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Literatur der Volkskunde

Österreichische Zeitschrift fü r Volkskunde Band LIII/102, Wien 1999, 67-109

68 L iteratur der Volkskunde ÖZV L III/102 G esc h ic h te re ic h t in die A ufklärung zurück, setzt in einem n euen V erständ­

nis d er A rb e it ein, dem auch p äd ag o g isch e und sc h ein b a r p h ila n th ro p isc h ­ v ern ü n fteln d e P ro g ram m atik d er A rb eitsan stalten g esch u ld e t ist und das sich d urch das 19. Ja h rh u n d e rt hin d u rch zieht, bei W ilhelm H einrich R iehls k u ltu ra lisie rtem A rb e itsb e g riff in n e h ält und dann in v ö lkischen M ilieu s der 1920er Jahre, beim H eim atsch u tz etw a oder bei den A rtam anen, bei denen sich H im m ler un d H öß k en n e n le m en und bei denen vom A del der G em e in ­ sc h aftsa rb e it die R ed e ist, m ündet. D iese R ede vom A del d er A rb e it findet sich auch beim R eich sarb eitsd ien st.

A rb e it als d eu tsch e A rbeit, d a ra u f hat schon R einhard Jo h le r h in g e w ie ­ sen, m ach t ein e S pezifik des D eu tsch en im Ö sterreich d er E rsten R e publik aus. U nd h ie r ta u ch t 1922/24, in d er E m b lem atik d er P ap ierm ark en der, v ö lk isch e r A rb e it v erp flich teten , S chul vereine - so lch erart in g ew isser W ei­

se als M erk m al des D eutschen in Ö sterreich e th n isie rt - , auch je n e r B eleg der D evise „ A rb e it m ach t fre i“ auf, d er - so B rü ck n e r - „ e n d g ü ltig zü n d e ­ te “ .

D ie D ev ise g eh ö rt da in das völkische, freirelig iö se, n atio n ald eu tsc h e U m feld d er E rsten R epublik, a u f das Johler, N ikitsch und Tschofen in der A u sstellu n g Uber das „S c h ö n e Ö ste rreich “ h ingew iesen haben. U nd so en steh t bei d er L ektüre, fast n ebenbei, ein dichtes B ild des Ö sterreich nach dem E rsten W eltkrieg, vor allem d er 1920er Jahre und seiner S ch u tzv erein e und deren Q u erv erb in d u n g en , die m an heute als ein w eitv erzw eig tes, v ö l­

k isc h -n a tio n a le s N etzw erk antisem itischer, arisc h er B ün d e b ezeich n en w ü r­

de. In ih rem engeren und w eiteren U m g riff tauchen die g roßen N am en des F aches auf, G eram b m it d er „ S ü d m a rk “ oder W opfner („T iro ls E ro b eru n g d urch d eu tsch e A rb e it“ , 1922) und auch d ie fleißigen, w irren A pologeten des G erm an isch en w ie F ranz X av er K ießling (den H erm ann S tein in g er klug ch a rak te risiert hat).

A u fg e re g te gute M enschen m ag es blasp h em isch anm uten, daß W olfgang B rückner, d er sich h ie r ganz ausdrücklich als K u ltu rw isse n sch a ftler v ersteht und sein V erfahren als ein k u ltu rw isse n sch a ftlic h es p räsen tiert, w eit und ruhig ausgreift. A b er das ist w ohl notw endig, w enn es darum geht, die V erpro testan tisieru n g k ath o lisc h er M ilieu s im V erlauf d er M o d e rn isieru n g s­

p ro ze sse des 19. Ja h rh u n d e rts m it ih rer E th n isieru n g der A rb eit als M u tte r­

b oden fü r d ieses D enken zu erkennen un d anderseits zu zeigen, w ie eine zy n isch e und m e n sch e n v erac h ten d e W endung die D evise zu dem w erden ließ, w as sie h eu te rep räsen tiert.

