Auswirkungen der vollständigen Öffnung des österreichischen Arbeitsmarktes gegenüber den EU-8-Staaten
eine Ausbildung mittleren Niveaus (ISCED –4). Ihr Anteil an den Hochschulabsolventen (ISCED 5–6) ist etwas höher als jener der Inländer.
Dies liegt auch daran, dass es viele hoch qualifizierte ausländische Be
schäftigte gibt, die häufig nur befris
tet in Österreich (etwa für multinati
onale Unternehmen) arbeiten (Biffl, 2000). Das ausländische Arbeitskräf
tepotenzial ist hinsichtlich des Bil
dungsstands äußerst heterogen (Bock
Schappelwein, 2006), trotzdem liegt das durchschnittliche Bildungsniveau deutlich unter jenem der österrei
chischen Erwerbsbevölkerung.
Die Erwerbsquote der Immig
ranten ist geringer als jene der Öster
reicher. Besonders auffällig ist, dass Erstere weitaus stärker von Arbeits
losigkeit betroffen sind, als die ein
heimische Bevölkerung. Schließlich weisen ausländische Beschäftigte
noch deutlich geringere Verdienste auf als Inländer (–2 %).12 Dies spie
gelt die Tatsache wider, dass auslän
dische Arbeitskräfte in vielen Betrie
ben eine Art Fluktuationsbelegschaft darstellen (d. h., sie werden einge
stellt um Spitzen des Arbeitskräfte
bedarfs abzudecken und bei Nach
fragerückgängen wieder gekündigt) und weist auch auf Probleme bei der Arbeitsmarktintegration von auslän
dischen Arbeitskräften hin (OECD, 2007b).
Auswirkungen der vollständigen Öffnung
des österreichischen Arbeitsmarktes gegenüber den EU-8-Staaten
Schweden und Vereinigtes König
reich), einige dies im Jahr 2006 taten (Griechenland, Spanien, Italien, Por
tugal und Finnland) und eine Reihe weiterer Länder 2006 die Restriktio
nen lockerten (Belgien, Dänemark, Frankreich, Luxemburg und die Nie
derlande), sind Österreich und Deutschland die einzigen Länder, die die Zugangsbeschränkungen noch in vollem Umfang aufrecht erhalten.
Die Gründe dafür liegen einerseits in deren relativ schlechter Arbeits
marktlage zum Zeitpunkt der EU
Erweiterung, andererseits in der Sorge, dass sie aufgrund der geogra
fischen Nähe einen überproportional hohen Anteil an Immigranten zu be
wältigen hätten.
Somit scheint es möglich, dass be
reits ein großer Teil der wanderungs
bereiten Menschen aus den EU8 in andere Staaten abgewandert sein wird, wenn Deutschland und Öster
reich ihre Arbeitsmärkte öffnen. Dies gilt vor allem für jüngere und höher qualifizierte Arbeitskräfte, die eine höhere Wanderungsbereitschaft auf
weisen. Aus diesem Grund könnten beim Auslaufen der Übergangsbestim
mungen vornehmlich gering qualifi
zierte Arbeitskräfte nach Österreich kommen.
3.2 Methoden zur Schätzung des Migrationspotenzials
Im Zusammenhang mit der Öffnung des Arbeitsmarktes für Staatsbürger zentral, ost und südosteuropäischer Länder stehen zwei Fragestellungen im Mittelpunkt des Interesses: Ers
tens „Mit wie vielen zusätzlichen Ar
beitskräften hat eine Volkswirtschaft wie Österreich zu rechnen?“ und zweitens „Welche Auswirkungen auf den österreichischen Arbeitsmarkt sind durch den Zuzug dieser zusätz
lichen Arbeitskräfte zu erwarten?“
Die zweite Fragestellung wird in den Kapiteln 4 und 5 behandelt.
Die Studien bezüglich der ersten Fragestellung lassen sich in zwei Gruppen einteilen: ökonometrische Studien und Umfragestudien. Erstere basieren meist auf der Schätzung von Gravitätsmodellen (Barro und Salai
Martin, 1995). In solchen Modellen wird Einwanderung durch geogra
fische Nähe einerseits sowie durch unterschiedliche ökonomische Bedin
gungen zwischen dem Einwande
rungs und dem Ursprungsland ande
rerseits erklärt.
Umfragestudien basieren auf Bür
gerbefragungen in den potenziellen Herkunftsländern, wobei meist eine Einteilung in ein generelles Migrati
onspotenzial (Emigration wird in Be
tracht gezogen), ein wahrscheinliches Migrationspotenzial (Informationen über das Zielland wurden bereits eingeholt) und ein reales Migrations
potenzial (es wurde bereits um eine Beschäftigungsbewilligung angesucht), vorgenommen werden kann (Huber, 2001).
