• Keine Ergebnisse gefunden

Das Arbeitsrecht in der Ersten Republik

„nachgezogen“ (1916)

3. Das Arbeitsrecht in der Ersten Republik

3.1 Die Ausgangslage

Nach den Jahren des Stillstands der sozialpolitischen Entwicklung bestand in der Republik ein umso größerer Nachholbedarf. Die 1916 in das ABGB aufgenomme-nen Arbeitsvertragsbestimmungen (Pkt. 2.14) sollten die im Krieg unter katastropha-len Versorgungskrisen und Preistreiberei (Hungerwinter 1916/17) leidende Bevölke-rung beruhigen und bildeten ein uneingelöstes Versprechen auf konkrete gesetzliche Schutzbestimmungen, die die abstrakte Fürsorgepflicht zum Leben erwecken.

Die alarmierende Botschaft vom Sturz der russischen Zarenherrschaft Anfang 1917 veranlasste das österreichische Herrscherhaus, auf Proteste im eigenen Reich zu reagieren: Neu eingerichtete Beschwerdekommissionen für die Kriegswirtschaftsbe-triebe hatten die Missstände in den RüstungsbeKriegswirtschaftsbe-trieben (z.B. überlange Arbeitszeiten, Lohnabbau) unter Mitwirkung des Gewerbeinspektorates und eines Arbeitervertreters (!) zu untersuchen und zu beseitigen. Das Parlament, der Reichsrat, wurde nach drei Jahren Zwangspause wieder einberufen. Die Leistungen der Arbeiterkrankenkassen wurden angepasst, das von der Arbeiterschaft seit 1909 geforderte Nachtarbeits-verbot im Bäckergewerbe sowie Mieterschutzvorschriften, die den grassierenden Wohnungswucher eindämmen sollten, wurden verwirklicht. Die Schaffung des Minis-teriums für soziale Fürsorge43 sollte für die Sozialpolitik der jungen Republik beson-ders wertvoll sein. Vorerst konnte es auf Grund innenpolitischer Zerfahrenheit nicht unmittelbar wirksam werden, begann aber sofort damit, sozialpolitisch als vordringlich angesehene Rechtsvorschriften vorzubreiten.

Im Frühjahr 1917 gründeten ArbeiterInnen vereinzelt „Fabrikausschüsse“ u.a. um eine gerechtere Verteilung der Lebensmittel44 zu erreichen – oder sie organisierten diese selbst. Kundgebungen und Streikaktionen forderten die Beendigung des Krie-ges. Dem Sturz des Zaren folgte unter der Losung „Brot und Frieden!“ die russische Oktoberrevolution 1917, deren Programme und Aktionen in Zeitungen und Versamm-lungen ausführlich dargestellt wurden. In weiten Teilen der arbeitenden Bevölkerung lösten diese Berichte Begeisterung aus. Die Redewendung, man müsse auch mit den eigenen Herren ‚russisch reden‘, wurde populär. Truppenteile an der Ostfront weiger-ten sich gegen den neuen Arbeiterstaat weiterzukämpfen, und heimgekehrte Kriegs-gefangene berichteten über soziale Umwälzungen, deren Zeugen sie geworden waren.

Diese Stimmung fand einen Höhepunkt im Jännerstreik 191845, der sich auf die gesamte Monarchie ausdehnte und den Beginn einer österreichischen Rätebewegung markierte. In den meisten österreichischen Fabriken wurden Arbeiterräte gewählt.

Diese begannen, die Arbeitsbedingungen und Löhne neu zu bestimmen, Fabriken zu

„sozialisieren“ und die Kontrolle über öffentliche Einrichtungen zu übernehmen. Im gleichen Sinne wirkten die von zurückströmenden Soldaten gewählten Soldatenräte.

43 Mit 1.1.1918; zu seinem Leiter wurde der frühere Leiter des Arbeitsstatistischen Amtes, Viktor Mataja, bestellt.

44 Der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch an Milch, der in Wien 1914 bei 13 Litern im Monat lag, sank im Mai 1919 auf 0,6 Liter. Hungerdemonstrationen und -aufstände waren an der Tagesordnung.

