seit 1768 ein eigener Beamter zur Beaufsichtigung des Manufakturenwesens betraut, woraus später die nö. „k.k. Fabrikeninspektion“ entstand (Karl PribrAM, Geschichte der österreichischen Gewerbepolitik, 1. Band, Leipzig, 1907, 354 f.; Johann Müller, Arbeitsinspektionsgesetz 1974, in: Bericht der Arbeitsinspektion für 1974, 85).

14 Gesetz betreffend die Bestellung von Gewerbeinspectoren, RGBl Nr. 117/1883. Zu nachfolgenden Entwicklung ausführlich: Ernst Mischler, Gewerbeinspektion; in: Österreichisches Staatswörterbuch, 2. Aufl., Bd. 2, Wien, 1906, 539–

549. Die erste Gewerbeinspektorin wurde 1906 eingestellt.

(10)

damit immer noch die zahlreichen Transportbetriebe, sonstigen staatlichen Unterneh- mungen, Banken, Versicherungen, Zeitungsunternehmen, Heilanstalten, freien Berufe usw. außerhalb der Gewerbeinspektion, ebenso wie der Bergbau und die Land- und Forstwirtschaft.

Der Gewerbeinspektor, dem ab 1889 Assistenten beigegeben wurden, war Hilfs- organ im Dienste der Gewerbebehörde; er selbst hatte keine Anordnungen zu tref- fen oder gar durchzusetzen. Seine Aufgabe bestand in der Überwachung der Einhal- tung der Arbeiterrechte (bis hin zur Lohnzahlung) durch „fortlaufende Revision“ der Betriebe. Die Gewerbebehörde hatte ihn über vorgekommene Unfälle zu verständigen, sodass er nach eigenem Ermessen an der Unfallerhebung teilnehmen konnte. Nach dem Unfallversicherungsgesetz (1888) konnte ihn auch die Unfallversicherung mit Ins- pektionen und Erhebungen beauftragen. Zur Stärkung der Unparteilichkeit der Gewer- beinspektoren verpflichtete sie das Gesetz, die von Gewerbeinhabern „angebotene Gastfreundschaft abzulehnen“. Der gleichfalls bestellte „Central-Gewerbeinspector“

war auf Grund seiner geringen Kompetenzen eher nur als Beirat der ministeriellen Gewerbeabteilung anzusehen.

Erst mit der Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften über den Beschäftigungsschutz (z.B. von Kindern), über die Arbeitszeit, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz kam es – sehr langsam und nicht ohne beharrliches Drängen v.a. der Gewerkschaften – dazu, dass die Schutzbestimmungen allgemein bekannt und von den Unterneh- mern in abnehmendem Maße ignoriert wurden. Die eher bescheidene Wirkung der Kontrollen kann man daran ermessen, dass für die österreichische Reichshälfte (etwa 3,5-mal die Fläche des heutigen Österreichs mit allerdings hohem Agraranteil; 28 Mil- lionen EinwohnerInnen) 1890 nur 16 und 1902 nur 29 Gewerbeinspektoren zuständig waren15.

2.6 Das Siechtum der StreichholzarbeiterInnen

Die Zündhölzchenerzeugung kam in den 1830er Jahren auf. In Österreich wurden zahlreiche Fabriken errichtet und die Produktion oftmals auch in Heimarbeit ver- geben. Der dabei in großen Mengen verwendete weiße (gelbe) Phosphor führte zu schwersten Phosphornekrose-Erkrankungen der ArbeiterInnen. Durch Einatmen der Phosphordämpfe und die Aufnahme von phosphorhaltigen Verunreinigungen erkrank- ten die Zähne und eiterte das Zahnfleisch; übel riechende Geschwüre begleiteten die Zersetzung der Kiefer, die zur grauenhaften Entstellung des Gesichts führte. Der schmerzvolle „Knochenfraß“ griff auf das Schläfenbein über. Nach Gehirnabszessen und Jahren des Siechtums trat der Tod ein. Wien bildete ein Zentrum dieser Produk- tion, sodass deren tödlichen Folgen vom Wiener „Primarwundarzt“ Friedrich Wilhelm lorinser 1843 erstmals beschrieben wurden. Ein auf Grund dieser Erkenntnisse am 3.9.1846 erlassenes Hofkanzleidekret konzentrierte sich jedoch darauf, dass bei der Bereitung der Zündmasse „nur kräftige Männer“, nicht aber Frauen und Kinder „ver- wendet“ werden durften. Die Beschäftigten seien monatlich zu untersuchen „und bei der geringsten Spur von Erkrankung der Kiefer (…) von der Arbeit zu entfernen“.

15 1887 wurden von etwa 350 000 fabrikmäßigen Industriebetrieben (> 20 Beschäftigte) nur etwa 1% inspiziert, für Inspektionen in der riesigen Gruppe der kleineren Betriebe des Gewerbes und Handels reichten die Mittel nicht. Besonders hinderlich sei u.a. die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Gewerbebehörden. V. MAtAjA, Die österreichische Gewerbeinspektion, Jahrbücher f Nationalökonomie u Statistik 18 (NF), 257–286 (1889) [auch in: www.digizeitschriften.de].