Da man in der EU aufgrund der Süderweiterung um Portugal und Spanien bereits Erfahrungen mit den möglichen Auswirkungen einer Arbeitsmarktöffnung auf die Migra
tion hat, wird in einigen Studien ver
sucht, das zukünftige Immigrations
potenzial aus den Effekten der Süd
erweiterung hochzurechnen. Obwohl die damaligen EUMitgliedstaaten eine sehr hohe Anzahl an Immigranten be
fürchteten, blieben die großen Ein
wanderungswellen weitgehend aus.
Sinn und Werding (2001) machen je
doch darauf aufmerksam, dass die Süderweiterung als Vergleichsszena
rio nur bedingt geeignet ist, da ers
tens bereits vor dem EUBeitritt die
ser Länder eine enorme Auswande
rung stattgefunden hatte und zwei
Auswirkungen der vollständigen Öffnung des österreichischen Arbeitsmarktes gegenüber den EU-8-Staaten
tens der Einkommensabstand zwi
schen der EU und den iberischen Staaten zu dieser Zeit um einiges ge
ringer war, als dies heute zwischen der EU und den zentral, ost und süd
osteuropäischen Ländern der Fall ist.
Insgesamt ist man bei der Schät
zung des Migrationspotenzials mit erheblichen Unsicherheiten konfron
tiert, weshalb auch die Ergebnisse enorm schwanken. Die größten Schwierigkeiten sind:
unterschiedliche Annahmen hin
sichtlich des Beitrittszeitpunkts, der Einführung von Übergangs
regelungen, der Anzahl der un
tersuchten Herkunftsländer und der Zeitintervalle,
unterschiedliche methodische Herangehensweisen (Verwendung von Längsschnitt versus Quer
schnittdaten; Prognose des Immi
grantenbestands versus zustroms), Nichtberücksichtigung des unter
schiedlichen Betroffenheitsgrads der Zielstaaten (z. B. der geogra
fischen Nähe Österreichs und Deutschlands zu den neuen EU
Mitgliedstaaten),
Außerachtlassung von Grenzgän
gern, die für Österreich und Deutschland wahrscheinlich eine größere Relevanz haben als für andere EUStaaten, sowie
Nichtberücksichtigung der unter
schiedlichen Zeitpunkte, ab denen die alten EUMitgliedstaaten ihre Arbeitsmärkte öffneten.
3.3 Schätzungen des Migrations-potenzials
Huber (2001) vergleicht Studien des Wanderungspotenzials und kommt zu dem Ergebnis, dass die prognosti
zierte Zuwanderung pro Jahr in die alten EUMitgliedstaaten zwischen 41.000 und 680.000 Immigranten liegt. Heinz und WardWarmedinger –
–
–
–
–
(2006) schätzen aufgrund ihrer Ana
lyse der Fachliteratur die potenzielle Zuwanderung innerhalb von ein bis zwei Jahrzehnten nach der EUweiten Gewährung der Arbeitnehmerfreizü
gigkeit auf 1 % bis 4 % der Gesamtbe
völkerung der EU8 zuzüglich Bulga
rien und Rumänien; dies entspräche 1 bis Millionen Menschen. Diese Zahlen berücksichtigen jedoch noch nicht, wie viele Immigranten wäh
rend dieser Zeitspanne wieder zu
rückwandern (Brutto versus Netto
wanderung). In Tabelle 2 sind die Ergebnisse einiger wichtiger Studien zum Immigrationspotenzial in die alten EUMitgliedstaaten bzw. nach Österreich angeführt.
Insgesamt führen Gravitätsmo
delle und das Zeitreihenmodell von Brücker und Boeri (2000) zu höheren Werten als die Umfragestudie von Faßmann und Hintermann (1997).
Gegenwärtig spricht einiges dafür, dass das Auswanderungspotenzial aus den zentral, ost und südosteuropä
ischen Staaten bei einem Fallen der Zugangsbeschränkungen zwischen den Jahren 2009 und 2011 nicht mehr so groß sein wird, wie dies einige ältere Studien vorhergesagt haben, da zu diesem Zeitpunkt bereits viele Bürger ausgewandert (Abschnitt .1) und der wirtschaftliche Aufholpro
zess weiter fortgeschritten sein wer
den. Da die Studien, die speziell auf Österreich eingehen, ein Immigrati
onspotenzial von 22.000 bis 42.000 Menschen jährlich vorhersagen, kann man unter diesem Gesichtspunkt da
von ausgehen, dass sich die schließlich zu beobachtenden Werte eher im unteren Bereich dieser Bandbreite realisieren werden. Dazu kommt, dass die erfragte Migrationsbereit
schaft in Österreichs Nachbarländern – Ungarn, Slowenien, Slowakische und Tschechische Republik – ver
Auswirkungen der vollständigen Öffnung
des österreichischen Arbeitsmarktes gegenüber den EU-8-Staaten
glichen mit jener der anderen EU8
Staaten gering ausfiel (Europäische Kommission, 2006). Die genannten Zuwanderungsraten werden nur in den ersten Jahren so hoch sein, da
nach werden sie auch rasch wieder sinken. In der Modellsimulation in Kapitel 5 wird von einer Immigration in Höhe von rund 200.000 Menschen innerhalb von zehn Jahren ausgegan
gen.Nach der Aufhebung der Zu
gangsbeschränkungen ist nicht nur eine (relativ) permanente Immigra
tion zu erwarten, sondern auch ein Zuwachs bei den Grenzgängern und
Grenzpendlern. Zudem spielen Sai
sonarbeitskräfte aus Zentral, Ost
und Südosteuropa (schon jetzt) eine wichtige Rolle. Aktuelle Zahlen dazu sind in Tabelle dargestellt (Personen aus den EU15Staaten sind darin nicht erfasst).