45 Dieser wurde am 14.1.1918 in den Daimler-Motorenwerken in Wiener Neustadt wegen einer 50%igen Kürzung der Mehlration ausgerufen und dehnte sich am nächsten Tag auf das südliche Niederösterreich und Wien aus. Nach fünf Tagen befanden sich – trotz strenger Pressezensur – in der Monarchie 750 000 ArbeiterInnen im Ausstand. Die Regierung wagte es nicht mehr, den Streik (wie gewöhnlich) mit Militäreinsatz niederzuschlagen, sondern musste mit den Gewerkschaften verhandeln. Wegen Kürzungen der Brotration folgten im Juli 1918 weitere ausgedehnte Streiks.

Sie alle hatten den Wunsch, jener Gesellschaftsordnung, die zusätzlich zu ihren elen-den Lebensbedingungen auch noch elen-den Krieg zu verantworten hatte, ein Ende zu bereiten.

Selbst die konservativen Kräfte und das Bürgertum erkannten, dass es nun unver-meidbar war, Forderungen der Arbeiterorganisationen, welche sie zum Teil seit Jahr-zehnten abgelehnt und zurückgewiesenen hatten, rasch zu erfüllen, wollten sie das Übergreifen der Revolution auf ihr Eigentum und ihre Macht verhindern.

3.2 Die ersten Maßnahmen der Republik im Arbeits- und Sozialrecht

Noch am Tage der Ausrufung der Republik (12.11.1918) wurde die Sonn- und Feiertags-ruhe wieder eingeführt. Die Gewerbeinspektoren konnten ihre Tätigkeit wieder auf-nehmen. Die kriegswirtschaftlichen Beschwerdekommissionen wurden zu Einigungs-ämtern umgestaltet. In kürzester Frist schuf die Provisorische Nationalversammlung erstmals staatliche Instrumente der Arbeitslosenfürsorge und ein Arbeitsamt, das paritätisch von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern geleitet wurde.

Ferdinand Hanusch46 war zum Leiter des durch die provisorische Verfassung geschaf-fenen Staatsamtes für soziale Fürsorge gewählt worden. Er wirkte mit größter Ener-gie für die Schaffung der sozialstaatlichen Grundlagen Österreichs. Gestützt auf die Vorarbeiten des Ministeriums für soziale Fürsorge und des Arbeitsbeirates (siehe Pkt.

3.1 und 2.11) gelang es, noch vor Jahresende 1918 Meilensteine der Arbeitsrechtsent-wicklung zu setzen: die Einführung des Achtstundentages, das Heimarbeitsgesetz47 und das Kinderarbeitsgesetz.

Um den 8-Stunden-Tag hatte die organisierte Arbeiterschaft seit 1890 gekämpft, nicht einmal der 10-Stunden-Tag wurde ihr zugestanden. Nun errang sie die achtstündige Arbeitsdauer (und die Festsetzung des Überstundenzuschlages mit 50%), die zuerst auf Fabriken beschränkt war und Ende 1919 auf alle Arbeitsverhältnisse ausgedehnt wurde (StGBl Nr. 581/1919). Ein maßgeblicher Impuls zur umfassenden Einführung des 8-Stunden-Tages kam von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die durch die Friedensverträge von Saint-Germain und Versailles gemeinsam mit dem Völ-kerbund geschaffen worden war48. Das Gesetz begrenzte überdies die Arbeitszeit für Frauen auf 44 Wochenstunden.

46 Staatssekretär Hanusch leitete das Staatsamt (= Ministerium) von November 1918 bis Oktober 1920. Ihm war der christlich-soziale Unterstaatssekretär Josef Resch beigegeben, der ihm als Bundesminister für soziale Verwaltung nachfolgen sollte. In Schlesien 1866 geboren, hatte Hanusch, ein Webergeselle, sich gewerkschaftlich betätigt und später die von ihm gegründete Union der Textilarbeiter geleitet. Er starb 1923 in Wien.

47 Gesetz über die Regelung der Arbeits- und Lohnverhältnisse in der Heimarbeit, StGBl Nr. 140/1918. EinwohnerInnen ganzer Ortschaften oder Landstriche arbeiteten in Form der „Hausindustrie“, indem sie unter Mitarbeit der Kinder und Greise Holzschnitzerei, Schuhe, Taschenmesser, Teppiche usw. für wenige Händler herstellten und von diesen existenziell abhängig waren. Trotz langjähriger Forderungen der Betroffenen sowie Entwürfen und Enqueten, die sich mehr als 20 Jahre hinzogen, kam in der Monarchie kein HeimarbeiterInnenschutz zustande. Siehe auch Pkt. 4.