(11)

Bereits 1845 wurden in Schweden die Sicherheitszündholzer („Schwedenhölzer“) entwickelt, die statt des giftigen weißen Phosphors den ungiftigen roten Phosphor verwendeten. Trotzdem hielt man in der Monarchie beharrlich an der gesundheits- zerstörenden Technologie fest. Nach weiteren vier Jahrzehnten versuchte eine 1885 erlassene Verordnung (Abb. 3), Hygienevorschriften für die Zündwarenproduktion mit weißem Phosphor festzulegen (Lüftung, Reinigung, Kleiderwechsel, Waschen etc.).

Anstatt im Sinne der Prävention den weißen Phosphor zu verbieten (woran man in anderen Ländern bereits ging), besagte die Vorschrift nunmehr, dass für die beson- ders gefährlichen Arbeiten „nur ganz gesunde Personen zu verwenden“ waren, die,

„wenn sich die ersten Anzeichen einer krankhaften Beschaffenheit der Zähne oder Kieferknochen einstellen“, sofort auszuwechseln seien. Der Arbeitgeber hatte einem Arzt die „Überwachung des Gesundheitszustandes“ zu übertragen. Wie die Kran- kenhausstatistiken belegen, blieb diese Verordnung im Wesentlichen wirkungslos – für die Heimarbeit hatte man sie gar nicht erst in Kraft gesetzt.

Obwohl viele hunderte StreichholzarbeiterInnen qualvoll an der langsamen Auflösung ihrer Schädelknochen zu Grunde gingen, schob die Monarchie aus wirtschaftlichen Interessen ein Verbot des weißen Phosphors solange wie möglich hinaus. Nachdem viele Staaten trotz der Widerstände im eigenen Land ein Verbot erlassen hatten (z.B.

Schweiz 1898, in Deutschland ab 1907 in Kraft), beschloss die Internationale Vereini- gung für Gesetzlichen Arbeitsschutz auf ihrer Konferenz in Bern 1906 das völkerrecht- liche „Übereinkommen zur Unterdrückung der Verwendung von Weißphosphor bei der Streichholzfabrikation“.

Der österreichische Pionier der Arbeits- und Sozialmedizin, Ludwig teleky, hatte sich, konfrontiert mit der Phosphornekrose, selbst auf die Suche nach Opfern dieser offiziell nicht mehr vorkommenden (Berufs)Krankheit gemacht. Geführt von ArbeiterInnen kam er um 1905 in die Wohnstätten von 80 Erkrankten und erhielt zuverlässige Berichte über 140 weitere. Er musste auch feststellen, dass in den Fabriken die gewerbehy- gienischen Auflagen in den seltensten Fällen befolgt wurden. „25 bis 30 Menschen müssen jährlich erkranken“, schrieb teleky 190616, „um des Exports willen, den Öster- reich, oder richtiger die Österreichische Länderbank, in die Levante und nach Ostasien betreibt.“

Noch 1908 plante das Ministerium eine neue Verordnung über die Verarbeitung von Weißphosphor. Erst 1909 beschloss Österreich das Verbot (RGBl Nr. 119/1909), des- sen Inkrafttreten mittels einer großzügigen Übergangsfrist nochmals bis Mitte 1912 hinausgezögert wurde.

2.7 Die Gewerbeordnungsnovelle von 1885

Schon bald nach Inkrafttreten der GewO von 1859 verlangte das Kleingewerbe, das durch die expandierende Industrie mehr und mehr in Bedrängnis geriet, gewerbe- rechtliche Absicherungsmaßnahmen in seinem Sinne und löste damit Jahrzehnte lang anhaltende Debatten im Reichsrat (siehe Fußnote 33) aus. In deren Verlauf beantragte 1868 der sozial engagierte Abgeordnete Franz Moriz rosner die gesetzliche Begren- zung der Tagesarbeitzeit in Fabriken auf 10 Stunden und ein Mindestalter der Beschäf- tigten von 14 Jahren. Als Arzt sei er, begründete rosner, oft in Fabriken, wo sich

16 L. teleky, Die Phosphorgefahr und die Regierung, Arbeiter-Zeitung 23.10.1906, S. 6 f. zit. nach Andreas wulf, Der Sozialmediziner Ludwig Teleky (1872 – 1957) und die Entwicklung der Gewerbehygiene zur Arbeitsmedizin, Frankfurt/Main, 2001, S. 19; mit zahlreichen Hinweisen.

(12)

ihm angesichts des dort herrschenden Elends der Gedanke aufdränge, dass er sich

„entweder in einem großen Krankensaale oder in einem mit pathologischen Präpara- ten ausgestatteten Cabinete befinde“ (zit. nach ebert 1975, 59). Auch forderte er in der GewO Schutzbestimmungen für Frauen nach der Geburt sowie die Bestellung von Fabrikinspektoren (was für die GewO 1859 noch abgelehnt worden war).

Bis zur tatsächlichen Änderung der GewO sollten, begleitet von zahlreichen Entwürfen und Debatten17, letztlich 17 Jahre vergehen. Die Frage der Fabrikinspektoren wurde abgetrennt und 1883 eigenständig geregelt (Pkt. 2.5).