Das zukünftige Potenzial an Grenzpendlern ist sehr schwer ab
schätzbar. In den meisten Studien wird das innerösterreichische Pend
lerverhalten auf das Grenzpendler
verhalten mit starken Abschlägen um
gelegt. Beispielsweise wird in der Hauptvariante der Studie von Huber und Brücker (200) unterstellt, dass
Tabelle 2
Auswahl wichtiger Studien zum Emigrationspotenzial aus den zentral-, ost- und südosteuropäischen Ländern
Autoren Methode Herkunftsländer Immigrationspotenzial
Brücker und Franzmeyer (1997)
Gravitätsmodell Polen, Slowakische Republik, Slowenien,
Tschechische Republik, Ungarn EU: 340.000 bis 680.000 (jährlich) Bauer und Zimmermann
(1999)
Hochrechnung aufgrund der Migration nach der Süderweiterung
Bulgarien, Polen, Rumänien, Slowakische Republik, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn
EU: 3,000.000
(innerhalb von 10 bis 15 Jahren) Bauer und Zimmermann
(2000)
Gravitätsmodell mit Koeffizienten der Süderweiterung
Bulgarien, Polen, Rumänien, Slowakische Republik, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn
EU: 2 % bis 3 % der Bevölkerung der untersuchten Länder (Gesamtpotenzial) Straubhaar
(2000)
Gravitätsmodell mit Koeffizienten der Süderweiterung
EU-8 + Bulgarien und Rumänien EU: 3,000.000 brutto 1,000.000 bis 1,500.000 netto (Gesamtpotenzial)
Faßmann und Hintermann (1997)
Umfragestudie Polen, Slowakische Republik,
Tschechische Republik, Ungarn Österreich: 150.000 EU: 721.000 (Gesamtpotenzial) Walterskirchen und Dietz
(1998)
Extrapolation des Gravitätsmodells von Barro und Sala-i-Martin
Polen, Slowakische Republik, Slowenien,
Tschechische Republik, Ungarn Österreich (2005): 42.000 (jährlich)
Hofer (1998)
Hochrechnung von Brücker und Franzmeyer (1997) auf Österreich
Polen, Slowakische Republik, Slowenien,
Tschechische Republik, Ungarn Österreich: 25.000 bis 40.000 (jährlich)
Brücker und Boeri (2000)
Zeitreihenmodell EU-8 + Bulgarien und Rumänien
(Annahme: Beitritt 2002) Österreich (2002): 41.000 EU (2002): 337.000 (jährlich, später abnehmend) Huber und Brücker
(2003)
Simulationsstudie auf Basis eines Gravitätsmodells EU-8
(Annahme: Freizügigkeit ab 2004) Österreich (2004): 22.000 Österreich (2006): 24.000 (jährlich, später abnehmend) EU-8(Annahme: Freizügigkeit ab 2011) Österreich (2011): 21.000
Österreich (2013): 22.000 (jährlich, später abnehmend) Bulgarien, Rumänien
(Annahme: Freizügigkeit ab 2013) Österreich (2013): 800 (jährlich, später abnehmend) Quelle: Brücker und Boeri (2000), Huber und Brücker (2003), Heinz und Ward-Warmedinger (2006), Huber (2001), Sinn und Werding (2001), Straubhaar (2000).
Auswirkungen der vollständigen Öffnung des österreichischen Arbeitsmarktes gegenüber den EU-8-Staaten
das Grenzpendlerpotenzial ein Drit
tel der Pendlerzahlen zwischen den österreichischen Bezirken beträgt.
Generell wird davon ausgegangen, dass die größte Distanz, zu der Men
schen bereit sind zu pendeln, in einer täglichen Gesamtfahrzeit von drei Stunden bewältigt werden kann.
Das zusätzliche Tagespendlerpoten
zial wird mit zwischen 40.000 und 160.000 Personen prognostiziert (Tabelle 4).
4 Ökonomische Effekte von