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Erfassung und Deportation der Wiener „Zigeuner“

Im Dokument Roma, Sinti und … (Seite 60-63)

Auf den Zusammenhang zwischen der Bekämpfung von Infek-tionskrankheiten und der Radikalisierung von Verfolgungs-maßnahmen beispielsweise im Generalgouvernement haben verschiedene Autoren hingewiesen.4 Ähnliches ist auch für die Verfolgung der Wiener „Zigeuner“ zu konstatieren. Nachdem sie zunächst unter hygienisch völlig unzulänglichen Bedingun-gen interniert worden waren, kam es bald zur unvermeidlichen Ausbreitung von Krankheiten, v.a. von Skabies (Krätze). Dies nahm das Gesundheitsamt zum Vorwand, aus seuchenpolizeili-chen Gründen auf die Deportation der als „Krankheitsträger“

zur direkten Gefahr für den „Volkskörper“ Erklärten zu drän-gen.

Am 28. April 1941 informierte das Bezirksgesundheitsamt für den 21. Bezirk das Hauptgesundheitsamt, dass laut Mittei-lung des Wilhelminenspitales aus dem Zigeunerlager auf dem Bruckhaufen dauernd Skabieskranke zur Aufnahme kommen, dass aber eine Behandlung derselben solange keinen dauernden Wert besitze, als nicht durch eine Desinfektion der Wohnwagen ständige Reinfektionen verhütet werden.5 Der Polizeiposten Bruckhaufen ersuchte am gleichen Tag um Untersuchung aller Lagerinsassen und entsprechende gesundheitliche Vorkehrun-gen weVorkehrun-gen des gehäuften Auftretens von Skabies, da eine steckung der übrigen Bevölkerung befürchtet wurde. Die An-steckungsgefahr kam angeblich dadurch zustande, dass die rund 300 InsassInnen des Lagers zu bestimmten Tageszeiten Ausgang hatten und mit rund 100 außerhalb des Lagers

woh-4 Z.B. Paul Weindling, Die weltanschaulichen Hintergründe der Fleck-fieberbekämpfung im Zweiten Weltkrieg, in: Christoph Meinel – Pe-ter Voswinckel (Hg.), Medizin, Naturwissenschaft, Technik und Na-tionalsozialismus. Kontinuitäten und Diskontinuitäten, Stuttgart 1994, 129–135; Christopher R. Browning, Genozid und Gesundheits-wesen. Deutsche Ärzte und polnische Juden 1939–1941, in: Christian Pross – Götz Aly (Hg.), Der Wert des Menschen. Medizin in Deutsch-land 1918–1945, Berlin 1989, 316–329.

5 WStLA, M.Abt. 212, A 7/5, 151.2, V/1-2217/41, Krämer (Leiter Abt.

V/1) an Leiter Hauptgesundheitsamt, 6. 5. 1941.

nenden „Zigeunern“ verkehrten.6 Der Leiter des Hauptgesund-heitsamtes Dr. Hermann Vellguth reagierte darauf mit der For-derung nach einem wirklich geschlossenen Lager und erkun-digte sich bei der Hauptabteilung V, wie weit die entsprechen-den Pläne gediehen waren.7

Bereits seit Herbst 1940 war ein gemeinsames Projekt von Ge-meindeverwaltung und Kriminalpolizei zur Internierung der Wiener „Zigeuner“ in Vorbereitung. Dabei ging es um die Errich-tung eines Lagers für ca. 500 Personen im ehemaligen städtischen Ziegelwerk Oberlaa im 10. Bezirk. Bei einem Lokalaugenschein am 13. September 1940 war das Lager in seinen Grundzügen ge-plant worden. Neben zwei Schlafsälen für je 250 Personen sollte es u.a. über eine Küche, ein Lebensmittelmagazin, Kranken- und Isolierzimmer, einen Arbeitssaal, Toiletten im Freien, Arrestzellen und eine Stacheldrahtumzäunung verfügen.8

Das Vorhaben wurde jedoch aus organisatorischen Gründen nicht verwirklicht. Stattdessen beteiligte sich Wien an der Grün-dung eines Zweckverbandes mit den Landkreisen Eisenstadt, Oberpullendorf und Wiener Neustadt zur Errichtung eines Zi-geunerlagers in Lackenbach. Der Wiener Kostenanteil für die De-portation von rund 500 Personen in dieses Lager, das für Tausen-de Roma und Sinti zur Zwischenstation auf Tausen-dem Weg in die Ver-nichtung werden sollte, wurde auf 23000 Reichsmark geschätzt.9 Zu den Bemühungen des Gesundheitsamtes um eine Radika-lisierung der antiziganistischen Politik gehörte auch eine Inter-vention des Leiters der Abteilung „Erb- und Rassenpflege“ und kommissarischen Leiters des Rassenpolitischen Amtes Dr. Arend Lang:

6 Ebd.

7 WStLA, M.Abt. 212, A 7/5, 151.2, V/G-1/1512, Vellguth an Parville (kommissarischer Amtsleiter der Hauptabteilung Volksgesundheit und Volkswohlfahrt), 12. 5. 1941.

