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Standards und Professionalisierung der Fachkräfte

2 Diskussion zentraler Aspekte des B-KJHG 013

2.7 Standards und Professionalisierung der Fachkräfte

eingeführt (§ 9 B-KJHG). Wie bereits beschrieben, wurde als ein bereits in der Praxis etablier-tes Arbeitsprinzip das Vier-Augen-Prinzip bei der Gefährdungsabklärung und Hilfeplanerstel-lung im Gesetz festgeschrieben, welches sicherlich ebenfalls als ein zentraler Schritt in Rich-tung Professionalisierung und Standardisierung der fachlichen Arbeit der Kinder- und Jugend-hilfe zu interpretieren ist. In diesem Sinne ist auch auf die Präzisierung der Mitteilungspflicht im Rahmen der Gesetzesreform als einen weiteren rechtlichen Aspekt der Professionalisie-rung zu verweisen.

Aufgrund der Anforderungen, sich – in Bezug auf die Entwicklung bzw. Weiterentwicklung von fachlichen Standards für die tägliche Arbeit und Leistungserbringung der Mitarbeiter/innen der Kinder- und Jugendhilfe – an wissenschaftlichen sowie gesellschaftlichen Entwicklungen zu orientieren, überträgt der Gesetzgeber diese Aufgabe den zuständigen Ländern. Es kann keine Aufgabe eines Grundsatzgesetzes sein, laufend auf Entwicklungen zeitadäquat zu rea-gieren. Die Bundesländer sind aufgefordert, fachliche Standards für die Leistungserbringung zu erstellen und diese für Mitarbeiter/innen der öffentlichen, aber auch privaten Kinder- und Jugendhilfe rechtlich verbindlich zu machen. Die Standards sollen u. a. Angaben zu konkreten Handlungsabläufen, Entscheidungsfindungen, interdisziplinärer Zusammenarbeit sowie über die Möglichkeiten der Partizipation von Eltern, Kindern und Jugendlichen enthalten (siehe Staffe-Hanacek und Weitzenböck 2015: 24f sowie Erläuterungen zum Gesetz mit WFA: 17).

Um das professionelle Handeln der Fachkräfte zu strukturieren und die Qualität zu sichern, stehen in den jeweiligen Einrichtungen fachliche Standards in einem sehr hohen Ausmaß zur Verfügung. Neun von zehn fallführenden Sozialarbeiter/innen können bei den jeweiligen Kinder-

und Jugendhilfeträgern auf fachliche Standards für die Gefährdungsabklärung sowie für die Hilfeplanerstellung zurückgreifen. Schriftliche Standards zur Anwendung des Vier-Augen-Prin-zips stehen den fallführenden Sozialarbeiter/innen primär für die Gefährdungsabklärung zur Verfügung, deutlich weniger für die Hilfeplanerstellung.

Auch wenn Standards im Berufsalltag der fallführenden Sozialarbeiter/innen sehr hoch?? vor-handen sind, scheint der verbindliche Charakter der Standards zum Teil weniger gut kommu-niziert zu sein. So gibt immerhin ein knappes Fünftel der fallführenden Sozialarbeiter/innen an, dass die Standards zur Gefährdungsabklärung einen empfehlenden Charakter haben, obwohl diese laut Grundsatzgesetz verbindlich sind (Teilbericht 1: 67ff). Inwieweit dies auf einer Fehl-information der Sozialarbeiter/innen beruht oder die Standards seitens der Länder tatsächlich nicht verbindlich gemacht wurden, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden.

Je nach Bundesland fällt die Einschätzung der fallführenden Sozialarbeiter/innen über die Ver-bindlichkeit der Standards sehr unterschiedlich aus. So geben fallführende Sozialarbeiter/in-nen, etwa im Burgenland und in Tirol, in einem hohen Ausmaß an, dass in ihrem Bundesland Standards für die Gefährdungsabklärung vorliegen. Gleichzeitig besteht aber Unsicherheit darüber, ob diese einen verbindlichen Charakter haben bzw. nur eine Empfehlung sind. Bei den meisten Bundesländern zeigt sich in unterschiedlich hohem Ausmaß ein Aufklärungsbe-darf unter den fallführenden Sozialarbeiter/innen, dass die Standards für die Gefährdungsab-klärung und die Hilfeplanung einen verbindlichen Charakter haben.