48 leDerer (1927, 35f.) charakterisiert die Auswirkungen, die das Erstarken der Arbeiterbewegung auf internationaler Ebene hatte: „Unter dem Eindrucke der bolschewistischen Bewegung, die von Russland aus auch auf andere Staaten überzugreifen drohte, beeilten sich die führenden Ententestaaten, diesen Schöpfungen [gemeint: der ILO] praktisches Leben einzuhauchen. Bereits am 29.10.1919 trat in Washington die erste Internationale Arbeitskonferenz zusammen.

(...) Es kamen fünf internationale Übereinkommen zustande, die sich auf die Verhütung der Arbeitslosigkeit, das Frauennachtarbeitsverbot, die gewerbliche Nachtarbeit der Jugendlichen, das Mindestalter von Kindern für die Zulassung zu gewerblicher Arbeit und auf den achtstündigen Arbeitstag bezogen.“

Das Gesetz über die Kinderarbeit49 ging über die teilweise schon bestehenden Ver-bote hinaus und erließ einheitliche Regelungen für jede Beschäftigung von Kindern unabhängig von Wirtschaftszweig und Betriebsgröße. Es schränkte die erlaubte Kin-derarbeit weiter ein, beseitigte die Lücken im Kinder-Nachtarbeitsverbot und über-trug die Überwachung eigenen Inspektionsorganen, die mit der Gewerbeinspektion zusammenzuarbeiten hatten. Außerhalb der Familie durften Kinder erst beschäftigt werden, nachdem die Gemeinde die konkrete Beschäftigung durch Ausstellung einer Arbeitskarte bewilligt hatte. Für die meisten Jugendlichen bis 16 Jahre bedeutete das Achtstundentaggesetz die Einführung der 44-Stunden-Woche und des freien Sams-tagnachmittags. Das Nachtarbeitsverbot wurde auf Jugendliche bis 18 Jahre ausge-dehnt. Jugendlichen bis 16 Jahre sicherte das Arbeiterurlaubsgesetz einen Jahres-urlaub von 14 Tagen. Das Gesetz über die Arbeiterkammern (Pkt. 3.3) ermöglichte diesen die Einrichtung von Lehrlingsschutzstellen. In der GewO wurden 1922 die Lehr-lingsentschädigung und 1926 die Weiterverwendung Ausgelernter erstmals geregelt.

Da Kinderarbeit nach wie vor ihre Wurzeln in der wirtschaftlichen Notlage hatte, wurden zugleich die Jugendfürsorge, die Betreuung von Waisen- und Findelkindern usw. ausgebaut. „Ohne umfassende Maßnahmen der Kinderfürsorge lässt sich eine Einschränkung der Kinderarbeit, v.a. das gesetzlich vorgesehene Verbot einer regel-mäßigen entgeltlichen Beschäftigung der Kinder unter 14 Jahren nicht durchführen;

am allerwenigsten in einer Zeit der bitteren Not, der tiefsten Erschütterung des Wirt-schaftslebens und des staatlichen Verwaltungsapparates.“ (PribrAM 1921, 627).

1919 wurden weitere langjährige Forderungen der Arbeiterschaft erfüllt: Abschaffung der Arbeitsbücher50 (Pkt. 2.3) und Aufhebung der gegen die ArbeiterInnen gerichte-ten Polizeistrafen wegen Verletzung des Arbeitsvertrags. Der – fortan aufgeho-bene – § 85 der GewO hatte festgelegt, dass ArbeiterInnen, die ohne zulässigen Grund den Arbeitsvertrag vorzeitig beendeten oder ihn verletzten, zusätzlich zu ihrer Scha-denersatzpflicht auch polizeilich zu bestrafen waren. Den Arbeitgeber hingegen traf im umgekehrten Fall keine solche Strafe. Mit diesem Paragraphen konnte gegen Strei-kende polizeilich oder, wenn das nicht ausreichte, militärisch vorgegangen werden.

Auch konnte der Vertragsbrüchige mit Polizeigewalt in das frühere Arbeitsverhältnis zurückgebracht werden.

Das Gesetz über das Verbot der Nachtarbeit der Frauen und Jugendlichen (StGBl Nr. 281/1919) ging weit über die bestehenden, nur für größere Betriebe geltenden, Beschränkungen hinaus und untersagte generell in den meisten Betrieben die Beschäf-tigung von Frauen und männlichen Jugendlichen bis 18 Jahre in der Nacht. Das Berg-arbeitergesetz setzte diese und weitere Verbesserungen auch für die Beschäftigten im Bergbau in Kraft51.