Ein Hauptgrund für die langwierige Gesetzwerdung war, dass die wirtschaftsliberale Ära 1879 (als Folge des großen Börsekrachs 1873 und parteiinterner Streitigkeiten) gescheitert war. Die Liberalen im Parlament und ihre Regierungen hatten jede gesetzli- che Beschränkung beispielsweise der Höchstarbeitszeit für erwachsene ArbeiterInnen ebenso abgelehnt wie andere Schutzvorschriften, die ihrer Auffassung nach in die (Vertrags-)Freiheit des Unternehmers eingriffen. Erst die nachfolgende konservative Regierung Taaffe zeigte mehr Bereitschaft, auf einige soziale Forderungen der Arbei- terschaft – und auch auf die v.a. gegen die Industrie gerichteten Wünsche des Klein- gewerbes – einzugehen.

Die GewO-Novelle von 1885 (RGBl Nr. 22/1885) fasste das VI. Hauptstück („Gewerbli- ches Hilfspersonale“) neu und enthielt vor allem folgende Neuerungen:

■ Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers wurde in § 74 erstmals in Österreich aus- drücklich festgelegt: Der Gewerbeinhaber hat alle Maßnahmen zu setzen, welche zum „Schutz des Lebens und der Gesundheit“18 der ArbeiterInnen erforderlich sind (siehe Abb. 2). Aber 16 Jahre vergingen, bis auf Grundlage dieser Bestimmung 1901 die erste Arbeiterschutzverordnung erlassen wurde.

■ Endlich wurde für (erwachsene) ArbeiterInnen die Höchstdauer des „Normalar- beitstages“ limitiert: 11 Stunden. Auch wenn diese Norm bei weitem nicht für alle ArbeiterInnen galt und viele Ausnahmen vorsah19, handelte es sich arbeitsrecht- lich um einen Schritt von grundsätzlicher Bedeutung: Nach jahrzehntelangen Forderungen und Kämpfen seitens der Arbeiterschaft musste die Gesetzgebung die Zeitdauer der Arbeitskraft-Ausnutzung durch den Arbeitgeber der Sphäre der vorgeblich „freien Vereinbarung“ entziehen. Die Tagesarbeitszeit wurde einer staatlichen Begrenzung unterstellt. Neun Monate vorher war im Bergarbeiter- recht (siehe Pkt. 2.10) dieser Durchbruch erstmals in Österreich gelungen; Berg- arbeiter hatten die Arbeitszeitbegrenzung erstreikt. Es war dies die Geburtsstunde des „Arbeitszeitschutzes“.

■ Die erlaubte Ausnutzung der Arbeitskraft von Kindern, Jugendlichen und Frauen wurde eingeschränkt. Die Abb. 1 (in Pkt. 2.3) vergleicht die ab 1859 mit den ab 1885 bestehenden Vorschriften. Ein wesentlicher Grund für die Beschränkungen der Kinderarbeit lag im alarmierenden Rückgang der militärischen Tauglichkeit20.

17 ebert (1975) stellt diesen Prozess eingehend dar.

18 Die Formulierung „Schutz des Lebens und der Gesundheit“ wurde hier zum ersten Mal geprägt und sollte in ihrer Wortwahl 110 Jahre unverändert bis zu ihrer Ablösung durch die aus dem EU-Recht entnommene Formulierung „Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit“ tausende Male wiederholt werden. Das Beispiel zeigt, wie beständig sich in der rechtlichen Entwicklung eine einmal gewählte Umschreibung hält.

19 Die Regelung galt nur für „fabriksmäßig betriebenen Gewerbsunternehmungen“ und selbst für diese bestanden zahlreiche Ausnahmen und behördliche Ermessensspielräume. VerkAuf (1889, 553) in seiner eingehenden Darstellung: „Wir kommen demnach zum Ergebnis: Oesterreich kann nicht zu jenen Staaten gezählt werden, in welchen der Normalarbeitstag gesetzlich statuiert ist.“

20 Der Anteil der Wehrpflichtigen, die „wegen Gebrechen zurückgestellt“ werden mussten oder ganz untauglich waren, stieg in der westlichen Reichshälfte von 59,7 % (1870) auf 73,4 % (1882); zit. nach tAlos 1981, 23 ff. Der Handelsminister

(13)

Was das Kleingewerbe betraf, handelte es sich um erstmalige Beschränkungen, da die entsprechenden Regelungen von 1859 nur für Betriebe ab 20 Beschäftigten galten. Die aus Abb. 1 ebenfalls ersichtlichen strengeren Maßstäbe für „fabriks- mäßig betriebenen Gewerbsunternehmungen“ entsprachen dem politischen Pro- gramm der Regierung Taaffe zur Bevorzugung des Kleingewerbes.

■ Das schon in der GewO 1859 enthaltene „Truckverbot“ wurde deutlicher hervor- gehoben. Es untersagt die Lohnzahlung in Waren oder Gutscheinen21, anstelle von Bargeld.

Gewerbeordnung: Fassung ab 1885

Mit der Novelle von 1885, RGBl Nr. 22/1885, wurden unter anderen die folgenden Bestimmungen in die GewO aufgenommen. Sie traten mit 11.6.1885 in Kraft.

§ 73.

Hilfsarbeiter [Begriffsbestimmung]

In dieser Neufassung (RGBl Nr. 22/1885) stand der § 73 bis 1.1.1973 in Geltung.

