• Keine Ergebnisse gefunden

Interaktion zwischen dem Beschuldigten und den Sicherheitsbehörden

4. Aktenauswertung – quantitativer Teil: Stichprobe und Repräsentativität

4.10 Interaktion zwischen dem Beschuldigten und den Sicherheitsbehörden

Im Bericht über das Vorprojekt werden die ersten Befunde zum Agieren des Beschuldigten „nach der Tat“ und zur Interaktion zwischen den Beschuldigten und den Sicherheitsbehörden folgendermaßen resümiert und kommentiert:

Ein für unsere Fragestellung durchaus relevanter, oben bereits kurz angesprochener, Aspekt der gefährlichen Drohungen ist selbstverständlich das Agieren des Beschuldigten „nach der Tat“, und in weiterer Folge: gegen-über der intervenierenden Polizei. Dabei ist jedenfalls für jene Fälle, die eine polizeiliche Intervention vor Ort einschließen, zunächst das Intervall zwischen Verständigung und Eintreffen der Polizei zu beachten. Eine sys-tematische Auswertung der Akten zu dieser Variable wurde nicht geleistet, doch ergeben sich aus der Sichtung des Materials durchaus unterschiedliche Konstellationen. In der Regel verbleiben Beschuldigter und Op-fer/AnzeigerIn am Ort des Geschehens und werden dort auch von den BeamtInnen angetroffen. Das ist zunächst insofern beachtlich, als offensichtlich vielfach weder Beschuldigte noch Opfer „flüchten“, d.h. die Situation der Kopräsenz bis auf weiteres durchhalten und sich gewissermaßen gemeinsam der Befragung durch die Exekutiv-beamten „stellen“ (wollen). In nicht ganz wenigen Fällen ist ein davon abweichendes Muster zu erkennen, das vor allem darin besteht, dass der Beschuldigte sich noch vor Eintreffen der Polizei entfernt hat, wobei dieses Entfernen aber anscheinend eher ausnahmsweise den Stellenwert einer Flucht (aus der Konfliktsituation bzw.

vor der herannahenden Polizei) aufweist. In manchen Fällen dürfte eher ein kurzes „Abkühlen“ (der Aufregung, der Emotion) angestrebt werden, und es kommt danach doch noch zu einem Kontakt mit der Polizei, die den Beschuldigten in der Umgebung des Einsatzortes antrifft.

In unserem Material äußerst selten sind Fälle, in denen die Verständigung der Polizei (per Mobiltelefon bzw.

Notruf) ihrerseits eine Eskalation des zwischenzeitlich beruhigten Konflikts bewirkt, etwa im Sinn neuerlicher Bedrohungen. Ebenfalls selten sind Konstellationen, in denen der Beschuldigte die Kooperation mit der Polizei grundsätzlich verweigert, was vor allem bedeutet, dass keine „Verantwortung“, keine Erklärung zum Vorfall geboten wird. Festzuhalten ist jedenfalls, dass die überwiegende Mehrheit der Beschuldigten der Polizei gegen-über ein vergleichsweise kooperatives, rationales (?), strategisches Verhalten an den Tag legen, in dem Emotio-nalität und Affektivität nur begrenzt zugelassen sind und die Aufgeregtheiten rund um den vorangegangenen Konflikt weitgehend ausgeblendet werden (können). Diese Diagnose trifft jedenfalls für jene Drohungsdelikte zu, in denen keine darüber hinausgehenden Aggressionsdelikte wie Körperverletzung oder Sachbeschädigung erfolgt sind. Es liegt auf der Hand, dass dieser Befund durchaus unterschiedliche Interpretationen gestattet: Zum einen

könnte auf eine verbreitete „Scheinanpassung“ und Pseudokonformität der Beschuldigten geschlossen werden, die gegenüber den staatlichen Instanzen eine Fassade aufbauen; eine andere Erklärungsvariante könnte davon ausgehen, dass die Präsenz der Polizei vor Ort, verbunden mit dem Erfordernis, sich gegenüber „neutralen Drit-ten“ zu verantworten, vielfach ausreicht, um bestehende Konflikt- und Aggressionspotentiale herunterzu-schrauben und zu rationaleren Formen der Argumentation und Selbstdarstellung überzugehen. In der Tendenz vermittelt das gesichtete Material jedenfalls den Eindruck, dass die polizeiliche Intervention in die hier interes-sierenden Konfliktlagen in der Regel eine „semblance of order“ (Davis 1983, vgl. dazu auch Hanak 1991) hinter-lässt, wobei die bei Davis durchaus kritisch gemeinte Diagnose auch eine ambivalentere Deutung und Bewer-tung zulässt: Wenngleich polizeiliches Handeln primär situativ orientiert ist (und bis zu einem gewissen Grad auch gar nicht anders orientiert sein kann - vgl. Manning 1989, Black 1980) und deshalb kaum jemals eine (vergangenheits- und/oder zukunfts- bzw. präventionsorientierte) Aufarbeitung oder Lösung von Konflikten bewirken kann, so gibt sie sich auch kaum jemals mit weniger als dieser Herstellung eines Anscheins von Ord-nung zufrieden. (Hanak & Stangl 2008, 44f)

