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Schließung von drei Wohngemeinschaften

2.4 Kinder- und Jugendhilfe

2.4.3 Schließung von drei Wohngemeinschaften

Die VA führte ein amtswegiges Prüfungsverfahren im Zusammenhang mit der Schließung von drei Wohngemeinschaften (WG) eines Trägers in NÖ durch.

Die Prüfung ergab, dass der Widerruf der Eignungsfeststellung und die Auflö-sung der Verträge aufgrund der Ergebnisse einer Sonderkommission gerecht-fertigt waren. Im Zuge der Prüfung zeigte sich allerdings, dass die Aufsichts-behörde über die meisten Missstände schon vorher informiert war und nichts oder zu wenig übernahm, diese abzustellen.

Bereits im Jahr 2012 gab es die ersten Berichte an die Aufsicht über völlig inadäquate Fixierungsmaßnahmen an Kindern und Jugendlichen. Die Min-derjährigen wurden laut Augenzeugen zu Boden geworfen, auf den Boden gedrückt und stundenlang festgehalten. Ein Jugendlicher wurde solange am Boden fixiert, bis er urinierte, und danach kalt abgeduscht. Massive körper-liche und sexuelle Übergriffe zwischen den Jugendkörper-lichen konnten von den Betreuerinnen und Betreuern aus Überforderung und aufgrund mangelnder Qualifikation bzw. Unterbesetzung nicht verhindert werden.

In allen drei WGs gab es unzulässige Sanktionen: Minderjährige erhielten als Strafe mehrere Tage nur Wasser und Brot. Weitere Strafmaßnahmen waren das Abrasieren der Haare und kaltes Duschen. Ein Minderjähriger durfte zur

Maßnahmen reichten nicht aus

Behörde unterließ maß-gebliche Erhebungen

Aufsichtsbehörde war über die Missstände informiert

Missbräuchliche Fixierungen

Erniedrigende Behandlung

Strafe nur eine Unterhose anhaben, wenn er in seinem Zimmer war. Er bekam Sprechverbot und musste bei Ausgängen an der Seite eines Betreuers bei Fuß gehen und mit dem Gesicht zur Wand essen. Der Aufsicht hätte bei den Besu-chen auffallen müssen, dass in den WGs Strafen angewendet wurden, die das Ausmaß der unmenschlichen, erniedrigenden Behandlung erreichten.

Über einen längeren Zeitraum arbeitete in den WGs Personal, das die nach den gesetzlichen Bestimmungen und dem Bewilligungsbescheid erforderli-chen Ausbildungskriterien nicht erfüllte. Weiters gab es einen permanenten Personalnotstand und eine über das übliche Maß hinausgehende Fluktuation.

Die Fachaufsicht veranlasste keine Maßnahmen zur Behebung dieser alar-mierenden Personalsituation. Sie begnügte sich mit der Zusicherung der Lei-tung, dass die Personen ohne qualifizierte Ausbildung nicht für Nachtdienste bzw. eigenverantwortliche Dienste eingeteilt werden würden. Kontrolliert wur-de dies im Rahmen wur-der Aufsicht nicht. Die verbleibenwur-den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bauten eine sehr hohe Anzahl an Überstunden auf, eine Mit-arbeiterin hatte im November 2017 über 1.000. Zum Abbau der Überstunden wurden Jugendliche regelmäßig nach Hause mitgenommen oder sogar in den privaten Urlaub, sodass es zu einer Vermischung von Beruf und Privatem kam.

Obwohl das Team in sozialtherapeutischen WGs eine Psychotherapeutin oder klinische Psychologin haben muss, wurde diese Bestimmung nicht erfüllt. Ei-nige der für die Psychotherapien der Kinder eingesetzten Therapeutinnen und Therapeuten waren noch in Ausbildung, obwohl dies nach dem Gesetz nicht erlaubt war. Fort- und Weiterbildungen innerhalb des Vereins wurden von Mit-arbeitern angeboten, die selbst nicht über entsprechende qualifizierte Ausbil-dungen verfügten.

Nach der Bewilligung hätte es in einer WG permanente Doppeldienste am Tag geben müssen. Dennoch war immer nur eine Person im Dienst anwesend, die zweite hatte nur Bereitschaftsdienst. Als die WG unbesetzt war, weil die dienst-habende Betreuerin ein Mädchen abholen musste, machte eine Jugendliche einen Suizidversuch.

In dieser WG hätten die Kinder und Jugendlichen nach dem Bewilligungsbe-scheid über sechs Monate in der WG stabilisiert werden sollen und danach in eine Gastfamilie wechseln sollen. Da meistens keine Gastfamilie zur Verfü-gung stand, verblieben sie in der WG. Ein Mädchen lebte zum Zeitpunkt des Besuches schon drei Jahre dort. Mehrere Jugendliche wurden mit Bewilligung des Landes bei Gastfamilien untergebracht, ohne dass eine Stabilisierung in der WG erfolgt war, oder kamen aus anderen WGs, wo sie wegen ihrer Verhal-tensauffälligkeiten nicht mehr betreut werden konnten.

Die Fachaufsicht stimmte der Überschreitung der Gruppenhöchstzahl und der Unterschreitung der Altersgrenze zu, obwohl ihr der permanente Personalnot-stand bekannt war und es sich um keine kurzfristige Überschreitung handelte.