(1) Unter Hilfsarbeitern werden in diesem Gesetze alle Arbeitspersonen, welche bei Gewerbsunternehmungen in regelmäßiger Beschäftigung stehen, ohne Unterschied des Alters und Geschlechtes verstanden, und zwar:

a) Gehilfen (Handlungsgehilfen, Gesellen, Kellner, Kutscher bei Fuhrgewerben und dergl.);

b) Fabrikarbeiter;

c) Lehrlinge;

d) jene Arbeitspersonen, welche zu untergeordneten Hilfsdiensten beim Gewerbe verwendet werden (ohne zu den im Artikel V, lit. d des Einführungsgesetzes zur Gewerbeordnung bezeichneten Personen zu gehören).

(2) …

(3) Die für höhere Dienstleistungen in der Regel mit Jahres- oder Monatsgehalt angestellten Individuen, wie: Werkführer, Mechaniker, Factoren, Buchhalter, Cas- siere, Expedienten, Zeichner, Chemiker und dergl. werden unter Hilfsarbeitern nicht begriffen.

erklärte in Bezug auf die Musterungsergebnisse, dass „schon allein“ das „Zurückbleiben in der Entwicklung der jungen Leute“ ein Kinderarbeitsverbot erfordere (zit. nach ebert 1975, 239).

21 Eine der ersten Aufsehen erregenden Sozialreportagen veröffentlichte 1888 Victor ADler in der „Gleichheit“ (Nr. 48/1888 bis 51/1888). ADler hatte sich in die Ziegelwerke der Wienerberger AG Zugang verschafft: „Zwei- bis dreimal täglich erfolgt die Auszahlung in ‚Blech‘ (…) Noch mehr, wer kein Blech nimmt, wird sofort entlassen. Dieses ‚Blech‘ wird nur in den (…) zugewiesenen Kantinen angenommen, sodass der Arbeiter nicht nur nicht aus dem Werk heraus kann, weil er kein ‚gutes Geld‘ hat, sondern auch innerhalb des Werks ist jeder einem besonderen Kantinenwirt als Bewucherungsobjekt zugewiesen.“

„Der Partieführer selbst verkauft ihm [dem Arbeiter] Fußsocken, Fausthandschuhe, Holzschuhe, Schürzen (…), alles um mindestens ein Drittel teurer als der Krämer im Orte.“ Victor ADler beschrieb auch die Schlafräume der Arbeiter: „Ein nicht mehr benützter Ringofen (…) wird dazu benützt. Da liegen dann in einem Raum 40, 50 bis 70 Personen. Holzpritschen, elendes altes Stroh, darauf liegen sie Körper an Körper hingeschlichtet (…) Manche ziehen ihr einziges Hemd aus, um es zu schonen“. Noch bis kurz vorher „schliefen alle ledigen Arbeiter, und heute schläft noch eine Männerpartie am Wienerberg, der größte Teil am Laaerberg und auf den anderen Werken in und auf dem Ringofen. Schlafen sie im Heizraum, so haben sie eine unerträgliche Hitze auszustehen; schlafen sie oben, so überweht sie die kalte Nachtluft.“ „Dieses Verbrechen wird begangen vor den Toren Wiens, unter den Augen der Gewerbebehörden und der Gewerbeinspektoren.“ Die Möglichkeiten des Gewerbeinspektors waren allerdings, auch das wird betont, darauf beschränkt, dass er der Gewerbebehörde Anzeige erstattete. – Erst mit dem großen Ziegelarbeiterstreik 1895, der fast alle Ziegelfabriken erfasste, trotz Militäreinsatzes 12 Tage dauerte und enormes Aufsehen erregte, erreichten die Betroffenen die dauerhafte Einhaltung des 11-Stunden-Tages und die Abschaffung des erpresserischen Prämiensystems.

(14)

§ 74.

Vorsorge für Hilfsarbeiter

Der seinem Inhalt nach völlig neue § 74 wurde mit RGBl Nr. 22/1885 in die GewO aufgenommen. In dieser Fassung stand er bis 1.8.1913 in Geltung und wurde dann durch die ausführlicheren §§ 74, 74a, 74b und 74c (Abb. 4 in Pkt. 2.12) ersetzt.

(1) Jeder Gewerbsinhaber ist verpflichtet, auf seine Kosten alle diejenigen Einrich- tungen bezüglich der Arbeitsräume, Maschinen und Werkgeräthschaften herzustel- len und zu erhalten, welche mit Rücksicht auf die Beschaffenheit seines Gewerbs- betriebes oder der Betriebsstätte zum Schutze des Lebens und der Gesundheit der Hilfsarbeiter erforderlich sind.

(2) Insbesondere hat der Gewerbsinhaber Sorge zu tragen, dass Maschinen, Werks- einrichtungen und ihre Theile, als Schwungräder, Transmissionen, Achsenlager, Auf- züge, Kufen, Kessel, Pfannen und dergl. derart eingefriedet oder mit solchen Schutz- vorrichtungen versehen werden, dass eine Gefährdung der Arbeiter bei umsichtiger Verrichtung ihrer Arbeit nicht leicht bewirkt werden kann.