Über weite Strecken bestätigen und verdichten sich die Befunde aus dem Vorprojekt anhand der aus-gewerteten Aktenstichprobe. Auch in dem ungleich repräsentativeren Material finden sich nur wenige Fälle, in denen sich die Kommunikation zwischen dem Beschuldigten und den intervenierenden Be-amtInnen offenkundig schwierig gestaltet, in denen die Beschuldigten besonders unkooperativ sind oder sich überhaupt explizite Hinweise auf „antagonistisches“ Verhalten des Beschuldigten bzw. eine Eskalation der Amtshandlung finden. Insgesamt 139 Akten lassen Schlüsse auf das Agieren des Be-schuldigten gegenüber den intervenierenden BeamtInnen zu, wobei in mehr als 90 Prozent der Fälle von einem weitgehend sachlichen und kooperativen Verhalten auszugehen ist. Der Anteil der Fälle, in denen sich explizite Hinweise auf antagonistisches Verhalten oder eine Eskalation der Amtshandlung finden, bewegt sich in der Größenordnung von 8 Prozent. Die verbleibenden Einzelfälle betreffen Situationen, in denen der bzw. die Beschuldigte psychisch krank ist (und von den intervenierenden bzw. ermittelnden Beamten als „geschockt, weinerlich“ bzw. „nervös, ängstlich, verwirrt“ beschrieben wird, Konstellationen bzw. Verhaltensweisen, die jeweils die Beiziehung des Amtsarztes motivieren.

Anzumerken ist zu diesen Daten, dass die Akten aus den Sprengeln Feldkirch und Steyr ganz über-wiegend Schlüsse auf das Agieren der Beschuldigten zulassen, wogegen in der Substichprobe Wien doch ein beachtlicher Anteil an Akten enthalten ist, die aus unterschiedlichen Gründen keine Rück-schlusse zulassen (N=35): Das betrifft zum einen Anzeigen gegen unbekannte Täter, die auch in weite-rer Folge nicht ausgeforscht und vernommen werden können; flüchtige bzw. abgängige Täter, deren Aufenthalt nicht ermittelt werden kann; schließlich Fälle, in denen es zur Einstellung des Verfahrens ohne vorangegangene Vernehmung des Beschuldigten kommt, sowie „unvollständige“ Akten ohne polizeilichen Abschlussbericht.

Vor diesem Hintergrund interessieren klarerweise die Merkmale der wenigen (und insofern untypi-schen) Fälle, in denen die Beschuldigten unkooperativ bis antagonistisch agieren und das Geschäft der sozialen Kontrolle sich für die intervenierende Instanz schwierig gestaltet:

Die Polizei wird wegen eines Familienstreits (türkische Familie, Auseinandersetzung zwi-schen Vater und erwachsenem Sohn) verständigt. Bei Eintreffen beobachten die Beamten, dass der Vater seinen Sohn vor dem Wohnhaus mit einem Fleischermesser und einem Metallrohr verfolgt. Der Vater gibt an, der Sohn habe zuvor ein Messer nach ihm geworfen, ihn aber ver-fehlt, da er gerade noch ausweichen konnte. Beim Beschuldigten handelt es sich um einen

„Süchtigen“, der bereits einmal ins LKH eingeliefert werden musste, weil er sich äußerst ag-gressiv verhielt und mit Selbstmord drohte. Auch in der Vergangenheit gab es schon mehrere

Polizeieinsätze im Zusammenhang mit Streitigkeiten in der Familie. (17/F) <Einschaltung der Polizei erfolgte durch Nachbarn; Ursache des Streits bleibt weitgehend ausgeklammert; Ak-teninhalt suggeriert, dass vor allem der psychisch kranke Beschuldigte das Problem ist.>

Der Beschuldigte hat in stark alkoholisiertem Zustand nach einer verbalen Auseinanderset-zung seinen Bruder attackiert, geschlagen, gewürgt und diesen im Stiegenhaus (Haus der Mutter) gegen die Wand gedrückt. Zudem stieß er die Mutter, die dazwischengehen wollte, zur Seite, so dass sie beinahe die Stiege hinuntergefallen wäre. Hintergrund: Mit dem Be-schuldigten ist es zuletzt „bergab gegangen“ – Jobverlust, Wohnungsverlust, weshalb er wie-der ins Haus seiner Mutter ziehen musste. Immer wiewie-der kommt es zu Streitereien, besonwie-ders wenn der Beschuldigte alkoholisiert ist. – Der Beschuldigte kann aufgrund seiner Alkoholisie-rung nicht vernommen werden und befindet sich im LKH.) (21/F)