Unausgebildetes Personal

Therapeuten ohne abgeschlossene

Aus-bildung

Bereitschaft statt Doppelbesetzung

Ab 2017 wurde ein Security-Dienst in der Betreuung eingesetzt, ohne dass ein bewilligtes Konzept vorlag. Diese Mitarbeiter beschränkten sich nicht darauf, durch Präsenz eskalierende Situationen zu unterbinden, sondern führten bei den Jugendlichen selbst Fixierungen durch. Am Standort einer WG wurde eine Individualbetreuung eingesetzt, für die vom Kinder- und Jugendhilfeträger ein Tagsatz von 1.100 Euro bezahlt wurde. Eine Eignungsfeststellung wurde nicht durchgeführt. Auch hier waren die Mitarbeiter nicht für die Einzelbetreuung qualifiziert. Es herrschte permanenter Personalnotstand sowie ein sehr hohe Fluktuation.

Die Betreibergesellschaft hatte trotz der hohen Tagsätze mit massiven finan-ziellen Problemen zu kämpfen und zahlte die Gehälter der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmäßig verspätet aus. Oft gab es kein Wirtschaftsgeld in den WGs, sodass die Mitarbeiter mit ihrem privaten Geld einkaufen gehen mussten. Auch dagegen wurden von der Kinder- und Jugendhilfe keine geeig-neten Maßnahmen ergriffen bzw. wurde die korrekte Verwendung der Tagsät-ze nie überprüft.

Nachdem diese Missstände von der Sonderkommission aufgedeckt worden wa-ren, schloss die Kinder- und Jugendhilfe unverzüglich die Einrichtungen und überstellte die Kinder und Jugendlichen in andere Einrichtungen. Die von der VA im Rahmen des OPCAT-Mandats eingesetzten Kommissionen besuchten die Folgeeinrichtungen und befragten dort die Kinder und Jugendlichen sowie das Personal. Aus den übereinstimmenden Aussagen ergab sich, dass die Überstel-lung völlig unerwartet für die Minderjährigen und die Einrichtungen kam.

Die Minderjährigen gaben an, dass sie ihre WGs nicht verlassen wollten und ihnen niemand erklärt habe, warum diese geschlossen wurden. Sie beklagten auch, dass sie sich von den Betreuerinnen und Betreuern nicht verabschieden konnten und nicht wüssten, ob sie ihre ehemaligen Kolleginnen und Kollegen der WG wiedersehen werden. Auch über den Ablauf der Überstellungen äu-ßerten sie sich sehr negativ. Es seien nach Angaben der Jugendlichen plötzlich 15 fremde Personen aufgetaucht, sieben davon Zivilpolizisten und zwei Poli-zisten in Uniform sowie einige Sozialarbeiterinnen, was ihnen Angst gemacht habe.

Die Betreuerinnen und Betreuer berichteten, dass die Kinder anfangs in ei-ner Schockphase gewesen seien. Zwei Kinder hätten in diesem Ausnahmezu-stand auf der Kinder- und Jugendpsychiatrie aufgenommen werden müssen.

Sie selbst seien erst am Vormittag des Überstellungstages informiert worden, dass Jugendliche von einer anderen Einrichtung kommen würden und hätten keinerlei Vorinformation gehabt, auch nicht hinsichtlich der Medikamente.

Ein Jugendlicher, der bis zu diesem Zeitpunkt Individualbetreuung erhalten hatte, sollte in eine Gruppe integriert werden, was nicht möglich war. Um den hohen Betreuungsaufwand überhaupt gewährleisten zu können, mussten Gruppen geschlossen und zusammengelegt werden und Personalressourcen

Security übernimmt Betreuung

Kinder nicht auf Über-siedlung vorbereitet

Posttraumatische Belas-tungsstörungen

aus anderen Landesheimen angefordert werden. Der Jugendliche war wegen der häufigen Wechsel der Betreuungspersonen sehr oft abgängig.

Die Kommissionen der VA stellten bei den interviewten Kindern eine deutliche posttraumatische Belastungsstörung fest. Die Vorgangsweise bei der Überstel-lung hatte zu einer weiteren Traumatisierung geführt, da gerade Kinder und Jugendliche mit bereits bestehenden psychischen Problemen, Ängsten oder Bindungsstörungen durch derartige massive Interventionen weiter verstört und verunsichert werden. Beanstandet wurde auch, dass die Überstellung im Beisein der Polizei stattfand, was wieder ein traumatisierendes Erlebnis be-deutete. Im Zusammenhang mit der Unterbringung der Minderjährigen in neuen Einrichtungen wurden sowohl die UN-KRK als auch das BVG über die Rechte von Kindern missachtet.

Die VA regte an, die Vorkommnisse am Tag der Überstellung mit den Kindern und Jugendlichen aufzuarbeiten, ihnen eine strukturierte Verabschiedung von den früheren Betreuungspersonen zu ermöglichen und Kontakte zu den früheren Kolleginnen und Kollegen der WG wieder herzustellen. Außerdem müssen Maßnahmen ergriffen werden, dass sich die Schließung einer Ein-richtung der Kinder- und Jugendhilfe in dieser Art und Weise nicht wieder-holen kann.

Einzelfall: VA-NÖ-SOZ/0176-A-1/2017; LAD1-BI-189/137-2017