49 Gesetz vom 19.12.1918 über die Kinderarbeit, StGBl Nr. 141/1918. Vollzugsanweisung (= Verordnung) des Staatsamtes für soziale Verwaltung über die Überwachung der Kinderarbeit, StGBl Nr. 31/1920.

50 StGBl Nr. 42/1919. – 1909 enthielt die zum wiederholten Male im Reichsrat erfolglos beantragte Abschaffung u.a.

folgende Begründung: „Das Arbeitsbuch ist das Merkmal der Sklaverei, der Hörigkeit, der gelbe Fleck, der allen angeheftet wird, die als Ausgestoßene, als Minderwertige, als Kontrollbedürftige angesehen werden. Es erregt von neuem immer wieder die Vorstellung von der Zweiteilung der Gesellschaft, die Teilung von Kontrollbedürftigen und Kontrolllosen“ (zit.

nach weiDenholzer 1985, 331). Mit dem Erstarken der Gewerkschaften verständigten sich die Unternehmerverbände darauf, z.B. durch ein an bestimmter Stelle positioniertes „h“ einen „Sozialisten“ zu brandmarken. – Folgerichtig wurde 9 Wochen nach der nationalsozialistischen Annexion Österreichs der Arbeitsbuchzwang wieder eingeführt (Pkt. 6).

51 Gesetz über die Beschäftigung von jugendlichen und weiblichen Arbeitern, dann über die Arbeitszeit und die Sonntagsruhe beim Bergbau (Bergarbeitergesetz), StGBl Nr. 406/1919. Ähnliche Ziele verfolgte das Gesetz über die Mindestruhezeit, den Ladenschluss und die Sonntagsruhe in Handelsgewerben und anderen Betrieben, StGBl Nr.

282/1919, sowie das Bäckereiarbeitergesetz, StGBl Nr. 217/1919, welches den dort Beschäftigten auch das Recht auf Sonntagsruhe brachte. Wie man sieht, wurde – trotz weitest möglicher inhaltlicher Vereinheitlichung – das in der Monarchie

In manchen Fragen war die österreichische Arbeitsrechts-Entwicklung beispielgebend in Europa. Die fortschrittliche Einstellung der neuen Sozialpolitik zeigte sich auch in scheinbaren Kleinigkeiten: So beseitigte man z.B. im Gesetz über die Entschädi-gung der Kriegsinvaliden jeden Unterschied zwischen unehelichen und ehelichen Waisenkindern.

Das Arbeiterurlaubsgesetz (RGBl Nr. 395/1919) garantierte – international erstmalig und viel beachtet – den Beschäftigten in allen Betrieben, auch in Verkehrsbetrieben und im Bergbau, erstmals einen bezahlten Jahresurlaub. Nach einem Jahr Betriebszu-gehörigkeit dauerte dieser eine Woche, nach fünf Jahren zwei Wochen. Nur die Ange-stellten hatten vorher bereits (im Handlungsgehilfengesetz von 1910) einen gesetzli-chen Urlaubsanspruch erreicht.

Im Zuge der Gründung der Republik wurde der Auffassung zum Durchbruch verhol-fen, dass Arbeitslosigkeit kein individuelles Problem, sondern eine Konsequenz der Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung ist. Vor dem Weltkrieg waren Arbeitslose auf Almosen angewiesen, Forderungen nach materieller Absicherung wurden abge-lehnt. Nun wurde für die Arbeitslosenversicherung – die eine historische Neuerung darstellte – eine dauerhafte Grundlage (StGBl Nr. 153/1920) geschaffen. Sie sicherte den zahlreichen Menschen, für die keine Arbeitsmöglichkeit bestand, wenigstens eine 30-wöchige Unterstützung. Zur Verminderung der Arbeitslosigkeit war größeren Betrieben sogar die zwangsweise Einstellung von durch das Arbeitslosenamt zuge-wiesenen Personen vorgeschrieben (StGBl Nr. 268/1919).

Die sozialpolitischen Errungenschaften des Jahres 1919, die nur unter dem Druck der Unzufriedenen zustande kommen konnten, sind umso bemerkenswerter, als sie noch während der Friedensverhandlungen von Saint-Germain durchgesetzt wurden und das wirtschaftliche Überleben der jungen – und kleinen – Republik nicht absehbar war.

