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Über eine Konferenz

Im Dokument Roma, Sinti und … (Seite 77-82)

István Nuber

Gemetzel, die die Roma zur Zeit der Gewaltherrschaft der Pfeil-kreuzler zu erdulden hatten. Abschließend sprach Szabolcs Szita die dringendsten, notwendigsten Aufgaben an, deren Verwirkli-chung zur Identität und einer harmonischeren Integration der Roma beitragen könnte.

Ágnes Daróczi hielt unter dem Titel „Gemeinsame Vergangen-heit – gemeinsame Zukunft“ einen besonders beachtenswerten und anregenden Vortrag. Sie verwies darin unter anderem auf geschichtliche Fakten, dass die Roma einst wichtige Berufe aus-übten und über besondere Kenntnisse und Fähigkeiten verfüg-ten. Das brachte ihnen nicht nur Achtung ein, sondern ließ ihnen auch gewisse Sonderrechte zukommen, wie auch anderen Be-rufs- und Völkergruppen z.B. den Heiducken, Jassen und Kuma-nen. Bedauerlicherweise sind diese Tatsachen in Vergessenheit geraten und heute nicht einmal den Roma-Schülern bekannt. Ge-sellschaftliche Diskrepanz schüre auch das gegenwärtige gespal-tene Verhältnis innerhalb der Schülerschaft. Kinder der „weißen Ungarn“ und der Roma hätten wenig Kontakt miteinander, sie spielen und kommunizieren kaum miteinander, und weil sie ein-ander fremd gegenüberstehen und sich voneinein-ander absondern, könne der jeweils andere leicht zum Feindbild werden. Ágnes Daróczi hält es deshalb für außerordentlich wichtig, die Vorur-teile konsequent abzubauen. Dazu solle man den Kontakt zu äl-teren und erfahrenen Roma suchen. Man solle mit ihnen über ihr Leben, ihre Musik und Traditionen Gespräche führen, um da-durch dem Einzelnen und vielleicht auch der Gemeinschaft nä-her zu kommen. Es sei notwendig, gemeinsame historische An-haltspunkte zu finden, leuchtende Beispiele der gemeinsamen historischen Vergangenheit – etwa István Bocskai, Ferenc Rákóc-zi, den Freiheitskampf 1848/49 – gemeinsam zu ehren, die posi-tiven Traditionen des Zusammenlebens gemeinsam zu wahren.

In seinem Referat „Abriss über das Zusammenleben zwischen Ungarn und Roma“ widmete sich János Bársony den histori-schen Aspekten und Kausalitäten, die das Fortbestehen der Roma und die Bewahrung ihrer Identität ermöglichten. Im Mit-telalter besaßen die Roma modernes Fachwissen, insbesondere

auf dem Gebiet der Kriegstechnik verfügten sie über wertvolle Kenntnisse, etwa über die Feuerwaffen oder das Kanonengie-ßen. Die in den Türkenkriegen erfolgreich eingesetzten Dornen-bänder zur Abwehr von Reiterattacken waren ebenfalls ihre Er-findung. Ihre traditionellen Beschäftigungen wie Ziegelbrennen, Lehmmauernbau, Hausbau, Metallbearbeitung, Goldwäsche, Waffenherstellung, Befestigungsarbeiten, Holzbearbeitung oder Seilherstellung wurden aber durch Aufkommen und Verbrei-tung der industriellen Produktion immer mehr verdrängt und ihr bislang gefragtes Fachwissen verlor an Wert und Ansehen.

Dabei genoss diese Minderheit im Ungarn des Mittelalters eine Sonderstellung: Es wurde ihnen Wanderautonomie im Steuer-wesen und auch Eigengesetzlichkeit zuerkannt, d. h. sie selbst bzw. ihre Anführer konnten in den eigenen Angelegenheiten der Gemeinschaft Recht sprechen. Wenn es heute um die gesell-schaftliche Integration der Roma-Bevölkerung und um ihre Ein-gliederung in die Wirtschaftsprozesse geht, kann und soll man vor allem auf ihrem festen Gemeinschaftsleben, auf ihren Han-delserfahrungen und Menschenkenntnissen, auf ihrer Kinderlie-be und Sprachgewandtheit aufbauen. Diese Aspekte zu Kinderlie- berück-sichtigen wäre umso wichtiger, da die Roma seit der negativen Wendung auf dem Arbeitsmarkt eine kontinuierliche Abwer-tung erfahren, ihre gesellschaftliche Mobilität immer mehr ins Stocken geraten ist und ihr Pauperismus (Verarmung, Verelen-dung) mittlerweile erschreckende Ausmaße angenommen hat.