Stehen Fachkräften fachliche Standards zur Verfügung?

Tabelle 4: Vorhandensein von fachlichen Standards für Gefährdungsabklärung und Hilfeplanung sowie die Einschätzung, ob diese einen verbindlichen Charakter haben oder nicht

Bundesland Gefährdungsabklärung Hilfeplanerstellung Standards

vorhan-den (Ja-Antworten in %)

Davon:

Standards haben verbindlichen

Charakter (Ja-Antworten in %)

Standards vorhan-den (Ja-Antworten in %)

Davon:

Standards ha-ben verbindli-chen Charakter

(Ja-Antworten in %)

Burgenland 86,7 53,8 71,4 40,0

Kärnten 75,0 69,0 71,8 85,2

Niederösterreich 100,0/ 85,7 97,2 82,9

Oberösterreich 91,9 78,5 95,8 90,9

Salzburg 90,6 88,9 84,4 85,2

Steiermark 98,0 91,8 92,0 87,0

Tirol 85,4 61,8 85,4 73,5

Vorarlberg 93,3 78,6 71,4 70,0

Wien 100,0 98,2 96,4 94,0

Quelle: ÖIF Befragung fallführende Sozialarbeiter/innen. Eigene Berechnung für den Bericht.

In Bezug auf die Kooperation mit der Kinder- und Jugendhilfe scheinen mitteilungspflichtigen Fachkräften etwas weniger häufig fachliche Standards zur Verfügung zu stehen. Knapp zwei Drittel der mitteilungspflichtigen Fachkräfte verfügen nach eigenen Angaben über schriftliche Standards, wann und wie eine Mitteilung bei Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung an die örtlich zuständige Kinder- und Jugendhilfe erfolgen soll. Innerhalb der Gruppe der mitteilungs-pflichtigen Fachkräfte gibt es je nach Profession deutliche Unterschiede diesbezüglich (siehe Kapitel 2.1 und Teilbericht 1: 69f).

Der Besuch von Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen spielt bei Fachkräften eine große Rolle und sichert somit u. a. deren Professio-nalität. Neun von zehn fallführenden Sozialarbeiter/innen und acht von zehn mitteilungspflichtigen Fachkräften haben in den letzten 12

Mona-Nehmen Fachkräfte Fort- und Weiterbildung in Anspruch?

ten vor dem Befragungszeitpunkt zumindest eine Fach- oder Weiterbildungsveranstaltung be-sucht. Fort- und Weiterbildungen werden von fallführenden Sozialarbeiter/innen in einem ho-hen Ausmaß in Anspruch genommen. Im der Befragung vorangegangenen Jahr besuchte ein Zehntel der fallführenden Sozialarbeiter/innen mehr als sechs Fort- und Weiterbildungen und ein weiteres knappes Drittel (29 %) vier bis fünf Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen27. Fallführende Sozialarbeiter/innen, die ab 2013 bei der Kinder- und Jugendhilfe tätig sind, fre-quentieren Fort- und Weiterbildung etwas häufiger als ihre Kolleg/innen, die schon längere Zeit in der Kinder- und Jugendhilfe tätig sind (siehe Teilbericht 1: 71f).

