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Elementarpädagogik zwischen Lissabon, Barcelona und PISA

Hermann Kuschej

Elementarpädagogik zwischen Lissabon,

Personal zur Verfügung stehe, erhöhe sich deren Innovations- und dadurch auch deren Wettbewerbsfähigkeit. Und erhöhte Wettbe-werbsfähigkeit führe zu sichereren und besser bezahlten Arbeits-plätzen. Dahinter steht ein neoklassisch beeinflusster bildungsöko-nomischer Ansatz, wonach das Ausschöpfen der individuellen Po-tenziale zu mehr Chancengerechtigkeit beitrage. Chancen werden dabei begriffen als Chancen auf eine erfolgreiche Partizipation am Arbeitsmarkt. Gerechtigkeit meint qualifikatorische Waffengleich-heit im Konkurrenzkampf unter MitbewerberInnen. Daraus resul-tiert letztlich die Erhöhung des volkswirtschaftlichen Gesamtnut-zens im Wettbewerb unter allen globalen Volkswirtschaften, wobei dem Faktor „Bildung“ eine zentrale Funktion zukommt.1

Innerhalb dieses Referenzrahmens bewegt sich die Diskussion des politischen Mainstreams seit den 1980er Jahren und damit der durch „PISA“ permanent gesetzte bildungspolitische Reformdis-kurs, der des Längeren auch den Elementarbereich einschließt.

Maßgebliche Interessenvertreter der unternehmerischen Wirtschaft haben dabei öffentlichkeitswirksam die außerparlamentarische Ini-tiative übernommen. Programmatisch kommt das im folgenden Auszug einer Broschüre der Österreichischen Industriellen Vereini-gung zum Ausdruck:

„Bildung fängt lange vor der Schule an. In der frühkindlichen Phase werden wesentliche Grundlagen für die Entwicklung und damit auch für die Bildungsbiografie jedes Kindes gelegt. Elementarbildung ist der erste institutionelle Ansatzpunkt zur Potenzial- und Begabungsförde-rung und Schlüssel für Chancengerechtigkeit. Frühkindliche Bildung ermöglicht hohen individuellen und volkswirtschaftlichen Nutzen.

Elementare Bildungseinrichtungen sind – neben der Familie – eine erste und wichtige Umgebung non-formaler Bildung.“2

1 „Die zentralen Voraussetzungen für eine Spitzenstellung Österreichs in der Welt von 2050 sind Bildung, Innovation und Strukturwandel.“ In: Rat für Forschung und Technologieentwicklung (RFTE) et al (Hg.), Vision Österreich 2050. Vorsprung durch Bildung, Forschung und Innovation, Wien 2014, S. 6.

2 Industriellenvereinigung (Hg.), Elementarpädagogik: Beste Bildung von Anfang an, Wien, 2015, S. 26f.

Maßgebliche Proponenten der Bildungsökonomie stützen diesen Diskurs seit Jahren, im deutschsprachigen Raum ist zuvorderst Lud-ger Wössmann zu nennen.3

Die Bildungsökonomie identifiziert dabei in Bezug auf die schu-lische Bildung monetäre Effekte auf individueller und volkswirt-schaftlicher Ebene:

1. Individuelle Ebene: Der Schulbesuch ist dabei korreliert mit höherer Marktproduktivität und damit höherem Einkommen. Über alle europäischen Staaten hinweggesehen resultiert ein zusätzliches Jahr Schule in einem um 8% höheren Einkommen.4 Dabei ist aller-dings weniger die Anzahl der absolvierten Schuljahre als vielmehr der Schulerfolg maßgeblich. In der Konsequenz heißt das, dass der Schulbesuch mit einer steten Leistungskontrolle einherzugehen hat, soll der Bildungsertrag auch tatsächlich eingelöst werden können.

Diese Art der Leistungsorientierung und Leistungskontrolle floss in das nationale österreichische Schulsystem in Form der Etablierung vergleichbarer Bildungsstandards ein. Auf internationaler Ebene etablierten sich OECD-getriebene periodische Testungen wie PISA, PIRLS oder TIMMS.