3.3 Betriebsräte, Absicherung der Kollektivverträge, Arbeiterkammern

Unter den – auch international beachteten – arbeitsrechtlichen Errungenschaften die-ser Jahre sind das Betriebsrätegesetz und das Kollektivvertragsgesetz52 besonders hervorzuheben. Die Erfüllung jahrzehntelanger Forderungen der Arbeiterbewegung, die mit diesen Gesetzen erreicht wurde, gelang (nur) vor dem Hintergrund und mit dem Schwung der revolutionären Stimmung, die in breiten Kreisen der arbeiten-den bzw. arbeitslosen Bevölkerung vorherrschte. So war die politische Öffentlichkeit Österreichs von Arbeiter-, Soldaten- und sogar Bauernräten geprägt.53 Den

Unterneh-begonnene System der Sondergesetzgebung für verschiedene Wirtschaftssektoren (wenn auch wahrscheinlich aus der aktuellen Notlage heraus) beibehalten.

52 Gesetz vom 15.5.1919 betreffend die Errichtung von Betriebsräten, StGBl Nr. 283/1919; es ist mit den Namen Otto Bauer und Käthe Leichter verbunden. Eingehende Analyse z.B. in PribrAM 1921, 644 ff. – Gesetz vom 18.12.1919 über die Errichtung von Einigungsämtern und über kollektive Arbeitsverträge, StGBl Nr. 16/1920. Von 1921 bis 1925 wurde auch eine frühe Form des „Index der Lebenshaltungskosten“ verlautbart. Die Aufgaben der Einigungsämter wurden mit dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz 1985 zum größten Teil den Arbeitsgerichten übertragen.

53 Das Alpine Stahlwerk in Donawitz, einer der größten Betriebe Österreichs, stand unter Kontrolle des Arbeiterrates.

In der Mitterberger Kupfer AG setzte der Arbeiterrat das Direktorium ab. Die Arbeiterräte waren in allen Ballungs- und Industriezentren bis etwa Anfang 1920 ausschlaggebend: „Sie nahmen Probleme von existenzieller Wichtigkeit selbst in die Hand und sicherten sich ihre Rechte aus eigener Kraft. Ihr historisches Verdienst war es, das Proletariat in den Städten, die Arbeitslosen, Invaliden, Heimkehrer, Kriegerwitwen und -waisen (…) vor dem Hungertod bewahrt zu haben. Die Arbeiterräte wirkten bei der Lebensmittelaufbringung, der Wohnungsbewirtschaftung, im Kampf gegen Nahrungsmittelwucher und Schleichhandel, bei der Arbeitslosenunterstützung, der sozialen Kinder fürsorge und im Gesundheitswesen. In diesen Fragen konnte nichts über ihren Kopf hinweg geschehen.“ (hAutMAnn/kroPf 1974, 137)

mern erschienen einflussreiche Betriebsräte und zwingende Kollektivverträge als das kleinere Übel, verglichen mit einer Räterepublik, wie sie nicht nur in Russland, sondern auch in Bayern und Ungarn zu dieser Zeit gebildet worden war. Widerstrebend muss-ten die Betriebseigentümer akzeptieren, dass der Absolutismus auch in den Betrieben ein Ende hatte und die Arbeitskraft in allen sie betreffenden Fragen mitredete.

Betriebsräte waren in Betrieben mit 20 oder mehr Beschäftigten zu wählen, in Betrieben ab 5 erwachsenen Beschäftigten wurden Vertrauensmänner gewählt. Ihre umfangrei-chen Rechte und Aufgaben umfassten unter anderem die Vereinbarung verbessernder Ergänzungen zu den Kollektivverträgen, die Überwachung der Einhaltung der Verträge und der arbeitsrechtlichen Bestimmungen einschließlich des ArbeitnehmerInnen-schutzes, die Kontrolle der Entlohnung, das Anrecht auf regelmäßige Beratungen mit dem Betriebsinhaber, in größeren Unternehmen die Einsichtnahme in die Bilanzen und andere Unterlagen, in Aktiengesellschaften die Entsendung zweier Vertreter in den Aufsichtsrat sowie die Errichtung innerbetrieblicher Wohlfahrtseinrichtungen, für die eine Betriebsratsumlage eingehoben werden konnte. Die innerbetriebliche Arbeitsord-nung bedurfte fortan der Zustimmung des Betriebsrates, der auch das Recht erhielt, politisch motivierte Kündigungen und Entlassungen beim Einigungsamt anzufechten.

Der Betriebsrat wurde für ein Jahr gewählt und konnte abgewählt werden. Mitglieder des Betriebsrates konnten nur mit Zustimmung des Einigungsamtes gekündigt oder entlassen werden.