8 WStLA, M.Abt. 212, A 7/7, 152.5, V/4-M-9.092/40, 13. 9. 1940, Amts-vermerk Freunthaller, 13. 9. 1940.

9 WStLA, M.Abt. 212, A 5/4, V/8-1349/41, Amtsvermerk Fieglhuber (Leiter Abt. V/8), 25. 6. 1941. Zur Geschichte des Lagers Lackenbach siehe Erika Thurner, Nationalsozialismus und Zigeuner in Öster-reich, Wien/Salzburg 1983 (Veröffentlichungen zur Zeitgeschichte 2).

Wie ich in Erfahrung bringen konnte, ist die Wiener Polizei momen-tan wegen Mangels an geeigneten Beamten nicht in der Lage, entschei-dende Schritte zur Lösung des Zigeunerproblems in Angriff zu nehmen.

Wie ein Sachbearbeiter des Hauptgesundheitsamtes feststellen konnte, sind sogar in letzter Zeit verschiedene Zigeuner, die seit langem in Wien aufgegriffen waren, wieder freigelassen worden und treiben sich in den Straßen herum.

Da meines Erachtens die Lösung des Zigeunerproblems nunmehr unaufschieblich geworden ist, andererseits eine erfolgversprechende Ak-tion nur dann begonnen werden kann, wenn die nötigen Rechtsgrund-lagen geschaffen sind und auch ausreichendes Personal zur Verfügung steht, werde ich in Berlin an zuständigem Ort vorstellig werden und mit Nachdruck eine Lösung der Zigeunerfrage, die nachgerade für Wien un-erträgliche Verhältnisse geschaffen hat, verlangen.10

Bereits am 16. Mai konnte der Amtsleiter der Hauptabteilung V, Dr. Rudolf Parville, an Vellguth berichten:

Auf Grund eines durch die Hauptabteilung V gestellten Antrages, der inzwischen vom Herrn Bürgermeister genehmigt wurde, werden die im „Bruckhaufen“ angesiedelten Zigeuner an das von den interessierten Landräten in Oberpullendorf, Wiener Neustadt und Eisenstadt errich-tete und noch zu erweiternde Zigeunerlager in Etappen abgegeben wer-den. Die Prüfung der Kostenfrage sowie des Transportes sind im Zuge.

Da von der Kripoleitstelle die Zahl der angesiedelten Zigeuner mit ungefähr 400 angegeben wurde, was Ihrer Auffassung nach nicht rich-tig sein dürfte, ersuche ich um eheste Mitteilung, wie groß die Zahl der zu erfassenden Zigeuner tatsächlich ist.11

Aus der Antwort Vellguths lässt sich schließen, dass das Ge-sundheitsamt dank der akribischen Erfassungstätigkeit im Rah-men der „erbbiologischen Bestandsaufnahme“12 und der Arbeit des anthropologischen Referates offenbar über umfangreichere Informationen verfügte als selbst die Polizei:

Nach den Unterlagen der Abteilung V/2 [Erb- und Rassenpflege]

sind für Wien reichlich 300 Zigeuner im Bruckhaufen, 450 weitere

10 WStLA, NSDAP, RPA, A 1/9, Lang an RPA Niederdonau, 18. 4. 1941.

11 WStLA, M.Abt. 212, A 7/5, 151.2, V-1238/41, Parville an Vellguth, 16.

5. 1941.

12 Siehe dazu ausführlich Czech (wie Anm. 3).

freiherumlaufende Zigeuner und Zigeunermischlinge erfasst. Es han-delt sich hier um Mindestzahlen, die sich noch um einiges vergrößern können. Ferner befinden sich 150 Wiener Zigeuner im burgenländis-chen Lager Lackenbach und weitere 200 Wiener Zigeuner in ver-schiedenen anderen Konzentrationslagern (u.a. Mauthausen und Fürstenfeld).13

Bereits mit Ende Juli sollten die verbliebenen Wiener „Zigeu-ner“ großteils nach Lackenbach deportiert werden.14 Der Spezia-list des Hauptgesundheitsamtes für Fragen der Zigeunerverfol-gung war der im anthropologischen Referat tätige Dr. Werner Pendl. Auf seine Tätigkeit wird im folgenden Abschnitt einge-gangen.

Das anthropologische Referat der Abteilung „Erb- und

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