(3) Auch gehört zu den Obliegenheiten des Gewerbsinhabers, die Vorsorge zu tref- fen, dass die Arbeitsräume während der ganzen Arbeitszeit nach Maßgabe des Gewerbes möglichst licht, rein und staubfrei erhalten werden, dass die Lufterneue- rung immer eine der Zahl der Arbeiter und den Beleuchtungsvorrichtungen entspre- chende, sowie der nachtheiligen Einwirkung schädlicher Ausdünstungen entgegen- wirkende und dass insbesondere bei chemischen Gewerben die Verfahrungs- und Betriebsweise in einer die Gesundheit der Hilfsarbeiter thunlichst schonenden Art eingerichtet sei.

(4) Nicht minder haben Gewerbsinhaber, wenn sie Wohnungen ihren Hilfsarbei- tern überlassen, diesem Zwecke keine gesundheitsschädlichen Räumlichkeiten zu widmen.

(5) Schließlich sind die Gewerbsinhaber verpflichtet, bei der Beschäftigung von Hilfsarbeitern bis zum vollendeten 18. Jahre und von Frauenspersonen überhaupt, thunlichst die durch das Alter, beziehungsweise das Geschlecht derselben gebotene Rücksicht auf die Sittlichkeit zu nehmen.

Abb. 2: Schutzbestimmungen in der Gewerbeordnung in der ab 11.6.1885 geltenden Fassung Hätte man diese arbeitsrechtlichen Neuerungen in das Hauptstück „Von Verträgen über Dienstleistungen“ des ABGB (siehe Fußnote 9) eingebaut – was jedoch, auch aus politischen Gründen, nicht in Betracht gezogen wurde – wären sie allen Arbeitneh- merInnen zugute gekommen und die noch heute extrem störende Aufsplitterung des Arbeitsrechts wäre anders verlaufen.

Von der GewO waren – nebst anderen Bereichen – auch Bauarbeiten ausgenommen.

Erst 1902 wurden der 11-Stunden-Tag und das Kinderarbeitsverbot auf Bauunterneh- mungen zumindest ab 20 ArbeiterInnen ausgeweitet.

2.8 Arbeiter-Kranken- und Arbeiter-Unfallversicherung (1889)

In den Jahren 1888 und 1889 wurden, dem deutschen Beispiel (1883) folgend, die allgemeine Krankenversicherung der Arbeiter und die Arbeiter-Unfallversicherung

(15)

eingeführt22, jedoch ohne dass man auch die Invaliditäts- und Altersversicherung ein- bezogen hätte. Erst zwei Jahrzehnte später machte man mit dem Gesetz über die Pensionsversicherung der Privatangestellten (RGBl Nr. 1/1906) den – missglückten – Versuch, für die Angestellten eine Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversiche- rung einzuführen: Hohen Beitragslasten standen unzureichende Versicherungsleistun- gen gegenüber.

Die Schaffung der Arbeiter-Krankenversicherung verfolgte insbesondere die Absicht, die Arbeiterproteste zu beruhigen und den „Umtrieben der Sozialdemokratie“ den Wind aus den Segeln zu nehmen23. Das bedeutet: Ohne ihre Streiks und Kämpfe hätte die Arbeiterbewegung zu dieser Zeit nicht einmal die gesetzliche Krankenversicherung erreicht.

Die Daten der Krankenkassen wurden für eine Lohnanalyse genutzt. Diese ergab, dass noch Anfang der 1890er Jahre die Löhne nur eines kleinen Teils der Vorarbeiter das staatlich festgelegte Existenzminimum erreichten. Die übrigen Vorarbeiter sowie alle anderen Arbeiter – und vor allem die Arbeiterinnen – erhielten Löhne erheblich unter dem Existenzminimum (tAlos 1981, 21).

2.9 Technische Arbeiterschutzvorschriften in Gewerbe und Industrie ab 1901

Trotz drängender sozialer Probleme, häufiger Arbeitsunfälle und stark gesundheits- schädigender Arbeitsbelastungen bei zugleich langer Arbeitzeit wurden auf der 1885 in der GewO geschaffenen Grundlage (Abb. 2) fast 20 Jahre lang keine Verordnun- gen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der gewerblichen ArbeiterInnen erlassen24. Erst ab 1901 wurden Vorschriften zur Arbeitersicherheit geschaffen (Abb.

3); an ihrer Ausarbeitung und Vorberatung wirkte die 1900 eingerichtete Unfallverhü- tungskommission (RGBl Nr. 86/1900; bÖse 1972) mit.

22 Das Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter, RGBl Nr. 33/1888, trat mit 1.8.1889 in Kraft (RGBl Nr. 94/1889). Schon vorher bestanden von ArbeiterInnen gegründete Unterstützungsvereine sowie bei vielen Fabriken Fabrikkrankenkassen; das neue Gesetz vereinheitlichte und erweiterte die Krankenversicherung und zielte zugleich auf die politische Kontrolle der Arbeiterselbsthilfeeinrichtungen. Das Gesetz über die Unfallversicherung der Arbeiter, RGBl Nr. 95/1889, trat mit 1.11.1889 in Kraft; Gewerbebetriebe waren nur einbezogen, wenn sie Wasser- oder Dampfkraft oder Motoren verwendeten. Die Versicherungsbeiträge waren zu 90% vom Unternehmer, zu 10% von den Beschäftigten zu tragen und nach (etwa 12) Gefahrenklassen gestaffelt.