Das Betriebsrätegesetz enthielt bereits die meisten Elemente und Rechte der betrieb-lichen Vertretung der ArbeitnehmerInnen, wie sie heute im Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) verankert sind, sodass man nach der Befreiung vom Faschismus im Jahr 1945 am 1919 geschaffenen demokratischen Standard wieder anknüpfen konnte.

Nachdem eine gesetzliche Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen zum ers-ten Mal bereits in der Revolution von 1848 gefordert worden war, tauchte diese Forde-rung nach der 1868 erfolgten Errichtung der Handels- und Gewerbekammern (denen sogar ein beschränktes Wahlrecht zum Reichsrat eingeräumt wurde) immer wieder auf54 und war erneut 1917 im Reichsrat eingebracht worden. 1920 wurden das Gesetz über die Errichtung von Kammern für Arbeiter und Angestellte (Arbeiterkammern), StGBl Nr. 100/1920, verwirklicht und die Handelskammern neu organisiert, mit denen die Arbeiterkammern später gleichgestellt wurden.

3.4 Ausbau des Arbeitsvertragsrechts

Die Reihe von arbeitsvertragsrechtlichen Verbesserungen, von denen hier nur die wichtigsten erwähnt werden, begann mit dem Journalistengesetz55, welches entspre-chend der Eigenart des Redakteurberufes eine Absicherung für die berufstypischen Probleme wie Verkauf oder Einstellung der Zeitung oder Wechsel der politischen Rich-tung anstrebte. Das Hausgehilfengesetz56 überwand für die in der Hauswirtschaft

54 Die von liberalen Abgeordneten 1886 eingebrachte Idee, anstelle des von der Arbeiterschaft verlangten allgemeinen Wahlrechtes diese mit einer Arbeiterkammer abzuspeisen, die noch dazu lediglich Fragen stellen durfte (und nicht einmal Anspruch auf deren Beantwortung hatte), war von den Arbeiterorganisationen zurückgewiesen worden.

55 Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Journalisten (Journalistengesetz), StGBl Nr. 88/1920. Der bezahlte Urlaubsanspruch betrug ab 10-jähriger Zugehörigkeit eineinhalb Monate, davor einen Monat; die dreimonatige Kündigungsfrist erhöhte sich nach 5-jähriger Zugehörigkeit; bei Verkauf oder Richtungswechsel der Zeitung konnte eine Abfertigung verlangt werden; eine Alters- und Berufsunfähigkeitsversorgung war vorgesehen.

56 Gesetz über den Dienstvertrag der Hausgehilfen (Hausgehilfengesetz), StGBl Nr. 101/1920. Es regelte die Mindestfreizeit sowie Leistungen im Krankheitsfall und sah abhängig von der Beschäftigungsdauer einen bezahlten Urlaub von ein bis drei Wochen und eine Abfertigung nach 10-jähriger Zugehörigkeit vor.

tätigen (oftmals in der Hausgemeinschaft lebenden) ArbeitnehmerInnen die an Leib-eigenschaft erinnernden Regelungen der antiquierten Dienstbotenordnungen (siehe Beitrag „ArbeitnehmerInnenschutz in der Land- und Forstwirtschaft“ von J. Püringer).

Es galt allerdings bis 1926 nur in Gemeinden mit mehr als 5 000 Einwohnern.

Das Schauspielergesetz57 betrat – auch im internationalen Vergleich – Neuland, um den Besonderheiten der Bühnenarbeit (Probenarbeit, Vertragsabschluss durch Min-derjährige, Beistellung der Kostüme, Recht auf Nennung im Theaterprogramm, Rol-lenverweigerung, usw.) zu entsprechen. Bereits 1896 hatte der Verein der Bühnen-mitglieder dem Reichsrat die arbeitsvertragsmäßige Rechtlosigkeit der KünstlerInnen dargelegt und um Abhilfe gebeten, was trotz mehrerer Anläufe erfolglos blieb. Das Gutsangestelltengesetz58 ersetzte das Güterbeamtengesetz von 1914 und regelte den Dienstvertrag der Angestellten in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben.

