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Wandel von Kommunikations- und Lernwegen durch Technologie

Im Dokument Zum Stellenwert von Musik in der Schule (Seite 112-116)

Die beschriebene Anekdote ist gleichzeitig auch ein Beispiel dafür, wie sich musikalisches Lernen verändert. Denn der junge Mann hatte sich diese Fähigkeiten nicht durch irgendeine Form von Mu-sikunterricht angeeignet, sondern – wie könnte es anders sein – aus-schließlich durch intensives, monatelanges Studium von You tube-Tutorials, gekoppelt mit konsequentem selbstständigen Üben, an dem keine Lehrperson beteiligt war. Damit sind wir thematisch

beim technologischen Wandel angekommen, der gleichzeitig auch ein gesellschaftlicher Wandel ist – und der, wie am anekdotischen Beispiel zu erkennen ist, auch ein Wandel von Lernwegen ist.

Auch in früheren Jahrzehnten fanden technologische Entwick-lungsschübe statt. Neu ist, wie rasant und wie tiefgreifend diese Ver-änderungen vor sich gehen. Innerhalb nur wenig mehr als eines Jahrzehnts hat eine totale Durchdringung unseres Alltags mit ver-netzten digitalen Technologien stattgefunden.4 Kommunikations-wissenschaftler bezeichnen diese Allgegenwärtigkeit als digitale

„Ubiquität“5: Von der familiären Kommunikation über Informati-ons- und Konsumgewohnheiten bis hin zur Abwicklung von staat-lich-administrativen Abläufen sind viele Lebensbereiche von die-sem technologischen Wandel erfasst worden. Im Alltag manifestiert sich die digitale Durchdringung am augenscheinlichsten durch das fast schon selbstverständliche Vorhandensein eines Smartphones bei beinahe jedem Mitglied unserer Gesellschaft. Die unglaubliche Durchdringung des Alltags mit mobiler, vernetzter Technologie ist bei Kindern und Jugendlichen stärker ausgeprägt als im Durch-schnitt der Bevölkerung. Dieser „Generation Gap“ wirkt auch in Schule und Lehrendenbildung herein, da aufgrund des rasanten Wandels sogar die jüngeren unter den Lehrenden, die gerade erst ausgebildet worden sind, eigentlich in einer anderen Mediennut-zungswelt leben als die Generation ihre Schülerinnen und Schüler nur 10 bis 15 Jahre nach ihnen.

Die Bedeutung dieses digitalen Wandels für den Musikunterricht und die Musiklehrendenbildung offenbart sich immer wieder in den Ergebnissen nationaler und internationaler Medienstudien6, die den starken Zusammenhang von Musik und Technologie in jugendli-chen Alltagswelten dokumentieren. Als konkretes österreichisches

4 Als Beispiel: Die Firma Apple hat das erste iPhone, das als Symbol für den Siegeszug mobiler Kommunikation und Datennutzung angesehen werden kann, im Jahr 2007 auf den Markt gebracht.

5 Vgl. Ebersbach et al. 2011, S. 276

6 Z.B. die deutsche JIM-Studie (http://www.mpfs.de/studien), die diver-se Studien des Branchenverbandes BITKOM (https://www.bitkom.org/

Bitkom/Publikationen/ oder die internationalen HORIZON-Reports ) https://www.nmc.org/publication-type/horizon-report) [alle Links Stand 1.10.2018].

Beispiel sei die OÖ-Jugendmedienstudie genannt, in deren Rahmen seit 2009 alle zwei Jahre Schülerinnen bzw. Schüler, Lehrende und Eltern zu Ihrem Medienverhalten und ihren Medienwelten befragt werden.7 Zwei Aspekte sind für die Perspektive des Musikunter-richts besonders interessant:

• Wenn Jugendliche dazu befragt werden, was ihnen im Leben wichtig ist, definieren sie Medien wie Internet, Computer und Smartphone als sehr bedeutsam – doch als einen der allerwich-tigsten Punkte nennen Jugendliche selbst immer auch das reale, unmittelbare Zusammensein mit Freunden oder der Familie.

Dieses Ergebnis ist eine auch in anderen Studien wiederkeh-rende, empirische Konstante, die den Mythos von der zwangs-läufigen Vereinsamung und vom pathologischen Versinken von Jugendlichen in der digitalen Welt relativiert, obwohl dieser My-thos von Bildungsexperten immer wieder thematisiert wird. Das soll nicht heißen, dass es kein pathologisches digitales Nutzungs-verhalten gibt – aber es ist nicht die Norm, und die Jugendlichen selbst haben offensichtlich eine realistischere Sichtweise auf die Spannung zwischen virtueller und realer Welt, als die Erwachse-nenwelt das oft glaubt.