D ie D ev ise hat, so ze ig t B rückner, eine V orgeschichte, d ie m it d e r R olle und d e r neuen B ew ertu n g d er A rb e it in den letzten 200 Jahren v erk n ü p ft und die in w ech seln d e Ideologien gegossen w orden ist. D ie zw eite Idee, die näm lich d er F reih eit, h ält B rü ck n e r au sdrücklich kurz. An ih r ließe sich

1999, H eft 1 L iteratur der Volkskunde 69 freilich das V erfahren d er Indiv id u alisieru n g , der A utopoesis des M enschen, die etw a auch im M arxism us ein R olle spielt, m it der A rbeitsauffassung abgleichen.

W ie d a rf m an einen solchen T ext nennen? Ich halte ihn für ein K ab in e tt­

stück, das die G esch ich te ein er D evise m it d er G esch ich te des F achs und seines U m feld es v erk n ü p ft u nd das die fü r die M o d ern isieru n g zen trale Idee der A rb e it u n d die d iesem P rozeß in n ew ohnenden P o ten zen zu P erversionen au fsch lu ß reich und k u n d ig ausleuchtet.

K onrad K östlin

S C H E N D A , R udolf: G ut bei Leibe, H u n d ert w ahre G eschichten vom m en sc h lic h en K örper. M ünchen, Verlag C. H. B eck, 1998, 437 S eiten m it

11 A bb., IS B N 3-406-441110-6.

E s ist im m er au fsch lu ß reich , m it w elchen W orten ein V erlag selbst seine B ü c h e r in K lapp en tex ten , a u f B uchrücken o d er in den V erlagsprospekten anpreist, g esch ie h t dies doch in d er R egel a u f V orschlag oder doch m it E in v e rstän d n is des A utors. D iese textlichen V erpackungen sind dabei so ­ w ohl S elb stsich t als auch eine a u f breitere K äuferschichten zielen d e W er­

bung. In d iesem S inne d a rf die R ezensentin h ier vielleich t zu n äch st einm al aus dem K lap p e n te x t von S chendas n euem B uch zitieren: ,,K ö rp er haben g e g e n w ä rtig K o n ju n ktu r: S ie w erden trainiert, getrim m t, gepflegt, d er S ch la n kh e itsk u lt treib t täglich neue Blüten. N ich ts ersch e in t uns se lb stv er­

stä n d lic h e r a ls d ie g estylten Sch ö n en in den b unten Journalen. G leichzeitig h a t sich die m ed izin isc h e W issenschaft in unserem J a h rh u n d ert zu ein er e r n sth a ft a u f g esu ch te n u n d ebenso se riö s g eü b ten In stitu tio n entw ickelt, in d e r f ü r N ebendinge, w ie das E rzählen von fe sse ln d e n K ra n kh eits- und H e ilu n g sg esc h ic h ten o d er von den E in g riffen tü c h tig e r Ä rzte h öchstens im W artezim m er, a lso in d e r Vorhalle d es Ä sku la p tem p e ls, ein P lä tzc h en bleibt. “

U m diese „ N e b e n d in g e “ , also um das E rzählen, geht es dem A utor, der als e in er u n se re r nam h aftesten v o lkskundlichen E rz äh lfo rsch e r ausgew iesen ist. D abei lie g t ihm zu v ö rd e rst an R ekon stru k tio n en , an T raditionen, an V ergangenem , und so fäh rt denn der K lap p en tex t auch fort: ,,D as w ar n ich t im m er so. A n h a n d von unterhaltsam en G eschichten u n d m ed izin isch en B erichten, von litera risch e n B eispielen, R ed en sa rten u n d S p rich w ö rtern aus ga n z E uropa ze ig t R u d o lf Schenda, w ie frü h e re Z eiten m it dem L eib ve rfu h ­ ren - w o h e r unsere K ö rp erb ild er un d K örp erm yth en sta m m en u n d w ie sie sich im L a u f d e r N e u ze it g ew a n d elt haben. E r erzä h lt von den K u n stfertig ­