Die hinsichtlich der Zahl der Betroffenen wichtigste Arbeitsvertragsnorm war 1921 das Angestelltengesetz59, das vielfach auch für die zuvor genannten Gesetze vorbildhaft wirkte. Es knüpfte an dem fortschrittlichen Handlungsgehilfengesetz von 1910 an, galt u.a. auch für den Bergbau und erweiterte – jeweils abhängig von der Betriebszugehö-rigkeit – die Fortzahlung im Krankheitsfall auf bis zu 12 Wochen, den Urlaub auf zwei bis (nach 25 Dienstjahren) fünf Wochen und die Kündigungsfrist für den Dienstgeber auf bis (nach 25 Dienstjahren) fünf Monate. Es enthielt erste Anrechnungen von Studien- und Vordienstzeiten, weiters Mutterschutzbestimmungen, die für lange Zeit vorbildlich bleiben sollten, und einen nach drei Dienstjahren beginnenden, gestaffelten Abferti-gungsanspruch, der bis Ende der 1970er Jahre ein Privileg der Angestellten blieb.

3.5 Gewerbeinspektion auf neuer Grundlage

1921 wurde die rechtliche Grundlage für die Tätigkeit der Gewerbeinspektion erneu-ert60. Die einstigen Hilfsorgane der Landesbehörden wurden zur Gewerbeinspektion zusammengefasst. Ihr Wirkungsbereich, der bis dahin auf Betriebe gemäß GewO beschränkt war, wurde stark erweitert und umfasste mit Ausnahme des Bergbaus, der Eisenbahnen, der Land- und Forstwirtschaft und der Heilanstalten fortan nahezu alle Betriebe. Das Gewerbeinspektionsgesetz regelte die Einsichtnahme in Unterlagen, die Entnahme von Proben und die Mitwirkung an Genehmigungsverfahren, übertrug der Gewerbeinspektion die Entscheidung über Ausnahmen von Arbeitszeitregelungen und berechtigte die Inspektionsorgane, bei Gefahr im Verzug an Ort und Stelle Sofortmaß-nahmen anzuordnen.

57 Bundesgesetz über den Bühnendienstvertrag (Schauspielergesetz), BGBl Nr. 441/1922. Es galt für alle Personen, die sich bei einem Theaterunternehmer zu künstlerischen Diensten bei der Aufführung von Bühnenwerken verpflichten.

Als Besonderheit enthält es das Recht auf angemessene Beschäftigung, d.h. auf tatsächlichen Einsatz auf der Bühne, damit Bekanntheitsgrad und Fähigkeiten nicht verloren gehen. In der Petition von 1896 hieß es u.a. (zit. nach brügel 1919, 208): „Man sollte es in heutiger vorgeschrittener Zeitepoche nicht für möglich halten, dass die Pflichtverhältnisse in unseren usuellen Theaterverträgen tief unter den Vorschriften der Dienstbotenordnung stehen und dem Bühnenmitglied jedes menschenwürdige, persönliche und künstlerische Recht versagen. Sozialpolitisch ist der Schauspieler schlechter dran als der Arbeiter.“

58 Bundesgesetz über den Dienstvertrag der Angestellten in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben (Gutsangestelltengesetz), BGBl Nr. 538/1923. Das Arbeitsvertragsrecht der ArbeiterInnen in diesen Betrieben war und ist hingegen landesgesetzlich in den Landarbeitsordnungen geregelt (siehe Beitrag „ArbeitnehmerInnenschutz in der Land- und Forstwirtschaft“ von J. Püringer).

59 Bundesgesetz über den Dienstvertrag der Privatangestellten (Angestelltengesetz), BGBl Nr. 292/1921.

60 Bundesgesetz über die Gewerbeinspektion, BGBl Nr. 402/1921. 16 Aufsichtsbezirke und je ein Sonderinspektorat für Bauarbeiten und für Handels- und Verkehrsunternehmen in Wien sowie das Sondergewerbeinspektorat für Binnenschifffahrt wurden eingerichtet (BGBl Nr. 459 und 460/1921). 1923 standen 52 männliche und 9 weibliche Aufsichtsorgane in Dienst.

1931 erreichte die Zahl an GewerbeinspektorInnen in der Ersten Republik mit 90 ihren Höchststand. 1921 wurde erstmals ein Gewerbeinspektionsarzt bestellt.

3.6 Bestimmungen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit bei der Arbeit

Bereits 1920 wurde die Unfallverhütungskommission, ein fachliches Beratungsorgan der Regierung in Arbeitnehmerschutzfragen, neu eingerichtet.61 Sie befasste sich mit den zu dieser Zeit geplanten Arbeitssicherheitsvorschriften; ihre Aktivität scheint jedoch Mitte der 1920er Jahre erlahmt zu sein.