23 Beim Treffen des deutschen Reichskanzlers Bismarck mit seinem österr-ungar. Kollegen Friedrich Ferdinand Beust im Herbst 1871 in Gastein nahm, so verlautete das Memoir, „die politische Bedeu tung der allgemeinen [Internationalen Arbeiter-]Assoziation, welche man unter dem Namen die Internationale begreift, einen hervorragenden Rang“ ein. Die

„erschütternden Ereignisse“ der Pariser Kommune (der rätedemokratisch-revolutionären Volksherrschaft in Paris 1871, die in wochenlangem Kampf blutig liquidiert wurde), „die wachsende Verbreitung der Internationale [und] der gefährliche Einfluss, den sie insbesondere auf die arbeitenden Klassen und gegen die Grundlagen des Staates auszuüben beginnt, haben den beiden Reichskanzlern den Wunsch nahegelegt, sich über gemeinsa me Maßregeln zur Abwehr und zur Bekämpfung zu verständigen“, denn die Gefahren für die Regie rungen seien „ernster und drohender denn je“. Sie kamen überein, nicht auf die „einseitige Hervorhe bung des polizeilichen Standpunktes“ zu setzen, „Fürst Bismarck und Graf Beust begegneten sich vielmehr in dem Entschlusse, die Frage vom höheren Standpunkte der staatlichen Fürsorge zu beur- teilen“. (Zit. nach E. tAlos, Zu den Anfängen der Sozialpolitik, Ö Zeitschr f Politikwiss 1976, 145 ff.) — Bismarck erklärte zum Arbeiterversicherungsgesetz später, seine Absicht war, mit diesem die arbeitenden Klassen „zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen“ (bisMArck, Gesammelte Werke, Bd. 9, Berlin 1926, 195).

24 Der böhmische Jurist und sozialdemokratische Mandatar (1897–1900) im Abgeordnetenhaus Leo VerkAuf kritisiert 1911: „Es ist bekannt, dass die Unter nehmer nur unter dem größten Drucke veran lasst werden können, für die körperliche Sicherheit der Arbeiter Sorge zu tragen. Die österreichische Bureaukratie hat es durch ein Vierteljahrhundert zu verhindern gewusst, dass der § 74 der Gewerbe ordnung, der die Möglichkeit zur Erlassung von Unfallverhütungsvorschriften bot, zur praktischen Anwendung kommt. Jetzt nach 25 Jahren entdeckt unsere Bureaukratie, das dieser Paragraph erst einer gründlichen Aenderung bedarf, wenn er eine wirksame Handhabe zum Schutze des Lebens und der Gesundheit der Arbeiter bieten soll.“ (L. VerkAuf, Die Regierung im Kampfe gegen die Sozialversicherung, Wien, 1911, 39)

(16)

Hervorzuheben ist die „allgemeine Arbeiterschutzverordnung“ von 1905, die hinsicht- lich der Beschaffenheit der Arbeitsräume und deren Belichtung, Lüftung und Heizung sowie hinsichtlich der Kraftmaschinen, Transmissionen, Arbeitsmaschinen, Hebe- zeuge, Transporteinrichtungen, Lager, Schutzbehelfe und Sanitäreinrichtungen in 106 Punkten allgemeinere Aspekte regelte. Für Arbeitsräume sah diese Verordnung, um nur ein Beispiel zu nennen, mindestens 2 m² Bodenfläche und 10 m³ Luftraum pro beschäftigter Person vor. Auch die übrigen, in Abb. 3 zusammengestellten produk- tions- oder tätigkeitsspezifischen Verordnungen regelten zumeist ebenfalls Anforde- rungen an Arbeitsräume, Lagerungen, Umgang mit Schutzvorrichtungen, Sanitärein- richtungen, Vorsorge für erste Hilfe, Beschäftigungsbeschränkungen für Frauen und Jugendliche sowie manchmal die ärztliche Überwachung.

Die Unübersichtlichkeit der Arbeitsrechtsordnung bahnte sich auch hier an: Die Vor- schriften galten nur für ArbeiterInnen („Hilfsarbeiter“) gemäß § 73 GewO (Abb. 2 in Pkt. 2.7), nur in Betrieben, die der Gewerbeordnung unterlagen, und meist nur für bestimmte technologische Verfahren; siehe dazu Pkt. 7.3 und 7.11.

■ Verordnung vom 17.1.1885, durch welche zum Schutze der bei der Erzeu- gung von Phosphorzündwaren beschäftigten Personen bezüglich der in den Betriebsanlagen erforderlichen Einrichtungen und Vorkehrungen Anordnungen getroffen werden, RGBl Nr. 8/1885 – Teil B dieser Verordnung a) wurde erst durch die AAV (1.1.1984) aufgehoben.

■ Verordnung vom 23.1.1901 betreffend den Verkehr mit Mineralölen, RGBl Nr.

12/1901 b)

■ Verordnung vom 14.11.1901 betreffend die Herstellung und Verwendung von Calcium-Carbid und Azetylen, sowie den Verkehr mit diesen Stoffen, RGBl Nr.

184/1901 – diese Verordnung wurde durch die nachstehend angeführte Verord- nung RGBl Nr. 24/1905 abgelöst.