Diesem Gedankengang folgte György Szretykó in seinem Vor-trag „Probleme bei der Integration der Roma in die Mehrheitsge-sellschaft“. Da die Roma im Allgemeinen über recht niedrige Schulausbildung verfügen, weitgehend un- oder unterqualifi-ziert sind, haben sie auf dem Arbeitsmarkt wenig Chancen und geraten notgedrungen in eine geradezu aussichtslose soziale La-ge. Während vor den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts die über-wiegende Mehrheit der männlichen Roma-Bevölkerung in Un-garn als angelernte Arbeiter tätig war und damit den eigenen bzw. den Lebensunterhalt der Familie gewährleistete, sind heute die meisten Roma (70–80 Prozent) arbeitslos. Sie verrichten nun Gelegenheitsarbeiten oder sind ausschließlich auf Sozialhilfe

an-gewiesen. Durch diese und andere aus dieser Situation entste-henden Faktoren ist das Zusammenleben von Roma und Nicht-Roma von Konfliktbergen überladen und es erheben sich zwi-schen den beiden Bevölkerungsteilen beinahe schon unüber-windbare Mauern.

Peter Malina aus Österreich untersuchte in seinem Referat das Bild der „Roma in österreichischen Lehrbüchern“ und stellte fest, dass diese generell aus der Sicht der Mehrheitsgesellschaft dargestellt werden. Die Lehrbücher spiegeln seiner Ansicht nach weitgehend das historische Bewusstsein der jeweiligen Zeit wi-der, demzufolge findet diese Minderheit kaum oder abwertende, demütigende Erwähnung. Die Autoren reflektieren allenfalls Konflikte und Problemfälle und stellen die Roma niemals als eine selbständige Volksgruppe mit eigener historischer Rolle und Bedeutung dar. Meist wird die Frage von den Menschen-rechten her betrachtet, bzw. es werden konkrete Beispiele für de-ren Verletzung angeführt.

In ihrem Vortrag über „Neue Forschungen zur Geschichte der Roma im Spiegel der österreichischen Unterrichtspraxis“ hob Elke Renner hervor, dass die Roma-Bevölkerung von der Mehr-heitsgesellschaft vor gar nicht so langer Zeit als Sozial- und Poli-zeifall angesehen und dementsprechend behandelt wurde. Das von Vorurteilen geprägte, ausgrenzende und diskriminierende Verhalten der Mehrheitsbevölkerung brachte Österreich in den 60er Jahren mehrfach internationale Kritik ein. Heute laufen be-reits mehrere Projekte in Österreich, um einerseits die Le-bensumstände und gesellschaftliche Situation der Roma zu ver-bessern und andererseits um ein reales Bild über sie entstehen zu lassen und ihre reale Beurteilung herbeizuführen.

In seinem Vortrag über „Die Rolle des Schulsystems bei der Inte-gration der Roma“ betonte Dénes Koltay die außerordentliche Wichtigkeit der Volksbildung bei der Integration. Gleichzeitig machte er anhand einiger Beispiele auf die Mängel, auf die Dürf-tigkeit und die FunktionsuntüchDürf-tigkeit verschiedener Schulty-pen aufmerksam, durch die die Schüler und Auszubildenden

mit Roma-Herkunft zusätzliche Benachteiligungen zu erleiden haben. Das weitgehend selektiv funktionierende Schulsystem er-schwert die Lage und trägt wesentlich dazu bei, dass ein be-trächtlicher Anteil der Schüler, die den Grundschulabschluss nicht schaffen und frühzeitig aus der Volksbildung scheiden, Roma-Kinder sind. Doch ohne 8-Klassen-Abschluss dürfen sie keine Fach- und Berufsschulen besuchen und können daher kei-ne Lehrstellen bekommen. Die Zukunftschancen der Roma sind insbesondere durch folgende Faktoren beeinträchtigt: fehlende oder zumindest mangelhafte materielle Ausstattung (Infrastruk-tur), auf kulturelle Unterschiede zurückzuführende Benachteili-gungen, Unbildung, Armut, Segregation, Diskriminierung, Stig-matisierung, Funktionsuntüchtigkeit des Schulsystems, das se-lektive Prinzip von Schultypen, die so genannte Schmalspursitu-ation. Eine Abhilfe erblickt Koltay in einem integrierenden Schultyp, der Roma und Nicht-Roma gleichermaßen behandelt.

In gemischten Klassen wird beiden Gruppen der gleichen Lehr-stoff angeboten und unter Einbeziehung von Erziehern aus dem gleichen Kulturkreis für den Ausgleich des Wissensdefizits ge-sorgt.

Zum Abschluss der Tagung erklärten sich die Teilnehmer mit der Stellungnahme einverstanden, die auf der Homepage www.

schulheft.at nachzulesen ist.

János Bársony, Ágnes Daróczi

Im Dokument Roma, Sinti und … (Seite 77-82)