2. Volkswirtschaftliche Ebene: Bildung fördert Wirtschafts-wachstum durch eine Effektivierung des Humankapitals begriffen als Summe aller Arbeitskräfte. Dabei geht es um die Erschließung aller quantitativen Potenziale einerseits, also auch sogenannter „bil-dungsferner Schichten“ wie Gruppen mit einer Migrationsbiografie aus politischen oder wirtschaftlichen Krisenregionen. Darüber hin-aus gilt es aber auch, konform zu den von globaler Konkurrenz ge-triebenen Bedingungen des Wirtschaftssystems, das allgemeine Qualifikationsniveau zu heben. Der Wert des Humankapitals wird dadurch insgesamt erhöht und mit ihm Produktivität und Wachs-tum. Darüber hinaus steigert höhere Schulbildung das Innovations-potential der Ökonomie und führt zu höherer internationaler Wett-bewerbsfähigkeit.

Wird nun dieser marktorientierten Wachstumslogik gefolgt, so ergeben sich daraus folgende bildungspolitische Konsequenzen: So-3 Etwa: Ludger Wößmann, Efficiency and Equity of European Education

and Training Policies. IFO-München (CESifo Working Papers, 1779), 2006.

4 Ebd. S. 4.

ziale Gleichheit ist eine Frage der Partizipationschancen am Ar-beitsmarkt und diese steigen mit dem Grad der Schulbildung. Die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit hängt dieser neoklassisch be-einflussten Logik zufolge wesentlich von der Qualität des Human-kapitals ab. Dem Bildungssystem wird dabei die Rolle zugedacht, durch Mobilisierung und Qualifizierung dieses Human-Potenzials gleichermaßen für sozialen Ausgleich wie für stetes Wirtschafts-wachstum zu sorgen. Von daher vermögen Prominenz und Präsenz einer verstetigten Bildungsreformdiskussion nicht weiter zu ver-wundern.

Im Rahmen dessen hat die vermeintliche Omnipotenz des Bil-dungssystems des Längeren auch den Bereich der Elementarpädago-gik erfasst. Unter gegebenen demografischen Bedingungen, wie Rückgang der Geburtenquote bei gleichzeitigem Migrationsdruck, gilt es Strategien zu entwickeln, gegebene Human-Potenziale mög-lichst früh schulischen Qualifizierungsmaßnehmen zugänglich zu machen, um diese in der Folge in ihrem eigenen und im Interesse der Wirtschaft (= Allgemeinheit) schnellstmöglich produktiv zu machen.

Die vorherrschende Strömung der Bildungsökonomie erachtet möglichst frühe Investitionen in kindliche Ausbildung als maßgeb-lich für berufmaßgeb-liche Entwicklungskarrieren. Dahinter steht der Be-fund, dass Kinder mit sozioökonomischer Benachteiligung, wofür der Bildungshintergrund der Eltern als Parameter herangezogen wird, deutlich schlechtere Chancen auf eine gute Integration am Ar-beitsmarkt haben.5 Dabei geht es also nicht darum, Bedingungen so-zialer Ungleichheit in der gesellschaftlichen Realität zu adressieren, sondern vielmehr darum, Ungleichheit durch frühe Bildungsinter-ventionen quasi zu reparieren. Dem Elementarbereich kommt des-halb große Bedeutung zu, da der Theorie zufolge der Nutzen bloß reparativer Interventionen mit zunehmendem Alter stark abnimmt.

Solche Bildungsökonomie vergleicht dabei die Relation von Grenz-ertrag eines zusätzlichen Jahres im Bereich der Elementarbildung mit dem eines zusätzlichen Jahres am Ende der jeweils bestehenden Schulpflicht. Dabei wird länder- und schichtenübergreifend ein mit dem Alter fallender Grenzertrag zusätzlicher Bildungsmaßnahmen 5 Siehe etwa RFTE, Vision Österreich 2050, 2014, S. 48.

konstatiert. Je früher also die Intervention erfolgt, desto besser sind die Aussichten, den Einkommensnachteil gegenüber privilegierten Schichten zu verringern.6 Interventionen in der Phase der Elemen-tarpädagogik „zahlen“ sich also insbesondere für benachteiligte Gruppen aus, da bei diesen Nachholeffekte zum Tragen kommen.

Allerdings schwächen sich diese Effekte im Laufe der weiteren schu-lischen Karriere wieder ab, da die Kluft zu sozioökonomisch besser gestellten Kindern trotz allem nicht überbrückbar ist. Daraus lässt sich schließen, dass bildungsnahe Gruppen gegenüber bildungsfer-neren längerfristig immer noch höhere Einkommenserträge lukrie-ren, indem etwa höhere Schulabschlüsse erreicht werden.