■ Verordnung vom 17.2.1905 betreffend die Herstellung und Verwendung von Aze- tylen, sowie den Verkehr mit Kalzium-Karbid, RGBl Nr. 24/1905 – diese Verord- nung wurde durch die tiefer stehend angeführte Verordnung RGBl Nr. 185/1912 abgelöst.

■ Verordnung vom 23.11.1905, mit welcher allgemeine Vorschriften zum Schutze des Lebens und der Gesundheit der Hilfsarbeiter erlassen werden, RGBl Nr.

176/1905 c)

■ Verordnung vom 18.7.1906, mit welcher Vorschriften für die Herstellung, Benüt- zung und Instandhaltung von Anlagen zur Verteilung und Verwendung brennba- rer Gase erlassen werden (Gasregulativ), RGBl Nr. 176/1906 d)

■ Verordnung vom 7.2.1907, mit welcher Vorschriften zur Verhütung von Unfällen und zum Schutze der Gesundheit der Arbeiter bei der gewerblichen Ausführung von Hochbauten erlassen werden, RGBl Nr. 24/1907 c)

■ Verordnung vom 15.4.1908, womit Vorschriften zum Schutze des Lebens und der Gesundheit der mit gewerblichen Anstreicher-, Lackierer- und Malerarbeiten beschäftigten Personen erlassen werden, RGBl Nr. 81/1908 – diese Verordnung wurde durch die tiefer stehend angeführte Verordnung BGBl Nr. 186/1923 abge- löst.

(17)

■ Verordnung vom 29.5.1908, mit welcher Vorschriften für den gewerbsmäßigen Betrieb von Steinbrüchen, Lehm-, Sand- und Schottergruben erlassen werden, RGBl Nr. 116/1908 c)

■ Verordnung vom 15.7.1908 betreffend den Verkehr mit Zelluloid, Zelluloidwaren und Zelluloidabfällen, RGBl Nr. 163/1908 d)

■ Verordnung vom 29.11.1910, mit welcher das Gewerbe der Sodawassererzeu- gung an eine Konzession gebunden wird, RGBl Nr. 212/1910 d)

■ Verordnung vom 23.8.1911, womit besondere Vorschriften zum Schutze des Lebens und der Gesundheit der Hilfsarbeiter in gewerblichen Betrieben erlassen werden, in welchen Buch- und Steindruckerei- sowie Schriftgießereiarbeiten vorgenommen werden, RGBl Nr. 169/1911 – diese Verordnung wurde durch die tiefer stehend angeführte Verordnung BGBl Nr. 185/1923 abgelöst.

■ Verordnung vom 22.8.1911, womit Vorschriften zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der bei der Zuckerfabrikation beschäftigten Arbeiter getroffen wer- den, RGBl Nr. 172/1911 e)

■ Verordnung vom 25.9.1911, mit welcher Vorschriften zum Schutze des Lebens und der Gesundheit der bei der Papierfabrikation beschäftigten Arbeiter erlas- sen werden, RGBl Nr. 199/1911 e)

■ Verordnung vom 10.9.1912 betreffend die Herstellung und Verwendung von Aze- tylen und den Verkehr mit Karbid, RGBl Nr. 185/1912 c)

■ Verordnung vom 31.1.1922 betreffend den gewerbsmäßigen Verkehr mit Filmen, BGBl Nr. 79/1922 – sie wurde zum Teil durch reichsdeutsche Bestimmungen und im Übrigen durch das Sicherheitsfilmgesetz von 1966 aufgehoben.

■ Verordnung vom 1.8.1922, womit Vorschriften zum Schutze des Lebens und der Gesundheit der Hilfsarbeiter gegen Milzbrand erlassen werden, BGBl Nr.

588/1922 e)

■ Verordnung vom 8.3.1923, womit Vorschriften zum Schutze des Lebens und der Gesundheit der in den der Gewerbeordnung unterliegenden Blei- und Zinkhüt- ten und Zinkweißfabriken beschäftigten Personen erlassen werden, BGBl Nr.

183/1923 f)

■ Verordnung vom 8.3.1923, womit Vorschriften zum Schutze des Lebens und der Gesundheit der in gewerblichen Betrieben zur Erzeugung von Bleiverbindungen, Bleilegierungen und Bleiwaren beschäftigten Personen erlassen werden, BGBl Nr. 184/1923 f)

■ Verordnung vom 8.3.1923, womit Vorschriften zum Schutze des Lebens und der Gesundheit der in gewerblichen Betrieben mit Buch- und Steindruckerei- sowie Schriftgießereiarbeiten beschäftigten Personen erlassen werden, BGBl Nr. 185/1923 f)

■ Verordnung vom 8.3.1923, womit Vorschriften zum Schutze des Lebens und der Gesundheit der in gewerblichen Betrieben mit Anstreicher-, Lackierer- und Malerarbeiten beschäftigten Personen erlassen werden, BGBl Nr. 186/1923 f)

(18)

■ Verordnung vom 10.6.1927 betreffend die Einrichtung und Verwendung von Stra- ßentankwagen und fahrbaren Zapfstellen in Betrieben, die die Erzeugung von flüssigen Brennstoffen oder den Handel mit solchen zum Gegenstand haben (Tankwagenverordnung), BGBl Nr. 186/1927