7 0 L iteratur der Volkskunde Ö ZV LIII/102 ke ite n , d en R equisiten, d em E igensinn un d d en In trig e n des L eibes, b erich tet ü b er vergangene K örperkulte, ü b er alte B efin d lic h ke ite n u n d n eu e K ö rp er­

p ra k tik en , sp ric h t von a lle rle i K örperidealen, fra g w ü rd ig e n K ö rp erin sze­

nieru n g en d e r G eg en w a rt u n d ü b er m oderne K örpersensationen. “

D as R e su lta t sei, so heiß t es ferner, „ eine K ulturg esch ich te des L eibes u n d u nseres U m gangs m it ihm “, und das G anze bilde, so la u tet - nun schon w erten d und w erb en d - d er w eitere Text, eine „ F undgrube von sp a nnenden G eschichten, h a a rsträ u b en d en Vorfällen, lustigen B eg e b en h e ite n u n d ku rio ­ sen B erichten, überraschend, belehrend, u n te rh a lte n d “.

Es fra g t sich nun bei einem A u to r w ie S ch en d a n ic h t so sehr, ob das B uch ü b erh au p t hält, w as h ier versprochen w ird, sondern vielm ehr, ob die h ier g eschürten E rw artu n g en des L esers nich t - w ied er einm al - w eit übertroffen w erd en ? U m es g leich v orw egzunehm en: D as sch ein t auch bei „ G u t bei L e ib e “ d er Fall zu sein, n ich t zuletzt, weil zu n äch st m it viel U n d ersta tem en t ü b ersc h rieb en un d ein g ele ite t w ird. D ies U n d ersta tem en t ze ig t sich gleich a u f m ehreren E benen, etw a bei der letztlich irreführenden U n tertitelan g ab e, es h an d le sich u m „ h u n d e rt“ G eschichten. In W irk lich k eit p räse n tie rt S ch en ­ da m in d esten s die sieb en fach e A nzahl an G eschichten (a u f je d e r Seite u n g efä h r zw ei), und ein ganz sp e zie lle r R eiz m ag sich (v ielleic h t besonders fü r d ie sb ez ü g lic h se n sib ilisie rte E rz äh lfo rsch e r u nter den L esern) aus der F rage ergeben, ob nich t m ö g lich erw eise das K riterium „ w a h r/u n w a h r“ zu ein em U n tertitel fü h rte, dessen Z ah len an g ab e (h undert „ w a h re “ G esc h ic h ­ ten) le tztlic h eben d och ü b erp rü fb ar w äre?

W ohl aus B e sch e id e n h eit irrefü h ren d ist auch die R olle, die S ch en d a sich selbst zuw eist, w enn er m it einem E in g a n g szitat M o n tesq u ieu zitiert, der v erä ch tlich von „ K o m p ila to re n “ spricht. D enn ein b lo ß e r K o m p ilato r ist S ch en d a k ein esfalls. Im G egenteil: W ie in allen seinen B üchern e rsc h ein t er auch h ie r als ein souverän sc h riftstellern d er Autor. D ies erw eist sich nun g erad e in den k o m m e n tie re n d en V erknüpfungen all se in er v ielen „ w a h re n “ G esch ich ten . D as B uch m acht uns die ab erw itzigsten, en tleg en sten Q uellen zu g än g lich , w obei die E rzäh lfo rsch u n g den A nspruch unseres F aches w ie­

d er einm al einlöst, „ e u ro p ä isc h e E th n o lo g ie“ sein zu w ollen. W er in so vielen S prachen und vor allem auch L iteratu ren zu H ause ist w ie S chenda, bei dem sind V erknüpfungen denn auch keine S toppelei, sondern eleg an t g esch rieb e n e, am üsante und überdies leich t lesbare E rhellungen.

S chendas e ig en e P assag en zeigen vor allem seine gen u in e F reu d e an den p o etisch en D im en sio n en eig en e r und fre m d er S prachen, an subtilen D etails d er A lta rtig k e it, an sp rich w ö rtlich en R ed en sarten , an E ty m o lo g ien , an

„ H ü ll- und S c h ö n w ö rte rn “ (E uphem ism en), an D o p p eld eu tig k eiten , an ch arm an ten R e g io n a lism e n („ h a n d k e h ru m “ , so freut er sich, sage m an für

„ a n d e re rse its“ und „h in w ie d e ru m “ in d er S chw eiz), am B ilderdenken.

