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Romakulturarbeit im Amerlinghaus

Im Dokument Roma, Sinti und … (Seite 103-108)

Christa Stippinger

im Amerlinghaus werden sollte, denn schon bald begann ich, ein-mal im Jahr die neuesten Bilder Ceija Stojkas in Ausstellungen zu zeigen, ihr Schaffen also regelmäßig zu dokumentieren. Mit ei-nem großen Romafest im Hof des Amerlinghauses, immer am letzten Samstag im September als Auftakt, wurden von nun an jährlich ihre Aquarelle, Ölbilder und Tuschezeichnungen gezeigt.

Und es ist unglaublich, wie sich die Malerin Ceija Stojka, die Au-todidaktin, die erst im Alter von fast sechzig Jahren zum ersten Mal mit Pinsel und Wasserfarben zu hantieren begann, entwi-ckelt hat. Ausgehend von naiven Darstellungen ihrer Kindheits-erinnerungen hat Ceija Stojka heute zu einem unerhört freien, si-cheren Strich, zu Klarheit und Reduktion und zu beeindrucken-der Farbsicherheit gefunden. Mit ein paar Tuschelinien lässt sie Verfolgung, mit ein paar monochromen Pinselstrichen auf einer umgedrehten Postkarte die Steinbrüche von Auschwitz, mit ein paar Farbtupfern in Erd- und Grautönen die Internierten in Block 10 entstehen. Aufregende Bilder, die eine Öffentlichkeit brauch-ten und brauchen. Doch es schien mir wichtig, Ceija Stojka, ihre Kunst und Persönlichkeit und die Geschichte der Roma nicht nur einem Galerienpublikum, sondern vor allem auch SchülerInnen nahe zu bringen. Der Vormittag eines Malworkshops mit Ceija Stojka im Amerlinghaus begann und beginnt jeweils mit einer Führung durch ihre Ausstellung. Ceija Stojka führt die SchülerIn-nen von Bild zu Bild und erläutert und ergänzt. Sie erzählt vom Leben der fahrenden Roma, von ihrer tiefen Verbundenheit mit der Natur, aus der sie auch die Kraft zum Überleben schöpften.

Ein Baum in Auschwitz, dessen Blätter sie aß, sagt sie, hätte ihr das Leben gerettet. Dies sei auch der Grund, warum sie ihre Bil-der immer auch mit einem Zweig signiere. „Ich halte mich gern an einem Baum an.“, sagt Ceija Stojka, oder „Auschwitz ist mein Mantel, Bergen-Belsen mein Kleid und Ravensbrück mein Unter-hemd.“

Als Kind zusammen mit ihrer Familie von den Nazis in drei Vernichtungslagern festgehalten, aus denen sie schließlich befreit werden konnte, hat diese Frau jungen Menschen heute unglaub-lich viel zu sagen. Und kaum ein Vormittag, an dem nicht zumin-dest die Hälfte der Klasse in den Bann ihrer Persönlichkeit, ihrer Direktheit, ihrer Offenheit und Überlebenskraft gerät. Oft

scha-ren sich die SchülerInnen eng um sie, rücken immer näher an sie heran, umarmen sie und bekunden ihr so ihre Betroffenheit. Ceija hat im Laufe der Jahre viele hundert SchülerInnen aus Sonderpä-dagogischen Zentren, Volks-, Haupt- und Mittelschulen durch ihre Ausstellungen geführt und immer wieder war ich begeistert von ihrer Fähigkeit, ihre Geschichte und die Geschichte ihrer Fa-milie stellvertretend für die Geschichte der Roma hautnah und berührend zu erzählen, von ihrer Fähigkeit auch, die jungen Menschen im Innersten zu erschüttern und dann wieder aufzu-fangen. In den Malworkshops, die wir an die Führung anschlie-ßen, haben die SchülerInnen dann Gelegenheit, ihre Eindrücke zu verarbeiten. Ceija Stojka fordert sie auf, das, was sie an ihren Bil-dern oder Geschichten am meisten berührt, zu malen. Es entste-hen die unterschiedlichsten Arbeiten. Sehr oft Nazisymbole, vor dunklem, bedrohlichen Hintergrund, oder Romawagen und Pferde, die den Wagen ziehen, Felder, Bäume, Früchte. Soldaten mit Gewehren, dunkle Vögel, blattfüllend, der Appellplatz, Sta-cheldraht, Schäferhunde, Wächter und Wächterinnen mit Peit-schen und dann doch ein Sonnenaufgang oder ein Weg aus dem Dunkel. Ceija geht in ihrem weißen Malmantel von Tisch zu Tisch, spricht mit den SchülerInnen, hilft ihnen, malt auch selbst ein bisschen mit, bespricht die Arbeiten. Ein paar Wochen später werden dann die so entstandenen Bilder der SchülerInnen im Amerlinghaus ausgestellt und die SchülerInnen kommen noch einmal zu einem Romakinderfest, um Ceija Stojka ihre Eindrücke von der ersten Begegnung zu vermitteln, und um ihre eigenen Bilder in einer Ausstellung zu präsentieren.