Die wenigen Verordnungen über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit, die in der Ersten Republik zu den bereits bestehenden hinzugekommen sind, können aus der Abb. 3 (in Pkt. 2.9) ersehen werden. Die „Filmverordnung“ regelte vor dem Hintergrund der brandgefährlichen Zelluloidfilme62 ausführlich die Betriebe, in denen Filme bearbeitet, vorgeführt, vertrieben oder gelagert werden. Wie es damals üblich war, enthielt diese Verordnung nicht nur tätigkeitsspezifische Vorschriften und Lager-höchstmengen, sondern regelte auch die Arbeitsräume, Verkehrswege, Lüftung usw.

Ähnliches gilt für die folgenden Verordnungen: Die „Milzbrandverordnung“ ordnete die Desinfektion von tierischen Rohstoffen wie Häuten, Fellen, Tierhaaren usw. vor der Verarbeitung an, um Milzbranderkrankungen der Beschäftigen vorzubeugen. Vier Verordnungen, deren Entstehung auch von Dokumenten der Internationalen Arbeitsor-ganisation beeinflusst war, enthielten Gesundheitsschutzvorkehrungen beim Umgang mit Blei, die sich auch auf sanitäre Vorkehrungen, Arbeitszeitvorschriften, ärztliche Kontrollen und schutzbedürftige Personen erstreckten.

Die Leistungen der Kranken- und der Unfallversicherung wurden ausgebaut. 1920 erhielten die Staatsbediensteten eine Krankenversicherung, 1921 wurden endlich die HausgehilfInnen, die LandarbeiterInnen, die HeimarbeiterInnen, 1923 die Arbeitslosen und 1926 die Notare in die Krankenversicherung63 einbezogen. Im Gesetz über die Unfallversicherung der Arbeiter wurden „bestimmte durch die berufliche Beschäfti-gung verursachte Erkrankungen“ den Arbeitsunfällen gleichge stellt (BGBl Nr. 50/1928).

Dieser erstmaligen Aufnahme von Berufskrankheiten ging 1925 ein ILO-Überein-kommen voran, dem auch Österreich beigetreten war (BGBl Nr. 288/1928). Eine erste BK-Liste, die für unfallversicherte ArbeiterInnen galt, enthielt 12 Positionen64. Trotz Vorarbeiten und mehrerer Anträge im Parlament kam eine Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversicherung für ArbeiterInnen neuerlich nicht zustande. Eine solche trat – mit allerdings dürftigen Leistungen – erst durch reichsdeutsches Recht 1939 in Kraft.

61 Vollzugsanweisung über das Statut der Unfallverhütungskommission im Staatsamte für soziale Verwaltung, StGBl Nr.

145/1920. Die erste Sitzung wurde am 14.7.1920 von Staatssekretär Hanusch eröffnet. Zur Tätigkeit siehe bÖse 1972.

Bereits 1900 war eine solche Kommission eingerichtet.

62 Zelluloid war ein häufig und vielseitig eingesetzter Kunststoff, bestehend aus Nitrozellulose mit Kampfer als Weichmacher, der sich pressen, prägen, blasen, fräsen, schleifen und polieren lässt.

63 Bemerkenswert ist § 27 des Arbeiter-Krankenversicherungsgesetzes (in der Fassung des RGBl Nr. 457/1917): „Für Personen, welche in einem Betriebe beschäftigt sind, dessen Einrichtung den in hygienischer Hinsicht bestehenden Vorschriften nicht entspricht, kann auf die Dauer dieses Zustandes eine Erhöhung des Krankenversicherungsbeitrages durch Vorschreibung von Zuschlägen bis zu 50 % dieses Betrages erfolgen, welche von dem betreffenden Arbeitgeber allein zu tragen sind.“

64 Die Verordnung betreffend die Berufskrankheiten in der Unfallversicherung der Arbeiter, BGBl Nr. 237/1928, in Kraft getreten mit 1.3.1928, umfasste Erkrankungen durch Blei, Arsen, Quecksilber und deren Verbindungen, Chromverbindungen, Phosphor, Benzol(homologe), aromatische Nitro- und Aminoverbindungen, Schwefelkohlenstoff, Russ, Teer udgl., Röntgenstrahlung und Radioaktivität sowie Glasbläserstar. Auf Grund des Angestelltenversicherungsgesetzes trat mit 1.1.1929 eine fast idente Regelung in Kraft (BGBl Nr. 229/1928).