1999, H eft 1 L iteratur der Volkskunde 71 Indem er d erg e stalt v o lle r W onne die B egriffe und B ezeich n u n g en hin und h er d reh t und w endet, b eleu c h tet er m it viel stilistisch em W itz die K ö rp e r­

m etap h o rik d e r v erschiedensten K ulturen. F reude an S prache und Sprachen b estim m t ab e r g ew iß auch die A usw ahl dieser P rim ärquellen selbst, die er zudem n ic h t selten erstm als ü b erse tzt und erlä u tert hat. „ G enüßlich (H er­

v o rh eb u n g S. W.-P.) reih t e r“ , so h eiß t es im S PIE G E L , „ B ib e lz ita t an W erbespruch, stö b e rt in e i n e r ,N eu-V erm ehrten, H eilsam en D re c k a p o th e k e 1 von 1697, erz äh lt vom M arien k in d d er B rü d er G rim m , das k örperlanges H aar tru g und re feriert gleich n ebenan die jü n g ste n M eldungen ü b er ab g e­

b issen e N a se n .“

D as S P IE G E L -Z itat fü h rt uns aber auch zu ein er neuen F rage: M u te t der A u to r h ie r den L esern tatsäch lich ein w ildes D u rc h ein an d er zu, oder herrsch t n ic h t v ie lle ic h t doch eine gew isse O rdnung? D er k lare A u fb au des B uches dü rfte relativ le ic h t n ac h v o llz ie h b ar sein: S tru k tu rieren d e Vorgabe w ar der m e n sch lich e K ö rp e r selbst, und zw ar von außen nach innen und von oben nach unten. D as B uch beg in n t fo lglich m it G eschichten von d e r H aut, um sich dann in zehn K apiteln vom K o p f abw ärts, an den w ich tig sten K ö rp e r­

teilen des M en sch en entlang bis h in u n te r zu den Z ehen v orzutasten. A uch in n e rh a lb d e r zehn K apitel sind S trukturen erkennbar, die sich w iederholen;

stets w erden die größten K ö rperregionen w eiter au fg eteilt in im m er noch k le in ere B e re ic h e (etw a O rgane), in anatom ische E in zelm o tiv e gleichsam , um die sich je w e ils eigene G ruppen von G eschichten g eb ild et haben. E in ­ g eleitet w ird je d e E in h e it m it ein er en zy k lo p äd isch en B eschreibung, w obei S ch en d a sich der F ach- w ie d er untersch ied lich en V olkssprachen bedient - beide o ft h ö c h st au fsch lu ß reich zu ein an d er in B ezieh u n g setzend. D ann fo lg t d er eig en tlich e Teil: die eher m ündlich o d er auch eh e r schriftlich ü b erlieferten G esch ich ten aller G enres (A uszüge aus d er m edizinischen F ach lite ra tu r frü h e re r Jah rh u n d erte, M ärchen, S chw änke, S agen und V olks­

lieder, lä n g stv e rg a n g en e Z eitu n g ssag en w ie auch h öchst ak tu elle „ E n te n “ u .a.m .). D iese n u r sc h ein b a r d isparaten M aterialien w erden nun eben gerade n ic h t in c h ro n o lo g isch e r A bfolge, sondern nach dem P rin zip in h altlich er K o rresp o n d en z d argeboten. U nd bei ein er solchen G leich setzu n g des U n­

g le ich z eitig en n im m t m an um so ersta u n te r plö tzlich K o n tinuitäten und Z äh leb ig k e ite n wahr, die m an z u v o r n ic h t für m öglich geh alten hätte. W ir erkennen, daß „K u ltu rv e rh a lte n sich so rasch nich t w an d e lt“ (S. 345).

