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Sprachinsel- und Interethnische Forschung

M enschen unterwegs

1. Sprachinsel- und Interethnische Forschung

„A m 27. September 1893 feierten Stadt und Land Gottschee in jubelnder Stimmung ein Fest von weittragender Bedeutung: die Er­

öffnung der Bahnstrecke. Ein wichtiger Einschnitt in der Geschichte der Sprachinsel; denn nun ist die Zeit ihrer Abgeschlossenheit vor­

über, nun wird sie in den allgemeinen W eltverkehr m it einbezogen, der neben reichlichem Segen wohl auch m anche Gefahr in sich birgt.

Die Gottscheer, die sich über ein halbes Jahrtausend unter schwieri­

gen Verhältnissen Sprache und Sitte der Väter bewahrt haben, werden jetzt stärker denn je fremden Einflüssen ausgesetzt“4.

Was A dolf Hauffen im Jahr 1895 im Vorwort zu seiner um fangrei­

chen M onographie über die Gottscheer schreibt, ist in m ehrerer Hinsicht geeignet, bestimmte volkskundliche Forschungstraditionen zu erläutern. So wird der Begriff der Sprachinsel zuerst in der Sprach­

wissenschaft des 19. Jahrhunderts in einem durchaus engen und auch pragm atischen Verständnis benutzt. Die sogenannte Sprachinsel- Volkskunde ist dagegen eine sich zwischen beiden W eltkriegen durchsetzende Forschungsrichtung, welche sich der in der Regel in keiner Weise ideologiefreien Erkundung deutscher M inderheiten­

gruppen im Ausland widmet. Regionale Schwerpunkte dieser For­

3 W enning (w ie A n m . 1), S. 13.

4 H a u ffen , A dolf: D ie d e u tsc h e S p ra ch in sel G ottsch ee. G e sc h ich te u n d M u n d art, L eb e n sv e rh ä ltn isse , S itten u n d G e b räu ch e, Sagen, M ärch en u n d L ieder. G raz 1895, S. V II.

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schungsrichtung sind Ost- und Südosteuropa; konkret geht es um Donauschwaben, Gottscheer und Siebenbürger Sachsen, um nur ei­

nige dieser M inderheiten-Gruppen zu nennen. Die Kritik an diesen Forschungen faßt Annem ie Schenk zusammen:

„D er Einordnung der deutschen Gruppen in Ost- und Südosteuropa nach dem nationalsprachlichen Kriterium lag eine Überbewertung eines einzelnen kulturellen Kennzeichens, nämlich des der Sprache, zugrunde. Die im Bild von der Sprachinsel evozierte Vorstellung verkannte die Lebensverhältnisse ihrer Bevölkerung gründlich. Sie ließ außer Betracht, daß diese Gebiete stets auch Zonen des Kontakts waren und ihre unterschiedlichen Bewohner in vielfältigen Beziehun­

gen zueinander standen, sich auf vielen Ebenen ein Wechselspiel des kulturellen Austausches ergab. Im Zusammenleben m it den anderen Völkerschaften in ihren neuen Siedlungsräumen hatten die Nachkom ­ men der einstmals Ausgewanderten eine eigene Identität entwickelt, wie sie sich nur im Spannungsfeld von Landschaften m it ethnisch gem ischter Bevölkerung entfalten konnte“5.

A dolf Hauffen bezieht sich in seiner M onographie durchaus auf die die deutsche Sprachinsel Gottschee umgebende M ehrheitsgesell­

schaft bzw. deren Kultur, dies allerdings eher in Fußnoten als im Text, dies durch Bem erkungen wie „Ebenso bei den Südslawen“ oder durch entsprechende Literaturhinweise, wobei hinzuzufügen ist, daß diese Ausgrenzung der M ehrheitskultur in keiner Weise in polem i­

scher oder gar aggressiver M anier geschieht6.

Ein derartiges Herangehen an das hier zur Debatte stehende Thema soll anderen Vorbehalten sein, nämlich nach 1918 den (unter anderem auch volkskundlichen) Theoretikern des sogenannten Grenz- und Auslandsdeutschtum s. Zu welch m aßloser Ü berheblichkeit diese Forschungsrichtung neigt, läßt sich etwa bei Max H ildebert Boehm oder W olfgang Treutlein nachlesen7. Deutlich wird dort die volks­

kundliche Forschung aufgefordert, sich in den D ienst der nationalso­

5 S ch en k , A n n e m ie : In te re th n isc h e F o rsch u n g . In: B red n ich , R o lf W. (H g.):

G ru n d riß d e r V olkskunde. E in fü h ru n g in die F o rs ch u n g s feld er d e r E u ro p äisc h en E th n o lo g ie. B e rlin 1988, S. 2 7 3 -2 8 9 , h ie r S. 278.