Die Inanspruchnahme durch mitteilungspflichtige Fachkräfte sowie das grundsätzliche Angebot von Supervision fallen je nach Profession sehr unterschiedlich aus. Für einige der befragten Fachkräfte (z. B. Lehr-kräfte, Elementarpädagog/innen, Mitarbeiter/innen der Exekutive) stellt

die Inanspruchnahme einer (regelmäßigen) Supervision keinen generellen Arbeitsstandard dar. Die Hälfte der mitteilungspflichtigen Fachkräfte hat in den vergangenen 12 Monaten vor dem Befragungszeitpunkt keine Supervision in Anspruch genommen, gegenüber einem Zehn-tel der fallführenden Sozialarbeiter/innen. Vor allem Fachkräfte aus dem Bereich der Pädago-gik, der Betreuung und Bildung von Kindern und Jugendlichen oder der Exekutive haben über-haupt keine Supervision in Anspruch genommen. Je nach Arbeitsbereich liegen die Angaben zwischen 68 % und 94 %, die keine Supervision in Anspruch genommen haben. Ganz anders verhält es sich mit Fachkräften aus dem Arbeitsbereich der Psychologie und Psychotherapie, wo alle Fachkräfte in den letzten 12 Monaten Supervision genutzt haben.

Bei fallführenden Sozialarbeiter/innen findet Supervision fast ausschließlich in regelmäßiger Form statt. Dies bedeutet, dass die Supervision mehrheitlich monatlich, oft mit einer ein- bis zweimonatigen Sommerpause, erfolgt. Die Supervisionen erfolgen zum überwiegenden Teil als Team-Supervisionen. Einzel-Supervisionen werden hingegen in der Berufspraxis der fall-führenden Sozialarbeiter/innen selten konsumiert (siehe Teilbericht 1: 75ff).

Die Kindeswohlgefährdung stellt ein sehr zentrales Thema bei Fort- und Weiterbildungen sowie im Rahmen der Supervision von Fachkräften dar. Bei rund zwei Drittel der besuchten Fort- und Weiterbildungen wird das Thema Kindeswohlgefährdung speziell angesprochen. Im Rahmen der Supervision ist es bei sieben von zehn fallführenden Sozialarbei-ter/innen immer oder meistens ein Thema sowie bei einem guten Drittel

der mitteilungspflichtigen Fachkräfte. Je nach Profession der mitteilungspflichtigen Fachkräfte wird das Thema der Kindeswohlgefährdung bei Fort- und Weiterbildungen unterschiedlich stark angesprochen. Besonders häufig berichten Sozialarbeiter/innen und Mediziner/innen, dass Kindeswohlgefährdung ein Thema besuchter Fort- und Weiterbildung war, deutlich sel-tener berichten Pädagog/innen in der Schule davon (siehe Teilbericht 1:73 und 76).

27Die Anzahl der besuchten Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen wurde bei mitteilungspflichtigen Fachkräften nicht erhoben.

Ist Kindeswohlgefähr-dung Thema bei Fort- und Weiterbildung so-wie in der Super-vi-sion?

Inwieweit steht Fach-kräften Supervision zur Verfügung?

Der Schutz von Kindern und Jugendlichen wurde dabei unterschiedlich thematisiert. Einerseits wurde der Blick auf das Erkennen bzw. die Diagnostik einer Gefährdung von Kindern und Ju-gendlichen gelegt. Andererseits wurden die Themen Gewalt an Kindern und JuJu-gendlichen in ihrer Vielfältigkeit sowie Gewaltprävention bearbeitet; so etwa auch im Kontext von Kindern und Jugendlichen bei psychisch und/oder suchtkranken Eltern, unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen oder grundsätzlich in Bezug auf Bindung zwischen Eltern und Kindern. Andere Themen, die im Rahmen von Fort- und Weiterbildungen durch fallführende Sozialarbeiter/in-nen bearbeitet wurden, waren beispielsweise: Interaktion mit Eltern sowie Kindern und Ju-gendlichen (z. B. Kommunikationstraining, Gesprächsführung, Mediation), Migration und Flüchtlinge (mit den Aspekten der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge), De-Radikalisie-rung von Jugendlichen, Arbeitsorganisation (z. B. Case-Management, Hilfeplanerstellung oder persönliches Stressmanagement) (siehe Teilbericht 1: 73f). Hier handelt es sich um Fortbil-dungen, die aus Sicht der Volksanwaltschaft (2017) sowie der Kinder- und Jugendanwaltschaft (2017) zu forciert sind.