E tw as k o m p lizie rter ist es um den speziell ,v o lk sk u n d lic h e n 1 A nsatz b estellt, um den v ie lle ich t nich t für je d e n L ese r u n m ittelb ar n ac h v o llz ie h ­ baren k u ltu ra n th ro p o lo g isch e n „ a p p ro a c h “ des W erkes, d er dann auch in ein em 2 3 seitig en V orw ort eine sorgsam e E rläu teru n g erfährt, ohne daß S ch en d a dabei in erm ü d en d e M eth o d en erö rteru n g en v erfällt o d er E pistem o- logien disk u tiert: B ei verb alen Ä ußerungen von K ö rp e rlich k e it w ürden - so

72 L iteratur der Volkskunde ÖZV LIII/102 S ch en d a h ie r - die K u ltu rw issen sch aftler viel eh e r „ d ie O hren rec k e n “ ( O hr verw eist a u f m ü n d lich e T radierung) als die M ediziner. M it d ie ser W endung ist die im K lap p en tex t auch schon an g ed eu tete P erspektivik eigentlich bereits um rissen. Es geht dem nach w en ig er um den K örper als solchen, als v ielm eh r um die k o llek tiv e W ahrnehm ung desselben, um das E rzählen ü ber den K ö rp e r - um das N arrativ e also, das fü r N atu rw isse n sch a ftler j a doch eh e r das besag te „ N e b e n d in g “ bleibe. A us diesem E rzählen, aus „ w a h re n “ bzw. im A berglauben als w ah r em pfu n d en en oder als w ah r ausgegebenen E in z elg e sch ich te n , m öchte S chenda eine h isto risch e A nth ro p o lo g ie d er ein ­ zelnen K ö rp erteile begründen und eine „ G e sc h ic h te von K ö rp e rm y th en “ rek o n stru ie re n . Z eigen m öchte eine solche „W ah rn eh m u n g sg esc h ic h te“ die stets histo risch w ie gesellsch aftlich determ in ierte S ich t a u f die V ielfalt k ö rp erlic h er F orm en und F unktionen. D aneben soll m an aber auch eine Idee von d er M en g e d er A u fgaben selbst b ekom m en, die d er M en sch zu lösen im stan d e ist, sow ie von den erstaunlichen A n forderungen, die an den höchst b elastb aren K örper des M enschen g estellt w erden können.

M it d er F rage: „ U n d w ozu das ganze T h ea ter m it dem K ö rp e r?“ eröffnet der A u to r diese seine D arlegungen und rec h tfe rtig t zugleich die h istorische P ersp ek tiv ik seines A nsatzes. D er K örper und seine F unktionen, so lernen w ir b eim histo risieren d en B lick - o d er besser: beim H ören a u f das E rzählen, m ögen im b io lo g isch en S inne m ehr oder m inder gleich g eb lieb en sein w ie noch vo r vielen Jahrh u n d erten . V erändert h a t sich dagegen das gesam te geistige, soziale, p sy ch isch e und ö konom ische B ezieh u n g sg eflech t, das die im m er und stets g esellsch a ftlic h ko n stru ierten K ö rp e rb ild er und K ö rp e rm e­

taphern je nach Z eit und K ulturraum und infolge v ersc h ied e n er „Z iv ilisie - ru n g sw elle n “ u n tersch ied lich beeinflußte. U m diesen G rundgedanken des B uches g leich zu A n fan g noch einm al zu v erdeutlichen, fo rm u liert d er A utor poin tiert, die W ahrnehm ung vom K örper habe sich im V erlauf d ie ser Ja h r­

hu n d erte m indestens ebenso verändert, w ie die W ahrnehm ung von G ott (S. 16).

Illu stra tio n en en th ält das B uch nicht. W er also m it voy eu ristisch em In teresse in sg eh eim eine illu strierte S itten g esch ich te e rw arte t hatte, d er w ird en ttäu sch t. In d ie ser H in sic h t le ite t v ie lle ich t auch der E in b an d ein w enig in die Irre, d er eine d urchaus nicht unero tisch e Venus von H ans B aidung G rien aus dem Jahre 1524 zeigt. G eboten w erden lediglich e lf sch w arzw eiß e A bbildungen nach K upferstichen aus dem „ T rau m -A lp h a b et“ eines g ew is­

sen G iuseppe M itelli von 1685, bei denen M enschen aus ihren K örpern B u ch stab en b ilden, um rahm t von ein er A rt von Z eich en stu d ien ein ze ln er K örperteile. D iese S kizzen teilen die zehn K apitel ein.