Ceija Stojka war Anlass und Ausgangspunkt für alle weiteren Romaprojekte des Vereins Exil im Amerlinghaus. Für das große Romafest, für die Workshops mit Kesselschmieden und Musi-kern, für Konzerte von Romamusikensembles, Romadramatike-rInnenworkshops, einen Romastückewettbewerb und Publikati-onen von Texten von RomaautorInnen in der edition exil. Seit 2001 hat der Verein Exil auch seine eigene Romatheatergruppe, das roma.theater.exil. Mehrere Produktionen wie die Komödien

„Der Schnurrbart“, „Armer, reicher Zigeuner“, und „Cirvo, der Taufpate“ wurden im Amerlinghaus erarbeitet und gespielt und von dort ausgehend auch in Oberwart, in Bratislava und in

meh-reren Städten und Schulen in Schweden für Abendpublikum und Schulklassen gezeigt. Jeweils im Anschluss an die eigentliche Vorstellung gab es Mitspielworkshops für SchülerInnen. Interes-sierte und Spielfreudige konnten eine Rolle auswählen, in das Kostüm der Figur schlüpfen und unter Anleitung der Schauspie-lerInnen eine Szene des Stückes nachspielen, das sie gerade gese-hen hatten. Danach war Zeit für Diskussion und Gespräch mit dem Ensemble. Sehr oft kam es bei diesen Workshops – meist dann, wenn wir in Wien vor HauptschülerInnen spielten – zu aufregenden Entwicklungen. Romajugendliche, die bis dahin ihre Zugehörigkeit zum Volk der Roma verschwiegen hatten,

„outeten“ sich jetzt plötzlich als Roma. Sie hatten die Sprache der Roma als Kunst-, als Bühnensprache erfahren und waren hier, vielleicht zum ersten Mal, stolz darauf, die den anderen fremde Sprache, ihre Muttersprache, das Romanes, zu beherrschen und über ein den anderen unbekanntes Volk, ihr Volk, Auskunft ge-ben zu können. In Vorstellungen vor SchülerInnen in Bratislava kam es dagegen im Anschluss an die Aufführungen von „Cirvo, der Taufpate“ meist zu heftigen Diskussionen zwischen Schüle-rInnen und dem Ensemble. Der massiv vorgebrachte Hass gegen Roma, die starken Vorurteile, die den RomaschauspielerInnen in der Slowakei von GymnasiastInnen entgegenschlug, waren scho-ckierend und lösten zudem mitunter Schreiduelle zwischen den SchülerInnen aus, motivierten aber auch die positiv denkenden SchülerInnen zu mehr Stellungnahme für die Roma. Kleine An-sätze, kleine Erfolge, die uns ermutigen weiter zu arbeiten.

Derzeit bereitet der Verein Exil mit seinem roma.klang.theater unter dem Titel „Auschwitz ist mein Mantel“ eine Hommage an Ceija Stojka vor, die Präsentation einer Komposition des Roma-komponisten Koloman Polak. Denn auch Koloman Polak, der junge Rom aus der ostslowakischen Stadt Kosice ist, wie könnte es anders sein, fasziniert von Ceija Stojka, ihren Bildern, ihren Bü-chern, ihrer Persönlichkeit. Mit seiner Musik, zeitgenössischer Musik, schwieriger Musik, mit Musik für ein Streichquartett, So-pran, einen Chor und ein von ihm neu zusammengestelltes „Ro-mainstrumentarium“ will Koloman Polak, der erste und bislang einzige Rom, der an der Hochschule für Musik Komposition stu-diert, Ceija Stojka würdigen.

Ceija Stojka. Zeitzeugin, Malerin, Dichterin

Ceija Stojka wurde am 23. Mai 1933 in einem Dorfgasthof in Kraubath in der Steiermark in einer Familie fahrender Lowara, in einer Romafamlie geboren. Als Kind wurde sie mit ihrer Fami-lie in die Konzentrationslager Bergen-Belsen, Ravensbrück und Auschwitz deportiert. Der Vater und der jüngste Bruder wurden von den Nazis ermordet. Zwei Brüder, zwei Schwestern, Ceija und die Mutter überlebten die Todeslager.

Nach dem Krieg nahm sie mit der Mutter das Leben der Fah-renden wieder auf. Doch mit dem Aufkommen der Traktoren war den Lowara, früher Pferdehändler, die Grundlage ihrer Existenz entzogen. Die Familie lebte nun in Wien, zuerst noch in Wohnwa-gen, später erst in einer Wohnung. Ceija arbeitete als Marktfahre-rin und TeppichverkäufeMarktfahre-rin.

1988 schrieb sie ihr erstes Buch „Wir leben im Verborgenen“

(Picus Verlag, Wien), in dem sie als erste Romni von den unfass-baren Schrecken in den Lagern berichtete. Die Vernichtung der Roma und Sinti war bis dahin in der Aufarbeitung des Holocaust in Österreich kaum Thema gewesen. Das Buch trug maßgeblich bei zur Emanzipationsbewegung der Roma in Österreich. 1992 folgte ihr zweites Buch „Reisende auf dieser Welt“ (Picus Verlag).

Ceija Stojka erzählt darin vom Leben der Roma nach den Lagern.

1988 hat sie zu malen begonnen. Seither sind ihre Bilder in zahl-reichen Ausstellungen in Österreich, Deutschland, Polen, der Schweiz, Japan und in den USA gezeigt worden. 1993 erschien der Gedichtband „Meine Wahl zu schreiben – Ich kann es nicht.“

(Gedichte Romanes, deutsch) und Bilder im Verlag EYE (Lyrik der Wenigerheiten). Ceija Stojka lebt in Wien.

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