6 H a u ffen (w ie A nm . 4), S. 89.

7 B o e h m , M ax H ild eb e rt: D as V olkstum d er G ren z- u n d A u sla n d d e u tsch e n . In:

P eß ler, W ilh elm (H g.): H a n d b u c h d e r d e u tsch e n V olkskunde. 3 B d e. B d. 1.

P o tsd a m 1934, S. 1 7 0 -1 8 2 . - T reu tlein , W olfgang: D e r E in satz d er V olkskunde in d e r A rb e it am G ren z- u n d A u slan d sd eu tsc h tu m . In: O b e rd eu tsc h e Z e itsc h rift fü r V o lk sk u n d e 8, 1934, S. 1 0 9 -1 1 3 .

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zialistischen Ideologie und der Expansionspolitik Hitlers zu stellen, wobei man stets davon ausgeht, daß die zu Untersuchenden in einem perm anenten Konflikt mit der ausländischen M ehrheitsgesellschaft stehen, in dem es durch Selbstbehauptung, Abgrenzung und Verteidi­

gung m aterieller und imm aterieller Werte und Interessen zu überleben gilt.

Was Wunder, daß sich im Zuge des inhaltlichen und m ethodologi­

schen Umbruchs in der Disziplin Volkskunde um die Wende von den 60er zu den 70er Jahren eine Forschungsrichtung herausbildet, näm ­ lich die Interethnische Forschung, die von vornherein das M oment des Zusammenlebens voraussetzt und nicht, auf der ideologischen Ebene, von Untergangsängsten gepeinigt ist. Entsprechende Studien haben dann Kulturbeziehungen oder interethnische Beziehungen im Blick; sie erforschen nicht mehr „D ie deutsche Sprachinsel Gott­

schee. Geschichte und Mundart, Lebensverhältnisse, Sitten und Ge­

bräuche, Sagen, M ärchen und Lieder“8, sondern „Fam ilie und Woh­

nen in Stolzenburg. Eine Untersuchung bei Sachsen und Rumänen in einem siebenbürgischen D orf“9.

Annem ie Schenks Stolzenburg-Studie aus dem Jahr 1984 geht es darum, soziokulturelle W andlungserscheinungen für die Zeit von der Jahrhundertwende bis in die Gegenwart sichtbar zu machen, wobei sie als Indikatoren für diese W andlungserscheinungen das Fam ilien­

leben und, eng damit im Zusammenhang stehend, das Wohnen aus­

wählt. Hintergrund dieser Überlegungen bildet der Übergang von der durch die Fam ilienwirtschaft bestimmten dörflichen Sozialordnung zur tendenziell urbanen sozialistischen Industriegesellschaft. Die Studie geht selbstverständlich nicht von der ideologischen Prämisse aus, die deutschsprachigen Bevölkerungsgruppen im Ausland lebten dort isoliert und vereinzelt inmitten einer fremden Umwelt. Im Ge­

genteil, sie basiert auf den Erkenntnissen, daß die betreffenden Sied­

lungsgebiete stets auch interethnische Kontakt- und Austauschzonen darstellen, mehr noch, daß ethnische Gruppen weniger abgegrenzte Sozialgebilde als vielmehr durchaus offene Systeme, je nach sozia­

lem und ökonomischem Kontext, bilden10. Genau dieser Ansatz qua­

8 H au ffen (w ie A nm . 4).

9 S ch en k , A n n em ie: F a m ilie u n d W ohnen in Sto lzen b u rg . E in e U n te rsu ch u n g bei S ach sen u n d R u m än e n in ein em sie b en b ü rg isch en D o rf. K ö ln /W ien 1984 (= S tu- d ia T ran sy lv a n ic a 10).

10 S ch en k (w ie A nm . 9), S. 2.

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lifiziert die Studie als paradigmatisch für die ganze Forschungsrich­

tung, dies ungeachtet jenes Kritikpunktes, daß die Interethnische Forschung allzusehr von einem zu konfliktfreien Handlungs- oder Verhaltensmodell auszugehen scheint, wenn sie das Zusammenleben von verschiedenen Bevölkerungsgruppen analysiert; was sich insge­

samt jedoch nachvollziehen läßt, wenn man sich daran erinnert, daß

die im wesentlichen von Ingeborg Weber-Kellermann und Annemie

Schenk im Rahmen der Disziplin Volkskunde entwickelte Interethnik

angetreten ist, ein Gegengewicht zur früheren, in vielen Hinsichten

einseitigen, Sprachinsel-Volkskunde zu präsentieren.