H erv o rzu h eb en ist fern er S chendas geschickte Z itierw eise. D ie N ac h w e i­

se von Z itaten sind im Text selbst nach am erik an isch e r A rt ein g ek la m m e rt

1999, H eft 1 L iteratur der Volkskunde 73 und m ö g lich st k napp gehalten (F ußnoten gibt es n icht), v erw iesen w ird je d o c h a u f einen im m ens m aterialreichen A nhang, d er „ L ite ra tu r zu den einzelnen K ap iteln “ und - w ie m an d an k b a r reg istrieren w ird - auch zu den U n terk a p iteln aufführt. So kann man sich th e m en z en trie rt beispielsw eise ein en Ü b erb lic k Uber L ite ra tu r zu H aut, H aar, O hr/H ören, A uge/S ehen, N ase /G eru ch , H erz, N ieren, B lut, B rust/B rüste, A fter/K ot, G em a ch t und G esch lech t, H and und F uß verschaffen. D ie A ngaben sind aus P latzgründen dabei so red u z ie rt fo rm u liert w ie nur m öglich. D a ra u f fo lgt ein 17seitiges V erzeichnis d e r allgem einen D arstellu n g en und der Q uellen w erk e sow ie ein P erso n en - und vor allem auch ein S achregister. M it einem solchen A pparat g ew in n t das B uch auch den C h arak ter eines überaus nützlichen A rb e itsin ­ stru m en tes und N achschlagew erkes.

G leich z eitig w ird aus d ie ser u m fangreichen B ib lio g rap h ie auch deutlich, w ie se h r das T h em a K ö rp e rlich k e it d erz eit im T rend liegt, m an erin n e rt sich nu r an d ie B e su ch e rre k o rd e bei der M an n h eim er A usstellung „ K ö rp e rw e l­

te n “ von 1998. In d er P o stm o d ern e und in sbesondere vor d er F olie der sogenannten E so te rik m it ihrem G an zh eitlich k eitsp ath o s erleb t unser Leib als „ ö ffe n tlic h e r O rt“ (B. D uden) d erz eit einen ungeheuren B oom . W eil sich dabei, w ie S ch en d a argw öhnt, m anch h eikle T hem en „ d u rc h d ie H intertüre ein es w is s e n s c h a ftlic h e n 1 A b erglaubens w ieder e in sch leic h en “ (S. 284), w irken die k u rio s-v erg n ü g lic h en P assagen seiner volksk u n d lich en A n ato ­ m ie in u n au fd rin g lic h er W eise auch aufklärerisch.

S ch en d a lie g t aber nie n u r im T rend (vor allem nich t in dem d er E soterik), sondern sc h afft ihn g le ich z eitig im m er auch. D abei gibt es U m ak z en tu ie­

run g en , neue S trän g e und neu e F acetten, die er d em T h em a abgew innt.

A nders als etw a U tz Jeg g le (dessen A nsatz er noch am nächsten kom m t), B a rb a ra D uden o d er G eorges V igarello sucht er den Z u g an g über das a lltä g lic h e E rzäh len . In der S prache, in den „u n g e le h rte n “ G eschichten über die ein zeln en O rgane und K ö rp erteile zeigt sich, daß ihnen untersch ied lich e k u ltu ra le und em o tio n ale B edeutungen zu g e rech n e t w erden. D abei ist das E rzäh len ü b er den K ö rp er sozusagen selbst k örp erfo rm ativ o d er k ö rp erk o n ­ stitutiv. R esu ltat: A lles P hysische und sch ein b ar u n v erä n d erb ar F ak tische ersc h ein t als ein k u ltu re lles K onstrukt. Im h istorischen und g eographischen K ultu rv erg leich betrach tet, ist unser fleisch lich e r L eib „ e in e h ö ch st w ec h ­ selhafte, j a g erad ezu w etterw en d isch e A n g ele g en h e it“ (S. 13). N u r eines steht fest: A m E n d e ist da die g roße Zehe, um die im L eich en sch au h au s ein Z ettel hängt, m it dem man unsere Id en tität m arkiert. U nd das soll - so fragt S ch en d a nach d ie ser to u r du corps ein w enig traurig - „ L e ib und L eben, L eid und L u st gew esen se in ?“

S abine W ienker-P iepho

7 4 L iteratur der Volkskunde Ö ZV LIII/102 D R E O , H arald, Sepp G M A S Z (unter M itarb eit von W alter D E U T S C H , A n n e m a rie G S C H W A N T L E R und H erb ert Z E M A N ): B urgen lä n d isch e V olksballaden (= C orpus M usicae P opularis A ustriacae 7). W ien/K öln/W ei­

m ar, B öhlau, 1997, 295 S eiten, A bb., m us. N ot. 1 CD.