Die Treffsicherheit sowie die Relevanz für den beruflichen Alltag der in Anspruch genommenen Fort- und Weiterbildung sowie der Supervision wird von fallführenden Sozialarbeiter/innen positiv bewertet (siehe Teilbericht 1: 78). Allerdings zeigt sich in Bezug auf die Weiterbildung und die Professionalisierung der

Fach-kräfte durchaus auch ein Modifikationsbedarf. FachFach-kräfte äußern primär den Bedarf an einem stärkeren und ausdifferenzierten Angebot an Fort- und Weiterbildungen sowie der Supervision bzw. der grundsätzlichen Möglichkeit, Supervision in Anspruch zu nehmen.

In Bezug auf die Ausdifferenzierung des Angebotes von Fort- und Weiterbildungen wird sei-tens der Fachkräfte angemerkt, dass sich dieses an gesellschaftlichen Entwicklungen orien-tieren und angepasst sein sollte sowie leichter und einfacher zugänglich und regional angebo-ten werden sollte. Aus Sicht der Fachkräfte könnangebo-ten Fort- und Weiterbildungen einerseits dis-ziplinübergreifend und andererseits gemeinsam mit öffentlicher und privater Kinder- und Ju-gendhilfe organisiert und durchgeführt werden. Dies würde eine gemeinsame Sichtweise und Sprache in diesem Thema unter allen Fachkräften (weiter)entwickeln. Fallführende Sozialar-beiter/innen sprechen sich zum Teil für eine verpflichtende Teilnahme an Fort- und Weiterbil-dungen aus.

Mitteilungspflichtige Fachkräfte sehen je nach Profession und Arbeitsbereich unterschiedli-chen Modifikationsbedarf. Wie bereits beschrieben, gehört Supervision für einige Fachkräfte nicht zum Arbeitsstandard professionellen Agierens. Insofern ist es nachvollziehbar, dass mit-teilungspflichtige Fachkräfte sich zum Teil grundsätzlich wünschen, Supervision kostenlos und verpflichtend angeboten zu bekommen und diese auch in Anspruch nehmen zu können. Fall-führende Sozialarbeiter/innen sprechen unterschiedliche Aspekte an, wie der Umgang mit Su-pervision in der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe verbessert werden könnte. So könnte Supervision regelmäßiger angeboten und die jährliche Bewilligung bzw. die Bewilligung von Einzelsupervision erleichtert werden. Zudem könnte das Angebot flexibler gestaltet werden, d.

h. dienstübergreifend oder eine freie Auswahl der Supervisor/innen. Auch die verpflichtende Welche Wünsche haben Fach-kräfte in Bezug auf Fort- und Weiterbildungsangebote sowie die Supervision?

Teilnahme an der Supervision wird angesprochen, und zwar nicht nur für Berufseinsteiger/in-nen, sondern für alle, auch für Führungskräfte (siehe Teilbericht 1: 116f, 128f und 138f).

Disziplinübergreifende Fortbildungen werden auch in einem Bericht zur wissenschaftlichen Aufarbeitung von Kindesmisshandlungsfällen gefordert (Kinder- und Jugendanwaltschaft Kärnten 2017; Liebhauser/Schmidt 2017). Als mögliche Themen werden diagnostisches Ba-siswissen zu Risikodimensionen und Risikokonstellationen vorgeschlagen sowie Fallwerkstät-ten zur Stärkung der HandlungskompeFallwerkstät-tenz bei der Wahrnehmung von Gefährdungssignalen.

Des Weiteren sollten Kenntnisse über Fachstellen, Ansprechpartner/innen sowie deren Rol-len-, Zuständigkeits- und Aufgabenverteilung und das Wissen über Prozessabläufe vermittelt werden.