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Wie das Problem verharmlost oder verdrängt wird

Christoph Butterwegge

und von der Regierung nicht zu beeinflussende Kriegslast be-trachtet. Im folgenden Wirtschaftsaufschwung ging die Armut zurück, verschwand aber nicht. „Armut“ entwickelte sich aus ei-nem Reizwort im Kalten Krieg während der Prosperitätsperiode mehr und mehr zu einem politischen Unwort. Auch die Soziolo-gie verzichtete darauf, sich mit dem Problem auseinanderzuset-zen, da man weder von Klassengesellschaft noch über die Ge-sellschaftsklassen sprechen wollte.

Die Kennzeichnung der Ökonomie als „Soziale Marktwirt-schaft“ verlieh dem Nachkriegskapitalismus ein positives Image.

Erst im Gefolge der Rezession 1966/67 einerseits, sowie der Schüler- und Studentenbewegung bzw. der Außerparlamentari-schen Opposition andererseits wurde die Armut in der BRD wie-der wahrgenommen, wenn auch meist als Problem von Rand-gruppen.

Mit Reformen im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik verband sich die Zielsetzung einer größeren Verteilungsgerech-tigkeit. Die Weltwirtschaftskrise 1974/75 führte zu einem Kurs-wechsel in der Sozialpolitik. Mit der Kürzung der Sozialleistun-gen wollte man die öffentlichen Finanzen konsolidieren und pri-vate Investitionen stimulieren, förderte damit jedoch die Armut.

Während der 80er Jahre vollzog sich eine Spaltung zwischen Be-schäftigten und Erwerbslosen, deren Schlechterstellung zuerst im Gewerkschaftsbereich registriert und als „neue Armut“ eti-kettiert wurde. Durch den Zusammenschluss von BRD und DDR verlagerte sich die Armut in Deutschland stärker nach Osten, wohingegen das Altbundesgebiet von einem „Vereinigungs-boom“ profitierte. Die neue Armut war ein Strukturproblem, das als solches entweder nicht erkannt oder bewusst negiert wurde.

Die Versprechen der rot-grünen Koalition eine ganz andere Sozi-alpolitik zu machen, von der die Armen profitieren sollten, täuschten. Hartz IV sollte durch die Abschaffung der Arbeitslo-senhilfe und Abschiebung der Langzeitarbeitslosen in die Wohl-fahrt den Staatshaushalt entlasten und durch die Einschüchte-rung der Betroffenen mehr „Beschäftigungsanreize“ im Niedrig-lohnbereich schaffen.

Seit der Begriff „Bildungsarmut“ in die deutsche Fachdebatte eingeführt wurde, tut man so, als könne eine gute Schul- oder

Berufsausbildung verhindern, dass Jugendliche ohne Arbeits-platz bleiben. Bildung ist jedoch keine Wunderwaffe im Kampf gegen die Armut, denn wenn sie alle Kinder und Jugendlichen erhalten, konkurrieren diese am Ende womöglich auf einem hö-heren Bildungsniveau, aber nicht mit besseren Chancen um feh-lende Lehrstellen und Arbeitsplätze. Bildungs- und Kulturarmut begründen keine Armutskultur, sondern sind primär Folge ma-terieller Entbehrung, sie basiert auf mama-terieller Unterversorgung und Benachteiligung in anderen Lebensbereichen. Gute (Weiter) Bildung ist eine notwendige, aber keine hinreichende Vorausset-zung für Chancengleichheit im Berufsleben. Bildungs-, Erzie-hungs- und Kultureinrichtungen sind für eine gedeihliche Ent-wicklung und freie Entfaltung der Persönlichkeit sozial benach-teiligter Kinder unentbehrlich, man darf sie nicht dem neolibera-len Zeitgeist entsprechend privatisieren, sondern muss sie öffentlich finanziert ausbauen. Je weniger die öffentliche Hand infolge falscher Steuerpolitik die materielle Unterversorgung von Familien kompensiert, umso mehr Kinder leiden an Bil-dungsarmut. Die negative Auswirkung von „Sparmaßnahmen“

im Jugend-, Sozial- und Gesundheitsbereich wie auch bei den Zuschüssen zum öffentlichen Nahverkehr beeinträchtigen die Zukunftsperspektiven kommender Generationen.