D er seit 1993 siebente (!) B and der R eihe d o k u m e n tie rt 44 B alladen -

„ s a n g b a re L ie d er epischen C h a ra k te rs“ (S eem ann) - durch in sg e sam t 312 V arianten, von denen je n e , die den A utoren „ a m su b stan tiellsten ersc h ie n e n “ in extenso, also m it N oten und Text, w iedergegeben sind, die anderen nur m it en tsp re ch e n d en B eleg zitaten , w obei aber textliche A b w eichungen von den H au p tb eleg en a n g e fü h rt sind. D ie ü b erw ieg en d e M e h rh e it des M aterials stam m t aus den B eständen des B urgenländischen V olksliedarchivs und w urde durch B eleg e aus P riv atarch iv en sow ie gedru ck ten L ie d ersam m lu n ­ gen und F ach b ü ch ern ergänzt. D ie B allad en sind nach ih rem In h alt in sechs G ru p p en an g e o rd n et (L iebe, soziale K onflikte, V erbrechen und U n g lü ck s­

fälle, Ü b ersin n lich e s, L egende, S chw ank) sow ie m it ein er v ergleichenden In h altsan a ly se und einem K om m entar versehen. D ieser b ez ie h t sich au f G esc h ic h te und V erbreitung d er B allade, en th ält z.T. aber auch m u sik an a ly ­ tische B em erk u n g en . U n ter A usw ertu n g ein er u m fangreichen L ite ra tu r g e ­ lin g t es, die ein zeln en B alladen im gesam teu ro p äisch en Z u sam m en h an g zu behandeln und so g le ich z eitig die B eso n d erh eiten d e r b urgenländischen Ü b erlie fe ru n g aufzuzeigen.

D iesem H au p tteil des B andes ist ein K apitel voran g estellt, in dem Sepp G m asz in e in e r vom A llgem einen (W as ist eine B allade, B allad en fo rsch u n g in D eu tsch la n d und Ö sterreich) zum B esonderen (B allad e n fo rsc h u n g im B u rg en lan d und in d eu tsch sp rach ig en D örfern U ngarns, Q u ellen lag e) fo rt­

sch reiten d en D arstellu n g den g eg enw ärtigen F orsch u n g sstan d darlegt, au f die F u n ktion d er V olksballade h in w eist und den Ü b erlieferu n g sträg ern ein eig en es U n terk a p itel w idm et. W ie schon in früheren P u blikationen w ird auch h ie r ev id en t, daß d er T erm inus „ B a lla d e “ eine S chöpfung literarisc h er K reise ist und den S ängern nich t o d er kaum b ew ußt war.

D er o ffe n sic h tlic h e Z eitdruck, u nter dem die E dition erste llt w urde, dü rfte zum ein en für die außero rd en tlich kurz g eratenen „lite ra rh isto risc h e n A n m erk u n g e n “ H erb ert Z em ans, w elche an den H au p tteil d e r A rb eit a n ­ schließen, zum anderen für die U ngenau ig k eiten in den d a ra u f folgenden

„ A n m e rk u n g en zu den M e lo d ie n “ von W alter D eutsch veran tw o rtlich sein.

H ier w erden durch G eg en ü b erstellu n g ein ig er in der P ublikation an g efü h rter M elodien m it solchen aus anderen deutsch sp rach ig en L andschaften sp e zi­

elle A u sp räg u n g en ein und d esselben M e lodietyps au fg e zeig t und b eg rü n d et (E influß ein er m ehrstim m igen P raxis, A nklänge an L ied er im Volkston, K o n trafak tu ren und M etatyp). D er N ach v o llzu g d er A u sführungen w ird