Der Beschuldigte bedrohte zwei Beamte der Sektorstreife mehrmals mit den Worten „Ihr Scheißkieberer, i stich euch ab“ und „I spreng eichan Posten in die Luft“. Weiters widersetzte er sich der Festnahme und lief davon. Vor einem Lokal hatte er auch zwei Frauen durch Fuch-teln mit einem Messer bedroht und geäußert, er werde „alle Weyrer (= Bewohner des Orts) und auch die Kieberer abstechen“. (Auslöser: Der schwer alkoholisierte Beschuldigte hatte zuvor eine Intervention des Rettungsdienstes verweigert, nachdem er über eine Treppe ge-stürzt war und sich dabei verletzt hatte. Die Sanitäter hatten im Zuge dessen die Polizei ver-ständigt.) (82/St)

Unkooperativ und antagonistisch gegenüber den intervenierenden Beamten verhält sich ein zum Zeitpunkt des Vorfalls erheblich alkoholisierter, wohnungsloser Rollstuhlfahrer, bulgari-scher Staatsangehöriger, der in einem Eissalon zwei Jugendliche mit einem Messer und in e-her drastisce-her Diktion bedroht hatte. (116/W)

Unkooperativ und antagonistisch benimmt sich ein knapp 14-Jähriger, zum Zeitpunkt des Vorfalls noch nicht strafmündiger Jugendlicher, der in einem betreuten Wohnprojekt lebt und dort eine etwas ältere Mitbewohnerin mit dem Umbringen bedroht haben soll. Als sich das Mädchen aufs WC flüchtete und sich dort verschanzte, trat er gegen die WC-Tür und äußerte, er werde sie schon noch erwischen um sie zu schlagen. Das Verhalten des Beschuldigten wird im Akt relativ ausführlich beschrieben und als trotzig bzw. präpotent charakterisiert. Es er-folgt eine Überstellung in die Kinderpsychiatrie. (127/W)

Der Beschuldigte wohnt seit mehreren Monaten in einem Asylantenheim, wo er mehrere Mit-bewohner mit Messern bedroht haben soll. Dem Heimleiter gelang es, dem Beschuldigten die Messer abzunehmen. Im Zuge der polizeilichen Intervention versuchte der Beschuldigte zu flüchten und konnte nur durch Anwendung von Körperkraft daran gehindert und festge-nommen werden. Der Beschuldigte setzt sein aggressives Verhalten im Arrest fort, weshalb er erst am folgenden Tag vernommen werden kann. Der Mann ist psychisch krank, leidet an pa-ranoider Schizophrenie und Epilepsie und hatte am Tag des Vorfalls eine Flasche Wodka ge-trunken. (178/W)

In konflikttypologischer Hinsicht zeigen die Fälle mit besonders unkooperativen bis antagonistisch agierenden Beschuldigten wenig markante Auffälligkeiten, allenfalls ist festzuhalten, dass (Ex-) Part-nerschaftskonflikte in diesem kleinen Segment nicht besonders zahlreich sind (N=3) bzw. andere Konstellationen vorwiegen. Immerhin drei von 11 Fällen sind in Gaststätten angesiedelt – gemessen am geringen Stellenwert dieses Settings im Gesamtmaterial ein bemerkenswert hoher Anteil.

Signifikanter erscheinen freilich einige andere Merkmale: Eine deutliche Mehrheit der antagonisti-schen Verhaltensweisen erfolgt angesichts erheblicher Alkoholisierung der Beschuldigten (7 von 11

Fällen), wogegen kaum ein Viertel der Fälle in der Stichprobe Hinweise auf Alkoholisierung oder notorische Alkoholprobleme des Beschuldigten enthalten). In immerhin vier Fällen ist von gravieren-den psychischen Problemen bzw. Krankheiten der Beschuldigten auszugehen. Generell verweisen fast alle einschlägigen Fälle auf einen marginalen oder prekären sozialen Status des Beschuldigten (psy-chische Krankheit, gravierende Alkoholprobleme, Wohnungslosigkeit, Asylwerber – mitunter auch Überlagerung dieser Merkmale). Umso bemerkenswerter scheint, dass die antagonistisch agierenden Beschuldigten mehrheitlich unbescholten sind und nur zwei von ihnen mehrere Vorverurteilungen aufweisen.

Ganz überwiegend resultiert das antagonistische (oder definitiv unkooperative) Agieren der Beschul-digten in einer vorläufigen Festnahme (7 von 11 Fällen) oder einer Überstellung/Verschaffung in eine psychiatrische Einrichtung (zwei Fälle).