• Eine zweite empirische Konstante ist die Bedeutung von Musik für Jugendliche. Musik bzw. mit Musik in Verbindung stehende multi-mediale Aktivitäten werden von Jugendlichen regelmäßig sehr weit oben im Ranking der wichtigsten Dinge in ihrem Leben ge-reiht. Besonders in der Mediennutzung spielt Musik immer eine ganz wichtige Rolle bzw. umgekehrt steht die Nutzung von Tech-nologie ganz oft mit einem Umgang mit Musik in Verbindung.

Ebenso stabil gleichbleibend wie diese Ergebnisse stellt sich aller-dings auch das Verhältnis von institutionellem Musikunterricht zu Musiktechnologie dar, das seit Jahrzehnten eher schwierig und von Konflikten und wechselseitigem Misstrauen geprägt ist. Musikleh-rende sind tendenziell technologiekritisch eingestellt, viele empfin-den empfin-den steten Wandel der verfügbaren Tools als Überforderung.

Wenn überhaupt, dann geht die Tendenz eher zu anwendungsorien-7 Detailergebnisse abrufbar unter

https://www.edugroup.at/de-tail/5-ooe-jugend-medien-studie-2017.html [Stand 1.10.2018].

tiertem Rezeptdenken anstatt zu reflektierter Entwicklung didakti-scher Konzepte. Für genuin musikpädagogische Anwendungszwe-cke sind trotz gegenteiliger Bemühungen der technologieentwi-ckelnden Industrie nur wenige gebrauchstaugliche musiktechnolo-gische Werkzeuge vorhanden – eine Alltagserfahrung vieler Musiklehrender, die immer wieder durch Studien bestätigt wird.8 Zwar scheint unter den Musiklehrenden mittlerweile offenbar eine prinzipielle Akzeptanz der Bedeutung digitaler Medien und des In-ternets für den Musikunterricht zu bestehen. Doch in der schuli-schen Praxis des Musikunterrichts bekommen diese Technologien trotzdem nur wenig Raum.9

Angesichts dieser problembelasteten Ausgangslage erscheint es essentiell, das Wesen des technologischen Wandels zu verstehen, der uns umgibt. Heutige digital vernetzte Technologien sind immer zentral mit Kommunikation, mit Interaktion und mit Kollaboration zwischen Menschen verbunden, eigenständig-kreatives Tun und Gestalten haben in dieser digitalen Welt einen hohen Stellenwert.10 Und – hier kommt die Anekdote vom jungen Beat-Boxer wieder ins Spiel – es ist damit das Potential einer Vielheit von Lernwegen im Spannungsfeld zwischen institutionellem und informellem Lernen verbunden. Solche Potentiale sind bislang musikpädagogisch noch zu wenig ausgelotet.

Mit Blick auf die Musiklehrendenbildung wird damit klar, dass die gesamtgesellschaftliche Bedeutung von Technologie für den Fachgegenstand Musik mehr als bisher in das Nachdenken über Aus- und Weiterbildungskonzepte hereingeholt werden muss. Zwei-fellos hat der Musikunterricht abseits vom Umgang mit dem Digita-len ganz viel zu bieten. Das sollte auch so bleiben, darf aber nicht als Vorwand dafür dienen, um den technologischen Wandel, der im ge-samtgesellschaftlichen Kontext so überdeutlich mit Musik zu tun hat, musikpädagogisch auszublenden. Dies hieße nämlich, ein für das Fach Musik bedeutsames Feld tendenziell anderen zu überlas-sen, wie etwa der Medienpädagogik, und so die Möglichkeit aus der Hand zu geben, bewusst für die Musikpädagogik zu bestimmen,

8 Z.B. Ahlers 2009 oder für die aktuelle Situation in Österreich Höfer 2016 9 Vgl. Höfer 2016

10 Vgl. Aigner 2017, S. 227 ff.

welche Aspekte von digitaler Vielheit für musikalische Bildung im 21. Jahrhundert bedeutsam und fruchtbringend sein können – und welche auch nicht.

Im Dokument Zum Stellenwert von Musik in der Schule (Seite 112-116)