Die „Wiederentdeckung“ der Armut im öffentlichen Bewusst-sein brachte statt eines Paradigmenwechsels bzw. Politikwech-sels ideologisch motivierte Abwehrreflexe. Entweder wurde der einzelne Betroffene für seine Misere verantwortlich oder der Staat zum Sündenbock gemacht. Armut und Reichtum sind kei-ne unsozialen Kollateralschäden der Globalisierung, sondern im bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystem funktional, d.

h. Strukturmerkmal und Funktionselement einer kapitalisti-schen Marktgesellschaft im Zeichen der Restrukturierung aller Lebensbereiche nach dem Konkurrenzparadigma und neolibera-len Modellvorstellungen. Die große Koalition begünstigte durch eine Erbschaftssteuerreform die Reichen und Superreichen, die Spaltung in Arm und Reich wird verschärft. Die Anhebung der Mehrwert- und Versicherungssteuer trifft tagtäglich die hart, die praktisch ihr gesamtes Einkommen in den Konsum stecken müs-sen. Reichtumsmehrung statt Armutsverringerung – so lautete

das heimliche Regierungsprogramm der Großen Koalition, bei dessen Durchsetzung sich die CSU – durch die FDP angefeuert – besonders hervortat, während die SPD zögerte und zauderte, aber letztlich immer zustimmte. Die Steuerpolitik erfüllt das Prinzip „Wer hat, dem wird gegeben“.

Zu der zunehmenden Verelendung durch die gegenwärtige Wirtschaftskrise kommt eine dramatische Verschuldung aller Gebietskörperschaften des Staates, d. h. „öffentliche Armut“ in einem ungeahnten Ausmaß. Gleichzeitig wird sich der Reichtum noch stärker bei wenigen Kapitalmagnaten, Finanzinvestoren, Investmentbankern und Großgrundbesitzern sammeln, wenn man dem nicht energisch entgegensteuert. Wenn die privaten Banken den für sie bürgenden Staat zur Kasse bitten und ihn die Firmenerben immer weniger mitfinanzieren, wird für die sozial Benachteiligten und die Bedürftigen kaum noch Geld übrig blei-ben. Durch die im Grundgesetz und durch EU – Kriterien veran-kerte „Schuldenbremse“ lassen sich die Sparmaßnahmen eher als sonst legitimieren. Das soziale Klima wird erheblich rauer, bereits seit geraumer Zeit mehren sich die Anzeichen für eine

„härtere Gangart“ gegenüber den Armen. Es wäre notwendig die Armutsforschung und Bildungsfragen zu politisieren, dass nach den klassenspezifischen und kapitalbedingten Ursachen gefragt wird.

Unter den Konzepten zur Armutsbekämpfung sticht das be-dingungslose Grundeinkommen hervor. Dabei handelt es sich um eine alternative Leistungsart, die mit der Konstruktionslogik des bestehenden, früher als Jahrhundertwerk gefeierten Wohl-fahrtsstaates bricht sowie seine ganze Architektur bzw. Struktur zerstören würde. Wenn (fast) alle bisherigen, zum Teil nach Be-dürftigkeit gewährten Transferleistung zu einem Grundeinkom-men verschmolzen würden, wäre das Ziel neoliberaler Reformer, einen „Minimalstaat“ zu schaffen und die Sozialversicherungen zu zerschlagen ganz nebenbei erreicht, was sich noch dazu als Wohltat für die Bedürftigen hinstellen ließe. Gleichzeitig böte die Refinanzierung des Grundeinkommens über indirekte, d. h.

Konsumsteuern einen Hebel um die Unternehmenssteuern wei-ter zu senken und am Ende abzuschaffen. Letztlich würde ein bedingungsloses Grundeinkommen als „Kombilohn“ für alle

BürgerInnen wirken. Anstatt das bestehende Sozialversiche-rungssystem durch ein bedingungsloses Grundeinkommen aus den Angeln zu heben, könnte man es zu einer solidarischen Bür-gerversicherung ausbauen, das alle WohnbürgerInnen einbe-zieht und durch eine Sockelung der Leistungen im Sinne einer bedarfsorientierten Grundsicherung verhindert, dass Menschen durch die Maschen des „sozialen Netzes“ fallen. Sie müsste ar-mutsfest, bedarfsdeckend und repressionsfrei sein.

Elke Renner

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