■ Verordnung vom 7.2.1930 betreffend grundsätzliche Bestimmungen über die Lagerung von brennbaren Flüssigkeiten in gewerblichen Betriebsanlagen, BGBl Nr. 49/1930 b)

a) Der Teil A dieser Verordnung, der Vorschriften für Betriebsanlagen enthielt, in denen weißer Phosphor verarbeitet wird, wurde durch das spätere Verwendungsverbot für Zündwaren aus weißem Phosphor (RGBl Nr. 119/1909) gegenstands- los (siehe Pkt. 2.6).

b) Diese Verordnung wurde erst mit 1.6.1993 durch die Verordnung über brennbare Flüssigkeiten (VbF) aufgehoben.

c) Diese Verordnung wurde 1951 durch die entsprechende in Abb. 6 (in Pkt. 7.4) genannte Verordnung aufgehoben.

d) Die ArbeitnehmerInnenschutzbestimmungen in dieser Verordnung wurden erst mit 1.1.1995 durch das ASchG aufgehoben.

e) Diese Verordnung wurde erst mit 1.1.1984 durch die Allgemeine Arbeitnehmerschutzverordnung aufgehoben.

f) Die noch geltenden Teile dieser Verordnung wurden – ohne sachliche Begründung – mit dem Deregulierungsgesetz, BGBl I Nr. 113/2006, aufgehoben.

Abb. 3: Mehrere in der Monarchie bzw. in der Ersten Republik erlassene Verordnungen, die aus- schließlich oder in Teilen Arbeiterschutzbestimmungen enthielten. Die Verordnungen waren in der Regel auf die GewO gestützt, in der Monarchie wurden Verordnungen auch ohne Nennung einer Gesetzesgrundlage erlassen.

2.10 Die Sonderentwicklung des Bergbaus – Zeitlicher Überblick

Viel früher als auf den anderen Gebieten der industriellen und gewerblichen Tätigkeit entstand im Bergbau, zu dem auch die angeschlossenen Hüttenwerke gehörten, eine zahlenmäßig große Gruppe von Lohnarbeitern, die erste Interessenvertretungen und Strukturen solidarischer Unterstützung (Bruderladen, Knappschaftskassen etc.) ent- wickelte. Beispielsweise waren bereits im 16. Jahrhundert in den Bergbaubetrieben in Schwaz und Kitzbühel jeweils um die 6 000 Knappen beschäftigt25. Es liegt auf der Hand, dass bei derartig vielen Beschäftigten Arbeitsverträge, Entlohnung und Arbeits- bedingungen nicht eigens mit jedem einzelnen Arbeiter vereinbart werden konnten.

Der Staat bzw. in seinem Namen der Landesfürst, die vor allem finanzielles Interesse an einem reibungslos funktionierenden Bergbau hatten, regelten in „Bergordnungen“

Begründung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Arbeitszeit und Feiertage, Lohnzahlungsmodus, Überstunden, die Entlohnung in Bargeld, den Schutz der kör- perlich Schwachen, und dergleichen mehr – wenn auch diese Vorgaben nicht immer befolgt wurden. Sie setzten Bergbehörden ein, denen u.a. die regelmäßige Grubenin- spektion oblag. Bergrichter und Berggeschworene hatten über (arbeitsrechtliche) Streitigkeiten zu entscheiden. Manchmal hatten die Knappen ein Mitwirkungsrecht bei der Festsetzung der Löhne errungen. Auch eine gewisse Fürsorgepflicht des Arbeit- gebers, wie sie in anderen industriellen und gewerblichen Sektoren erst Jahrhunderte später eingeführt werden sollte, findet man in den arbeitsrechtlichen Normen des Bergbaus, ebenso wie die Treuepflicht des Bergarbeiters.

25 Zit. nach weiDenholzer 1985, 46. Es wurde Silber abgebaut, in Kitzbühel auch Kupfer und Eisen.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Bei der PTCH handelt es sich um eine chronische Hepatitis, die in bis zu 20 % der Fälle nach etwa 2–3 Jahren nach Trans- plantation in der Leber entstehen kann.. Die Ursache

1 Aktuelle Entwicklung: Inflation in Österreich seit Jahresbeginn nahe bei 2 % Die österreichische HVPI-Inflationsrate bewegte sich seit Beginn des Jahres 2018 um

die personenbezogenen Daten nur auf dokumentierte Weisung des Verantwortlichen — auch in Bezug auf die Übermittlung personenbezogener Daten an ein Drittland oder eine internationale

a genannten Personen sowie der bei der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau Versicherten, soweit es sich um Personen handelt, die im Erkrankungsfall Anspruch

über einem Konsumverein und einer Bank handelt es sich um eine Frage des Vertrauens und die Arbeiter und Angestellten wissen sehr wohl, daß die Gelder, die sie bei

Deutlich wird auch die Rolle des FWF bei der Entwicklung und dem Aufbau dieses Potenzi- als: Wenn es sich bei den erfolgreichen ERC Grantees nicht um Forscherinnen und For-

c) Die Erhebungen durch die BeZlirksverwal- tungsbehörden wurden oft nicht in der wünschenswerten Sdmelligkeit durchge- B. führt, und manchmal sind auch Betreibun-

ter doch elOe günstigere Entwicklung ergeben hat. Die VA verkennt bei Bearbeitung derartiger Beschwerden keineswegs, daß es sich bei Fragen der Ausländerbeschäftigung auch um